Politik

„Das Wort links ist in Israel ein Schimpfwort geworden“

Lesezeit: 6 min
30.09.2016 02:07
Der israelische Historiker Moshe Zimmermann ist pessimistisch, was den Frieden im Nahen Osten betrifft. Er sieht einen starken nationalistischen Sog, in dem Leute, die für den Frieden sind, als Spinner diskreditiert werden.
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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie sehen Sie das Verhältnis von Deutschland und Israel heute?

Moshe Zimmermann: Das Verhältnis hat sich asymmetrisch entwickelt. Die Stimmung in Deutschland wird immer distanzierter zu Israel, während die Stimmung in Israel gegenüber Deutschland freundlich ist und von zunehmender Sympathie. Das zeigt sich schon daran, dass die Israelis am liebsten nach Berlin fahren. In der israelischen Öffentlichkeit gibt es wenig Animositäten gegenüber Deutschland. Angela Merkel ist sehr beliebt – außer bei ihren Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie erklären Sie sich die Distanz der Deutschen zu Israel?

Moshe Zimmermann: Die Deutschen verstehen Israel nicht, insbesondere die israelische Politik. Sie sehen eine Diskrepanz zwischen dem, was man sich gern von Juden vorstellen möchte, und der konkreten Politik des israelischen Staates, etwa im Hinblick auf die Siedlungspolitik und die Militär-Operationen Israels. Ich glaube, dass Deutsche und Israelis unterschiedliche Lehren aus der Shoa gezogen haben. Die deutsche Gesellschaft glaubt, man müsse liberal und human sein. Die israelische Gesellschaft denkt: Auch das nächste Mal werden es wieder die Juden sein, die verfolgt werden, also müssen wir uns wappnen. Daher toleriert die israelische Gesellschaft viele Formen der Gewalt, weil sie ausgeübt wird mit der Begründung, wir müssten uns schützen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was stört die Israelis an der Flüchtlingspolitik Merkels?

Moshe Zimmermann: Das ist eine Wechselwirkung: Die Israelis sehen mit Unbehagen, dass Deutschland an der Front bei der Hilfe für Flüchtlinge ist, und das gefällt vielen Israelis nicht, weil man bei uns nicht mehr weiß, was Mitgefühl ist. Umsomehr, wenn es um arabische, muslimische Flüchtlinge geht. Umgekehrt berufen sich viele in Deutschland vor allem auf dem rechten Flügel auf die israelische Politik. Sie sagen: Wir müssen uns Israel als Beispiel nehmen, wie man mit Muslimen und Arabern umgehen muss. Man nutzt Israel als Vorbild: Wir haben einen Zaun zwischen Israel und Ägypten gebaut, um die Flüchtlinge fernzuhalten.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Deutschland sagen viele, dass man nicht so viele Muslime und Araber aufnehmen könne, weil dann der Antisemitismus wieder steigen werde. Besteht diese Gefahr?

Moshe Zimmermann: Wir müssen in jedem Fall davon ausgehen, dass der Antisemitismus rosigen Zeiten entgegengeht. Er kommt immer, wenn in einer Gesellschaft der Rassismus auf dem Vormarsch ist. Der Rassismus ist nichts anderes als Stereotypen, die auf andere angewendet werden. Aktuell sind das für die autochtonen deutschen Rassisten die Muslime und die Araber. Aber in dieses Schema passt auch der Antisemitismus – und er wird zunehmen.

Aktuell dient vielen Rechten eine gute Beziehung zu Israel als Vorwand, um gegen Araber rassistisch sein zu können. Auch hier bestärken sich die Kräfte gegenseitig. FPÖ-Chef Strache ist ein gern gesehener Gast bei der Rechten in Israel. Er wird sehr geschätzt, weil er sagt, dass Israel sich verteidigen muss, und keine Fragen nach den Methoden stellt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Israel hat doch eine lange linke Tradition – Sie selbst waren immer sehr exponiert und sind wegen Ihrer Kritik an der Siedlungspolitik immer wieder verklagt worden. Warum spielen die Linken in Israel im öffentlichen Diskurs und in der Politik keine Rolle mehr?

