Politik

Neues Wettrüsten: Krieg in der multipolaren Weltordnung

Lesezeit: 6 min
17.02.2019 18:06
Weltweit zeichen sich gefährliche Frontenbildungen und ein neues Wettrüsten ab. Wer tatsächlich mit wem im Ernstfall verbündet ist, wer sich im Ernstfall wie verhält, ist völlig unklar.
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Bei der „Münchner Sicherheitskonferenz“ wurde von Freitag bis Sonntag eifrig darüber diskutiert, wie man die Welt sicherer machen könnte. Die Vertreter aller Militärmächte, die zu dieser Veranstaltung einer „gemeinnützigen GmbH“ angereist sind, unternehmen derzeit allesamt gigantische Aufrüstungsprogramme, die jederzeit für kriegerische Auseinandersetzungen genützt werden können, woran selbstverständlich nicht gedacht ist.

Die Zeit der Abrüstungsvereinbarungen ist vorbei, die Waffen-Fabrikanten können jubeln. Die USA agiert weiterhin als Supermacht, auch wenn die Führung Chinas mit Milliarden aufrüstet und eifrig das Ende der amerikanischen Ära verkündet. Russland wird zur gefährlichen Weltmacht hochstilisiert, investiert dementsprechend in Waffen, obwohl das Land in einer Wirtschaftskrise steckt. Die Europäische Union spielt in diesem Konzert keine Rolle und hat auch kein eigenes Verteidigungskonzept, die EU-Mitgliedstaaten erhöhen aber brav auf Wunsch der USA die Militärbudgets.

Die Drohung aus Peking, einen Krieg gegen Taiwan zu riskieren, wird kaum beachtet

In den Unterlagen werden zehn Krisenherde aufgezählt, die in nächster Zukunft den Weltfrieden gefährden können. Die Liste umfasst alle bekannten, seit Jahren nicht gelösten Krisen, nicht erwähnt wird die offene Drohung der Volksrepublik China gegen die Republik China: Die kommunistische Führung in Peking erklärt auch vor einem Angriff auf Taiwan nicht zurückzuschrecken, um das seit 1949 unabhängige, demokratische Land zu unterwerfen. In der Vergangenheit stand Taiwan unter dem Schutz der USA. Ist hier ein Krieg China gegen die USA angesagt, der die Verbündeten der USA im Rahmen der NATO auch betreffen würde? Die NATO hat zum Thema China nichts zu sagen.

Die NATO hat es geschafft: Russland gilt heute allgemein als Aggressor

Die NATO, genauer formuliert NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, konzentriert sich auf die Inszenierung eines Konflikts zwischen dem Westen und Russland nach dem Vorbild des Kalten Kriegs vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Er ist bei dieser Aktion so erfolgreich, dass heute bei den westlichen Verteidigungsministern einhellig die Meinung herrscht, dass Russland eine aggressive Macht sei, die den Westen überfallen möchte und gegen die man aufrüsten müsse. In den USA wird eine derartige Propaganda besonders willig aufgenommen, da Russland seit jeher als Feind Nummer 1. angesehen wird. Gelungen ist Stoltenberg und schon seinem Vorgänger Anders Rasmussen die Intrige

-       durch den Versuch über die NATO-Osterweiterung die Ukraine an die NATO zu binden.

-        Diese Politik bedeutete den Versuch der NATO, an die russische Grenze vorzustoßen,

-        außerdem wäre die an der Krim stationierte russische Schwarzmeer-Flotte plötzlich in NATO-Gebiet gewesen.

-       Dies wurde in Moskau als Provokation gewertet und führte 2014 zur Annexion der Krim.

Dieser Hintergrund wie auch die ständige Kriegsrhetorik gegen Russland von Ukraines Präsident Petro Poroschenko werden im Westen ausgeblendet: Es bleibt nur die Annexion der Krim, die Russland als Aggressor ausweist und daher generell alle Aufrüstungsmaßnahmen und vor allem jene an der EU-Ostgrenze von Lettland über Polen bis nach Rumänien rechtfertigt und die wirtschaftlichen Sanktionen begründet.

