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Megatrend: Medien müssen belegen, dass sie ihre Leser wirklich erreichen

Lesezeit: 4 min
22.01.2015 00:49
Google schickt sich an, in der Medienwelt eine führende Rolle zu übernehmen. Die Media-Agenturen halten dagegen und sagen: Vielfalt ist die Bedingung für den Erfolg. Doch die Medien müssen belegen, dass sie ihr Publikum wirklich erreichen. Die Leser sind mündig geworden - und das ist ein Vorteil für eine Branche, die sich selbst mitunter zu wenig zutraut.
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Einer der Megatrends im Jahr 2014 war die teilweise massive Abkehr der Konsumenten von den Medien. Vor allem die Printmedien verlieren ungebremst an Auflage. Chefredakteure werden am laufenden Band gefeuert, ohne dass sich die Situation wesentlich ändert. Viele Verlage zweifeln an ihrem eigenen Geschäftsmodell und überlassen so neuen Playern das Feld. Doch die Medien müssen sich dem Umbruch radikal stellen, so der Tenor von führenden Agentur-Chefs im Gespräch mit den Deutschen Wirtschafts Nachrichten.

Christof Baron, Chairman Deutschland und Joint-CEO EMEA, Media-Agentur Mindshare, sagt: „Die Medien reden sich selbst kaputt – obwohl das nicht nötig wäre.“ Zwar sieht auch Baron, einer der erfahrensten Agenturchefs Deutschlands, dass Google immer stärker wird: „Google will an die Spitze der Nahrungskette. Sie haben die besseren Daten für die Kunden, weil sie über individuelle Nutzerprofile verfügen. Diese setzen sie auch ein, um an die Marketinggelder zu kommen, und machen den traditionellen Medien dadurch zu schaffen.“ Doch eines der wichtigsten Merkmale von Medien werde beim aussichtslosen Wettlauf der Medien mit Google übersehen: „Um ein User-Profil zu erstellen, brauche ich zuerst ein mediales Umfeld, das den Nutzer bedient. Er muss eine Gelegenheit haben, sich mit Themen auseinanderzusetzen. Dies müssen Medien leisten – und dann können sie auch gegen die großen globalen Player bestehen.“

Hier setzt auch die Rolle der Media-Agenturen ein, die sich Barons Einschätzung zufolge ebenfalls neu erfinden müssen – und sich dabei gegenüber Google oder Facebook nicht unter Wert verkaufen sollten: „Niemand außer den Media-Agenturen kann den Kunden eine neutrale sowie Kanal- und Publisherunabhängige Werbewirkungsforschung bieten. Google und Facebook können keine Strategie aufzeigen, wie sich ein Kunde in einem komplexen Medienumfeld positionieren muss. Und schließlich reicht das Sammeln von Daten nicht aus. Der Kunde muss verstehen, was die Daten bedeuten, um daraus eine intelligente Strategie zu entwickeln.“ Die Medien müssten sich jedoch neu orientieren: „Im Hinblick auf die Zielgruppe ist heute der Leistungsnachweis unverzichtbar. Die Werbungtreibenden wollen verstehen, wer die Nutzer eines Mediums sind, wie diese Menschen Medien nutzen, welche Bedürfnisse sie haben, wie reagibel sie auf Werbung reagieren und vieles mehr. Es gilt: Daten statt Glaube.“

Das spüren auch die Agenturen, die das Thema Daten, Analytics und Wirkungsforschung zu einem zentralen Bestandteil ihres Leistungsprofils ausbauen. „In vielen Fällen ist es möglich, sofern solide Daten vorliegen, den Kampagnenerfolg mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von unter 5 Prozent zu modellieren. Und dieses Können und Wissen ist bares Geld, da sich Marketinggelder somit erheblich zielgerichteter und effizienter einsetzen lassen. Und was schon immer für Response-Kampagnen galt, also der direkte, unmittelbare Leistungsnachweis, gilt nun selbstverständlich auch für Branding-Kampagnen: Es werden messbare Resultate erwartet. Das zu akzeptieren, fällt vielen klassischen Medien-Anbietern noch schwer.“

Auch für Jürgen Blomenkamp, Chef der Group M, spielt der strategische Faktor eine entscheidende Rolle. Blomenkamp, der schon sehr früh die Bedeutung der Technologie für Medien und Werbung erkannt hat, sieht den entscheidenden Vorteil der Media-Agenturen gegenüber Google in der Vielfalt, die die Agenturen aufzeigen und deuten können. „Google ist ein Monopolist geworden, das ist keine Frage. Das bringt Google viele Vorteile, wie etwa die Dominanz im Markt. Doch das Monopol bringt auch einen entscheidenden Nachteil mit sich: Google will immer nur sich selbst verkaufen. Google wird die Kunden nie unabhängig beraten, weil Google sagt: Wir können alles abdecken. Google handelt stets im Eigeninteresse. Daher ist Google im Grund für die Werbetreibenden als Beratungsinstanz nicht geeignet. Denn diese brauchen objektive Kriterien, wo sie mit ihrer Werbung am erfolgreichsten sind. Das liefern wir Media-Agenturen.“

