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Bund der Steuerzahler: „Wir sitzen in Deutschland auf einem Pulverfass“

Lesezeit: 6 min
13.07.2012 22:57
Die Zinsen, die Deutschland für seine Schulden zahlen muss, sind bereits der zweitgrößte Posten im Bundeshaushalt. Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, sieht in der Euro-Schuldenkrise eine brandgefährliche Dynamik: Die deutschen Steuerzahler haften nämlich bereits mit 509 Milliarden für ausländische Schulden - Tendenz steigend.
Bund der Steuerzahler: „Wir sitzen in Deutschland auf einem Pulverfass“

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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Seit neuestem geistert wieder eine „Reichen“-Steuer durch die Debatte. Wie realistisch ist eine solche Besteuerung – war das nur ein Versuchsballon, oder halten Sie das für möglich?

Reiner Holznagel: Geistern ist der richtige Ausdruck, denn es gibt mehrere Vorschläge, wie der Staat an mehr Geld kommen soll. Der jüngste Vorstoß ist eine Zwangsanleihe bzw. eine Vermögensabgabe für reiche Personen, allerdings ist diese Idee nicht wirklich neu. In der öffentlichen Debatte mag man damit punkten, indem man so genannte Reiche zur Kasse bittet. Dabei verkennt man aber einerseits, dass diese Einkommensgruppe schon für das meiste Aufkommen sorgt und andererseits schädigt man gerade den Mittelstand mit weiteren Belastungen. Schließlich, und diese Erkenntnis ist sehr wichtig, gefährden Einnahmeerhöhungen die Haushaltskonsolidierung.

In einer Studie belegt unser Karl-Bräuer-Institut, dass sie zeitversetzt zu einem Anstieg der Ausgaben führen. Auch aus diesem Grund wäre eine Vermögensabgabe kontraproduktiv. An dieser Stelle möchte ich nicht auch noch auf die verfassungsrechtlichen Bedenken eingehen. Ich wünsche mir von den Politikern, aber auch von einigen wissenschaftlichen Instituten, mehr kritische Ausarbeitungen über das Ausgabeverhalten des Staates, als beispielsweise Vorschläge für Zwangsanleihen oder Vermögensabgaben.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Idee kommt vom DIW (Deutsches Institut für die Wirtschaft) – wenn die so etwas fordern, muss der Staat ja aus dem letzten Loch pfeifen?

Reiner Holznagel: Nein, nicht wirklich. Dennoch ist die finanzielle Lage der öffentlichen Haushalte in Deutschland in der Tat angespannt. Die Staatsverschuldung liegt deutlich über dem Maastricht-Kriterium von 60 % des BIP. Zudem drohen hohe Belastungen durch die Eurokrise. Anderseits erzielt der Staat Rekordsteuereinnahmen. Im Jahr 2005 nahm der Staat Steuereinnahmen in Höhe von ca. 452 Mrd. Euro ein. Im Jahr 2015, also zehn Jahre später, werden es laut Steuerschätzung 658,5 Mrd. Euro sein. Damit werden in Deutschland über 200 Mrd. Euro mehr Steuern gezahlt. Ich kann deshalb kein Problem auf der Einnahmeseite erkennen. Wenn man allerdings die Einnahmen immer wieder an die Ausgaben anpassen will, dann wird der Staat nie genügend Geld bekommen. Deshalb muss man auf der Ausgabenseite ansetzen, um tragfähige Staatshaushalte zu erhalten. Hier gibt es Sparpotenziale im Milliardenumfang. Allein der Bund der Steuerzahler hat für den Bundeshaushalt Kürzungen in Höhe von 27 Mrd. Euro vorgeschlagen und detailliert untermauert. Es geht also, die Politik muss nur wollen und sich der Herausforderung stellen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Der Bund der Steuerzahler hat im vergangenen Jahr in einer Studie ermittelt, dass der Staat etwa 40 Milliarden jährlich an unnötigen Sozialleistungen sparen könnte. Das müssten mittlerweile eigentlich mehr geworden sein…

Reiner Holznagel: Richtig ist, dass immer wieder neue unnötige Leistungen dazukommen, wie das Beispiel Betreuungsgeld zeigt. Ab 2014 wird hierfür auch ein Milliardenbetrag fällig.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Der größte Posten sind nach Ihrer Studie die Zuweisungen an die gesetzlichen Sozialversicherungen mit 31,5 Milliarden Euro Einsparungspotenzial. Was muss man sich darunter vorstellen, und kann der Bund die ersatzlos streichen?

