Politik

Spekulation: Martin Schulz soll Sigmar Gabriel als Kanzler-Kandidat ablösen

Lesezeit: 4 min
31.03.2015 17:54
In Berlin kursiert eine Spekulation, dass Martin Schulz anstelle von Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidat gegen Angela Merkel antreten könnte. Das Kalkül dahinter: Aktuell wird jeder SPD-Kandidat gegen Merkel verlieren. Doch nach der Wahl könnte die SPD dann versuchen, mit Rot-Rot-Grün den Machtwechsel im Bund herbeizuführen. Gabriel könnte dann unverbraucht - und notfalls mit einer Wahlniederlage - Merkel ablösen.
Spekulation: Martin Schulz soll Sigmar Gabriel als Kanzler-Kandidat ablösen

Die in den Berliner politischen Zirkeln für gewöhnlich gut informierte Bild-Zeitung berichtet über eine mögliche Rochade in der SPD: Weil die Umfragwerte der Partei schlecht sind und eher schlechter werden, gäbe es in der Partei Überlegungen, Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidaten abzulösen und durch den Präsidenten des EU-Parlaments, Martin Schulz zu ersetzen. Gabriel hat derzeit keine Chance gegen Angela Merkel. Auch die ebenfalls gut vernetzte dpa greift die Spekulationen auf.

Der Hintergrund: Aktuell ist die SPD bei Umfragen auf mageren 23 Prozent angelangt. Noch schlechter sind die Werte für Gabriel: Nur 13 Prozent wollen ihn als Kanzler, Merkel liegt bei 61 Prozent.

Daher soll in der SPD an einem Plan B gearbeitet werden. In der Bild ist «vertraulichen Runden» die Rede. «Ein Name fällt dabei immer wieder: Martin Schulz, derzeit (und noch bis Anfang 2017) Präsident des Europaparlaments», schreibt der Leitende Redakteur Rolf Kleine, der früher Steinbrücks Pressesprecher im Wahlkampf 2013 war. Wenn Gabriel selbst antrete und auch nur 25 oder 26 Prozent hole, werde er den Vorsitz verlieren, so wird ein Mitglied der engsten SPD-Führung zitiert. Also müsse ein Ersatzkandidat her.

Sein Umfeld und führende Sozialdemokraten meinen, da sei nichts dran, berichtet die dpa und zitiert einen anonymen Informanten, der die Diskussion als «blühendem Unsinn» bezeichnet.

Schulz war Spitzenkandidat im Europawahlkampf, der gelernte Buchhändler aus Würselen bei Aachen erreichte 27,3 Prozent. Immerhin plus 6,5 Punkte im Vergleich zu 2009. Trotzdem verlor er die europaweite Wahl gegen Jean-Claude Juncker, der nun Kommissionschef ist. International ist Schulz bestens vernetzt. Aber ein Wahlkampf gegen eine möglicherweise noch einmal antretende Merkel?

Schulz strahlt nach Auffassung von SPD-Politikern, im Gegensatz zu manchen anderen SPD-Politikern, Zuversicht und Überzeugungskraft aus. Seinen Europawahlkampf leitete Matthias Machnig, inzwischen Staatssekretär bei Gabriel im Wirtschaftsministerium, aber immer wieder heiß gehandelt als Manager auch des Bundestagswahlkampfes 2017. Der Stratege zehrt bis heute von seiner erfolgreichen Kampagne 1998 für Gerhard Schröder, die im rot-grünen Wahlsieg mündete. Damals gab es aber Wechselstimmung, ein Slogan der SPD lautete: «Kohl muss weg». Ein solcher Trend ist bisher mitnichten zu erkennen.

Allerdings könnte hinter den angeblichen Planspielen auch ein ganz anderes Kalkül stehen: Schulz könnte gewissermaßen als ehrenhafter Zählkandidat gegen Merkel ins Rennen gehen, das direkte Duell dürfte auch er verlieren. Sollte es der SPD jedoch gelingen, die CDU wenigstens zu schwächen, und sollten die Grünen ihren Fall in die Bedeutungslosigkeit noch stoppen, könnte es auch zu einer Rot-Rot-Grünen Koalition kommen. Die SPD unterhält bewusst ein gutes Verhältnis zur griechischen Syriza. So zählt der Staatssekretär im Arbeitsministerium, Jörg Asmussen, griechischen Medienberichten zufolge zu den ständigen Gesprächspartnern von Alexis Tsipras.

Die griechische Wirtschaftswebsite Sofokleus wusste bereits Mitte Januar zu berichten, dass die Wirtschaftsexperten der Partei im September von Jörg Asmussen in das Bundesarbeitsministerium nach Berlin eingeladen worden waren, um deutschen Regierungs-Beamten die „Hingabe der Syriza an die europäische Orientierung“ zu demonstrieren, wie der Griechenland-Blog übersetzt. Asmussen soll demnach in regelmäßigem Austausch mit Tsipras stehen, auch Sigmar Gabriel soll den Kontakt mit der griechischen Linkspartei halten.

