Politik

Sehr starke Rede zur Griechen-Tragödie: Gysi entzaubert die selbstgefällige Kanzlerin

Lesezeit: 10 min
01.07.2015 22:09
Gregor Gysi hat im Bundestag zur Euro-Rettung eine fulminante Rede gehalten. Im Stile vom Emile Zola warf Gysi der Bundeskanzlerin und ihren Helfern Schäuble und Gabriel vor, aus eiskaltem Parteiinteresse die Regierung in Griechenland stürzen zu wollen und dafür das Elend des griechischen Volkes in Kauf zu nehmen. Zugleich forderte Gysi, dass die Troika endlich für den von ihrer falschen Politik angerichteten Schaden zur Verantwortung zu ziehen sei.
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Gregor Gysi hat im Bundestag eine fulminante Rede gehalten. Er hat Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und Sigmar Gabriel vorgeworfen, die griechische Bevölkerung einer gewaltigen sozialen Verwüstung auszusetzen, nur, um die ihnen nicht genehme Syriza-Regierung zu stürzen. Gysi kritisierte völlig zu Recht, dass es unangemessen sei, dass Angela Merkel keine Silbe der Selbstkritik hervorgebracht hat.

Die Rede von Gregor Gysi im Wortlaut:

„Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die europäische Einigung war eine Lehre, die aus dem Verhängnis des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Nazidiktatur gezogen wurde. Man wollte Europa einigen, auch Deutschland einbinden, und das Ganze sollte zu Frieden, Demokratie, sozialer Wohlfahrt, wirtschaftlicher Entwicklung und später auch ökologischer Nachhaltigkeit führen. Das sind die gemeinsamen Grundwerte, für die dieses Europa stehen sollte.

Aber Europa wurde zutiefst erschüttert schon früher, aber erst recht durch die Finanz- und Bankenkrise vor sieben Jahren und hat sich bis heute nicht erholt. Aus der Bankenkrise wurde eine Staatsschuldenkrise, von Griechenland bis Deutschland, weil Privatbanken in Europa mit Steuergeldern in Milliardenhöhe gestützt wurden. Die Rettungspakete galten nie den Bürgerinnen und Bürgern, sondern immer den Banken.

Auch bei uns wurden 480 Milliarden Euro binnen einer Woche für die Rettung der Banken beschlossen. Wenn man mal 1 Million Euro für einen kulturellen oder sozialen Zweck braucht, dann bekommt man ein Nein, aber bei den Banken gibt es immer nur ein Ja.

Ich habe Ihnen zugehört, Frau Bundeskanzlerin. Ihre Rede kann ich wie folgt zusammenfassen: Die griechische Regierung hat alles falsch gemacht, und Sie, Herr Schäuble und die europäischen Institutionen, also der Internationale Währungsfonds, die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank, haben alles richtig gemacht.

Ich bin auch nicht unkritisch gegenüber der griechischen Regierung, aber die Art, wie Sie sich beweihräuchern, ist einseitig und völlig daneben.

Die drei von mir genannten Institutionen haben, wie bereits gesagt, 90 Prozent der Hilfsgelder in Höhe von über 240 Milliarden Euro in die Rettung der griechischen Privatbanken gesteckt. Dieses Geld kam den Gläubigern zugute. Gläubiger dieser Privatbanken waren übrigens auch deutsche und vor allem französische Banken. Dort ist das Geld hingeflossen. Warum konnte man die griechischen Banken nicht einfach pleitegehen lassen. Dann hätten die Großgläubiger und Großaktionäre eben zahlen müssen, weil sie sich einfach verzockt haben, und man hätte den Bürgerinnen und Bürgern und den kleinen und mittelständischen Unternehmen ihre Guthaben erstatten können. Das hätte man machen können. Das wäre ein vernünftiger Weg gewesen.

Aber Sie sind einen anderen Weg gegangen. Für diesen anderen Weg haben Sie Bedingungen festgelegt für Griechenland, für Spanien, für Portugal, für Irland und für Zypern. Die Bevölkerungen dieser Länder mussten das bezahlen. Der Preis war hoch, und zwar überall; aber besonders dramatisch war es in Griechenland.

Ich sage es Ihnen noch einmal - seit sechs Jahren haben wir die Krise in Griechenland-: Rückgang der Wirtschaftsleistung, die angeblich angekurbelt werden sollte, um 25 Prozent; Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 25 Prozent, Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit auf über 50 Prozent; Zusammenbruch des Gesundheitssystems; Kürzungen der Renten um 40 Prozent, Senkungen der Löhne um 30 Prozent; Suppenküchen über Suppenküchen. Und das genügt Ihnen nicht? Es muss noch weiter runtergehen? Das ist Ihre Vorstellung von Europa? Frau Merkel, Herr Gabriel und Herr Schäuble, ich finde, das ist ein Skandal, und Sie tragen daran eine gewaltige Mitschuld.

