Die Fleischindustrie in Deutschland ist unter Beschuss geraten. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit ermittelt bundesweit. Im Mai wurde an 90 verschiedenen Orten Büros und Wohnungen durchsucht. Der Anfangsverdacht ist Steuerhinterziehung und Sozialversicherungsbetrug. Ein Geflecht aus 22 Unternehmen, Sub- und Subsubunternehmen steht im Mittelpunkt der Ermittlungen.
Die Arbeitsbedingungen der Menschen in der Fleischindustrie spielen dabei allerdings keine Rolle. „Ausbeutung und Stundenlöhne von drei bis fünf Euro sind keine Strafbestände“, kritisiert Karin Vladimirov von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in Berlin. „Selbst Arbeitsagenturen vermitteln Jobs mit sittenwidrigen Löhnen“, sagte Karin Vladimirov den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Hier sei es an der Politik, Gesetzeslücken zu schließen. Das große Problem sind nämlich die Werkverträge mit denen Arbeiter über Subunternehmen beispielsweise in Schlachthöfen arbeiten. Nur „noch 10 bis 20 Prozent der Beschäftigten an Schlachthöfen“ gehören Vladimirov zufolge zur Stammbelegschaft.
Doch der alleinige Fokus auf die Fleischindustrie greift zu kurz. „Das System der Werkverträge wird auch immer mehr in anderen Branchen der Lebensmittelindustrie angewandt“, so die Pressesprecherin der Gewerkschaft. „Aber nicht nur dort, selbst in der Metallindustrie.“ Die Politik wisse von den Problemen, „sieht aber keinen Handlungsbedarf“.
Dies zeigt sich auch in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleinen Anfrage der Grünenpolitikerin Beate Müller-Gemmeke vom 14. Juni. Auf die Frage, wie viele Beschäftigte in den jeweiligen Unterbranchen der deutschen Schlachtbranche nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2010 jährlich bei Werkvertragsunternehmen angestellt sind, heißt es:
„Statistiken zu Beschäftigten, die im Rahmen von Werkverträgen in der Schlachtbranche arbeiten, liegen nicht vor.“
Und weiter:
Frage Nr. 4: Wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2010 bis heute jährlich im Rahmen der Werkvertragskontingente in der deutschen Schlachtbrache beschäftigt (Bitte differenziert nach Herkunftsländern) ?
Antwort: Bereits seit 2005 sind auf der Grundlage der zwischenstaatlichen Werkvertragsvereinbarungen keine Werkvertragsarbeitnehmer mehr in Fleisch verarbeitenden Betrieben tätig.
Frage 10: Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die durchschnittlichen Brutto-Stundensätze aktuell für Werkvertragsbeschäftigte sowie für Beschäftigte, die im Rahmen des Werkvertragskontingents in der deutschen Schlachtbranche arbeiten?
Antwort: Angaben über Leiharbeitnehmer sowie Werkvertragsarbeitnehmer liegen nicht vor. Da im Rahmen der Werkvertragsarbeitnehmerkontingente keine Werkvertragsarbeitnehmer tätig sind, liegen zur Höhe der Brutto-Stundensätze insoweit auch hier keine Angaben vor.
Angaben über die durchschnittlichen Arbeitszeiten der Beschäftigten mit Werkvertrag und der Zeitarbeitnehmer kann die Bundesregierung angeblich ebenfalls nicht machen. Und zusätzlicher Maßnahmen, etwa um die unwürdige Wohnsituation von Leiharbeitern und Werkvertragsbeschäftigten zu verbessern und zu verhindern, bedarf es der Bundesregierung zufolge nicht. „Das geltende Recht enthält wirksame rechtliche Rahmenbedingungen, um Ausbeutungsstrukturen bei Vermietung und Unterbringung einzudämmen“, heißt es.
Zuletzt hatte sich Belgien an die EU-Kommission gewandt. Das Land beschwerte sich, dass es in der deutschen Fleischindustrie Lohndumping geben (hier). Es sei billiger, das Fleisch aus Belgien nach Deutschland zum Schlachten zu bringen, als es in Belgien vor Ort zu schlachten.