Die NATO versucht über die Ukraine hinaus Russland durch Kopperationsverträge mit vielen Staaten in der Region einzukreisen. In diesem Sinne ist die NATO auch in Afghanistan an der Seite der Regierung gegen die Taliban aktiv.  Am Rande vermerkt: Dass die USA jetzt direkt mit den Taliban verhandeln wollen, passt Stoltenberg gar nicht.

Russlands Reaktion auf die NATO-Basen von Lettland über Polen bis Rumänien soll zum Bumerang werden

Russland hat angesichts der NATO-Politik in den vergangenen Jahren aufgerüstet und spielt damit der NATO einen propagandistischen Trumpf in die Hände. Moskau würde den im Jahr 1987 zwischen dem damaligen Generalsekretär Michael Gorbatschow und US-Präsident Ronald Reagan unterschriebenen INF-Vertrag über die Vernichtung bestehender und das Verbot der Herstellung von Mittel- und Kurzstreckenraketen verletzen. Die USA haben Anfang Februar 2019 diesen Vertrag mit einer sechsmonatigen Frist gekündigt und Russland aufgefordert in den Rahmen des Vertrags zurückzukehren.

-       Aus russischer Sicht ist die Attacke angesichts der in den letzten Jahren von der NATO und den USA an der EU-Ostgrenze errichteten Kette von Raketenbasen nicht nachvollziehbar, da diese eine unmittelbare Bedrohung Russlands darstellen.

-       Der Verstoß gegen das Abkommen wird zudem abgestritten und den USA vorgeworfen, bereits seit 1999 Raketen zu bauen, die den Vertrag verletzen.

-       Nun hat auch Russland den Vertrag gekündigt.

-       Die Folge: Im Westen wie im Osten fließt noch mehr Geld in die Waffenbranche.

Eine Achse Washington-Brüssel-Moskau wäre für den Weltfrieden hilfreicher als noch  mehr Raketen

Durch die NATO-Politik in der Ukraine, die durch die EU-Führung nicht gebremst, sondern unterstützt wurde, ist das nach der Wende bessere Verhältnis zwischen dem Westen und Russland in die Brüche gegangen. Nun schaden die immer wieder verlängerten und verschärften Sanktionen beiden Seiten wirtschaftlich, die Rüstungsinvestitionen binden Milliarden, die in allen beteiligten Staaten für Infrastruktur-Investitionen benötigt werden. Und gesprochen wird vor allem über die unbestritten empörenden und auf das Schärfste zu verurteilenden Aktionen Russlands im Internet gegen die USA und andere Staaten.

Aber die geopolitische Tatsache, dass bei den großen Konflikten eine Zusammenarbeit zwischen dem Westen und Russland notwendig wäre, tritt in den Hintergrund. Eine Achse Washington-Brüssel-Moskau wäre für den Weltfrieden hilfreicher als noch  mehr Raketen. Diese Feststellung gilt nicht nur für die Ukraine wie auch für Georgien, wo eine politische und militärische Orientierung nach Moskau und eine wirtschaftliche nach Brüssel sich angeboten hätten. Auch beim aktuell größten Konflikt wäre die Achse nützlich.

Der Iran hat das Streben nach einem breiten Korridor bis zum Mittelemeer nicht aufgegeben

Im Nahen Osten besteht der nach wie vor bestimmende Faktor im Streben des Iran die Länder bis zum Mittelemeer zu beherrschen. Somit sollen der Irak, Syrien und der Libanon unter iranische Kontrolle fallen. Auf diesem Weg war das Regime von Saddam-Hussein im Irak ein entscheidendes Hindernis, das paradoxer Weise durch die USA im Rahmen der zwei Irak-Kriege beseitigt wurde. Der Iran hatte in der Folge schon einen größeren Einfluss im Irak erobert, als die Terrororganisation „Islamische Staat“ für eine grundlegende Änderung der Verhältnisse sorgte und ein Bollwerk gegen den Iran schuf.

Entscheidend zum Erfolg des IS haben frühere Offiziere von Saddam Hussein beigetragen. Die aktuell stark, vielleicht sogar entscheidend geschwächte Position des IS schafft erneut Spielraum für den Iran. Auch die offenkundige Stärkung des syrischen Präsidenten Assad sollte aufgrund schon länger bestehender Beziehungen Teheran zugute kommen. Den Libanon hat die Terrororganisation Hisbollah im Würgegriff und die Hisbollah bezeichnet den „Obersten Führer“ des Iran, Ayatollah Khamenei, auch als ihren Führer.

