Politik

CERN-Forscher: Noch in diesem Jahr weisen wir das Higgs-Teilchen nach

Lesezeit: 6 min
07.07.2012 01:11
Die mögliche Entdeckung des Higgs-Teilchen bedeutet einen großen Schritt für die Forschung. Alle anderen Theorien, die mit dem Standardmodell konkurrieren, sind somit widerlegt. Trotzdem sind damit nur vier Prozent des Universums erklärt und nun gilt es, die dunkle Materie zu erforschen, sagt Prof. Dr. Achim Stahl, deutscher Sprecher des CMS-Experiments am CERN-Zentrum.

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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was ist so bahnbrechend an der Fast-Entdeckung des Higgs-Teilchens?

Achim Stahl: Das ist schon ganz richtig formuliert, denn es handelt sich noch nicht um die Entdeckung des Higgs-Teilchens. Wir haben ein neues Teilchen entdeckt, aber wir sind noch nicht sicher, ob es das Higgs-Teilchen ist.

Warum das so wichtig ist? Weil wir 40 Jahre danach gesucht haben. Und zwar deshalb, weil wir ein Modell oder eine Theorie entwickelt haben, die die Elementarteilchen, ihre Kräfte, ihr Verhalten, all diese Dinge sehr gut beschreibt. Aber dieses Modell hat einen Widerspruch. Das Modell behauptet nämlich, dass die Teilchen, die für die Kräfte verantwortlich sind, alle keine Masse – im Volksmund würde man sagen kein Gewicht – haben dürfen.

Wir wissen aber aus Experimenten, dass es einige solcher Teilchen gibt, die sehr sehr schwer sind, sogar schwerer als ganze Atome. Das ist ein innerer Widerspruch. Der schottische Physiker Peter Higgs hatte eine Idee, wie man diesen inneren Widerspruch auflösen könnte. Dieses Konzept, dass Higgs entwickelt hat, sagt voraus, dass es noch ein Teilchen geben muss. Später wurde das Teilchen nach ihm benannt. Um das geht es hier. Ohne dieses Teilchen haben wir ein sehr erfolgreiches Modell, dass aufgrund des inneren Widerspruchs eigentlich nicht akzeptiert werden könnte. Es geht also darum, diesen Widerspruch aufzulösen und zu zeigen, dass dieses Konzept von Peter Higgs wirklich wahr ist.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was hat es mit dem Higgs-Teilchen eigentlich auf sich?

Achim Stahl: Das gesamte Universum ist erfüllt mit diesem Higgs-Feld. Die Teilchen fliegen durch dieses Feld hindurch. Dabei wechselwirken sie mit dem Higgs-Feld, was ihnen eine scheinbare Masse gibt. Die Teilchen sind an sich ohne Masse, wie es das Modell vorhersagt, aber durch die Wechselwirkung mit dem Higgs-Feld sieht es so aus als hätten sie eine Masse, die wir dann bei den Experimenten messen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie funktioniert die Forschung am Higgs-Teilchen?

Achim Stahl: Das Large Hadron Collider-Projekt (LHC) ist vor über zwanzig Jahre gestartet worden. Es ist also ein sehr langfristiges Projekt. In den ersten Jahren geht es zunächst einmal darum, die Technologie zu entwickeln: Wie man den Beschleuniger, die Elektronen bauen kann. Dann folgen Jahre, in denen die Beschleuniger zusammengebaut werden, die Detektoren, die die Teilchen nachweisen, die bei den Reaktionen entstehen. Das ist nun alles seit drei Jahren abgeschlossen.

Seit drei Jahren läuft das Experiment, in dem Protonen aufeinander geschossen werden, wobei Reaktionen entstehen. Der Detektor zeichnet diese auf und speichert sie auf Computern ab. Das läuft rund um die Uhr. Dann geht es darum, diesen Detektor zu betreiben, am Laufen zu halten, zu kalibrieren, sodass diese Daten reinkommen. Anschließend werden diese Daten ausgewertet.

Wir haben schon Billiarden von Protonen-Kollisionen erzeugt. Wir haben jetzt so Größenordnungen von 20 Ereignisse, von denen wir denken, dass Higgs-Teilchen entstanden sein könnten. Aus dieser riesigen Menge von Daten müssen die Ereignisse, die Kollisionen herausgefiltert werden, bei denen tatsächlich ein Higgs-Teilchen entstanden sein könnte.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was benötigen die Forscher noch für einen definitiven Nachweis des Higgs-Teilchens?

