Finanzen

Gefahr für Europa: Eine Krise der Weltwirtschaft am Horizont

Lesezeit: 7 min
19.07.2015 00:40
Die größte Gefahr für die Wirtschaft in Europa kommt nicht aus Griechenland: Alle Zeichen deuten darauf hin, dass die Weltwirtschaft in eine globale Krise treibt. Die EU müsste vor diesem Hintergrund ihre Nabelschau beenden - und mit dem Gegensteuern beginnen. Deutschland könnte schon sehr bald gezwungen sein, sich vom Austeritäts-Kult zu verabschieden - nicht aus Mitleid, sondern im nackten Eigeninteresse.
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Die Weltwirtschaft steuert auf ein Ende des scheinbar grenzenlosen Wachstum zu, und dies seit rund einem Jahr. Dies ist der Fall in den Vereinigten Staaten, in China, in Japan, in den BRICS, in den Erdöl-Produzentenländern und in vielen Schwellenländern. Als Wirtschaftsraum sticht nur das Vereinigte Königreich positiv heraus. Die Eurozone hat sich zumindest stabilisiert. Die Debatte über die Zukunft der Währungsunion könnte deshalb von ganz neuen Interessenlage geprägt sein.

Was steckt hinter diesen globalen Trends? In China strebt die Regierung nach einem Jahrhundert-Boom im Immobilienmarkt eine weiche Landung an. Das Wachstum soll sich vom Export und den Bauinvestitionen zum Konsum verlagern. Die Wirtschaft soll effizienter im Energieverbrauch, die Umweltbelastung drastisch abgebaut werden. Das ist ein gewaltiger Umbau des Wachstumsmodells. Die offiziellen Konjunkturzahlen sagen, dass die Regierung immer noch auf Kurs ist. Wer etwas dahinter sieht, erkennt eine unverhüllte Datenmanipulation. Importe und Exporte fallen stark.

Der Preiseinbruch bei Eisenerz, Kokskohle und Stahlpreisen deutet auf eine drastische zukünftige Kontraktion der Bautätigkeit hin. Der Grund ist das enorme Überangebot leer stehender und unverkäuflicher Wohnungen. Neukredite an die Immobilien-Entwickler werden deshalb rationiert. Diese sollen zu Verkäufen und zu tieferen Preisen gezwungen werden. Um die makroökonomische Wirkung zu begrenzen, hat China die Geldpolitik in Bezug auf Zinsen und Kreditbedingungen gelockert, dies teilweise in leichtsinniger Weise.

Damit wurde eine kreditgetriebene Aktienhausse wie Ende der 1920er Jahre in den USA entfacht. Die Bewertungen stiegen ins Exorbitante, eine wahre Spekulationsblase setzte ein. Diese ist vor wenigen Wochen durch die Behördenintervention geplatzt. Ob die Behörden den Schaden nach dem ersten Absturz begrenzen können, steht in den Sternen. In einem längerfristigen Kontext stellen das Alarmsignale dar. Eine harte Landung kann nicht ausgeschlossen werden.

In USA ist der Erdöl- und Erdgasboom zu Ende. Der Aufschwung seit 2009 war hauptsächlich davon angetrieben. In den Bundesstaaten mit starker Exposition zum Erdöl, etwa in Texas, Ohio oder Kalifornien, fand ein enormer Bauboom statt. Der Einbruch der Ölpreise wird dort eine heftige Rezession auslösen, mit Leerständen und den üblichen Folgewirkungen. Der Fall der Energiepreise wird aber nicht unbedingt einen grossen Boom im Rest des Landes auslösen. Das ist die bekannte asymmetrische Wirkung von Erdölschocks. Rasche Preissteigerungen dämpfen das Wachstum, rasche Preisfälle stimulieren aber nicht mit der gleichen Wirkung. Das Wirtschaftswachstum dürfte gedämpft bleiben, ein weiterer scharfer Absturz der Erdölpreise stellt ein Risiko dar.

