Deutschland

WDR-Moderatorin trocknet Steinbrücks Tränen mit einer Medienschelte

Lesezeit: 4 min
17.06.2013 03:18
Die SPD hat über den Gebührensender Phoenix mit Hilfe der investigativen WDR-Moderatorin Bettina Böttinger der Republik gezeigt: Der Kandidat ist auch nur ein Mensch. Steinbrücks Tränen motivierten die WDR-Frau zu einer Medienschelte. Die Botschaft an die Medien: Haltet Euch mit Kritik zurück, denn die Politiker sind sensibel. Wie gut, dass man einen GEZ-Sender bei der Hand hat, um dem Wahlvolk solches mitzuteilen. Mit einer Politik, die sich mannhaft einer der schwersten Wirtschaftskrisen entgegenstellt, hat das nichts zu tun.
WDR-Moderatorin trocknet Steinbrücks Tränen mit einer Medienschelte

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Peer Steinbrücks Auftritt beim Berliner Partei-Konvent der SPD wurde vom GEZ-Sender Phoenix live übertragen. Das ist gut so: Denn die Bürger zahlen den Rundfunkbeitrag nicht, damit sie ein kritisches, investigatives Programm bekommen, sondern weil die GEZ eine „Demokratieabgabe“ ist. Das Wesen einer solchen Abgabe besteht darin, den Wählern klarzumachen: Politiker sind Menschen wie du und ich. Sie sind nicht so, wie sie von den ewigen Kritikastern dargestellt werden.

Politiker sind eigentlich Opfer: Sie werden gehetzt von einer bösen Meute, die sich nicht vorstellen kann, wie viel ein Kanzlerkandidat aufgibt, um das Land zu retten. Sein Privatleben wird unwiederbringlich zerstört. Er muss sich Fragen gefallen lassen, muss Antworten geben. Muss, wie Frau Gertrude Steinbrück sagte, das „Sahnehäubchen“ aufgeben – er kann nicht mehr so viel Geld verdienen, wie er will; er muss, wenn er von einer Idee getrieben wird, sich schlecht behandeln lassen.

Frau Steinbrück, drückte sich angenehm verständlich aus, was man von den leeren Phrasen der SPD-Spitze nicht immer behaupten kann. Sie erzählt viel Wissenswertes über den Kandidaten, etwa, dass er ein atombombensicheres Vogelhäuschen bauen kann. Oder dass er in der Küche nicht stört, wenn er nach Haus kommt.

Als die eigentlich beim WDR tätige Moderatorin Bettina Böttinger schließlich (ab 18:00 im Video) fragte, warum Steinbrück sich denn das antue, welche Idee ihn antreibe, dass er sein beschauliches Sahnehäubchen-Leben aufgeben hat um in die Niederungen der Berliner Politik zu steigen, da versagte dem Kandidaten die Stimme. Frau Steinbrück wollte den ob einer solchen harten Frage sichtlich getroffenen Kanzler in spe trösten, doch der schob ihre Hand beiseite, scheinbar schon wieder ganz Herr seiner Gefühle. Die Frage: „Was ist es, wofür Sie kämpfen, oder warum Sie es tun?“, brachte Steinbrück aus der Fassung.

Sigmar Gabriel erkannte im Hintergrund die Gunst der Live-Sekunde und erhob sich applaudierend von seinem Stuhl. Die Genossen folgten ihm. Standing Ovations für einen, der sich die Qual der Politik antut und für die SPD als Kanzlerkandidat durch die Lande reist.

Und was sagte die Frau vom WDR?

Bohrte sie nach? Fragt sie ihn: „Noch einmal, Herr Steinbrück: Welcher politischen Idee folgen Sie? Warum wollen Sie Kanzler werden?“

Weit gefehlt.

Die Moderatorin des GEZ-Sender WDR, die als „Talkmasterin“ bei der SPD-Veranstaltung auftrat, um den SPD-Mann im GEZ-Sender Phoenix der Republik menschlicher erscheinen zu lassen, sagte:

„Ich glaube, das war jetzt gerade der Moment, den unser Kandidat so schlecht aushalten kann, weil er viel einstecken musste in letzter Zeit, und weil…, weil Medien…“

An dieser Stelle wurde sie von den applaudierenden Genossen unterbrochen. Nach einer Weile führte Frau Böttinger ihren Satz zu Ende.

