Deutschland

Wegen 719,40 Euro: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Wulff

Lesezeit: 4 min
12.04.2013 12:28
Die Staatsanwaltschaft Hannover wird gegen Ex-Bundespräsident Christian Wulff Anklage erheben. Es geht um 719,40 Euro, für die der Filmproduzent David Groenewold Wulff zum Oktoberfest eingeladen hatte. Damit setzt der Staatsanwalt neue Maßstäbe. Wolfgang Schäuble hatte 100.000 DM in einem Kuvert von einem Waffenhändler erhalten. Der Deutsche Bundestag hat 190 Milliarden Euro in eine schwarze EU-Kasse namens ESM verschoben. Wir erwarten weitere Anklagen.
Wegen 719,40 Euro: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Wulff

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Die Staatsanwaltschaft Hannover hat die Untergrenze für Korruption im Falle Christian Wulffs mit 719,40 Euro festgesetzt. Wenn diese Größenordnung künftig der Maßstab ist, dann müsste der Bundestag umgehend zum größten Gefängnis Deutschlands umgebaut werden: Wegen 719,40 Euro wird die Staatsanwaltschaft Hannover gegen den Ex-Bundespräsident Christian Wulff Anklage erheben.

Wulff wird Bestechlichkeit vorgeworfen. Der Filmproduzent David Groenewold hatte die Kosten für den Oktoberfestbesuch des Ehepaars Wulff übernommen.

Die Staatsanwaltschaft erklärt, dass es In der Mitteilung der Staatsanwaltschaft hieß es, „hinreichend wahrscheinlich“ erscheine, dass Wulff als damaliger niedersächsischer Ministerpräsident „motiviert werden sollte, für ein Filmprojekt Groenewolds bei Siemens um Geld zu werben“.

Die Erklärung der Staatsanwaltschaft im Wortlaut:

Anklage gegen Christian Wulff und David Groenewold

 Die Staatsanwaltschaft Hannover hat heute gegen Christian Wulff und David Groenewold Anklage vor dem Landgericht Hannover wegen des Vor­wurfs der Bestechlichkeit bzw. Bestechung erhoben. David Groenewold wird darüber hinaus die Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt zur Last gelegt.

 Mit der Anklage wird dem Angeschuldigten Groenewold vorgeworfen, im Rahmen des sog. „Oktoberfestbesuchs“ in München vom 26. bis 28.09.2008 für Christian Wulff und seine Familie Hotel- und Kinder­betreuungskosten in Höhe von insgesamt 510,-- € sowie die Kosten für ein gemeinsames Abendessen mit den Eheleuten Wulff für 209,40 € und einen Festzeltbesuch mit diesen und 6 bis 7 weiteren Gästen für 3.209,-- € übernommen zu haben. Es erscheint als hinreichend wahrscheinlich, dass dies in der Absicht geschah, den Angeschuldigten Wulff zu motivieren, sich in seiner dienstlichen Eigenschaft als niedersächsischer Ministerpräsident gegenüber der Siemens AG für eine Unterstützung bei der Vermarktung des Films „John Rabe“ einzusetzen. Konkrete Erkenntnisse liegen darüber vor, dass der Angeschuldigte Groenewold einen Tag nach dem „Oktoberfestbesuch“ den Angeschuldigten Wulff schriftlich gebeten hat, sich bei dem Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG, Herrn Peter Löscher, für eine Unterstützung einzusetzen.

 Dem Angeschuldigten Wulff wird vorgeworfen, in Kenntnis und mit Billigung der Kostenübernahme durch den Angeschuldigten Groenewold schließlich dieser Bitte nachgekommen zu sein und in einem Schreiben vom 15.12.2008 an Peter Löscher um Unterstützung für das Filmprojekt geworben zu haben.

 Der Angeschuldigte Groenewold ist zudem verdächtig, in einem einstweiligen Anordnungsverfahren gegenüber dem Landgericht Köln eine falsche Versicherung an Eides Statt zu der Kostenübernahme bei dem „Oktoberfestbesuch“ abgegeben zu haben.

Wegen der Vorkommnisse um die Finanzierung der sog. „Sylt-Urlaube“ hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Die von Christian Wulff und David Groenewold behaupteten Barzahlungen konnten nicht mit ausreichender Gewissheit widerlegt werden.

In der 79 Seiten umfassenden Anklageschrift werden 25 Zeugen und 7 Aktenordner mit ausgewerteten schriftlichen Unterlagen als Beweismittel aufgeführt.

 Über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheidet das Landgericht Hannover.