In den Erdöl produzierenden Ländern geht die Party zu Ende. Die Preise sind bedingt durch mehrere Faktoren in einer scharfen Kontraktion: Das Überangebot aus der Shale-Produktion in den Vereinigten Staaten, die bewusste Überproduktion Saudi-Arabiens, welches eine Marktbereinigung herbeiführen will, die Perspektive Irans, nach der Beendigung der Sanktionen wieder als großes Produzentenland aufzutreten. Nicht zu vergessen sind große latente Preisrisiken. Im Erdölmarkt herrscht eine ungewöhnlich Contango-Situation: Die Spotpreise sind viel tiefer als die Futures-Peise für die nächsten drei Jahre. Als Folge davon haben die Produzenten viele Schiffe gechartert, um als fahrende Erdöllager zu dienen. Wenn Spot- und Futurespreise unter Druck kommen, entsteht das Risiko eines sich selbst verstärkenden Preisfalls. Das ganze schwimmende Warenlager könnte dann auf den Markt kommen und einen wahren Preissturz im Erdölmarkt auslösen.

Die BRICS spüren das Ende des China- und Rohstoffbooms. Die Rohstoffpreise sind weltweit und auf breiter Front am Fallen. Viele Indizes geben deutliche Warnsignale. Was bei solchen Konstellationen sichtbar wird, sind die schwach gebliebenen Strukturen. Unfähige Regierungen gibt es nicht nur in Griechenland, sondern auch in vielen Schwellenländern. Ist die Rohstoff-Hausse einmal vorbei, kommen die Schwachstellen unverhüllt zu Tage.

Damit ist klar: Von außerhalb Europas kommt eine massive Verlangsamung des Wachstums der Weltwirtschaft, mit dem Risiko zu einem eigentlichen Einbruch. Deutschland wird davon getroffen werden, was auch immer die aktuellen Konjunkturzahlen sagen. Als Investitionsgüterproduzent und Produzent teurer Premium-Automobile wird das Land diese Wachstumsverlangsamung spüren.

Die Wachstumsaussichten sind schwach, eigentlich miserabel, verglichen mit den letzten 15 Jahren. Sie sind bisher nicht so schlimm wie 2009, aber es wird eine massive Wachstumsverlangsamung geben. Anders als 2009 ist kein Potential für einen weltweit spürbaren Stimulus aus China und den USA zu erwarten.

In Europa sind die Wachstumsaussichten ungleich: In den Peripherieländern außer in Griechenland sind sie erstmals deutlich verbessert. Eine in Deutschland populäre Sage schreibt diese Erfolge den Arbeitsmarkt- und anderen Reformen zu. Das ist blanker Unsinn.

Die wirklichen Gründe sind der Fall der Erdölpreise, rekordtiefe Zinsen und teilweise Fiskalstimulus. Die Peripherieländer haben eine hohe Energieabhängigkeit, sie importieren viel Energie. Deshalb profitieren sie überdurchschnittlich vom Fall der Erdölpreise. Die tiefen Zinsen helfen den Peripherieländern zusätzlich. Die Bankkreditsätze etwa für Hypotheken und langfristige Unternehmenskredite sind nicht fix sind wie in der Kern-Eurozone. Sie sind variabel und werden mit einem Spread zu Euribor gepreist. Beides hilft dem Konsum, entlastet zusätzlich auch die stark verschuldeten Unternehmen. Schließlich sind teils ganz erhebliche Fiskalstimuli am Werk. Die spanische Regierung etwa subventioniert die Autoverkäufe mit hohen Verschrottungsprämien. Die so gestützten Autoverkäufe tragen die Konjunktur ganz maßgeblich. Das letzte Motiv ist eindeutig Wahlpolitik. Spätestens gegen Jahresende sind nationale Wahlen. Ohne Wirtschaftserfolge würde die konservative Regierung aufgrund der miserablen Arbeitsmarktlage und der Skandale abgewählt.