Sie sagte:

„Wir machen es, Frau Steinbrück! Weil Medien, und ich gehöre als Teil der Medien dazu, meine Damen und Herren…(die Genossen klatschen weiter) Vielen Dank! Vielen Dank, meine Damen und Herren! Weil Medien oft nicht anerkennen, dass sie es mit Menschen und mit Persönlichkeiten zu tun haben – was Sie vorhin gesagt haben, Frau Steinbrück, dass Sie dann schon mal abschalten, weil Sie denken: Nee, ich hätte so ein dickes Fell nicht, und auch ein Peer Steinbrück hat so ein dickes Fell nicht, wenn er kämpft, wofür er kämpft… Ich möchte mal eben eine Biege machen…“

Wie bitte?

„Unser Kandidat“? Sind wir bei „Wetten, dass…“? Oder sieht Frau Böttinger Steinbrück auch als ihren Kandidaten? Eingangs hatte sie noch, ganz investigative Reporterin, betont, dass sie kein SPD-Parteibuch habe.

Medien sind schuld an der Fassungslosigkeit des SPD-Kanzlerkandidaten?

Steinbrück kämpft, wofür er kämpft? Er hatte ja gar nicht gesagt, wofür er kämpft!

Medien erkennen nicht an, dass sie es „mit Menschen und Persönlichkeiten“ zu tun haben?

Wie kommt der Gebührenzahler eigentlich dazu, sich solches im öffentlich-rechtlichen Rundfunk anhören zu müssen?

Auf welcher Grundlage überträgt Phoenix eine solche Partei-Veranstaltung eigentlich? Ist der Sender wegen der Demokratie-Abgabe verpflichtet, solche Events live zu übertragen?

Wären die GEZ-Sender nicht aufgrund ihres gesetzlichen Auftrags verpflichtet, kritische Sendungen über die SPD – und alle anderen Parteien – zu bringen? Die Politik zu hinterfragen? Mit einem Etat von acht Milliarden Euro jährlich müssten die Sender Skandale am laufenden Band aufdecken können.

War das Drehbuch mit der SPD abgesprochen? Wurde vorher vereinbart, dass es sich hier um eine Home-Story mit besonders bewegenden Momenten handeln solle? War Frau Böttinger als Abgesandte des WDR beim Partei-Konvent? War sie als Privatperson dort? Hat sie für die Moderation ein Honorar bekommen? Wenn ja, wird es irgendwo offengelegt?

Neben der unerträglichen Verquickung der Sender mit den politischen Parteien, über die es keinerlei Transparenz und auch keinerlei Aufklärungs-Bereitschaft gibt, weil die Parteien die Sender wegen der Demokratie-Abgabe als ihr Eigentum betrachten – auch das gilt für alle Parteien – ist aber vor allem eine Erkenntnis von Bedeutung: Das Politik-Verständnis der SPD als Opfer, die Botschaft, dass man eigentlich viel besser leben könnte, wenn man sich die ganze Qual des Lebens auf Steuerzahler-Kosten ersparen könnte, diese Botschaft sagt alles über den Zustand der SPD aus.

Die SPD kann nicht führen und sie will eigentlich nicht führen. Sie lässt sich treiben vom gleichförmigen Strom des politischen Getriebes, in dem man es schon als große Erkenntnis preisen muss, dass man, wie Steinbrück sagte, während seiner Länderreise viele Einsichten in den Alltag der Menschen da draußen gewonnen hat.

Zum Weinen sind ganz andere Dinge: Wir haben, durch die hemmungslose Schuldenpolitik der politischen Parteien, eine der schlimmsten Wirtschafts-Krisen in Europa. In Deutschland können die Hartz IV-Empfänger bestätigen, dass die verfehlte Politik zu einer versteckten Massenarbeitslosigkeit geführt hat, die nur deshalb nicht so heißt, weil die Leute recht und schlecht vom Staat alimentiert werden.

Die Zeit wird kommen, wo sich der Staat derlei nicht mehr wird leisten können. Die Opfer werden jene sein, die der Politik gleichgültig geworden sind. Peer Steinbrück mag ein netter Mann sein. Es ist erfreulich zu hören, dass er gerne Schiffsmodelle baut.

Vielleicht ist ja auch die Titanic darunter, auf der die deutsche Politik gerade die letzten Kapellen auffahren lässt, um den Wahlkampf zu orchestrieren.

Es wird über kurz oder lang echte Tränen geben. Und für die meisten Deutschen wird keine GEZ-Moderatorin zur Stelle sein, die die Tränen trocknet.

Peer Steinbrück wird dann wieder gern gesehener Gast bei den Banken sein, denen er erklärt, warum die Politik die Krise nicht verhindern konnte.

Von solchen Sahnehäubchen kann der normale Bürger nur träumen.


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