Außerdem ist die Staatsschuldenquote von 127 Prozent vor Ausbruch der Krise auf jetzt knapp 180 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen. Jeder fragt sich: Wie soll das eigentlich je zurückgezahlt werden? Der Kurs der Kürzungspolitik von Troika und Bundesregierung ist einfach gescheitert.

Die Ergebnisse, die Sie versprochen haben mehr Wettbewerbsfähigkeit und was weiß ich , sind nicht eingetreten.

Ja, ja, wir haben hier eine Arbeitsteilung; das kann ich Ihnen sagen. Ich frage Sie einmal, wann diese drei europäischen Institutionen endlich einmal die Verantwortung für das übernehmen, was sie anrichten.

Wissen Sie, das Ganze ist so organisiert: Für die verfehlte Politik werden die nationalen Regierungen zur Verantwortung gezogen, gegebenenfalls auch von den Wählerinnen und Wählern abgestraft, während die eigentlich Verantwortlichen in der Europäischen Kommission, im Internationalen Währungsfonds und in der Europäischen Zentralbank, die nicht demokratisch legitimiert sind, ungestraft davonkommen. Das kann so nicht bleiben. Wenn man Europa will, muss man auch ein verantwortliches Europa wollen.

Nun hat sich die Situation dramatisch zugespitzt das stimmt : Erstmals in der Geschichte ist eine Kreditrückzahlung an den IWF ausgesetzt worden. Die griechische Regierung und das griechische Parlament haben für den 5. Juli 2015 ein Referendum über die Zustimmung oder Ablehnung des jüngsten, ultimativen Spardiktats beschlossen und nicht, wie Sie, Herr Gabriel, es fälschlicherweise behaupten, über den Verbleib im Euro-Raum. Niemand darf nach geltendem Recht ein Land aus dem Euro werfen.

Es gibt allerdings die Gefahr des Staatsbankrotts und natürlich die Gefahr des Austritts Griechenlands aus dem Euro-Raum. Diese Gefahr besteht.

Herr Gabriel, Sie haben ein kurzes Gedächtnis: Anfang September 2011 wollte die Regierung Ihrer Schwesterpartei, der Pasok, unter dem damaligen Chef Papandreou wegen der Sparpolitik, die aus Europa kam, ein Referendum durchführen, und zwar, weil die Konservativen nicht zustimmen wollten. In Berlin und beim IWF war man fassungslos. Man drohte Griechenland mit einer ungeordneten Insolvenz.

Der IWF drohte sogar mit einem Zahlungsstopp. Papandreou wurde gestürzt, das Referendum durfte nicht stattfinden, und die Schwesterpartei der Union, die Nea Dimokratia, bot sich willfährig an, die drastische Kürzungspolitik umzusetzen. Nachher haben es Nea Dimokratia und Pasok zusammen gemacht. Aber wie reagierte damals die SPD auf den Entschluss Papandreous? Martin Schulz, heute Präsident des Europäischen Parlaments, erklärte, dass er großes Verständnis für das Referendum habe, der Regierung bleibe gar nichts anderes übrig. Sie, Herr Gabriel, erklärten ebenfalls, dass Sie das Referendum befürworten. Wissen Sie, was ich mich frage: Wieso gilt Ihrer Meinung nach etwas für Pasok, aber nicht für Syriza?

Oder ist Ihr neuer Sitzplatz der Grund für den Sinneswandel? Damals saßen Sie dort unten, im Plenum, und jetzt sitzen Sie dort oben, auf der Regierungsbank. Wenn es an dem anderen Sitzplatz liegt, ist Ihre Politik höchst unglaubwürdig.

Es gibt jetzt Kritik an dem Zeitpunkt der Entscheidung für das Referendum. Zum Zeitpunkt muss ich aber Folgendes sagen: Tsipras, die griechische Regierung und das griechische Parlament können nicht irgendein Zwischenergebnis der Verhandlungen zur Abstimmung stellen, sondern nur ein Ultimatum. Da kann man sagen: Sollen wir das annehmen oder nicht annehmen? Deshalb ist der Zeitpunkt richtig gewählt. Aus der Sicht der griechischen Regierung ist er, wenn Sie so wollen, gar nicht klug. Die Banken sind geschlossen. Die Leute stehen an. Man weiß gar nicht, wie sich die Stimmung bis Sonntag noch verändert. Aber es blieb ihnen erst einmal nichts anderes übrig.