In einigen Ländern Nord- und Ostmitteleuropas dagegen haben sich die Konjunkturperspektiven eingetrübt. In Norwegen wegen des Falls der Erdölpreise, indirekt auch in Finnland, das zudem von den Sanktionen gegen Russland gebremst wird. Die Unsicherheit über die Absichten Russland hemmen auch in den baltischen Ländern die Konjunktur.

Umgekehrt fühlt sich die Stimmung in Deutschland sehr gut und durchaus selbstzufrieden an. Doch das Land ist aufgrund seiner hohen Exportquote, der Struktur seines Außenhandels und der Internationalisierung seiner Großkonzerne sehr abhängig davon, was in diesen Zonen passieren wird – außerhalb Europas und in der Eurozone. Zwei Faktoren können als hauptsächliche Risiken identifiziert werden: Die Aussichten Chinas und der Erdölpreis. Wenn China eine harte Landung verzeichnen sollte, wird dies Deutschland mehr und direkter als andere treffen. Nicht nur der Exporte wegen, sondern auch aufgrund der Resultatbeiträge der chinesischen Tochterunternehmen der Großkonzerne.

Indirekt werden auch andere Wachstumsregionen der Weltwirtschaft ihre Investitionen zurückfahren. Deutsche Maschinen- und Anlagebauer würden dies zu spüren bekommen, ebenso die Autokonzerne. Das zweite Risiko ist der Erdölpreis. Erfahrungsgemäß reagieren die Produzentenländer mit einer zeitlichen Verzögerung hart auf solche Preisfälle. Sie schränken die Käufe eben dieser Güter massiv ein.

Angesichts der mittel- und längerfristig sehr unsicheren und risikobehafteten Wachstumsperspektiven außerhalb Europas wäre es sehr wichtig, Europa wieder als Wachstumszone zu etablieren. Davon kann aber leider keine Rede sein.

Was in ganz Europa bremst, ist die enorme Schwäche der Bauinvestitionen. Überall ist die Bautätigkeit trotz tiefer Zinsen sehr gering. Und zwar der Wohnungsbau und die gewerblich-kommerzielle Bauinvestitionen wie auch die staatlichen Infrastrukturbauten. Dieses Muster ist ein Bruch mit der Vergangenheit. Die sehr tiefen Zinsen lösten immer einen Schub des Wohnungsbaues aus, und belebten auch die Bauinvestitionen des Unternehmenssektors. Diesmal kann keine Rede davon sein. Vier Gründe sind dafür verantwortlich:

Leerstände durch Überinvestitionen bis 2008 und die schwache Konjunktur seither lassen zuerst das hohe Inventar an ungenutzten Wohnungen, Häusern und Büro- und Industrieflächen verschwinden, bevor neu gebaut werden wird. Selbst wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage länger anzieht.

• Die viel zu schwache Eigenmitteldecke der Banken, prozyklische Risikomodelle wie auch regulatorische Vorgaben über die Eigenmittel führen gerade in diesem Bereich zu Kreditrationierung.

• Ein ausgeprägter Demographie-Bruch. Angesichts unsicherer Arbeitsmarkt-Perspektiven gibt es weniger Familiengründungen. Nicht nur in Deutschland, sondern vor allem in den Peripherieländern. Das sind die langfristigen Kosten der sogenannten Arbeitsmarkt-Reformen. Rund die Hälfte bis zwei Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung leben in grossen Teilen Europas in prekären Arbeitsmarkt-Konstellationen. Bis zu einem Viertel sind illegale Einwanderer zumeist ohne Sozialversicherungen, ein Drittel Zeitarbeiter ohne Jobsicherheit. Völlig perspektivlos stellt sich Arbeitsmarktlage und Zukunft für die Jugend dar. Selbst in Deutschland, wo die Konjunktur so gut sein soll, bietet der Arbeitsmarkt im historischen Vergleich ein eher durchzogenes Bild. Das Arbeitsvolumen, die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden, hat seit 2000 kaum zugenommen und lässt keine Dynamik erkennen.

