Politik

Angela Merkel: Langeweile als politische Waffe einer Ertappten

Lesezeit: 3 min
17.07.2015 14:49
Politik als Hypnose: Angela Merkels Rede zu Griechenland zeigte, warum die Wahlbeteiligung in Deutschland immer weiter sinkt: Visionslos, rechthaberisch, parteilich, in Teilen geschichtsklitternd - ohne auch nur den Ansatz einer Vision für Europa. Vermutlich ist dies die effizienteste Art, die Leute einzuschläfern, während die Milliarden verbrennen.
Angela Merkel: Langeweile als politische Waffe einer Ertappten

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Man hätte sich die Zirkus einer Sondersitzung zu Griechenland sparen können: Angela Merkels Rede wäre in schriftlicher Form leichter zu verdauen gewesen, weil man sie dann schneller hätte weglegen können. Die Rede, gehalten in einer historisch-kritische Lage der Euro-Zone, war auf einem einzigen cantus firmus aufgebaut: Syriza und Tsipras sind schuld an dem Desaster. Merkel, die Parteisoldatin, die das Ganze nicht sieht, weil sie sich für das Ganze hält. Damit gelang es ihr, den interessierten, aber neutralen Zuhörer, nach zwei Minuten in einen tiefen Schlaf zu versetzen.

Als man wieder aufwachte, waren die Milliarden an Steuergeldern weg. Die ehemalige Sekretärin für Propaganda und Agitation hat ganze Arbeit geleistet: Statt die Bürger aufzurütteln oder den Bundestag zu mobilisieren, statt vor der realen Gefahr eines neuen Nationalismus zu warnen, vor einer Renaissance der Ressentiments, griff Merkel - bewusst oder intuitiv - zu ihrer stärksten Waffe: der politischen Hypnose. Sie vollzog eine Maskerade an Floskeln und technokratischen Spitzfindigkeiten, und erreichte damit, dass der Bürger abschaltete - geistig oder real. Keine Spur von der Dramatik des Augenblicks. Als Merkel anhub und sagt: "So etwas habe ich noch nicht erlebt...", war der Zuhörer schon weg. Man hatte nicht bin einer Sekunde den Eindruck, dass es hier um die große Idee Europas geht, um die Gefahr, in der der Kontinent sich befindet; um die Verwerfungen, die Gräben - oder vielleicht gar darum, dass nun alles besser wäre als das stumpfsinnige "Weiter so!". Statt dessen glaubte man einer Frau zuzuhören, die eine Geschichte von der Art erzählt: "Also stell Dir mal vor, was mir gestern beim Friseur passiert ist, Trude..."

Merkel hob die Debatte gezielt auf eine abstrakte Ebene: Sie sagte nicht: "Haben Sie Mitleid mit den Griechen, helfen Sie uns, ihnen zu helfen!" Nein, sie sagte: "Stellen Sie sich vor, wir würden das in Deutschland erleben: Lange Schlangen von Rentnern vor geschlossenen Banken..."

Mit diesem rhetorischen Trick nahm Merkel alle echte Betroffenheit aus der Diskussion. Sie versuchte, den Zuhörer dazu zu bringen, eben NICHT nach Griechenland zu schauen, sondern in den Spiegel: Stellen Sie sich vor, Ihnen würde so etwas passieren! Sie dreht den Kopf des Zuhörers raffiniert weg von der Gegenwart in die Zukunft. Dort wo die Versprechungen zu Hause sind, dort ist das Land der Politik.

Wir schauen nicht in das Angesicht des konkreten Leids in Griechenland, welches ausgelöst wurde von einer grenzenlos verantwortungslosen Schulden-Politik unter der maßgeblichen Beteiligung von Angela Merkel und ihrer Parteifreunden von der Nea Dimokratia in Athen, sowie den diversen SPD-Verantwortlichen und ihren Parteikollegen von der Pasok in Athen. Wir schauen nicht in den tiefen Abgrund, der erst noch vor Griechenland liegt, weil sich die EU-Politik selbst entmachtet hat, indem sie mangels Wirtschaftskompetenz die Macht der Troika überantwortet hat.

Diese Art von Politik ist eine Politik der Angst. Sie erklärt den Leuten nicht, was geschehen ist (denn da könnte sich die Frage der Verantwortlichkeit stellen). Sie erklärt den Leuten die Wirklichkeit als stets warnendes Beispiel.

