Politik

Italien revoltiert gegen Merkel: „Schluss mit Europa unter deutscher Führung“

Lesezeit: 3 min
18.12.2015 16:23
Auf dem EU-Gipfel ist er zu offenen Auseinandersetzungen zwischen den Staaten und Deutschland gekommen. Die Revolte wird von den Italienern angeführt, die sich schon in der Flüchtlings-Krise im Stich gelassen fühlen. Erstmals scheint Angela Merkel die Kontrolle über die Kollegen verloren zu haben.
Italien revoltiert gegen Merkel: „Schluss mit Europa unter deutscher Führung“
Das neue Buch von Michael Maier. (Foto: FBV)

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Die Deutsche Presseagentur ist stets ein wohlwollender Begleiter der Ereignisse in der EU. Umso bemerkenswerter liest sich der Korrespondenten-Bericht von Thomas Lanig, den die dpa unter dem Titel „Wenn Merkels Macht in Europa bröckelt: Widerstand gegen Deutschland“ vor wenigen Minuten über den Äther geschickt hat:

***

Turbulent und kontrovers: Das muss kein schlechtes Zeichen für einen EU-Gipfel sein. Aber diesmal ging es überhaupt nicht voran. Die Kanzlerin kämpft gegen massiven Widerstand - und der italienische Premier Renzi macht sich zum Wortführer der Merkel-Gegenspieler.

Brüssel (dpa) - Es gab Zeiten, da war eine deutsche Führungsrolle in Europa erwünscht, geradezu gefordert angesichts des drohenden Zerfalls der gemeinsamen Währung und der Krise um Griechenland. Der damalige polnische Außenminister Radoslaw Sikorski sagte 2011: „Ich habe weniger Angst vor deutscher Macht, als ich anfange, mich vor deutscher Inaktivität zu fürchten.“ So dachten viele, aber anscheinend ändert sich das gerade.

Auf dem EU-Gipfel zum Jahresende musste Kanzlerin Angela Merkel in Brüssel mit heftigem Gegenwind kämpfen, und es sah so aus, als hätten viele Partnerländer fast Vergnügen daran, Deutschland in seine Schranken zu weisen. Das gilt vor allem in der Flüchtlingskrise.

Gerade die Länder, die Deutschland in der Euro-Krise als Zuchtmeister wahrgenommen haben, stellen sich jetzt taub angesichts der deutschen Forderungen nach mehr Solidarität. Wachsende Kritik gibt es auch an der deutschen Weigerung, eine gemeinsame Einlagensicherung für die europäischen Banken zu schaffen.

Zusätzliche Schärfe in die Debatte in Brüssel brachten die Pläne für den Ausbau der Gaspipeline Nord Stream von Russland nach Deutschland (Video am Anfang des Artikels). Vor allem die Süd- und Südosteuropäer sind sauer, denn sie wollten von einer South-Stream-Gasleitung profitieren. Daraus wurde aber nichts wegen Einwänden aus Brüssel. Jetzt soll Deutschland seine Wirtschaftsbeziehungen mit Wladimir Putins Russland wieder pflegen dürfen? Das sei vor allem eine privatwirtschaftliche Angelegenheit, heißt es aus Berlin. Am Ende gelang es immerhin, aus der Gipfel-Erklärung eine Passage zu tilgen, die der Pipeline hätte gefährlich werden können.

Besonders der italienische Regierungschef Matteo Renzi tat sich in Opposition zu Merkel hervor. Italienische Medien berichten, er habe ihr Doppelmoral wegen der Pläne für Nord Stream 2 vorgeworfen. Der Italiener ist angeblich sauer vor allem über deutsche Kritik, dass die Einrichtung der „Hotspots“ zur Registrierung von Flüchtlingen in Italien nicht vorankomme.

Es müsse Schluss sein mit einem „Europa nur unter deutscher Führung“, sagte Renzi nach italienischen Berichten - nicht ohne zu erwähnen, dass eine deutsche Firma sich nach der Krise Flughäfen auf den griechischen Inseln einverleibt habe.

Einen echten Konflikt wollte Merkel nicht daraus machen. „Dass es auch unterschiedliche Positionen gibt, halte ich für ganz normal“, sagte sie. Und auch Renzi gab sich versöhnlich. „Das war alles andere als ein Angriff, ich habe der Kanzlerin lediglich ein paar Fragen gestellt.“

Wie kompliziert die Lage für Merkel inzwischen geworden ist, mag man auch daran erkennen, dass sie als gelernte Physikerin mathematische und naturwissenschaftliche Beispiele bemühen muss, um sich zu erklären. Mit der legalen und der illegalen Migration verhalte es sich wie mit „kommunizierenden Röhren“, sagt sie. Je mehr Flüchtlinge legal nach Europa kämen, desto weniger illegale gebe es, und umgekehrt. Und die faire Verteilung in Europa, die faktisch nicht vorankommt, könne sich wie eine „Exponentialkurve“ entwickeln, also: Erst geht es ganz langsam, und dann immer schneller.