• Europaweit sind auch die staatlichen Investitionen auf einem Tiefpunkt. Die angespannte Haushaltlage und Verschuldung lassen angesichts der Austeritäts-Vorgaben aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt wenig Spielräume.

Die Baubewilligungen sind ein guter vorlaufender Indikator für die Bauinvestitionen, vor allem weil sie in vielen Ländern auch Ausbauten und Umbauten umfassen. Die Perspektiven sind auf Jahre hinaus düster (siehe Graphik). Im Übrigen zeigen die vorhandenen Monats- und Quartalsdaten kaum eine Verbesserung in der ersten Jahreshälfte 2015 an. Aufgrund der zeitlichen Verzögerung zwischen Baubewilligungen und Fertigstellungen muss bis 2017 mit anhaltend geringer Bauinvestitionstätigkeit gerechnet werden.

Dies ist der Hintergrund für die wahre Debatte über die zukünftige Architektur der Eurozone. Die deutsche Bundesregierung hat mit ihrem seltsamen Auftritt am Brüsseler Gipfel vor einer Woche ein Signal gesetzt. Sie will an Griechenland ein Exempel statuieren. Sie stärkt ihr Ansehen bei den Medien im Inland, die nach Katharsis und Härte geifern. Das Resultat ist nicht nur für das Land und für Europa hanebüchener Unsinn. In der Situation einer dramatischen Liquiditäts- und Bankenkrise werden Griechenland eine drastische diskretionäre Fiskalkontraktion sowie die vollständige Ausschaltung aller automatischen Stabilisatoren der Finanzpolitik verschrieben. Ein neues Rettungspaket wird zusätzlich dafür gesprochen, dass die alten Schulden bedient werden können.

Eine Mischung zwischen makroökonomischem Kahlschlag und finanziellem Kartenhaus und Ponzischema, wie sie in der Geschichte noch selten vorgekommen ist. Der Gipfel wird aufgrund seines abstrusen Resultats und des Verhaltens seiner Akteure als Wendepunkt in der Eurokrise eingehen. Die Regierungen in Frankreich, Italien und in anderen Peripherieländern haben jetzt gemerkt, was die strategische Orientierung und Zielsetzung der aktuellen Bundesregierung Deutschlands ist.

Griechenland ist ein Warnsignal an sie selber. Die Debatte über das dritte Paket für Griechenland könnte deshalb eine ganz andere Richtung nehmen. Was in Europa auf den Tisch kommen wird, eine längst fällige Debatte über die gesamte Krisenpolitik in einem sehr gefährlich gewordenen globalen Umfeld: Die falschen Wirtschaftszahlen als Grundlage der Entscheidungsfindung, die Politik der Lohnsenkungen, die harsche, viel zu kurzfristig orientierte Budgetausterität mit dem Schwergewicht ausgerechnet auf Steuererhöhungen, die Passivität gegenüber dem blockierten und unterkapitalisierten Bankensektor, eine verheerend prozyklische Bankenregulierung, die Absenz sinnvoller staatlicher Infrastrukturprogramme.

Und anders als in den vergangenen fünf Jahren könnte Deutschland sehr rasch eine verbesserte Konjunktur in der Eurozone benötigen, weil die bisherigen externen Wachstumstreiber wegfallen bzw. sogar einbrechen. Die überdimensionierte Exportwirtschaft wäre dann auf Gedeih und Verderben auf starkes Wachstum in der Eurozone angewiesen. Sie würde nicht mehr durch Austerität und Kreditrationierung in den Peripherieländern Wettbewerbsvorteile gewinnen.

Die deutschen Industrieverbände sind noch in der Vergangenheit verhaftet und folgen naiv ihrer Regierung. Sie könnten ihre Position rasch und drastisch ändern müssen. Die Debatte in der zweiten Jahreshälfte und darüber hinaus in 2016 könnte eine ganz andere Richtung nehmen, als die taktisch gewiefte, aber strategieschwache Kanzlerin und ihr Finanzminister sich das vor dem vergangenen Wochenende ausgedacht haben.


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