Reiner Holznagel: Es geht um die Zuschüsse des Bundes an die Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung – in Höhe von rund 100 Mrd. Euro. Aus unserer Sicht sind diese Zuweisungen nur dann gerechtfertigt, wenn die Sozialversicherungen im gleichen Umfang auch sogenannte versicherungsfremde Leistungen erbringen. Dabei handelt es sich um gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die nicht von den Versicherten, sondern sachgerecht von der Allgemeinheit finanziert werden sollten. Voraussetzung ist aber, dass die Leistungen erforderlich sind. Doch es gibt unter den Fremdleistungen zahlreiche Ausgaben, die gestrichen werden können. In der Rentenversicherung sind dies bspw. die Renten, die vor Erreichen des gesetzlichen Rentenalters gewährt werden, und in der Arbeitslosenversicherung bspw. die längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für Ältere.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Der zweitgrößte mögliche Einsparposten sind 6,2 Milliarden Euro aus dem Bereich sozial- und familienpolitisch motivierte Transferleistungen. Das klingt nach Kälte und sozialer Härte. Warum werden diese Einsparpotenziale nicht realisiert? Purer Wählerfang?

Reiner Holznagel: In der Tat werden Kürzungen bei Sozialausgaben häufig als ein Tabu gesehen und mit einem „Sozialabbau“ gleichgesetzt. Mit diesem Kampfbegriff wird suggeriert, dass von den Kürzungen die Schwächsten der Gesellschaft getroffen wären. Dies ist jedoch eine Fehleinschätzung. Nehmen Sie als Beispiel das Elterngeld. Es steigt mit dem Einkommen und ist vor allem ein Transfer an Haushalte, die eigentlich keine staatliche Unterstützung nötig haben. Auch die nicht rückzahlbaren BaföG-Zuschüsse werden Studenten gewährt, die in der Regel nach Studienabschluss nicht bedürftig sind, sondern relativ hohe Einkommen erzielen. Eine Darlehenslösung wäre daher angemessener. Ich möchte an dieser Stelle nicht falsch verstanden werden. Natürlich ist es schön, wenn es solche staatlichen Leistungen gibt und ich kann auch jeden verstehen, der sie für sich einfordert. Dennoch müssen wir uns alle fragen, kann sich unser Staat das überhaupt leisten? Hier lautet die Antwort leider nein.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Demnächst kommt das Betreuungsgeld: Können wir uns das überhaupt leisten?

Reiner Holznagel: Wie schon gesagt, auch diese Maßnahme ist fiskalisch schlicht falsch. Der Bundeshaushalt ist weiterhin defizitär. Somit wird das Betreuungsgeld mit neuen Krediten finanziert werden müssen. Und diese werden von den nachfolgenden Generationen zurückgezahlt werden müssen. Eine Leistung, die eigentlich den Kindern zugutekommen soll, wird also am Ende von ihnen selbst mit Zinsen und Zinseszins finanziert. Zudem gilt beim Betreuungsgeld das Gleiche wie beim Elterngeld. Die Leistung kommt nicht Bedürftigen, sondern Personen mit ausreichendem Einkommen zugute. Über Sinn und Zweck des Betreuungsgeldes will ich erst gar nicht reden, denn schon aus den genannten Gründen ist es einfach abzulehnen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In der europäischen Debatte hat man mittlerweile den Eindruck: Die Deutschen sind die Spar-Weltmeister. Mit über 80% Verschuldung sind sie zwar immer noch besser als die Amerikaner, aber richtig gut ist das eigentlich nicht. Müsste Deutschland nicht auch entschlossen sparen?

Reiner Holznagel: Diese Frage spricht zwei grundlegende Probleme an. Zunächst geht es um die neuen Schulden, die auch Deutschland macht. Ich hatte schon erwähnt, dass die Steuerquellen kräftig sprudeln. In diesem Jahr nimmt allein der Bund 10 Mrd. Euro mehr ein. Im Vergleich zum Jahr 2005 sind das dann über 59 Mrd. Euro mehr. Gleichzeitig verschuldet sich der Bund aber weiterhin. Mehr als 26 Mrd. Euro neue Kredite sollen aufgenommen werden, um die Ausgaben zu finanzieren.

Daraus wiederum erwächst ein weiteres Problem, nämlich die Zinsen. Fast 37 Mrd. Euro muss der Bund an Zinsen zahlen. Das ist der zweitgrößte Haushaltsposten. Diese Zahlungen werden zunehmen. Im Jahr 2015 sollen es dann schon fast 50 Mrd. Euro Zinsen sein, die wir alle bezahlen müssen und das nur für den Bund. Länder und Gemeinden sind da noch nicht mitgerechnet. Deshalb ist es so wichtig, dass wir zunächst keine neuen Schulden mehr machen. Ist das erst einmal gelungen, müssen wir anfangen insgesamt die Staatsverschuldung in Deutschland abzubauen und das ist das zweite große Problem. Wir brauchen deshalb nachhaltige und strukturelle Kürzungen bei den Ausgaben. Dies wäre auch ein gutes Signal für die anderen hoch verschuldeten europäischen Länder, von denen Deutschland ja solche Einsparungen ebenfalls zu Recht einfordert.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In der Schuldenkrise fällt auf, dass die Regierungen immer mehr zu Buchhaltungstricks greifen, um die Defizite zu senken – wie etwa die Debatte um die spanische Bankenrettung zeigt. Kann man der Schuldenfalle durch kreative Buchhaltung entrinnen?