Genau diese Abstraktion ist es, die der aktuellen EU-Politik die moralische Integrität raubt: Wir haben tausende Flüchtlinge, denen wir konkret helfen müssen. Wir tun es nicht, sondern diskutieren ausschweifend über "das Prinzip" Solidarität.

Wir haben in Griechenland eine Katastrophe vor Augen. Hunderttausende Menschen werden ihren Job oder ihr Erspartes oder beides verlieren. Wir schauen weg und diskutieren ausschweifend über "das Prinzip" der Einhaltung von Prinzipien.

Merkels Dialektik besteht darin, diese Botschaft in so langweilige Form zu kleiden, dass man sie nicht als Bedrohung empfindet. Man verliert den Faden und merkt nicht, wie sich der Strick um den eigenen Hals zusammenzieht.

In Griechenland hat das Parlament Gesetze beschlossen, an die es nicht glaubt. Der Bundestag hat eine Ermächtigung erteilt, von der vermutlich die Mehrheit hofft, dass sie scheitert. Das ist der Stand der Demokratie in der EU. Sie ist weg wie die Milliarden - und keiner hat es gemerkt. Stell Dir vor es ist Crash, und die nächste Generation zahlt die Zeche.

Als man wieder aufwacht, reibt man sich die Augen: Griechenland ist auf einem guten Weg! Die Menschen da draußen! Deshalb werden wird diesmal genau so wie früher...! Wortfetzen, Bruchstücke, Fragmente. In Athen und Berlin zerbröckeln die letzten Ruinen. Demokratie war gestern. Die Milliarden sind verbrannt, und wir haben es noch nicht gemerkt.

60 Abgeordnete aus der CDU-CSU stimmten gegen die Aufnahme von Verhandlungen zur Fortsetzung der Schulden-Orgie. Die Fraktion Die Linke stimmte mehr oder weniger geschlossen gegen das Austeriäts-Programm. Die Mehrheit der Grünen enthielt sich. Sie wollen den Euro retten, halten den Weg der Austerität jedoch für falsch. Der Bundestag hat seine Pflicht getan.

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..


Mehr zum Thema:  
Europa >

DWN
Politik
Politik Verfassungsgericht stärken: Mehrheit der Parteien auf dem Weg zur Einigung?
28.03.2024

Das Verfassungsgericht soll gestärkt werden - gegen etwaige knappe Mehrheiten im Bundestag in aller Zukunft. Eine Einigung zeichnet sich...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschlands maue Wirtschaftslage verhärtet sich
28.03.2024

Das DIW-Konjunkturbarometer enttäuscht und signalisiert dauerhafte wirtschaftliche Stagnation. Unterdessen blieb der erhoffte...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Lauterbach will RKI-Protokolle weitgehend entschwärzen
28.03.2024

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, dass einige der geschwärzten Stellen in den Corona-Protokollen des RKI aus der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Brückeneinsturz in Baltimore trifft Importgeschäft der deutschen Autobauer
28.03.2024

Baltimore ist eine wichtige Drehscheibe für die deutschen Autobauer. Der Brückeneinsturz in einem der wichtigsten Häfen der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft „Made in Germany“ ist wieder gefragt - deutsche Exporte steigen deutlich
28.03.2024

Der Außenhandel in Deutschland hat wider Erwarten zu Jahresbeginn deutlich Fahrt aufgenommen. Insgesamt verließen Waren im Wert von 135,6...

DWN
Finanzen
Finanzen Der Ukraine-Krieg macht's möglich: Euro-Bonds durch die Hintertür
28.03.2024

Die EU-Kommission versucht, mehr Macht an sich zu ziehen. Das Mittel der Wahl hierfür könnten gemeinsame Anleihen, sogenannte Euro-Bonds,...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Osterfreude und EM-Fieber: Hoffnungsschimmer für Einzelhandel
28.03.2024

Das Ostergeschäft verspricht eine Wende für den deutschen Einzelhandel - nach einem düsteren Februar. Wird die Frühlingshoffnung die...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienkrise für Banken noch nicht überwunden
28.03.2024

Die deutschen (Pfandbrief-)Banken sind stark im Gewerbeimmobilien-Geschäft engagiert. Das macht sie anfällig für Preisrückgänge in dem...