Politik

CDU im Panik-Modus: Merkel droht die kalte Entmachtung

Lesezeit: 5 min
22.02.2016 02:33
In der Union stehen die Zeichen auf Sturm: Weil Angela Merkel immer noch von Lösungen redet, an die keiner mehr glaubt, verschärfen die Partei-Granden die Gangart. In der CDU fürchtet man eine dramatische Wahl-Schlappe und verlangt Maßnahmen, die Merkel bisher abgelehnt hat. Der Kanzlerin droht die kalte Entmachtung, weil sie sich der politischen Realität in Deutschland und in Europa verweigert.
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Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel gerät erstmals massiv in der eigenen Partei unter Druck. Hatte sich die Partei beim Parteitag im November noch geschlossen hinter Merkel gestellt, ist die Stimmung nach den Kölner Massen-Belästigungen gekippt. Altgediente CDU-Mitglieder können sich nicht an einen derart rapiden Entfremdungsprozess erinnern. Viele kritisieren, dass Merkel die Tragweite der Verunsicherung in der Bevölkerung nach den Vorfällen in der Silvesternacht sträflich unterschätzt habe. Mit Namen will sich keiner zitieren lassen – aus Sorge vor Repressalien. Auch diesen Zustand der Angst, der das „interne Duckmäusertum“ gefördert habe, lasten viele der Vorsitzenden und ihren engsten Mitarbeitern an. Der Generalsekretär der CDU, Peter Tauber, ist nach Ansicht vieler nicht in der Lage, die unterschiedlichen Strömungen zusammenzuhalten. Tauber lehnte die Anfrage der Deutschen Wirtschafts Nachrichten für ein Interview „aus Zeitgründen“ ab.

Doch die Abschottung Merkels von der Partei-Realität könnte ihr zum Verhängnis werden. Der Hauptgrund sind die verheerenden Umfrage-Werte für die bevorstehenden Landtagswahlen. Merkel habe mit ihrer Politik die AfD erst groß gemacht, ist zu hören. Man brauche in Deutschland keine radikale Partei am rechten Rand. Es würde genügen, wenn die CDU die Sorgen der Wähler nicht bloß verbal anerkennen würde, sondern eine Politik machen würde, die den Anliegen Rechnung trägt. So aber ist die AfD mittlerweile überall in gespenstischer Weise auf dem Vormarsch und rangiert sogar bundesweit bei zweistelligen Umfragewerten – ein Horror-Szenario für viele altgediente CDU-Parteileute.

Angesichts der drohenden Wahlniederlagen braut sich etwas zusammen, das Merkel zwar nicht zum Sturz bringen muss, sie aber auch innerparteilich schwer beschädigen könnte.

Angela Merkel redet immer noch von Lösungen, die längst von allen abgelehnt worden sind. Die EU und die deutschen Behörden arbeiten nun mit Hochdruck an der Schließung der EU-Außengrenze. Angesichts einer saftigen Niederlage bei den kommenden Landtagswahlen nehmen die Spitzen der Union Angela Merkel sanft, aber bestimmt das Heft aus der Hand. Sie wollen nun, fast schon in Panik, das Schlimmste verhindern.

Merkel hat den Widerstand auch selbst provoziert: Sie hat jene, die sicher nicht im Verdacht stehen, mit dem rechten Rand zu kokettieren, kaltgestellt – etwa Bundesinnenminister Thomas de Maizière, einen treuen Gefolgsmann und einen im klassischen Sinn konservativen Politiker. Nachdem de Maizière im Herbst mit der Aussage an die Öffentlichkeit gegangen war, folgte seine umgehende Entmachtung. De Maizière, der als Innenminister Informationen aus erster Hand hat, hatte im Oktober 2015 im ZDF wörtlich gesagt:

„Jetzt gibt es schon viele Flüchtlinge, die glauben, sie können sich selbst irgendwohin zuweisen. Sie gehen aus Einrichtungen raus, sie bestellen sich ein Taxi, haben erstaunlicherweise das Geld, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren. Sie streiken, weil ihnen die Unterkunft nicht gefällt, sie machen Ärger, weil ihnen das Essen nicht gefällt, sie prügeln in Asylbewerbereinrichtungen.“

Eine Woche später übertrug Merkel ihrem Kanzleramtsminister Peter Altmaier die „Gesamtkoordination“ der Flüchtlingspolitik. Altmaier ist seitdem für die politische Komponente zuständig. Doch de Maizière muss die faktischen Probleme lösen.