Achim Stahl: Wir wissen, da ist ein Teilchen. Jetzt geht es nur noch um die Frage, ob dieses Teilchen das Higgs-Teilchen ist. Dafür brauchen wir einfach mehr als 20 Ereignisse. Wir haben jetzt so grob 20 identifizierte Kandidaten und wir brauchen vielleicht 50, vielleicht 100, um die Eigenschaften studieren zu können. Eine klassische Eigenschaft ist, dass das Higgs-Teilchen in unterschiedliche Teilchen zerfallen kann, das tun sie zwar alle, aber beim Higgs-Teilchen ist es so, dass die Zerfälle in die Teilchen bevorzugt eintreten, die schwer sind. Je schwerer ein Teilchen, desto öfter zerfällt das Higgs-Teilchen. Das ist eine Eigenschaft, die man nachprüfen kann. Und da brauchen wir mehr als ein Paar Zerfälle. Wir haben im Moment fünf unterschiedliche Zerfallsarten versucht nachzuweisen. Noch nicht in allen sehen wir wirklich Kandidaten, um sagen zu können, da gibt es wirklich Zerfälle. Wir brauchen jetzt vielleicht zehn unterschiedliche Zerfallsarten, die wir dann nach der Masse sortieren können, um zu gucken, wie häufig diese sind.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie viele Forscher sind an den Arbeiten beteiligt?

Achim Stahl: Am CERN gibt es zwei Experimente, Atlas und CMS. An jedem der beiden Experimente sind gut 3.000 Wissenschaftler, größtenteils Physiker, von allen Kontinenten der Erde beteiligt, also ein echtes weltweites Projekt. Das ist einfach auch nötig, um eine so schwierige Frage anzugehen. In Genf wurden somit die Expertise und die Ressourcen der ganzen Community aus der ganzen Welt gebündelt, um zum Erfolg zu gelangen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gibt es schon Überlegungen, wie lange es dauern wird, bis das Higgs-Teilchen definitiv nachgewiesen wird?

Achim Stahl: Ja, da gibt es eine ganz gute Abschätzung. Unter der Annahme, dass der Beschleuniger und die Detektoren weiterhin so prima laufen, wie sie das die ersten knapp drei Jahre getan haben, also kein technisches Problem auftritt oder etwas kaputt geht, sollten die Daten diesen Jahres ausreichen. Ende des Jahres sollten wir genügend Daten haben, dann brauchen wir noch zwei bis drei Monate, um diese auszuwerten und dann können wir sicher sagen, ob es das Higgs-Teilchen ist oder irgendetwas anderes.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was ändert die Entdeckung an unserer Sicht auf das Universum?

Achim Stahl: Zunächst einmal wäre damit bestätigt, dass die Vorstellung, die wir bisher Standardvorstellung genannt haben, wirklich richtig ist. Neben dieser Standardvorstellung gibt es viele Kollegen, die über andere Modelle, über andere Ideen nachdenken. Jetzt wissen wir, dass die anderen Modelle falsch sind.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: ...und die Urknalltheorie richtig ist?

Achim Stahl: Die Urknalltheorie beschreibt nicht nur Elementarteilchen, sondern sie beschreibt auch das gesamte Universum. Das Standardmodell ist das Verhalten der Elementarteilchen, das auch bei der Urknalltheorie benutzt wird. Damit ist das Standardmodell einer der Bausteine, auf dem die Urknalltheorie aufbaut.

Theorien entwickeln ist eine Sache, das kann man im Kopf machen. Aber das Wesentliche ist, dass man dann auch Experimente durchführt, die zeigen, welche von den Theorien die richtige ist. Das ist der Schritt, der im Moment dabei ist, zu gelingen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Mit dem Nachweis des Higgs-Teilchens wäre eine entscheidende Frage zum Verständnis des Universums geklärt. Was kommt danach?

Achim Stahl: Es gibt noch viele viele Detailfragen, die man erforschen und herausfinden muss. Aber wir sind dem Verständnis einen großen Schritt näher gekommen. Wissenschaft heißt nicht, dass man bis zu einem bestimmten Punkt forscht und dann ist alles abgeschlossen. Wissenschaft ist immer ein Prozess und in diesem Prozess sind wir einen Schritt weiter. Das heißt aber nicht, dass der Prozess zu Ende ist. Wir wollen noch mehr herausfinden, wir wollen noch mehr Details und Phänomene klären.

