Österreich lehnt sich immer deutlicher gegen die Taktik der deutschen Bundesregierung auf: Angela Merkel spricht zwar öffentlich scheinbar unbeirrt davon, dass sie eine Obergrenze für Flüchtlinge als inhuman ablehne, doch faktisch hat Deutschland nach Aussage der österreichischen Regierung seit November still und leise eine Obergrenze eingeführt.
Österreich drückt sich zwar diplomatisch aus und sagt: Die aktuelle österreichische Tagesobergrenze von 3.200 durchreisenden Flüchtlingen orientiere sich an deutschen Gepflogenheiten an der Grenze, sagte Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ) am Donnerstag in Wien. Seit Anfang November gebe es Beschränkungen, wie viele Flüchtlinge Deutschland pro Stunde an den Grenzübergängen übernehme – in der Summe 3600 pro Tag.
Ein Beleg für die deutschen Tageskontingente sei auch, dass in Transitquartieren in Österreich zeitweise bis zu 20.000 Flüchtlinge untergebracht gewesen seien. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) hatte erklärt, sein Land wolle nicht „zum Wartezimmer für Deutschland“ werden. Berlin hat Wien für dessen restriktive Flüchtlingspolitik kritisiert.
Diese Mitteilung bedeutet, dass Deutschland aus Sicht der Österreicher ein doppeltes Spiel betreibe und so die öffentliche Kritik auf das Nachbarland abwälze. Bundeskanzlerin Angela Merkel und zahlreiche deutsche Politiker haben in den vergangenen Tagen mit teilweise erheblicher moralischer Entrüstung die Grenzschließungen in Österreich als inhuman und uneuropäisch angeprangert – ohne jedoch zu erwähnen, dass Deutschland selbst bereits eine de facto-Obergrenze eingeführt hat.
Österreich sah sich schließlich gezwungen, seine Grenzen dichtzumachen – und wird dies auch nicht ändern, sollte es beim Gipfel mit der Türkei zu einem Ergebnis kommen. Die Österreicher trauen der Bundesregierung offenkundig nicht mehr über den Weg.
Durch die mangelnde Transparenz wird auch die Lage der Flüchtlinge und Migranten verschlechtert: Viele von ihnen glauben immer noch, dass sie nach Deutschland weiterreisen könnten und berufen sich, wie die SZ berichtete, sogar ausdrücklich auf die Einladung von Angela Merkel. Tatsächlich werden die Flüchtlinge nun an der mazedonisch-griechischen Grenze abgedrängt, zuletzt sogar unter dem Einsatz von Tränengas.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte der Türkei zuletzt versprochen, die Nato ins Mittelmeer zu entsenden, um die Flüchtlinge abzuwehren. Menschenrechtsorganisationen halten diesen Einsatz für unzulässig. Auch die EU-Grenzagentur Frontex lehnt es ab, Flüchtlinge in die Türkei zurückzubringen, weil die Lage in der Türkei zu unsicher sei.
Das harte Vorgehen gegen Flüchtlinge und Migranten dürfte noch nicht seinen Höhepunkt erreicht haben. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz sagte der SZ: „Menschen werden mit Polizeigewalt aufgehalten werden müssen, das wird nur weiter entfernt von uns passieren, wo vielleicht nicht so viele TV-Kameras präsent sind.“ Die EU fordert am Donnerstag, dass die Zahl der neuen Flüchtlinge gegen Null zu reduzieren sei.