Allerdings sieht Blomenkamp einen grundsätzlichen Wandel im Medienmarkt: Der Trend führe weg von der umfassenden Plattform, auf der eine homogene Zielgruppe zur selben Zeit die gleichen Informationen konsumiere. „Die Konsumenten bestimmen, wann sie Medien besuchen. Das klingt einfach – und hat doch weitreichende Folgen. Wir haben diesen Wandel bereits bei der Tageszeitung gesehen, die heute von der jungen Zielgruppe nicht mehr als ihre Plattform angesehen wird. Diese Entwicklung hat nun das Fernsehen erreicht: Es gibt keine klassische ,Prime-Time’ mehr. Das aber bedeutet: Wir müssen die Kunst beherrschen, mit einer konsistenten Datenstruktur alle individuellen Kanäle ansteuern zu müssen. Wir sehen einen Wandel von der Prime-Time hin zur Real-Time-Werbung.“

Blomenkamp sieht darin auch eine große Chance für die Kunden: „Je komplexer der Markt wird, umso komplexer wird der Beratungsbedarf.“ Daher habe sich auch das Berufsbild der Media-Planer grundlegend geändert: „Sie müssen Kommunikationsberater und technische Spezialisten sein. Wir erleben eine sehr offene Konkurrenz um die besten Talente.“ Blomenkamp erwartet, dass sich viele Medien vom werbefinanzierten Modell verabschieden werden, weil sie mit dieser Entwicklung nicht mithalten können. Zugleich erkennt Blomenkamp auch ein großes Potential für Medien, die sich in der digitalen Welt wirklich richtig verhalten. „Im digitalen Bereich gibt es immer noch Wachstum. Wir sehen hier eine gewisse Diversifizierung. Die Medien müssen belegen, dass sie ihre Zielgruppe auch wirklich erreichen.“

Thorsten Mandel, Geschäftsführer bei der unabhängigen Hamburger Agentur Pilot, sieht in dieser Entwicklung auch einen Vorteil für Nischen-Player in der Agentur-Branche: „Wir können auch in Technologie investieren und experimentieren, was wir in Hamburg konkret machen. Der Media-Einkauf über Algorithmen ist einer der Megatrends in der Werbung. Wir müssen uns darauf einstellen, dass viele Prozesse über Maschinen abgewickelt werden. Doch irgendjemand muss diese Maschinen programmieren und verstehen. Als Media-Agentur sind wir unersetzlich, weil wir in ständigem Kontakt mit dem Markt sind. Entscheidend ist das Kampagnen-Management. Dieses führt nur zum Erfolg, wenn wir als Agentur den Markt und die Technologie verstehen.“

Mandel glaubt, dass reine Technologie-Anbieter einen Nachteil bei der Markenführung für den Kunden haben. „Es gibt Zielhierarchien, und die muss ich als Agentur beherrschen. Zugleich muss ich sicherstellen, dass die Markenführung auch im komplexen Umfeld des Internets funktioniert. Dazu gehört auch das Vertrauen der Kunden: Bei uns liegen die Daten der Kunden auf einem Server in Deutschland, weil wir wissen, dass dies ein sehr sensibler Bereich ist.“

Die Markenbildung sei auch für die Medien von größter Bedeutung. Denn heute vertrauen noch viele Kunden auf traditionelle Marken. Doch die Zukunft könnte schon bald anders aussehen: „Wir haben in der Gruppe der bis 29-Jährigen eine sehr selektive Konsumentengruppe. Sie wählen nach einzelnen Inhalten und sind daher ganz anders zu erreichen als noch vor wenigen Jahren. Zugleich sehen wir, dass die digitale Welt, das Fernsehen und die Outdoor-Werbung verschmelzen. Medien und Werbung haben dadurch eine ganz andere Form, wie sie ihre Zielgruppen erreichen. Diese Entwicklung wird durch Social Media beschleunigt: Die besten Werbebotschafter für ein Medium sind jene Nutzer, die Inhalte aus dem Medium teilen. Und sie definieren zugleich neue Zielgruppen, die wir mit der Werbung viel effizienter erreichen können als früher.“


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