Ich will Ihnen das erklären, damit Sie es verstehen; versuchen Sie es doch einmal. - Sie dürfen eines nicht vergessen: Wenn er zu dem Ultimatum Ja gesagt hätte, dann hätte er seiner Bevölkerung sagen müssen: Ich breche alle Wahlversprechen. Das mag ja in Deutschland Mode sein, aber in Griechenland nicht, um es einmal ganz klar zu sagen.

Für die Beendigung der Austeritätspolitik hat doch Syriza bei der Wahl so viele Stimmen bekommen. Wenn Sie der griechischen Bevölkerung sagen: „Ihr könnt wählen, was ihr wollt, wir sorgen dafür, dass immer die gleiche Politik fortgesetzt wird“, dann ist das ein Angriff auf die Demokratie und auf demokratische Wahlen.

Herr Gabriel, wenn Sie davon sprechen, dass die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht für die aus Ihrer Sicht falsche Politik der griechischen Regierung bezahlen dürfen, ist das auch völlig daneben. Wo bleibt eigentlich die Solidarität der SPD mit dem griechischen Volk, aber auch mit unseren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern?

Ich sage Ihnen: Wenn der Euro scheitert, dann kostet uns das sehr viel Geld. Wenn eine Staatspleite Griechenlands kommt, haften wir dank Ihrer Unterschrift - wir waren ja dagegen, aber Sie haben die Bürgschaften unterschrieben - mit 27 Prozent für die Schulden Griechenlands. Das macht über 80 Milliarden Euro. Es kann ja sein, Herr Schäuble, wie Sie richtig sagen, dass dies nicht sofort fällig wird, sondern nach und nach. Das ist ganz egal. Bezahlen müssen wir es. Das müssen Sie den deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einmal sagen. Wir wollen sie davon nämlich befreien.

Aber Sie mussten sich ja von der Kanzlerin belehren lassen, dass solche Äußerungen völlig kontraproduktiv seien. Die Tatsache, dass die Kanzlerin Sie korrigiert, spricht ja nun auch für sich.

Die Kernfrage - da haben Sie Recht, Frau Bundeskanzlerin - ist nicht die Frage der Schulden und auch nicht die Frage des Geldes, sondern es geht um Macht und Demokratie.

Das hat der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz auf den Punkt gebracht. Es geht um die Souveränität eines Landes, das Mitglied der Euro-Zone, Mitglied der Europäischen Union, Mitglied der NATO und Mitglied der Organisation der Vereinten Nationen ist. Übrigens sollten auch die Verteidigungsausgaben gekürzt werden. Das war ja interessant. Es gab einen Vorschlag der griechischen Regierung. Dann hat die Troika mehr vorgeschlagen. Was sagt jetzt Herr Stoltenberg, Generalsekretär der NATO? Das käme überhaupt nicht infrage. Alle NATO-Staaten müssten die Ausgaben erhöhen, auch Griechenland, und dürften sie nicht senken.

Mich würde interessieren, was denn nun gilt.

Die ganzen bisherigen Auflagendiktate haben schwer in die Innenpolitik der betroffenen Länder eingegriffen. In Portugal und jetzt in Griechenland haben die dortigen Verfassungsgerichte Auflagen gestoppt, weil sie gegen die dortigen Verfassungen verstießen. Selbst um Verfassungen also scheren sich die demokratisch durch niemanden legitimierten Vertreter der Troika nicht.

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, Europa basiere auf dem Recht, und das Recht müsse eingehalten werden, und haben der griechischen Regierung vorgeworfen, das Recht zu verletzen. Darf ich daran erinnern, dass die erste schwerwiegende Rechtsverletzung vor elf Jahren unter Rot-Grün durch Deutschland begangen wurde, als man gegen die Schuldenkriterien verstieß? - Das war Europarecht. Der Maastrichter Vertrag ist verletzt worden.

Damals wollte die EU-Kommission einen blauen Brief schreiben und wegen der Verstöße bei der Überschreitung der Schuldengrenze sogar Strafzahlungen festlegen. Das hat man sich dann aber letztlich bei Deutschland und später auch bei Frankreich nicht getraut. Aber gegen Griechenland muss alles angewandt werden. Das müssen Sie auch erst einmal erklären.

Vor fünf Monaten begannen die Verhandlungen der drei Institutionen mit der neuen griechischen Regierung. Die neue griechische Regierung wollte erklärtermaßen die gescheiterte Kürzungspolitik beenden. Dagegen stellten sich, wie Sie sagen, alle 18 Regierungen. Sie haben recht: Um die 400 Millionen Euro ging es nicht. Sie wollen die linke Regierung in Griechenland beseitigen. Das ist Ihr Ziel.

