Unternehmen

Frankreich auf der Kippe: Ganz schlechte Zahlen und kein Rezept

Lesezeit: 3 min
29.05.2014 01:50
Frankreich bleibt unter Druck: Am Mittwoch musste die Regierung einen neuen Rekord bei der Arbeitslosigkeit melden. Langfristig ist die Wirtschaft in Frankreich seit Beginn der Euro-Währungsunion gekippt. Jetzt ist die Regierung ratlos. Marine Le Pen wartet, bis ihr die reifen Früchte in den Schoss fallen. Der Absturz wäre jedoch zu vermeiden gewesen.
Frankreich auf der Kippe: Ganz schlechte Zahlen und kein Rezept

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Neue Hiobsbotschaften aus Paris: Im April stieg die Zahl der Erwerbslosen um 14.800 auf ein weiteres Rekordhoch von 3,364 Millionen, wie das Arbeitsministerium am Mittwoch mitteilte. Zum Vorjahr stellt dies einen Anstieg von 3,5 Prozent dar. Damit gelingt der Regierung von Präsident Francois Hollande weiter nicht die Wende auf dem Arbeitsmarkt. Der Sozialist hatte versprochen, bis Ende vergangenen Jahres den Trend umzukehren. Seine Zustimmungswerte sind auf ein Rekord-Tief gefallen.

Damit bestätigt sich die Befürchtung, dass Frankreich offenbar auf der Kippe steht (mehr dazu hier). Die HSH Nordbank kommt zu einem vernichtenden Urteil: „Besorgniserregend sind die volkswirtschaftlichen Daten. Die Arbeitslosenquote liegt auf dem höchsten Stand seit 15 Jahren, die Wirtschaft hat einen tiefen Einbruch erlebt und erholt sich davon nicht und die Autoindustrie hat Platz 2 an den Produktionsstandort Spanien abgegeben – ein Zeichen für die fortschreitende Deindustrialisierung Frankreichs.“

Doch wie ist es eigentlich zu diesem Absturz gekommen? Warum hat Frankreich nicht die Chance genutzt, die der Euro dem Land geboten hatte?

Eigentlich sind die Franzosen 1999 gut in die Euro-Währungsunion gestartet und konnten anfangs von der EU profitieren. In den Jahren 1999 bis 2005 lag das französische Wirtschaftswachstum stets über dem deutschen. Im Durchschnitt dieser sieben Jahre wuchs das französische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 2,1%, das deutsche dagegen nur um 1,1%.

Auch persönlich ging es vielen Franzosen gut. Ein erster Indikator dafür ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. 2005 betrug das BIP pro Kopf in Frankreich durchschnittlich 28.200 Euro, in Deutschland dagegen nur 26.900€. Ja, die Franzosen waren damals wohlhabender als die Deutschen, auch wenn man beachten muss, dass vor allem die Ostdeutschen den deutschen Schnitt gedrückt haben.

Schon immer ein Problem war allerdings in Frankreich die Arbeitslosigkeit. Aber auch hier zeichnete sich in den ersten Jahren der Euro-Währungsunion und bei allen konjunkturellen Schwankungen eine langsame Entspannung ab. Betrug die französische Arbeitslosenquote 1998 noch 10,8%, lag sie 2005 nur noch bei 9,3%. Die Entwicklung war damit spiegelverkehrt zu der in Deutschland. Hier stieg die Arbeitslosenquote im selben Zeitraum von 9,4% auf 11,3%.

Irgendwann um 2005/2006 herum wendete sich aber das Blatt. Der Hauptgrund dürfte darin gelegen haben, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs während all der Jahre gesunken ist. Welche Rolle dabei die Hartz-Reformen in Deutschland, die Euro-Währungsunion oder das französische Bildungssystem einnahmen, darüber wird noch gestritten. Während die Franzosen vor 2006 immer vor den Deutschen lagen führten, war im Zeitraum 2006 bis 2013 das deutsche Wirtschaftswachstum jedes Jahr höher als das französische. Die einzige Ausnahme war lediglich 2009, als die exportlastige deutsche Wirtschaft besonders stark von der Weltwirtschaftskrise getroffen wurde.

Insgesamt wuchs die deutsche Wirtschaft 2006 bis 2013 um durchschnittlich 1,4% jährlich. Die französische wuchs dagegen nur noch um durchschnittlich 0,7%. Insbesondere in den vergangenen beiden Jahren konnte Frankreich lediglich ein Miniwachstum erreichen.

Die Entwicklung ist für Frankreich umso bedenklicher, als dort die Bevölkerung wuchs, während sie in Deutschland schrumpfte. Rechnet man die BIP-Zahlen pro Kopf um, ergibt sich darum: Ein durchschnittlicher Franzose erwirtschaftete 2013 mit 28.400 Euro kaum mehr als 2005 und sogar weniger als sechs Jahre zuvor. 2007 lag das BIP pro Kopf in Frankreich nämlich bei 29.100 Euro. Die Deutschen dagegen überholten klar die Franzosen und erwirtschafteten 2013 30.800 Euro pro Einwohner. (Alle Werte sind in Preise von 2005 umgerechnet.)