Zum Hintergrund: Geschütztes Rechtsgut der Bestechungsdelikte ist die Lauterkeit der öffentlichen Verwaltung. Der Tatbestand der Bestechlichkeit verlangt nicht, dass die Diensthandlung für sich rechtswidrig ist. Ausreichend ist bereits, dass die Entscheidungsfindung im Sinne des Vorteilsgebers beeinflusst wird. Dabei spielt der Wert der Zuwendung keine maßgebliche Rolle.

Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft ist zu begrüßen, wenn sie mehr wäre als ein PR-Gag nach einer kläglich gescheiterten Großkampagne mit abschließendem Kotau vor der Bild-Zeitung.

Die Öffentlich-Rechtlichen Medien hatten den Fall Wulff seinerzeit zur Mega-Staatsaffäre hochstilisiert und in einem denkwürdigen Interview den legendären Investigativ-Journalisten Ulrich Deppendorf auf Wulff angesetzt. Das Interview wurde zur besten Sendezeit auf ARD und ZDF durchgeschalten ("aus gegebenem Anlass" - bringen wir das Video am Anfang des Artikels noch einmal; hier die Beschreibung dieses Spektakels der politischen Dekadenz auf DMN).

Korruption gehört mit Stumpf und Stiel ausgerottet: Alle rätselhaften Aktivitäten müssen überprüft werden: Sigmar Gabriel war Lobbyist für VW, nachdem er als Ministerpräsident Aufsichtsrat war. Er hat den Vertrag von Peter Hartz verlängert, der wiederum ihm später beim Lobby-Vertrag geholfen hat. Es geht um 300.000 Euro.

Wolfgang Schäuble hat 100.000 DM von einem Waffenhändler erhalten und das Geld an die Partei-Kasse gereicht.

Welche politischen Dienstleistungen haben die Herren Gerhard Schröder und Joschka Fischer für ihre späteren Kunden Gazprom und Nabucco geliefert?

Peer Steinbrück hat sein Amt eingesetzt, um für Schachturniere bei Firmen Geld einzusammeln (erfolglos). Hat Steinbrück Esseneinladungen, Fahrtkosten, Schachratgeber oder andere Geschenke für diese Dienstleistung erhalten? Wenn ja – haben diese die Grenze von 754 Euro überschritten?

Ob Wulff wirklich angeklagt wird, muss nun das Landgericht Hannover entscheiden.

Das ganze Verfahren wird ein Tanz auf der Rasierklinge: Denn wirklich rechtsfeste Beweise, dass es sich um einen Korruptions-Versuch gehandelt hat, werden schwer zu erbringen sein. Die beiden Briefe reichen noch nicht, die Staatsanwaltschaft muss eine klar erkennbare Kausalität des Oktoberfest-Besuchs mit dem Brief an Löscher nachweisen.

Wenn es aber zu einem Prozess kommt, und in der Folge gar zu einer Anklage, dann müssen künftig alle Fälle mit der gleichen Entschlossenheit und Akribie abgearbeitet werden.

Schon im Banken-Wesen oder bei Wirtschaftsprüfer-Skandalen (hier) hat sich nämlich eines gezeigt: Das Beste, was einem morschen System passieren kann, sind Sündenböcke. Der prominente oder weniger prominente Einzeltäter stabilisiert das System perfekt. Mit der Anklage eines Prominenten kann das System für sich reklamieren: Vor dem Gesetz sind alle gleich, und wir sind wild entschlossen, Vergehen ohne Ansehen der Person zu bekämpfen.

Es gibt nämlich für das Rechtssystem inklusive des Bundesverfassungs-Gerichts in Karlsruhe wichtigerer Fälle als John Rabe und das Oktoberfest: Die Verschiebung von 190 Milliarden Euro an künftigen Steuergeldern in die Schwarze Kasse der EU mit dem Namen ESM ist aufzuklären. Es ist festzustellen, ob nicht die gefährlichste Form der Korruption für Deutschland jene ist, die alle rechtsstaatlichen Prinzipen preisgibt, um einer politischen Ideologie gefällig zu sein.

Das Rechtsempfinden der Deutschen ist durchaus intakt. Es braucht keine Schau-Prozesse. Die brauchen die alten Eliten – als Feigenblatt dafür, dass sie weitermachen können wie bisher.

Das Vertrauen der Deutschen in das Rechtssystem ist durch den fortgesetzten Rechtsbruch erschüttert, den Regierung und Opposition bei ihren panischen Versuchen zur Euro-Rettung begehen.

Die Staatsanwaltschaft soll Wulff anklagen.

Aber sie soll danach nicht gleich in den wohlverdienten Sommerurlaub aufbrechen.

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