So gesehen scheint Khamenei die besten Karten in der Hand zu haben, um ein großes Reich in der Region etablieren zu können. Russlands Präsident Putin pflegt die Freundschaft mit dem Iran, ist aber nicht an einer neuen Weltmacht im Süden Russlands interessiert, zumal der Iran eng mit dem großen Konkurrenten China kooperiert. Putin engagiert sich stark in Syrien, wo sich in der Hafenstadt Tartus die einzige Militärstation Russlands am Mittelmeer befindet. Auch die Versuche der Türkei, in Syrien eine Machtposition zu erobern, gehen Putin zu weit. Syrien und der Irak sollten nach russischen Vorstellungen möglichst eigenständige Staaten bleiben. Offensichtlich hat Putin alle Mühe, die Dinge in der Region unter Kontrolle zu halten.

Mit Washington und Brüssel wäre dies leichter. Nur die USA ziehen gerade überraschend ihre Truppen aus Syrien ab, überlassen also das Feld anderen. Gleichzeitig wird der Iran durch die wieder eingeführten US-Sanktionen schwer belastet. Brüssel hingegen möchte den Iran als Partner pflegen und das von den USA gekündigte Atom-Abkommen retten. So wird die Krise in der Region nicht zu lösen sein und weitere Opfer fordern.

Trumps Druck auf die NATO-Partner hat zusätzlich 100 Milliarden Dollar gebracht

Die NATO spielt in den globalen Konflikten keine bestimmende Rolle außerhalb der geschilderten Russland-Politik. Man konzentriert sich aber auf die Aufrüstung. Ein Land nach dem anderen beugt sich der Forderung von Präsident Donald Trump und steigert das Militärbudget in Richtung 2 Prozent des BIP, einige haben diesen Wert schon überschritten. Von 2016 bis Ende 2019 fließen insgesamt 100 Milliarden Dollar zusätzlich in Waffenkäufe.

-       Dieses gigantische Investitionsprogramm erfolgt nicht im Rahmen eines Konzepts, sondern als simple Aufstockung.

-       Aus Sicht der USA, die im langfristigen Schnitt ein Militärbudget von 600 Milliarden Dollar im Jahr haben, dürften 100 Milliarden in drei Jahren kaum als „gigantisch“ bezeichnet werden.

-       Die Koordination der Heere in Europa ist nur mangelhaft entwickelt.

-       Die Anschaffungen werden national entschieden, sodass die Geräte nicht immer mit der Ausrüstung anderer Heere kompatibel sind.

-       Die viel diskutierte „Europäische Armee“ ist immer noch Theorie. Somit bedeuten die zusätzlichen Mittel nur eine Stärkung der bisherigen NATO und das ist eine letztlich von den USA bestimmte Organisation.

-       Wenn allerdings eine europäische Initiative erfolgt, ist man im NATO-Generalsekretariat und in Washington wenig erfreut. Zur Jahresmitte 2018 haben einige EU-Staaten eine eigene Verteidigungsinitiative gestartet: Frankreich, Großbritannien und Deutschland sowie auch Belgien, Spanien, Portugal, Dänemark, die Niederlande und Estland wollen eine eigene Eingreiftruppe schaffen.

-       Dieses Projekt wirkt tatsächlich eigenartig angesichts der von der NATO mit kräftiger US-Unterstützung an der EU-Ostgrenze aufgebauten Verteidigungslinie, die auch eine wachsende Eingreiftruppe umfasst.

Fazit: Von einer global koordinierten Politik ist nicht die Rede. Die Großmächte USA, China und Russland rüsten auf. Die anderen Länder ziehen mit. Wer tatsächlich mit wem im Ernstfall verbündet ist, wer sich im Ernstfall wie verhält, ist völlig unklar. Und derart unklare Verhältnisse haben im Ersten Weltkrieg geherrscht und die Entwicklung in die Katastrophe verschärft und beschleunigt, und das Gleiche war im Zweiten Weltkrieg der Fall.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburgwer Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitung "Der Volkswirt" sowie Moderator beim ORF.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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