Daher ist es von erheblicher Bedeutung, dass der Innenminister nun der Kanzlerin indirekt ein Ultimatum setzt. Die dpa schreibt: „Für die von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) favorisierten europäischen Maßnahmen zur Eindämmung der Flüchtlingskrise bleiben nach den Worten von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) noch zwei Wochen Zeit.“ Das ist eine klare Ansage, auch wenn sich die Partei beeilte, das Ultimatum in Richtung EU umzudeuten. De Maizière sagte in der ARD jedoch: „In den nächsten zwei Wochen wird sich erweisen, wie wirksam das ist. Wenn nicht, dann ist über andere Maßnahmen zu befinden, auch europäische Maßnahmen, wenn es irgend geht. Gegebenenfalls muss dann der Schutz für den Schengenraum an einer anderen Grenze durchgeführt werden.»

Ein solches Vorgehen hat Merkel noch auf dem EU-Gipfel abgelehnt. Allerdings hat die EU längst begonnen, sich genau auf diesen Fall vorzubereiten: Gemeinsam mit Serbien und Mazedonien wird die Grenzschließung per März vorbreitet. Am Wochenende haben die beiden Staaten ihre Grenzen zunächst für Flüchtlinge aus Afghanistan geschlossen.

Doch die Welle der Ablehnung, die Merkels Idee von den offenen Grenzen in den anderen EU-Staaten erfährt, ist nicht das wirkliche Problem für die Kanzlerin. Tatsächlich ist die EU in der Flüchtlingspolitik längst zerfallen – und läuft Gefahr, genau wegen der ungeordneten Einwanderung Großbritannien zu verlieren. Das Unbehagen der Briten rührt nicht in erster Linie von der Regulierungswut der EU her – im Gegenteil: Der Zustand der Rechtlosigkeit im Hinblick auf die unkontrollierte Einwanderung und die daraus resultierenden Sicherheitsrisiken haben den britischen Arbeitsminister dazu gebracht, gegen den Verbleib seines Landes in der EU einzutreten. Es dürfte den EU-Gegnern und Euro-Skeptikern im Vereinigten Königreich nicht besonders schwerfallen, mit einer entsprechenden Angst-Kampagne Stimmung gegen die EU zu machen. Die UKIP hatte dazu bereits bei den vergangenen Parlamentswahlen einen Probelauf gestartet. Nur das Mehrheitswahlrecht verhinderte damals, dass die radikalen EU-Gegner auch tatsächlich in die Nähe der Macht kamen.

Auch Merkels „Koalition der Willigen“ ist tatsächlich keine Gruppe von Ländern, die Merkel folgen wollen. Es sind eher die Staaten, die verhindern wollen, dass die EU zerfällt und der Koalition in der Hoffnung beigetreten waren, Merkel doch noch umstimmen zu können. Doch für die eigenen Staaten wollen die betreffenden Regierungen eine ganz andere Politik. Frankreich hatte in dieser Hinsicht den deutlichsten Warnschuss abgegeben – doch das Merkel-Team hat die Warnung ignoriert. Zuletzt hat sich auch Österreich entschlossen, seine Grenzen dichtzumachen. Der Schritt war mit großer Verärgerung über Deutschland verbunden gewesen, weil Deutschland seit 1. Januar damit begonnen hatte, Wirtschaftsflüchtlinge wieder nach Österreich zurückzuschicken. Die österreichische Regierung steht jedoch unter extremem Druck, weil die FPÖ die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP in Umfragen mittlerweile klar hinter sich lässt. Die beiden Parteien wollen verhindern, dass die anstehende Bundespräsidentenwahl für sie zum Offenbarungseid wird.