In Frankreich stieg die Arbeitslosigkeit wieder von 9,3% auf 10,8%, in Deutschland dagegen sank sie rasant. Statt 11,3% im Jahr 2005 betrug sie 2013 nur noch 5,3%.

Präsident Hollande und sein neuer Premierminister Valls versuchen nun, das Ruder herumzureißen.Es könnte zu spät sein. Denn offensichtlich haben die Politiker die miserablen Wirtschaftsdaten jahrelang einfach ignoriert oder auf ein Wunder gehofft. Nun, da sich der verheerende Zustand der Wirtschaft auf das politische Gefüge auswirkt und die Regierungspartei praktisch bei jeder Wahl dramatisch einbricht, wollen die Sozialisten reagieren.

Premierminister Valls hat also in einem Interview mit RTL France Steuersenkungen für untere und mittlere Einkommen angekündigt. 1,8 Millionen Haushalte sollen bei der Einkommenssteuer um insgesamt 1 Milliarde Euro entlastet werden. Es bleibt allerdings unklar, ob Valls damit eine zusätzliche Senkung zu jenen Versprechungen meint, die die französische Regierung bereits nach den verlorenen Kommunalwahlen vom März gegeben hat.  Regierungskreise verbreiten in dem Zusammenhang laut Reuters, dass Valls lediglich frühere Aussagen bekräftigten wollte, den Steuerdruck zu senken.

Die französische Regierung hofft, mit den Steuersenkungen die Nachfrage anzukurbeln. Doch eine isolierte Einzelmaßnahme wird kaum den langfristigen französischen Wirtschaftstrend umkehren. Da wäre wohl ein umfassendes Reformpaket notwendig.

Zudem sind die geplanten Steuersenkungen vergleichsweise gering. Die Einnahmen der französischen öffentlichen Haushalte - also von Zentralregierung, Kommunen und Sozialkassen zusammen - betrugen 2013 über 1 Billion Euro. 1 Milliarde Entlastung ist da weniger als ein Promille. Auch im Vergleich dazu, dass sich die französischen öffentlichen Haushalte in den Jahren 2005 bis 2013 allein 220 Milliarden Euro jährliche Mehreinnahmen genehmigten, fallen nun 1 Milliarde Entlastung kaum ins Gewicht.

Allerdings haben die französischen öffentlichen Haushalte inzwischen Schulden in Höhe von 1 Billion 934 Milliarden Euro angehäuft (Stand Ende letzten Jahres). Da fällt es auch nicht weiter ins Gewicht, wenn nun die 1 Milliarde Euro Steuerentlastung jährlich durch neue Schulden finanziert wird. Das Gleiche gilt, wenn man die 1 Milliarde zusätzlich mit den 787 Milliarden zusätzlich vergleicht, die bereits 2005 bis2013 auf den Schuldenberg obendrauf gekommen sind.

Die meisten Zahlen in diesem Artikel beruhen übrigens auf Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF) und daraus abgeleiteten eigenen Berechnungen.

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

 


Mehr zum Thema:  

DWN
Finanzen
Finanzen Fundamentale Aktienanalyse - so bewertet man Wertpapiere richtig
18.03.2024

Die fundamentale Aktienanalyse ist ein unverzichtbares Instrument für jeden Investor, der Wertpapiere nicht nur verstehen, sondern auch...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Umfrage: Sehr viele Deutsche sorgen sich vor weiteren Energiepreissprüngen
18.03.2024

Die Menschen in Deutschland haben einer Umfrage zufolge Sorgen vor weiteren Energiesprüngen und allgemeinen Preissteigerungen - trotz der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Airbus-Jubiläum: 50 Jahre Linienflüge im Airbus - Boeing hat Wettkampf quasi verloren
18.03.2024

Kein Hersteller baut so gute und so viele Flugzeuge wie Airbus. Eine Erfolgsgeschichte, an die sich Frankreich und Deutschland gerade in...

DWN
Finanzen
Finanzen Bankenaufsicht: Mehrzahl der Geldinstitute kann kräftigen Gegenwind überstehen
18.03.2024

In Deutschland und Europa ist das Gros der Geldhäuser gut kapitalisiert. Die Krise an den Märkten für Büro- und Handelsimmobilien...

DWN
Technologie
Technologie Verhandelt Apple mit Google über KI-Technologie?
18.03.2024

Gibt es bald Googles KI auf Apples iPhones? Laut gut informierten Kreisen verhandelt Apple angeblich mit Google über die Integration von...

DWN
Panorama
Panorama ifo-Institut und EconPol Europe: Wirtschaftsforscher fordern mehr Energie-Zusammenarbeit in Europa
18.03.2024

Wirtschaftswissenschaftler appellieren an die EU, im Zusammenhang mit ihrer Energiepolitik aus der aktuellen Energiekrise zu lernen und mit...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Arbeiten ohne Grenzen: Was beim Homeoffice im Ausland zu beachten ist
18.03.2024

Arbeiten über Grenzen hinweg: Ein Trend, der immer beliebter wird - und große Chancen bietet, wenn Sie steuer- und...

DWN
Technologie
Technologie Patentamt: Deutsche Industrie macht Tempo bei KI-Entwicklung
18.03.2024

Vom Patentamt kommen gute Nachrichten: Industrie und Wissenschaft in Deutschland machen in Forschung und Entwicklung deutlich mehr Tempo...