Ich werde es Ihnen beweisen. Die Frage ist, welche Mittel und Wege Ihnen dafür recht sind. Außerdem ging es noch um eine andere Frage; bei dieser können Sie zumindest zuhören. Es ging um die Frage der Bedingungslosigkeit. Sowohl die Bundeskanzlerin als auch Herr Gabriel als auch Herr Schäuble haben gesagt, die wollten einen Kredit bedingungsfrei, und man zerstöre den Euro, wenn man das bedingungsfrei mache.

Worum ging es aber wirklich? Es ging darum, dass ein Betrag von 29 Milliarden Euro vom IWF zum Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, umgeschichtet werden sollte, weil man in dem einen Fall 4 Prozent und in dem anderen Fall nur 1 Prozent Zinsen zahlen muss. Herr Schäuble, alle Schwäbinnen und Schwaben und alle Berlinerinnen und Berliner würden das auch so machen und statt 4 Prozent lieber nur 1 Prozent Zinsen zahlen.

Das ist auch gar nicht weiter schlimm; damit ist man sogar einverstanden. Aber für das Umswitchen braucht man vorübergehend einen kleinen Umswitchungskredit. Daran wollen Sie weitere Bedingungen zum Sozialabbau knüpfen. Die griechische Regierung hat gesagt: Wenn wir schon so viele Kompromisse eingehen müssen, dann macht doch das bedingungsfrei. - Ich kann darin keine Gefährdung des Euro sehen, ganz im Gegenteil. Darauf hätten Sie meines Erachtens eingehen müssen.

Der Weg des Ultimatums war meines Erachtens falsch.

Man hätte weiterverhandeln müssen. Ich sage nicht, dass die griechische Regierung nicht auch Fehler begangen hat.

Ich weiß, dass sie gerade neue Vorschläge unterbreitet.

Ich kann Ihnen sagen, was mich zum Beispiel stört: dass es noch keinen Vorschlag gibt, eine Steuer für die wirklich Reichen in Griechenland zu erheben. Es wird höchste Zeit!

Aber auch Ihre geliebte Troika hat dazu keinen Vorschlag unterbreitet.

Ganz im Gegenteil - hören Sie zu -: Die griechische Regierung hat vorgeschlagen, dass Gewinne über 500 000 Euro ein einziges Mal mit einer Zusatzabgabe belastet werden. Da sagte die Troika: Nein, das kommt überhaupt nicht infrage. - So sieht Ihre Troika aus, um auch das einmal ganz klar zu sagen.

Die Regierung hatte 48 Stunden Zeit und hat dann entsprechend reagiert. Ich habe es vorhin schon gesagt: Ein Grexit, ein Austritt Griechenlands aus dem Euro, wäre aus mehreren Gründen katastrophal.

Er kann eine Kettenreaktion auslösen; das können wir alle gar nicht einschätzen. Wissen Sie genau, was danach passiert? Wir alle tun immer so oberschlau, können das aber gar nicht einschätzen.

Aber davon einmal abgesehen - jetzt im Ernst -: Wir können die Folgen gar nicht genau einschätzen. Wenn es zu einer Kettenreaktion kommt und der Euro tot ist, dann, sage ich Ihnen, sind wir die Leidtragenden. Ich sage Ihnen auch, warum. Die Situation ist nicht dieselbe, die wir vor der Einführung des Euro hatten; sie ist eine ganz andere. All die anderen Währungen - Franc, Peseta, Drachme - wären heute nichts wert. Die Deutsche Mark hätte einen sehr hohen Wert. Die anderen Länder würden nicht auf uns eingehen und sagen: Wir vereinbaren mit euch feste Wechselkurse. - Warum? Sie würden die Billigkeit ihrer Währungen nutzen, um mehr exportieren zu können.

Unser Export bricht dann zusammen; das ist das Problem. Massenarbeitslosigkeit etc. wären die Folgen. Also geht das nicht. Eine Frage interessiert mich wirklich sehr: Wie weit können die Eingriffe in die Innenpolitik eigentlich gehen? Man kann sich über das Ziel verständigen. Wenn man Finanzhilfen gewährt, welcher Art auch immer, muss es Bedingungen geben, um die Rückzahlung zu gewährleisten.

Aber den Weg müssen alleine das Parlament und die Regierung des Landes bestimmen, nicht die Troika, wie es die letzten Jahre der Fall war. Das ist Ihr großer Fehler und Ihr großer Irrtum.