Moshe Zimmermann: Als ich vor 20 Jahren die Siedlungspolitik kritisiert habe, wurde ich bekämpft, weil die Linke noch eine Gefahr für die Rechte war. Heute ist die Linke verschwunden. Das Wort „links“ ist ein Schimpfwort in Israel geworden. Keine Partei könnte es sich leisten, sich „Die Linke“ zu nennen wie in Deutschland. Auch die Arbeitspartei ist nach rechts gegangen. Sie versteht sich als eine Volkspartei, die der CDU viel ähnlicher ist als einer klassischen sozialdemokratischen Partei. Sie dürfen nicht vergessen, dass wir seit 1977 immer rechtsgerichtete Regierungen hatten, bis auf kurze Unterbrechungen unter Rabin, Peres und Barak. In all diesen Jahren war die israelische Politik nationalistisch und ethnozentrisch. Auch der Aufstieg und die Dominanz der Ultra-Orthodoxen spielt eine wichtige Rolle.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist es nicht trotzdem seltsam – auch in Israel ist die Spaltung in Arm und Reich größer geworden. Und dennoch gibt es keine linke Bewegung?

Moshe Zimmermann: Die Schere zwischen Arm und Reich in Israel klafft extrem auseinander. Die OECD-Zahlen zeigen, dass die Ungleichheit in Israel besonders groß ist. Wir hatten 2011 Demonstrationen, die das Thema aufgegriffen haben und versucht haben, etwas zu ändern. Die Demos haben die Regierung zwar erschreckt und sie hat versprochen, etwas zu unternehmen – doch geschehen ist wenig. Tatsächlich lassen sich eine nationalistische Politik und die Politik der sozialen Gerechtigkeit auch nicht vereinbaren. 40 Prozent der öffentlichen Gelder in Israel gehen in das Militär und in die Siedlungen. Das Geld, das man brauchen würde, um einen sozialen Ausgleich zu schaffen, dient für nationalistische Zielsetzungen. Die Siedlungen sind eine „heilige Kuh“. Niemand kann sie heute mehr kritisieren, ohne beschuldigt zu werden, gegen die nationalen Interessen Israels zu sein. Auch die Partei von Lapide, die vielleicht noch das ein oder andere soziale Ziel verfolgt, ist nationalistisch – und wird daher keine Veränderungen schaffen können.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Haben die Kritiker der Regierung Angst, sich zu äußeren?

Moshe Zimmermann: Manche Leute haben Angst, wie zum Beispiel die Künstler. Sie fürchten, von der Kulturministerin weniger Geld zu bekommen, wenn sie sich kritisch äußern. Hier gibt es Kalkül auf beiden Seiten. Aber die liberalen Intellektuellen haben keine Angst. Sie haben auch nichts zu befürchten – denn sie werden einfach nicht ernst genommen. Wer sich kritisch äußert, wird als Spinner bezeichnet, als Clown. Wir haben ein hebräisches Wort, das bedeutet „Schwärmerei“. Wenn jemand heute sagt, dass die Palästinenser ein Recht auf einen eigenen Staat haben, dann bekommt er zu hören: „Du bist ein Schwärmer!“ Und die Debatte ist beendet.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wird diese Entwicklung auch durch Methoden des Polizeistaats erreicht?

Moshe Zimmermann: Nein – weil die Regierung keinen Polizeistaat mehr braucht. Die öffentliche Meinung erzeugt die Gleichförmigkeit von selbst, und das ist für die Regierung natürlich viel praktischer. Der Staat muss nichts mehr unternehmen, um sicherzustellen, dass alle Leute so denken, wie er will. Mit dem Mittel des Diskreditierens erreicht die Regierung, dass abweichende Meinungen gar nicht mehr gesondert bekämpft werden müssen. Hinzu kommt, dass die kritische Linke gespalten ist und sich gegenseitig bekämpft – ohne zu sehen, dass einen „tertius gaudens“ gibt, nämlich die Rechte, die vom Streit unter den Linken profitiert.

