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Rache an Russland: Polen will Dritten Weltkrieg provozieren

Lesezeit: 7 min
06.05.2023 09:08  Aktualisiert: 06.05.2023 09:08
Polen bemüht sich derzeit intensiv, Russland zu einem Angriff zu provozieren, um sich mithilfe der Nato in einem Dritten Weltkrieg an dem Land zu rächen.
Rache an Russland: Polen will Dritten Weltkrieg provozieren
Ministerpräsident Morawiecki. Polen provoziert den Dritten Weltkrieg. (Foto: dpa)
Foto: Michal Dyjuk

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Die polnische Regierung unternimmt derzeit zahllose Aktionen, um Russland zu einem Angriff auf das Land zu provozieren. Diese Politik führte vor kurzem sogar zur kuriosen Konfiskation eines Gebäudes, das in Moskau als russisches Eigentum betrachtet wird. Das Haus ist in einem desolaten Zustand, also uninteressant, es ging nur darum, Russland zu reizen. Wird Polen von Russland angegriffen, dann wäre ein NATO-Land betroffen und dieser Umstand hätte zur Folge, dass durch die vertraglich verankerte Beistandspflicht alle 31 Staaten der Organisation gemeinsam zurückschlagen müssten. Dann hätte Polen sein Ziel erreicht und könnte sich mit Hilfe der militärischen Großmacht für die jahrhundertelange Unterdrückung durch Russland rächen. Die unter den Zaren begonnene und in der Sowjetunion fortgesetzte Knechtschaft lässt die polnischen Politiker nicht los und sie können nicht zur Kenntnis nehmen, dass Polen heute ein freies Land mit fast 40 Millionen Einwohnern ist und sich endlich nach eigenen Vorstellungen entwickeln sollte.

Ein zufälliger Triumph über die Rote Armee im Jahr 1920 wird bis heute gefeiert

Der zwanghafte Drang, die Geschichte neu zu schreiben, hat das Land schon vor mehr als hundert Jahren ruiniert. Als nach dem Ersten Weltkrieg die mehrere Jahrhunderte dauernde Dominanz durch Russland und auch durch Preußen und Österreich zu Ende war, nahm man unter der Führung des legendären Marschalls Josef Pilsudski die endlich gewonnene Freiheit nicht zur Kenntnis. Man begann vielmehr erfolglose Kriege gegen die Nachbarn und vor allem gegen Russland zu führen. Allerdings wurde am 16. August 1920 überraschend eine große Schlacht gegen die Rote Armee gewonnen und die heutige Republik feiert dieses einmalige Ereignis jedes Jahr mit einer Parade unter der Patronanz der Staatspräsidenten. Die Aktionen vor hundert Jahren endeten letztlich im Untergang des Staates, der bis zum Ende der Sowjetunion 1989 den Befehlen aus Moskau zu gehorchen hatte.

Die vermeintlich übermächtige NATO soll Russland vernichten

In der europaweit grassierenden Überschätzung der NATO zeigt die Phantasie den polnischen Politikern ein globales Schlachtfeld, auf dem die geballte Kraft der NATO das schwache Russland zerschmettert. Russland ist, wie man am bisherigen Verlauf des Ukraine-Kriegs sieht, tatsächlich schwach. Nur verfügt das Land über Atombomben, die Polen, ganz Westeuropa und auch die USA verwüsten können. Dass Russland unmittelbar nach einem derartigen Schlag durch einen nuklearen Gegenangriff auch in ein Trümmerfeld verwandelt wird, ist kein Trost für die Opfer.

Doch damit nicht genug. Bei einer tatsächlichen Konfrontation zwischen der NATO und Russland würde China auf der Seite Russlands eingreifen und Lücken in der russischen Verteidigung schließen. Der Traum vom starken Onkel NATO, der die bösen Russen vernichtet, wäre prompt ausgeträumt. Ein neuer Weltkrieg würde zum Tod von Millionen Menschen, zur Zerstörung von Städten führen und weite Gebiete unbewohnbar machen und den polnischen Kriegstreibern keinen Triumph bescheren.

Polen nützt die traditionelle Angst der Amerikaner vor den Russen

Das Spiel mit dem Feuer betreiben die Warschauer Brandstifter nicht allein. Es ist ihnen gelungen, die traditionell tief sitzende Angst der Amerikaner vor den Russen anzusprechen und das bereits seit mehreren Jahren. Dies hat zum Aufbau von Raketenbasen und der Stationierung von NATO-Truppen an der EU-Ostgrenze ab 2015 geführt. Vor wenigen Tagen hat der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki in Washington seine Botschaften bei US-Präsident Joe Biden platzieren können und fand dabei wie schon bei früheren Gelegenheiten ein offenes Ohr.

  • Polen übernimmt turnusmäßig den Vorsitz in der EU 2025 und werde diese Position nützen um mehr „USA in der EU und mehr EU in den USA“ zu forcieren, wie es der polnische Präsident Andrzej Duda kürzlich formulierte. Der vom französischen Präsidenten, Emmanuel Macron, angestrebte Aufbau eines eigenständigen Europas, das nicht auf die von den USA dominierte NATO angewiesen ist, wird von Polen abgelehnt.