Gerade im Zusammenhang mit dem Universum ist die nächste ganz große Frage: Wir wissen heute, dass die Materie, die aus den Elementarteilchen besteht, die im Standardmodell vorkommen, lediglich vier Prozent des gesamten Inhalts des Universums darstellen. Wir wollen jetzt natürlich wissen, was die anderen 96 Prozent sind. Die kommen im Standardmodell nicht vor. Das ist nämlich das, was man dunkle Materie oder dunkle Energie nennt. Es ist mittlerweile offensichtlich, dass dieses Modell nicht das Ende ist, sondern, dass es noch irgendetwas Größeres geben muss, in das das ganze eingebettet werden muss. Wir suchen intensiv danach, aber bis jetzt gibt es dort noch keine Anzeichen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie waren die Reaktionen auf die Veröffentlichung des CERN?

Achim Stahl: Überwiegend positiv. Wir haben ein großes Medienecho erhalten mit enthusiastischen Berichten im Fernsehen, in den Zeitungen. Im Großen und Ganzen war alles sehr positiv. Trotzdem gibt es natürlich immer – nicht nur mit der jetzigen Entdeckung – Kritiker. Es kommen immer wieder Briefe und E-Mails, in denen gesagt, wird „das ist alles Quatsch“ und „das kann doch nicht sein, Einstein kann nicht Recht haben“ usw. Diese Meldungen gibt es immer.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sollten sich religiöse Menschen jetzt von der Schöpfungsgeschichte verabschieden?

Achim Stahl: Religiöse Vorstellungen kann man nicht mit wissenschaftlichen Theorien widerlegen. Ich glaube, dass ist ein falsches Konzept, dass man mit einer wissenschaftlichen Theorie irgendetwas über Gott aussagen kann. Leute, die diese Angst haben, haben letztendlich nicht verstanden, was Wissenschaft macht. Auch ein Urknall ist kein Beweis, dass es einen Gott gibt oder nicht gibt. Mit dem Urknall fängt alles an. Die Frage ist, ob man darin eine Schöpfung sieht oder nicht. Das ist nach wie vor eine religiöse Frage, die man wissenschaftlich nicht beantworten kann.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Also müssen sich die Religion von den neuen Erkenntnissen gar nicht bedroht fühlen?

Achim Stahl: Ich sehe da keinen Konflikt. Wer meint, dass die Wissenschaft versucht Gott zu widerlegen, der hat die Wissenschaft nicht verstanden. Wenn wir das ganze auf einen wissenschaftsphilosophischen Punkt bringen: Der ganz große Erfolg der Wissenschaft liegt darin, dass sie sich auf Fragestellungen beschränkt, die mit der wissenschaftlichen Methode beantwortbar sind. Mit dieser Einschränkung grenzt man natürlich auch Dinge aus und so ist es mit den meisten religiösen Fragen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gerade beim Higgs-Teilchen erscheint das nicht so, da es ja auch Gottesteilchen genannt wird.

Achim Stahl: Ich finde, dass ist eine sehr unglückliche Bezeichnung. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, aber es kursiert folgende Geschichte: Der amerikanische Nobelpreisträger Leon Max Lederman hat vor 20 Jahren ein populärwissenschaftliches Buch über die Elementarteilchen-Physik geschrieben. Auch damals war das Higgs-Teilchen schon ein Problem. Es war vorhersagt, aber man konnte es einfach nicht finden, deshalb hat er sein Buch „The Goddamn Particle“ (dt. Das gottverdammte Teilchen) genannt und so bei seinem Herausgeber eingereicht. Der Herausgeber hat das abgelehnt und meinte, damit trete man zu vielen auf den Schlips und einfach das „damn“ gestrichen. So ist dann das Gottesteilchen entstanden. Es soll auch darauf anspielen, dass das Higgs-Teilchen schon von Anfang an beim Urknall da war und mit der Schöpfung entstanden ist.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Der Name hat sich aber durchgesetzt...

Achim Stahl: Die Wissenschaftler benutzen diesen Namen nicht. Das sind die Journalisten, die darauf anspringen, weil es sich gut als Überschrift liest. Es klingt natürlich sensationeller als das Higgs-Teilchen. Darauf gibt es ja auch schon die Reaktion, dass einige sagen, damit würden Gefühle verletzt. Das ist auf keinen Fall unsere Intention.

Prof. Dr. Achim Stahl, von der Universität Aachen, ist deutscher Sprecher des Forschungsschwerpunkts „ Elementarteilchenphysik mit dem CMS-Experiment“.

Das Gespräch führte Merve Durmus.

 


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