Der Kontakt zu Asmussen zeigt, dass die Sozialdemokraten auch die EZB in ihr wirtschaftspolitisches Denken einbezieht: Als man in Berlin noch ernsthaft den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone in Erwägung zog, traf sich Asmussen mit Syriza mit dem damaligen Premier Angelos Venizelos und Wolfgang Schäuble in Polen. Offenbar dämmerte Asmussen damals schon, dass Venizelos keine große Zukunft haben werde. Die Pasok – die Schwesterpartei der SPD – stürzte von 44 Prozent der Stimmen im Jahr 2009 auf 4 Prozent in diesem Jahr ab. Asmussen agierte damals offiziell im Auftrag seines Chefs Mario Draghi. Und zu dem hält, wenn man Sofokleus Glauben schenken darf, Tsipras fortan Kontakt. Tsipras soll mit Draghis Leuten über einen „neuen europäischen Deal“ gesprochen haben, bei dem die EZB und die Europäische Investitionsbank ein europaweites „Konjunkturpaket“ aus Steuergeldern zur Verfügung stellen sollte.

Die Sozialisten haben aktuell in ganz Europa Gegenwind: Die PASOK wurde in Griechenland marginalisiert, in Spanien dürfte die Podemos die klassischen Sozialisten überholen. Vor allem aber in Frankreich droht den Sozialisten unter Francois Hollande eine schwere Niederlage bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen. Bei den Kommunalwahlen am Sonntag setzte es eine weitere Schlappe. Alle Umfragen sehen in Frankreich einen Zweikampf zwischen Nicolas Sarkozy und Marine Le Pen. Die Sozialdemokraten suchen verzweifelt nach Alternativen zum großkoalitionären Austeriäts-Kurs, und sehen die beste Möglichkeit in einer Bewegung nach links - auch um neuen Kräften nicht völlig das Ruder überlassen zu müssen.

Die Ergebnisse Hollandes vom Sonntag haben der SPD vor Augen geführt, dass die Große Koalition in Europa nicht mehr das exklusive Modell für die Sozialdemokraten sein kann. Weil Angela Merkel eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch ausgeschlossen hat, könnte dies die SPD in die Lage versetzen, die Kanzlerin trotz einer Niederlage durch eine Rot-Rot-Grüne Koalition zu stürzen.

Erste Annäherungsversuche in diese Richtung gibt es bereits: Politiker des linken Flügels der SPD haben mit dem thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) für Mai ein Gespräch vereinbart. Dabei solle über die rot-rot-grüne Regierung und die Lehren für eine solche Koalition auf Bundesebene gesprochen werden, berichten mehrere Medien erst vor einigen Tagen.

Das Treffen sei im Rahmen der Frühjahrstagung des Forums Demokratische Linke (DL) in der SPD am 15. und 16. Mai in Erfurt geplant, habe DL-Vorsitzende Hilde Mattheis bestätigt. «Es geht bei dem Treffen natürlich auch darum, ob Rot-Rot-Grün in Thüringen auf den Bund übertragbar ist», sagte Mattheis. «Der letzte SPD-Parteitag hat einen Öffnungsbeschluss gefasst, den der linke Parteiflügel mit Leben erfüllen muss», betonte die Bundestagsabgeordnete.

Diese Entwicklung könnte den Weg freimachen für Sigmar Gabriel als Kanzler einer solchen Koalition: Er müsste dann nicht als Verlierer gegen Merkel mit einem entsprechenden Image kämpfen, sondern wäre faktisch unverbraucht. Gabriel selbst ist ein sehr beweglicher Politiker, der mit dem linken Flügel genauso gut kann wie mit den Lobbyverbänden. Seine klassenkämpferischen Fähigkeiten hat er immer wieder verbal unter Beweis gestellt, während er als EU-Lobbyist für VW in Brüssel erfolgreich die Netzwerke koordinierte.

Die SPD bringt mit den Diskussionen auch die CDU unter Zugzwang: Die Union ist nach dem Gauweiler-Austritt aus dem Bundestag irritiert, die Zustimmung in der Partei zur endlosen Rettungspolitik Kreditorgie sinkt rapide. Eine Diskussion über eine Koalition mit der AfD dürfte folgen, wenngleich es auch viele Konservative gibt, die mit den Grünen koalieren wollen. Diese haben sich in den meisten Bereichen der CDU weitgehend angenähert, etwa in einer völlig kritiklosen Übernahme der Russland-Politik. In anderen Bereichen ist die CDU nach links gewandert, etwa in der Gesellschaftspolitik.

Die Berliner Spekulationen zeigen jedenfalls: Der Wahlkampf ist eröffnet, auch in Deutschland.

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