  • Der Schwerpunkt der EU sei schon jetzt nicht mehr in Paris und Berlin zu sehen, sondern in Warschau und in den anderen EU-Staaten an der Ostgrenze der EU.

  • Polen betreibt eine systematische Aufrüstung und gibt trotz der wirtschaftlichen Schwäche des Landes bereits 2,42 Prozent der Wirtschaftsleistung für das Militär aus, obwohl die Orientierungsgröße in Europa bei 1,5 Prozent liegt.

  • Diese Woche hat die größte Militärübung des Jahres begonnen. An dem Manöver unter dem Codenamen „Anakonda 23“ nehmen bis 26. Mai mehr als 12.000 polnische und mehrere hundert Soldaten aus den USA und anderen NATO-Bündnispartnern teil.

Offiziell geht es nicht um Polens Ziele, sondern um Hilfe für die Ukraine

Als offizielle Rechtfertigung für diese aggressive Politik dient nicht das eigene Interesse, sondern der Einsatz Polens für die Ukraine. In kurzen Abständen betonen die Spitzenpolitiker die Solidarität mit der Ukraine. Polen spielt eine entscheidende Rolle bei der Beschaffung von Waffen und vor allem von Panzern für die Ukraine. Gegen den Willen der anderen NATO-Partner will Polen der Ukraine auch Kampfjets liefern. Als Mitglied der NATO und der EU ist Polen gut platziert, die Aufnahme der Ukraine in diese beiden Organisationen zu betreiben. Dass gerade das Liebeswerben der Ukraine um die NATO und die EU Moskau provoziert und entscheidend zur russischen Invasion beigetragen hat, sollte nicht übersehen werden. Doch der polnischen Führung ist dieser Umstand gerade recht, weil es den Gegensatz zu Russland verschärft.

Den NATO-Spitzen ist offenbar nicht klar, welches Spiel Polen treibt. Sehr geschickt wird nur betont, dass man sich von einer russischen Invasion nach dem Muster des Ukraine-Kriegs fürchte und man daher alles unternehme, um durch Abschreckung Russland in Zaum zu halten. Im Ernstfall müsse man gerüstet sein.

Soll man einen Weltkrieg führen, um die Rachegelüste der Polen und der Ukrainer zu befriedigen?

Es ist dringend geboten, dass man in Washington, London, Paris und Berlin aufwacht und diesem Treiben Einhalt gebietet. Oder will irgendjemand in den westlichen Regierungen einen Weltkrieg führen, damit Polen seine Rache an Russland für das ohne Zweifel stattgefundene, aber nicht mehr korrigierbare Unrecht vergangener Jahrhunderte ausleben kann? Wohl kaum. Es ist auch im Widerspruch zum Grundsatz, dass man die heute bestehenden Grenzen endlich akzeptieren und in den Ländern für Wohlstand und Frieden sorgen möge.

Auch wird längst im Ukraine-Krieg und in der Begeisterung für das von Präsident Wolodymyr Selenskij inszenierte Feuerwerk an Werbeauftritten das eigentliche Problem des Ukraine-Kriegs übersehen. Schon der Auslöser war in erster Linie die von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg betriebene Umarmung aller ukrainischen Spitzenpolitiker, die den Eindruck entstehen ließ, Ukraine werde prompt Mitglied der NATO. Und jetzt wird das Thema nicht zur Beruhigung der Lage aus dem geopolitischen Programm genommen, nein, im Gegenteil, aktuell wird ständig von der Aufnahme der Ukraine in die EU und in die NATO geredet, womit an Russland das Signal gesendet wird, dass der Westen tatsächlich an der ukrainisch-russischen Grenze seine Soldaten positionieren will. Eine völlig überflüssige Verschärfung des Konflikts.

Ein Beitritt der Ukraine zur NATO würde sofort den Weltkrieg auslösen: Die Ukraine wird von Russland angegriffen, also müssten alle NATO-Staaten an der Seite der Ukraine an der Seite der Ukraine an dem Krieg teilnehmen. Es ist also völlig unsinnig, von einer NATO-Mitgliedschaft zu sprechen – außer die 31 NATO-Staaten wollen unbedingt die Welt ruinieren. Somit müsste klar sein, wie es auch US-Präsident Joe Biden formuliert hat: „Wir helfen einem Freund in Not und borgen ihm Waffen“. Und nicht mehr. Auch hier müsste gelten, es ist nicht Aufgabe der Weltgemeinschaft das Unrecht, das Russland unter den Zaren und unter Stalin in der Ukraine begangen hat, zu rächen.

Ein Beitritt der Ukraine zur EU ist ebenfalls unsinnig. Dringend erforderlich ist ein umfassender Aufbau der Infrastruktur, der Industrie und des Gewerbes wie der staatlichen Institutionen. Dazu ist die EU nicht in der Lage, wie man etwa in den maroden Nachbarländern der Ukraine, in Bulgarien und Rumänien, sieht. Es kommen keine Wunder und keine Wundertäter aus Brüssel und sanieren ein Land mit einem Zauberstab.