Es gibt auch ganz viele, die sich sagen: Wir müssen unsere eigenen Positionen von früher revidieren. Viele meiner linken Freunde sagen: „Du weißt ja, ich bin links, aber in diesem oder jenem Punkt habe ich mich geirrt...“ Es ist die perfekte Anpassung.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Rolle spielen die Einwanderer aus Osteuropa und Russland?

Moshe Zimmermann: Zu Beginn der Einwanderung gab es noch Unterschiede. Viele Osteuropäer hatten anti-linke oder autoritäre Ansichten. In der zweiten und dritten Generation werden die politischen Ansichten jedoch immer homogener und folgen dem allgemeinen Strom, und der ist sowieso nationalistisch.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Und Ihre Studenten? Mucken die nicht auf?

Moshe Zimmermann: Die meisten Studenten sagen nicht: Eigentlich bin ich aufgeklärt, und daher denke ich anders. Für sie ist das vorherrschende Denken selbstverständlich. Sie sind durch ein langes Erziehungssystem gelaufen, daher denken sie heute, dass, was die Regierung tut oder was der vox populi behauptet, gut für sie ist.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Das klingt alles wie in den anderen Staaten im Westen…

Moshe Zimmermann: Israel ist ein Teil des Westens. Überall sind die linken Divisionen sehr klein geworden. Wir haben eine Dominanz der neoliberalen Politik, wie in Amerika, in Deutschland und in Europa. Der Anspruch auf soziale Gerechtigkeit hat wenig Aussicht auf Erfolg. Das ist weltweit so, und überall herrscht der Nationalismus als neues Opium für das Volk. Ich sehe nicht, wie man diesen Trend aufhalten kann. Die Ungleichheit zwischen der industrialisierten Welt und dem Rest wird nicht bekämpft, sondern als Bedrohung für den eigenen Wohlstand dargestellt. Man bringt die Leute auf seine Seite, indem man sagt: Wir müssen die Armen (also Fremde, Einwanderer, Flüchtlinge etc.) bekämpfen, weil sie uns unseren Wohlstand wegnehmen wollen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist mit Shimon Peres die letzte Symbolfigur gestorben, die noch für eine andere Politik gestanden hat?

Moshe Zimmermann: Mit ihm ist die letzte israelische Symbolfigur gestorben, eine Ära ist zu Ende. Er wurde aber auch als Feigenblatt verwendet. Denn die Rechten konnten ihn vorzeigen, um zu sagen: Seht her, ganz so schlecht wie ihr sagt ist Israel nicht, wir haben ja Peres.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wird es einen Politiker geben, der Peres‘ Rolle übernehmen kann – oder kommt Israel jetzt ohne Feigenblatt aus?

Moshe Zimmermann: Einen echten Kämpfer für den Frieden wie ihn gibt es nicht mehr. Die anderen Friedenskämpfer sind nicht einflussreich oder bekannt wie Peres. Wichtiger aber: Die meisten Leute haben verinnerlicht: Der Weg, der hinter uns liegt – also das Bemühen um Frieden – war falsch. Es gibt wenige in Israel, der die Politik des Landes in ihren wesentlichen Zügen ändern möchten beziehungsweise daran glauben, dass man sie ändern muss.

Moshe Zimmermann war viele Jahre Direktor des Koebner-Instituts für deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem. Er hat zahlreiche Bücher herausgegeben, die sich mit dem Verhältnis von Deutschland und Israel beschäftigen. Er ist ein engagierter Vertreter für eine nachhaltige Aussöhnung mit den Palästinensern und scharfer Kritiker einer gegen den Frieden im Nahen Osten gerichteten Politik. 

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