Nach der CSU, die in dieser Frage seit Monaten auf Kollisionskurs mit der Schwesterpartei ist, haben sich nun auch die wahlkämpfenden CDU-Spitzenkandidaten gegen Merkel gestellt: Nach dem in der Flüchtlingsfrage ergebnislosen EU-Gipfel fordern die Spitzenkandidaten in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, Julia Klöckner und Guido Wolf, einen radikalen Kurswechsel auch in Deutschland: Sie verlangten auch den Aufbau von Grenzzentren zur Verteilung von Flüchtlingen, was die SPD bereits verworfen hat. Eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen bedeute sowohl «Herz und Härte, schwierige Entscheidungen und auch Leid. Zu zögern, nicht zu handeln, wird letztlich jedoch noch mehr Schaden und Schmerz verursachen», erklärten Klöckner und Wolf. Dieser Koalition der Unwilligen hat sich auch Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff angeschlossen, in dessen Land am 13. März ebenfalls gewählt wird. Auch Haseloff glaubt nicht an eine europäische Lösung: „Die Bundeskanzlerin kämpft zwar mit großem Einsatz für eine europäische Lösung, die liegt aber außer Sichtweite“, sagte er der Bild am Sonntag.

Die CSU, die bei diesem Thema nicht taktiert, sondern den Druck in Bayern spürt, ist ebenfalls nicht bereit, sich weiter vertrösten zu lassen: CSU-Chef Horst Seehofer wiederholte seinen Ruf nach einer jährlichen Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen im Jahr: „Das ist eine Größenordnung, die von der Bevölkerung akzeptiert wird und auch verkraftbar ist“, sagte er der Eßlinger Zeitung. Bliebe es bei den offenen Grenzen, so werden im Jahr 2016 jedoch 750.000 neue Einwanderer und Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Bereits heute liegen beim BAMF etwa 700.000 unbearbeitete Asyl-Anträge – was sicher nicht mit der falschen Gesinnung oder der Faulheit der zu Unrecht gescholtenen Beamten zu tun hat.

Auch glaubt die CSU nicht an das Wunder in letzter Sekunde: Merkel spricht von einem Deal mit der Türkei, der das Problem am 6. März schlagartig lösen soll – eine Woche vor den Wahlen. Schon bisher hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan jedoch klargemacht, dass er die EU nicht brauche, sondern sie ihn. Außerdem ist Erdogan mit dem Krieg in Syrien und dem Bürgerkrieg gegen die Kurden im eigenen Land völlig absorbiert. Selbst wenn er wollte, kann er keine belastbaren Zusagen geben – dazu ist die Lage in der Türkei mittlerweile zu chaotisch.

Das sieht wohl auch der bayrische Innenminister Joachim Herrmann so: Er besteht auf der Obergrenze unabhängig von dem Ergebnis beim Türkei-Gipfel und sagte im ZDF:„Allein diese internationalen Maßnahmen werden voraussichtlich nicht reichen. Und deshalb müssen wir in Deutschland jetzt handeln.“

Merkels Kanzleramtsminister Peter Altmaier will von diesem Kurswechsel jedoch nichts wissen. Lösungen mit der Türkei und Griechenland zur Sicherung der EU-Außengrenzen seien absehbar: „Deshalb sollten wir nicht kurz vor dem Ziel die Flinte ins Korn werfen“, sagte Altmaier der Welt am Sonntag.

Tatsächlich ist nichts dergleichen absehbar. Das wissen alle anderen außer Merkel – und daher könnte der massive Widerstand einer kalten Entmachtung von Merkel enden. Dies muss nicht bedeuten, dass sie den Job als Kanzlerin verliert. Merkel hat schon viele Stürme überstanden und könnte, wie schon beim EU-Gipfel, ihr Scheitern als „gutes Ergebnis“ umdeuten. Doch faktisch hat sie sich in einer zentralen europäischen Frage derart isoliert, dass man weder in der EU noch auf lange Sicht in der EU eine Führungspersönlichkeit sehen wird, die Probleme lösen kann. Das war jedoch bisher die zentrale Eigenschaft, die man von einem deutschen Kanzler oder einer Kanzlerin ohne Einschränkungen in Europa, in Deutschland und in der CDU ohne Abstriche erwartet.

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