Die Stärke der NATO hängt von der Laune des US-Präsidenten ab

Die großen Staatenlenker glauben, dass sie die Konflikte im Griff haben. Dass das blanke Selbstüberschätzung ist, zeigt sich am Zustandekommen der Kriege. Besonders krass war das beim Start des Ersten Weltkriegs. Da hatten alle Staatskanzleien Mühe festzustellen, mit wem man gerade in welchem Ausmaß verbündet sei. Auch beim Zweiten Weltkrieg waren die Allianzen erst zu klären.

Sollte es zum Dritten kommen, wird es nicht anders sein. Wie genau die Beistandspflicht innerhalb der NATO zu verstehen ist, muss erst geklärt werden. Genügen Waffenlieferungen, müssen Soldaten eingesetzt werden, wie sehen die Einsätze aus, wer kommandiert. Man denke nur an General de Gaulle, der Frankreich zu einer Art NATO-Mitglied mit einem Sonderstatus gemacht hat, bei dem die Verteidigung des eigenen Landes Vorrang hat. Oder an den Umstand, dass jedes Mitglied seine Armee selbst gestaltet. Die Armeen der 24 nicht-neutralen EU-Staaten bilden keine Einheit. Die Beistandspflicht ist auch in der EU verankert, doch ist die Regelung noch schwammiger als in der NATO. Schweden, Irland und Österreich sind neutral, unterliegen aber auch den EU-Beistandsregeln, ohne dass jemand weiß wie deren Beistand aussehen soll. Die NATO gibt es nur, wenn der US-Präsident die US-Army, die US-Air Force und die US-Navy in Gang setzt. Alles andere ist Schimäre.

Über den Bestand des Weltfriedens entscheiden Zufälle

Pannen können einen Krieg auslösen. 1962 hatte die Sowjetunion in Kuba ein großes Arsenal an Atomraketen installiert, um von der Insel aus die USA bombardieren zu können. Am 27. Oktober 1962 verhinderte Wassili Alexandrowitsch Archipow, ein Offizier des sowjetischen U-Boots B-59 vor Kuba, eine nukleare Katastrophe. Ein US-Zerstörer hatte das U-Boot mit Wasserbomben zum Auftauchen gezwungen. Das Schiff hatte Befehl, bei einem Angriff einen Atomtorpedo abzufeuern. Archipow weigerte sich und fragte in Moskau an, ob der Befehl tatsächlich durchzuführen sei. Dies wurde verneint, weil die damaligen Präsidenten John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow an einer friedlichen Lösung arbeiteten, die auch zustande kam und zum Abbau der Waffen in Kuba und im Gegenzug zur Reduktion der amerikanischen Präsenz in der Türkei führte.

  • Der kubanische Präsident, Fidel Castro, und der Revolutionär Che Guevara, zu dieser Zeit Industrieminister von Kuba, waren wütend, dass Chruschtschow den Einsatz von Atomwaffen in der Auseinandersetzung mit den USA verboten hatte. Sie erklärten, das kubanische Volk sei bereit, die Folgen eines Atomkriegs auf sich zu nehmen. Chruschtschow schrieb Castro einen Brief und betonte, dass er die unweigerlich katastrophalen Folgen eines Atomkriegs für Russland vermeiden müsse. Ob Putin dieser Weisheit auch folgen wird?

Im vergangenen September 2022 verstand ein russischer Pilot einen Befehl der Bodenstation falsch und glaubte, er solle ein britisches Spionageflugzeug über dem Schwarzen Meer abschießen. Eine Rakete wurde auch tatsächlich gestartet. Ein technischer Fehler verhinderte die Katastrophe, die als russischer Angriff auf ein Flugzeug des NATO-Mitglieds Großbritannien einen Krieg NATO gegen Russland hätte auslösen können.

Im November 2022 wurde ein polnisches Dorf durch eine russische Rakete getroffen, womit auch ein Russland-NATO-Konflikt hätte entstehen können. Die Ukraine beeilte sich aber, die russische Bombe als ukrainischen Irrläufer aus russischer Produktion umzudeuten.

Kurzum: Wenn kein Archipow Dienst hat, wenn eine Rakete nicht einen technischen Fehler hat und Pannen nicht durch Erklärungen kaschiert werden können, wird der ohnehin brüchige und durch zahlreiche Kriege gestörte Weltfrieden sehr rasch durch einen Weltkrieg abgelöst.

Die Gefahr eines Weltkriegs geht derzeit nicht allein von den polnischen Kabalen, den russischen Aggressionen, den chinesischen Weltmachtambitionen oder den iranischen Beschimpfungen des Westens aus. Entscheidend ist der Umstand, dass die Arsenale fast aller Staaten durch den seit Jahren anhaltenden Rüstungswettlauf prall gefüllt sind und jederzeit irgendein Politiker irgendwo auf der Welt zu den schon bestehenden Konflikten einen weiteren Krieg beginnen kann, der nicht auf eine Region beschränkt bleibt.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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