Reiner Holznagel: Solche „Buchungstricks“ sind nicht neu. Auch Deutschland schummelt fleißig. So sind in der grundgesetzlichen Schuldenbremse weder die Kommunen noch die Sozialversicherungen enthalten. Ich meine aber, dass gerade die Kommunen in die Schuldenbremse mit einzubeziehen sind, insbesondere vor dem Hintergrund der explodierenden Kassenkreditbestände. Wir sollten also erst einmal vor unserer eigenen Haustür kehren und wir müssen aufhören, die Situation schön zu rechnen.

Die von ihnen angesprochenen Rettungsmaßnahmen können meiner Meinung nach vor dem deutschen Steuerzahler nicht mehr gerechtfertigt werden. Zudem werden dadurch weder die Ursachen der Staatsschuldenkrise bekämpft, noch wird die gegenwärtige Lage entschärft. Daher beteiligt sich der Bund der Steuerzahler auch an einer Verfassungsbeschwerde gegen den ESM. Die Bürgschaften werden zwar erst haushaltswirksam, wenn der ESM Verluste macht, schon jetzt steigt das deutsche Haushaltsdefizit aber infolge der ersten beiden ESM-Raten. Diese schlagen im Nachtragshaushalt mit knapp 9 Milliarden zu Buche. Damit erhöht sich unsere Neuverschuldung.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Einer der Mythen ist, dass der Staat eigentlich niemals pleitegehen kann. Ist das so? Und wenn ja warum, wenn nein, warum nicht?

Reiner Holznagel: Die Insolvenz oder Zahlungsunfähigkeit von Ländern, die der heutigen Euro-Zone angehören, ist nicht neu. Seit 1824 waren Österreich, Griechenland, Deutschland, Portugal und Spanien mindestens einmal nicht mehr in der Lage, ihre Schulden gegenüber den Gläubigern zu bedienen. Wenn die Staatsausgaben nicht mehr durch Steuern oder Kredite finanziert werden können, wie es aktuell in Griechenland der Fall ist, kann auch ein Staat zahlungsunfähig werden. Es hilft aber nichts, wenn die drohende Insolvenz über immer neue Rettungspakete künstlich hinausgezögert wird. Stattdessen muss ein Insolvenzerfahren für Staaten zum Einsatz kommen, damit die Schuldenstaaten eine faire Chance haben, wieder bei Null anzufangen. Der IWF hat dazu erfolgreiche Modelle. Beispielsweise konnte so Argentinien, aber auch Mexico erfolgreich aus der Schuldenkrise herausgeführt werden. Mit Griechenland könnte Gleiches geschehen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Können Sie eine Prognose wagen: Was passiert in Deutschland, wenn nicht gespart wird? Kann es einen Crash geben, etwa derart, dass der Staat sagen muss: Wir haben kein Geld mehr?

Reiner Holznagel: Wenn wir die Verantwortung für immer höhere Schulden anderer Länder übernehmen, ist das nur eine Frage der Zeit. Wir sitzen auf einem Pulverfass. Infolge der europäischen Krisenpolitik haften wir für über 509 Milliarden Euro ausländischer Schulden und die Tendenz ist steigend. Mit dem ESM wird ein Haftungsautomatismus in Gang gesetzt, dem sich der deutsche Steuerzahler nicht mehr entziehen kann. Er wird quasi entmündigt. Werden nur Teile dieser Haftungsrisiken tatsächlich realisiert, kommen wir in ernsthafte Schwierigkeiten. Die Einführung von Eurobonds oder Eurobills kann diese Entwicklung beschleunigen. Als Bund der Steuerzahler werden wir uns deshalb weiterhin für die Rechte der Steuerzahler einsetzen. Es gibt für die Zukunft Alternativen in der Politik. Einige davon habe ich hier aufgezeigt. Wichtig erscheint mir zudem, dass die politischen Kräfte gestärkt werden müssen, die ebenfalls die aktuelle Politik ablehnen. Hier gibt es eine Zahl von Bundestagsabgeordneten in allen Parteien, die mich optimistisch stimmt.

Reiner Holznagel ist Präsident des Bundes der Steuerzahler.


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