Stellen Sie sich einmal vor, Deutschland wäre in einer solchen Krise, die Troika gäbe uns solche Bedingungen vor und würde fordern: Rentenkürzung um 30 Prozent, hier kürzen, dort kürzen. - Glauben Sie, das würden wir uns bieten lassen? Aber anderen soll man das antun? Man sollte anderen nie etwas antun, was man sich selber nicht bieten lassen würde.

Deshalb sage ich Ihnen: Wir brauchen nicht weniger, sondern sogar mehr Europa. Wir brauchen aber ein anderes Europa, eine gemeinsame Wirtschafts-, Finanz-, Sozial-, Steuer- und Ökologiepolitik.

Wissen Sie, Ihr Hass auf die Linken ist gar nicht nachvollziehbar. Warum sind Sie eigentlich Mitglied der SPD geworden? Ich kann nur sagen: Setzen Sie sich doch gleich zur Union, Herr Kahrs.

Wir müssten festschreiben, dass es in Europa immer um soziale Wohlfahrt und Steuergerechtigkeit gehen muss und nicht das Gegenteil herbeigeführt werden darf, wie es in den letzten Jahren geschehen ist. Die Kommentare, die ich zurzeit lese, sind zum Teil sehr von Hass und Feindseligkeit geprägt. Dagegen sollten wir in gemeinsamer Verantwortung etwas tun.

Das können wir - auch in Anbetracht unserer Geschichte- überhaupt nicht gebrauchen.

Ich leugne nicht, dass die Griechinnen und Griechen am nächsten Sonntag vor einer schweren Entscheidung stehen. Sie können einerseits der Regierung das Vertrauen aussprechen, sie können sich auch für das Gegenteil entscheiden.

Beides hat für sie Vor- und Nachteile. Eines aber geht nicht: Es gibt immer neue Angebote der griechischen Regierung, Frau Bundeskanzlerin. Die französische und die österreichische Regierung wollen gleich mit denen sprechen - egal ob es um ein drittes Paket oder worum auch immer geht. Sie aber sagen: Erst nach dem Sonntag. - Sehen Sie, das ist der Beweis; denn Sie hoffen, dass am Sonntag die Regierung stürzt. Deshalb wollen Sie vorher nicht mit ihr sprechen. Das geht nicht! Das ist verantwortungslos! Ich muss es Ihnen so deutlich sagen.

Wissen Sie, Herr Schäuble, ich habe es Ihnen gesagt und möchte es, um auch einmal Verständnis zu zeigen, gerne wiederholen: Da wird also eine linke Regierung gewählt, die Sie nicht mögen.

Das verstehe ich. Wenn ich in Ihrer Situation wäre und irgendwo anders würde eine erzkonservative Regierung gewählt werden, dann würde ich die ja auch nicht mögen. - Sie sollen der entgegenkommen. Dazu haben Sie keine Lust. Ich hätte auch keine Lust, einer erzkonservativen Regierung entgegenzukommen.

Sie sagen sich: Wenn wir Kompromisse mit Griechenland machen, müssen wir die auch mit Spanien und Portugal machen. - Ich würde ebenfalls sagen: Wenn ich mit einer erzkonservativen Regierung Kompromisse mache, muss ich das, was ja nicht angenehm ist, auch mit anderen Ländern machen.

Dann sagen Sie sich: Wenn wir das alles machen, werden auch die Linken in den anderen Ländern gewinnen, weil die in Griechenland erfolgreich waren. - Auch ich würde das sagen: Wenn ich all das mache, werden in den anderen Ländern die Erzkonservativen gewinnen, weil die erfolgreich waren.

Soweit kann ich das verstehen. Dann aber, Herr Schäuble, muss Ihr politisches Verantwortungsbewusstsein beginnen. Das heißt: Wir können uns einen Crashkurs nicht leisten. Ich hätte dann gesagt: Ich komme der erzkonservativen Regierung entgegen, auch wenn ich mir Ärger in den eigenen Reihen einhandele. - Den Mut hatten Sie nicht. Aber das verlange ich von Ihnen, weil die Frage viel zu wichtig ist.

Als Letztes: Frau Merkel, Sie tragen in diesen Tagen eine gewaltige historische Verantwortung. Finden Sie in letzter Sekunde noch eine Lösung! Sie haben die Chance, entweder als Retterin oder als Zerstörerin der europäischen Idee in die Geschichte einzugehen.

Ja, als Zerstörerin! - Ich wünsche Ihnen, mir und vor allem unserer Bevölkerung, dass Sie sich doch noch endlich entschließen, zu einer Retterin zu werden.

Danke schön.“

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