Das alles klingt nach bemühtem Optimismus angesichts einer Krise der EU, die sich in diesem Jahr 2015 immer mehr vertieft hat. Dass das Klima extrem gereizt ist, zeigen auch andere Empfindlichkeiten. Der österreichische Kanzler Werner Faymann drohte den Osteuropäern mit finanziellen Konsequenzen, wenn sie sich der solidarischen Aufnahme von Flüchtlingen weiter verweigern. Parlamentspräsident Martin Schulz wird von polnischer Seite aufgefordert, sich für kritische Äußerungen über die neue Rechtsregierung zu entschuldigen.

Das alles macht deutlich, in welchem Zustand Europa ist“, sagt Schulz zusammenfassend. Sein Vorwurf: Europa hangelt sich von Krise zu Krise, ohne eine Gesamtstrategie zu haben. Griechenland, die Eurokrise, die Ukraine und dann die Flüchtlinge. Was kommt 2016?

***

In seinem neuen Buch erklärt DWN-Herausgeber Michael Maier, wie die Abhängigkeit der EU von den USA den inneren Zerfall Europas beschleunigt. Die Europäer müssen die Folgen der Kriege der Amerikaner tragen und wagen es nicht, sich zu widersetzen. Damit schaden sie ihren eigenen Völkern und den Millionen, die wegen dieser Kriege vertrieben werden. Maier fordert, dass die EU dekonstruiert wird und Deutschland seine passive und willenlose Politik zugunsten einer aktiven Friedensrolle aufgeben solle.

Michael Maier: „Das Ende der Behaglichkeit. Wie die modernen Kriege Deutschland und Europa verändern“. FinanzBuch Verlag München, 228 Seiten, 19,99€. Bestellen Sie das Buch hier direkt beim Verlag.

Oder kaufen Sie es im guten deutschen Buchhandel das Buch ist überall erhältlich. Wir unterstützen den Buchhandel ausdrücklich, er muss gefördert werden!

Oder bestellen Sie das Buch bei Amazon. Mit einem Kauf unterstützen Sie die Unabhängigkeit der Deutschen Wirtschafts Nachrichten.


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Finanzen
Finanzen Staatsverschuldung auf Rekordhoch: Steuerzahlerbund schlägt Alarm!
23.04.2024

Der Bund Deutscher Steuerzahler warnt: Ohne Kehrtwende droht der fiskalische Abgrund, trotzdem schöpft die Bundesregierung das...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Zahl der Apotheken in Deutschland sinkt weiter - Verband alamiert
23.04.2024

Laut neuen Zahlen gibt es immer weniger Apotheken-Standorte. Der Apothekerverband spricht von „alarmierenden Zeichen“ und erklärt,...

DWN
Finanzen
Finanzen Silber im Aufschwung: Das Gold des kleinen Mannes holt auf
23.04.2024

Silber hinkt traditionell dem großen Bruder Gold etwas hinterher. In den letzten Wochen hat der Silberpreis massiv zugelegt. Was sind die...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Handel warnt vor „Geisterstädten“ - tausende Geschäftsschließungen
23.04.2024

Seit Jahren sinkt die Zahl der Geschäfte in Deutschlands Innenstädten - auch weitere Filialen von Galeria Karstadt Kaufhof müssen bald...

DWN
Technologie
Technologie Ocean Cleanup fischt 10.000 Tonnen Plastikmüll aus Ozeanen und Flüssen
23.04.2024

Ein Projekt fischt Tausende Tonnen Plastik aus dem Meer und aus Flüssen. Eine winzige Menge, weltweit betrachtet. Doch es gibt global...

DWN
Technologie
Technologie Astronaut Alexander Gerst rechnet mit permanenter Station auf dem Mond
23.04.2024

Eine feste Basis auf dem Mond - das klingt für viele noch nach Science Fiction, soll aber schon bald Realität werden. Für Astronaut...

DWN
Politik
Politik Zeitungsverlage mahnen von Politik zugesagte Hilfe an
22.04.2024

Der Medienwandel kostet Zeitungshäuser viel Kraft und Geld. Von der Politik fühlen sie sich dabei im Stich gelassen. Sie erinnern die...

DWN
Immobilien
Immobilien Gewerbeimmobilienmarkt in Deutschland: Stabilere Aussichten nach Phase der Volatilität
22.04.2024

Die Nachfrage im deutschen Gewerbeimmobiliensektor war im Jahr 2023 verhalten - insbesondere nach Büros. Das Segment ist stärker als...