Politik

EU-Botschafter: Spaltung der EU war niemals das Ziel Russlands

Lesezeit: 6 min
26.02.2016 01:24
Der russische Botschafter bei der EU wünscht sich eine geschlossene und starke EU, die auch in der Welt eine größere Rolle spielen sollte. Er sieht Anzeichen einer Normalisierung des Verhältnisses der EU mit Russland.
EU-Botschafter: Spaltung der EU war niemals das Ziel Russlands
Der russische Botschafter bei der EU, Wladimir Chizhov. (Foto: EU-Kommission)

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Der russische Botschafter bei der EU hat in einem interessanten Interview mit EurActiv die Sicht seines Landes zu den Entwicklungen in der EU dargestellt. Wladimir Chizhov ist Berufsdiplomat. Bevor er 2005 zum Botschafter Russlands bei der EU wurde, arbeitete er als stellvertretender Außenminister Russlands.

EurActiv: Lassen Sie uns mit Brexit beginnen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass Russland für einen Brexit ist, weil das die EU schwächen würde. Ist diese Annahme korrekt?

Wladimir Chizhov: Nein. Ich frage mich, warum die Leute glauben, Russland wolle die EU destabilisieren oder entzweien. Das war niemals Ziel der russischen Außenpolitik. Eigentlich haben wir immer gesagt – und ich habe das mehr als einmal wiederholt – dass wir die EU gern als wichtigen Einflussbereich und als Großmacht in unserer multipolaren Welt sehen wollen. Wir wollen, dass sie in den verschiedenen Problemstellungen kohärent Stellung bezieht und natürlich unabhängig agiert. Das ist heute nicht immer der Fall.

Sie glauben also, dass die EU im Auftrag der USA handelt?

Die Definitionen überlasse ich ihnen. In vielen Fällen haben wir das jedoch beobachten können. US-Vizepräsident [Joe] Biden zum Beispiel hat es sogar zugegeben, als er beschrieben hat, wie die USA den Europäern den Arm verdrehen musste, um sie von der Sanktionenkampagne zu überzeugen.

Ich glaube, wenn die EU geschlossen in der Welt auftritt, kann und sollte sie eine wichtige Rolle spielen – vielleicht sogar häufiger, als das bisher der Fall war. Ich verstehe, dass es schwierig sein kann, die manchmal sehr unterschiedlichen Ansichten von 28 Mitgliedsstaaten zusammenzubringen. Nichts zeigt das besser, als die derzeitige Flüchtlingskrise.

Ich möchte aber auf Ihre Frage zurückkommen. Mit Brexit hat Russland nichts zu tun. Wir stecken auch nicht hinter dem niederländischen Referendum am 6. April.

Trotzdem hält sich das Gerücht, dass Russland genau das heimlich tut.

Es gibt Menschen, die glauben, dass alle Geschehnisse weltweit auf den Kreml zurückzuführen sind, insbesondere auf den Präsidenten Wladimir Putin. Das ist natürlich sehr schmeichelhaft, aber meistens einfach nicht wahr. Wir haben die komplexe Kompromisslösung [mit Großbritannien] gebührend zur Kenntnis genommen. Natürlich ist mir klar, dass wir hiermit noch nicht am Ziel sind, vor allem auf britischer Seite nicht. Denn Cameron muss die Wähler überzeugen, auf allen Seiten des politischen Spektrums – selbst in seiner eigenen Partei. Wir werden sehen, wohin das führt.

Sie haben vorhin das niederländische Referendum erwähnt. Wird Russland das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine für ungültig halten, wenn die Niederländer dagegen stimmen?

Wenn es eine hohe Wahlbeteiligung gibt – ich glaube, sie haben eine 30-Prozent-Schwelle – und wenn die Mehrheit der Wähler dagegen stimmt, wird dies zunächst einmal eine Kette von Ereignissen auslösen. Die Details sind noch abzuwarten. Ich kenne mich nicht mit all den rechtlichen Feinheiten der niederländischen Gesetzgebung zu diesem Thema aus. Für Russland aber wird das Ganze meiner Meinung nach keine sofortigen, schwerwiegenden Folgen haben. Das Assziierungsabkommen ist ja am 1. Januar bereits offiziell in Kraft getreten. Einfach gesagt: Der Schaden ist eh schon angerichtet.

Ob es also noch einen langwierigen Prozess der Neuverhandlungen geben wird, hängt davon ab, wie sich die niederländische Demokratie selbst aus dieser misslichen Lage herausmanövrieren kann.

