Finanzen

EZB kann nicht auf neue Rezession reagieren

Lesezeit: 3 min
20.05.2018 23:18
Die EZB verfügt über kaum noch Werkzeuge, um auf den drohenden Ausbruch einer neuen Rezession zu reagieren.
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Schwache Wirtschaftsdaten und eine geringe Inflation: Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte in eine schwierige Situation geraten, sollten sich die konjunkturellen Perspektiven stärker als erwartet verschlechtern. Sollte die Konjunktur-Delle ein Vorbote einer deutlicheren Rezession sein, fehlt der EZB wohl der Handlungsspielraum, um die Wirtschaft zu stützen. Das wäre für die Währungshüter unangenehm, so die Analysten der französischen Bank BNP Paribas. Die EZB werde daher genau prüfen, ob die jüngsten Daten tatsächlich nur ein Ausrutscher waren.

Fabio Balboni, Europa-Volkswirt bei der britischen Großbank HSBC, verweist vor allem auf die Preisdaten, die die Notenbank in eine heikle Lage bringen. „Für die EZB wird es sehr schwer werden zu argumentieren, dass es eine nachhaltige Veränderung der Inflationsentwicklung gibt.“ Genau dies nennt die EZB aber als Bedingung für einen Kurswechsel nach der jahrelang ultra-lockeren Geldpolitik. Angedacht ist zunächst ein Stopp der billionenschweren Anleihekäufe, mit denen die Inflation nach oben getrieben werden soll. Erst danach dürften die Leitzinsen auch in der Euro-Zone wieder steigen.

Sie liegen seit März 2016 auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent. Die EZB hat also hier kaum Handlungsspielraum, um auf eine stärkere Konjunktureintrübung zu reagieren. Zudem müssen Banken bereits Strafzinsen von 0,4 Prozent zahlen, wenn sie bei der EZB über Nacht Geld parken. Damit sollen sie angeregt werden, mehr Kredite zu vergeben. Auch die in Deutschland umstrittenen Wertpapierkäufe von aktuell 30 Milliarden Euro pro Monat können nicht unbegrenzt fortgesetzt werden. Dem stehen selbst gesetzte Obergrenzen entgegen. Die Währungshüter dürfen nur bis zu 33 Prozent einer einzelnen Staatsanleihe und ebenfalls nur bis zu 33 Prozent der ausstehenden Anleiheschulden eines Landes halten. „Sollten sie weiter im Ausmaß von 30 Milliarden Euro pro Monat kaufen, sind sie nur in der Lage, dies bis Jahresende zu tun,“ schätzt HSBC-Volkswirt Balboni.

Im April waren die Verbraucherpreise im Euro-Raum offiziellen Zahlen zufolge nur um 1,2 Prozent gestiegen, nachdem es im März 1,3 Prozent waren. Seit Frühjahr 2013 verfehlt die EZB jetzt schon ihr Ziel von knapp zwei Prozent. Diesen Wert strebt sie mittelfristig als ideales Niveau an. Tatsächlich finden in einigen Segmenten – wie beispielsweise bei den Lebensmitteln und neuerdings auch wieder bei den Energiepreisen – deutliche Preissteigerungen statt.

Das Wirtschaftswachstum hat sich zudem zwischen Januar und März fast halbiert: Es lag nur noch bei 0,4 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. In den drei Quartalen davor betrug das Plus jeweils 0,7 Prozent. Die Euro-Notenbank hatte zwar mit einer Verlangsamung gerechnet. Laut Chefvolkswirt Peter Praet geschah dies aber schneller als gedacht.

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann will die Normalisierung der Geldpolitik trotzdem nicht auf die lange Bank schieben. Denn diese werde einige Zeit in Anspruch nehmen und verschaffe der EZB auch mehr Spielraum, um auf künftige Krisen reagieren zu können. Die US-Notenbank Fed hat sich diesen Puffer bereits geschaffen: Nach dem Ende ihrer Anleihekäufe im Herbst 2014 begann sie Ende 2015 damit, in kleinen Schritten die Zinsen wieder anzuheben. Aktuell liegt der Schlüsselsatz zur Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld in einer Spanne zwischen 1,5 und 1,75 Prozent. Für die EZB ist das noch Zukunftsmusik. Viele Ökonomen rechnen frühestens um die Jahresmitte 2019 herum mit der ersten Zinsanhebung seit 2011.

Aus Sicht von NordLB-Volkswirt Christian Lips sollte EZB-Chef Mario Draghi wegen der zuletzt flauen Konjunkturdaten aber nicht überreagieren: „Es könnte der EZB später auf die Füße fallen, wenn sie nun doch wieder stillhalten und das Ankaufprogramm länger als notwendig fortführen würde. Dies wäre mit der Gefahr verbunden, dass sie später umso stärker gegensteuern müsste.“ Die meisten Ökonomen gehen davon aus, dass die EZB ihre Anleihekäufe bis zum Jahresende einstellen wird - womöglich mit einer kurzen Auslaufphase von Oktober bis Dezember. Die insgesamt auf 2,55 Billionen Euro angelegten Transaktionen sind bislang bis Ende September geplant. Bei den Zinssitzungen Mitte Juni oder Ende Juli dürfte der EZB-Rat entscheiden, wie es danach weitergehen soll.

„Die EZB wird in dieser unsicheren Situation wohl eher auf Zeit spielen wollen“, glaubt Carsten Brzeski, Chefvolkwirt der Bank ING Diba. „Wie im Fußball werden die Währungshüter jetzt wahrscheinlich versuchen, erst einmal den Ball lange an der Eckfahne zu halten, um Zeit zu gewinnen.“ Brzeski kann sich zwei Szenarien vorstellen: So könnte die Notenbank ihre Anleihekäufe mit einem geringeren Volumen um sechs Monate verlängern, diese dann aber mit einem Enddatum versehen. Oder die Transaktionen werden nur kurz bis Ende Dezember fortgesetzt und die EZB lässt weiter offen, wann sie endgültig eingestellt werden.

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