Sie haben auch die Flüchtlingskrise angesprochen. Diese spaltet tatsächlich die Gemüter der EU-Mitgliedsstaaten. Auch hier trifften die Meinungen auseinander, ob der russische Militäreinsatz in Syrien den Flüchtlingsstrom nach Europa verstärkt hat. WIe würden Sie das Ganze kommentieren?

Viele haben die Rolle Russlands in Syrien falsch interpretiert und unfair beschrieben. Russland hat am 30. September 2015 mit seinen Lufteinsätzen in Syrien begonnen. Bis dahin tobte der Konflikt in Syrien schon seit mehr als vier Jahren. Wenn also irgendwelche Fernsehsender Bilder vom verwüsteten Aleppo zeigen, sind das meistens Gebäude, die schon vor Jahren zerstört wurden.

Nun zu den Flüchtlingen. Schon vor dem russischen Lufteinsatz sind mehr als elf Millionen Menschen aus Syrien geflohen. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Faktor Russland in dieser Situation, also die Kombination unseres Lufteinsatzes und der russischen Diplomatie, die Weg für eine politische Einigung geebnet hat. Ich stimme dem zu, was die meisten Menschen sagen: Wenn es eine Lösung für die Syrienkrise gibt, wird es eine politische sein müssen. Auf der anderen Seite wäre es unmöglich, ohne das Militär gemeinsam gegen den IS oder ähnliche Gruppierungen vorzugehen. Ich sehe es also als ein zweiseitiges Engagement.

Lassen Sie uns bei der Flüchtlingskrise bleiben. Wie sehen Sie die Rolle der Türkei? Die EU setzt all ihre Hoffnungen darauf, dass sie die Flüchtlingsströme eindämmt. Gleichzeitig vermutet man aber auch, die Türkei würde die Flüchtlinge ermutigen, nach Europa weiterzuziehen…

Ich glaube, Präsident [Recep Tayyip] Erdoğan und die türkische Regierung spielen ein gefährliches Spiel, wenn sie versuchen, die Türkei als Schlüssel zur Lösung sämtlicher Probleme der größeren Region zu machen. Hier zeigen sich ziemlich offensichtlich imperialistische, wenn nicht sogar neo-osmanische Ambitionen. Aber sehen Sie sich mal die türkisch-syrische Grenze an: Es ist eine lange Grenze, etwa 900 Kilometer. 80 Prozent der westlichen und östlichen Sektionen werden auf der syrischen Seite von den Kurden kontrolliert. Dazwischen gibt es eine Lücke. Die ist der Hauptübergangspunkt für jene, die dem IS oder anderen terroristischen Organisationen beitreten wollen und über die Türkei nach Syrien reisen. Sie kommen aus allerwelt – aus meinem und aus Ihrem Land. In die andere Richtung fließt der Strom illegalen Öls und anderer Rohstoffe – und natürlich auch der Flüchtlingsstrom.

Die Türkei hat diese Grenze nie geschlossen, wie es Washington und viele europäische Hauptstädte, insbesondere Brüssel, quasi von Ankara gefordert haben: Bitte, Herr Erdoğan, machen Sie die Grenze dicht. Heutzutage bittet die EU die Türkei leider nicht mehr die Grenze zu schließen, während Erdoğan genau das versucht. Der derzeitige Standpunkt der EU in dieser besonderen Frage ist also gegenteilig zu dem, was sie früher gesagt hat.

Aber die EU hat die Türkei doch aufgefordert, die Grenzen offen zu halten, um syrischen Flüchtlingen die Einreise in die Türkei zu ermöglichen.

Und dann?

Das entspricht dem Völkerrecht.

Das verstehe ich ja. Aber solange die Türkei der Meinung ist, Staatsfeind Nummer eins sei nicht der IS, nicht Jabhat al-Nusra, sondern die Kurden, wird das Land kein positiver Faktor in dieser allgemeinen Kombination sein.

Beim letzten Mal haben wir darüber diskutiert, dass niemand gegen den Islamischen Staat kämpft und alle nur gegeneinander arbeiten – auch Russland übrigens.

Erinnern Sie sich auch daran, dass ich damit nicht einverstanden war? Ich bin auch jetzt noch anderer Meinung. Das, was Russland und die USA in den letzten paar Tagen erreicht haben, ist eine gute, solide und vielversprechende Basis für eine Lösung. Hier wird nämlich klar gestellt, dass jede einzelne Gruppe im Syrienkonflikt entscheiden muss, auf wessen Seite sie steht. Wenn sie diese Initiative unterstützen, sollten sie das bis Freitagmittag, dem 26. Februar, tun. Sollten sie das nicht tun, bedeutet das, sie unterstützen den IS und Al-Nusra. Somit würden sie zur legitimen Zielscheibe weiterer Lufteinsätze seitens Russlands und der von den USA angeführten Koalition.

Diejenigen, die sich rechtzeitig für diesen Vorschlag aussprechen, bekommen die Möglichkeit, an weiteren Gesprächen in Genf teilzunehmen. Diese sollten dann sobald wie möglich wieder aufgenommen werden.

Trägt die Annäherung der USA und Syrien zu einer ähnlichen Annäherung in den Ukraine-Fragen bei? Ich habe gehört, dass manche osteuropäischen Länder befürchten, die USA könne Kiew im Stich lassen.

Die größte Gefahr ist meiner Meinung nach, dass sich Kiew selbst im Stich lässt.

Meinen Sie damit die komplizierte politische Situation?

Ich beziehe mich damit auf die aktuelle politische Krise, die zu der Wirtschaftskrise in der Ukraine noch hinzukommt. Wir werden sehen, wie sie weiter vorgehen. Ich sehe keine direkte Verbindung zwischen den beiden Konflikten in Syrien und der Ukraine, wie das manche im Westen tun. Wir hatten ja schon seit zwei Jahren Differenzen mit den USA und der EU, was die Ukraine anbelangt. In der Zeit haben wir es aber geschafft, in anderen Bereichen zusammenzuarbeiten – wie zum Beispiel beim iranischen Atomprogramm oder bei der Vernichtung chemischer Waffen in Syrien. Ich hoffe, dass eine allgemeine Verbesserung des politischen Klimas dabei hilft, die weiteren Differenzen hinter uns zu lassen. Was jedoch die Ukraine angeht, glaube ich, müssen die Ukrainer selbst noch viel tun.

Wer weiß, für welchen Weg sie sich entscheiden werden. Sie könnten frühzeitig Parlamentswahlen ansetzen oder aber eine andere Richtung einschlagen. Das entbindet Kiew jedoch nicht von den Verpflichtung des Minsker Abkommens. Ich hoffe, dass sowohl die USA als auch die EU – insbesondere Deutschland und Frankreich als Mitglieder des Normandie-Bundes – den notwendigen Druck auf Kiew ausüben werden, um der ewigen Aufschieberei ein Ende zu machen und endlich die notwendigen Schritte einzuleiten.

Es scheint, als wird da ordentlich Druck ausgeübt. Oft in dem Tenor: Wenn die Ukraine ihren Teil des Minsker Abkommens nicht einhält, werden die Sanktionen gegen Russland aufgehoben.

Das ist ein klares Signal. Ich verstehe aber nicht, warum man diese Verbindung zwischen den Sanktionen und dem Minsker Abkommen nicht schon von Anfang an hergestellt hat. Im Kern des Minsker Abkommens geht es darum, dass beide Konfliktparteien gewissen Schritten folgen, also die Ukraine und die selbsternannte Republik Donbass.

Auf die Russland großen Einfluss hat.

Ja, vergleichbar mit dem Einfluss des Westens auf Kiew. In beiden Fällen zwar nicht zu 100 Prozent, aber dennoch wesentlich.

Was steht sonst so auf der EU-Russland-Agenda?

Wir sind offen für Geschäfte, sobald sich die EU entscheidet, die Situation richtigzustellen, die sie selbst hervorgerufen hat, indem sie unsere Verhandlungs- und Dialogformate auf Eis gelegt hat. Wie werden die EU nicht anflehen, diese einseitigen Restriktionen aufzuheben. Sie hat das Problem selbst geschaffen. Daher liegt es an ihr, die notwendigen Entscheidungen zu treffen.

Sowohl die EU-Mitgliedsstaaten als auch Russland haben in meinen Augen unter dieser abnormalen Situation zu leiden. Wenn man die Menschen in der Geschäftswelt hier in Brüssel fragt, bekommen ich regelmäßig zu hören, dass sie mit der Situation sehr unzufrieden sind. Wir werden also sehen. Ich beobachte derzeit, wie sich eine kritische Masse für eine Normalisierung der Beziehungen herausbildet. Es wird der Moment kommen, in dem sie tatsächlich eine kritische Masse ist, um hier einen Begriff aus der Kernphysik zu verwenden.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Euractiv. EurActiv Deutschland ist das unabhängige Portal für europäische Nachrichten, Hintergründe und Politikpositionen.


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