Politik

Die Lawine rollt: Die Euro-Zone steht vor dem Zerfall

Lesezeit: 5 min
06.07.2015 03:12
Das Referendum in Griechenland ist der erste Akt in der ungeordneten Abwicklung der Euro-Zone. Die gewählten Regierungen kämpfen ab sofort nur noch um ihr eigenes Überleben. Sie sehen nicht, dass die Spaltung quer durch die Nationen verläuft – und werden dafür einen hohen Preis bezahlen.
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Die Spaltung der Euro-Zone ist nach dem griechischen Referendum kaum noch aufzuhalten. Die Ansteckung ist vor allem politischer Art: Denn die Deutlichkeit, mit der die Griechen die Dominanz der Troika abgelehnt haben, hat alle überrascht. Das Votum der Griechen war nicht, wie von den polemischen und panischen Euro-Rettern behauptet, ein Votum für oder gegen den Euro.

Das Nein war ein Votum gegen die zerstörerische Austeriätspolitik. Die hat in vielfacher Hinsicht zu schweren Verwerfungen in den nationalen Gesellschaften geführt. Alle Gesellschaften spüren die Folgen einer beispiellosen Kredit-Orgie. Erstmals hat mit den Griechen ein Volk klar Stellung bezogen. Das Nein macht deutlich, dass die EU als reine Wirtschaftsunion mit nachgeordneter politischer Folklore nicht funktionieren kann. Das ist, so brutal die Folgen für die Griechen und die anderen Euro-Staaten auch sein werden, auch ein Sieg der Demokratie. Das griechische Votum war ein Votum für den Primat des Politischen über die Ökonomie.

Es ist müssig, sich über die Fehler der Syriza-Regierung zu echauffieren. Sie war das letzte Glied in einer langen Kette an politischem Versagen in der griechischen Politik. Das Versagen der Vorgänger-Regierungen hat den Niedergang eingeleitet. Sie haben Griechenland mit falschen Zahlen in den Euro geschmuggelt, unter tatkräftiger Mitwirkung der Investmentbank Goldman Sachs. Sie haben über Jahre von der Kredit-Orgie profitiert und zugleich die Euro-Zone an der Nase herumgeführt. Viele Dinge wurden versprochen. Eingehalten wurde nur eines: Die Steuern wurden laufend erhöht, die Sozialleistungen pausenlos verkürzt. Der griechische Staat funktionierte unter den konservativen und sozialdemokratischen Regierungen wie eine einzige große Entsolidarisierungs-Maschine. Diese Regierungen haben die verschiedenen Spaltungen vertieft, die eine schuldengetriebene Staats- und Zentralwirtschaft wie jene der EU vertieft.

Die Gräben sind kein Konflikt zwischen den einzelnen Staaten der EU. Sie verlaufen quer durch Europa und haben eine zerstörerische Wirkung in ganz Europa.

Da ist die Spaltung zwischen Jung und Alt. Eine Zeitlang berichteten alle Medien mit einer gewissen Regelmäßigkeit über die dramatisch hohe Jugendarbeitslosigkeit in den Staaten in Südeuropa. Diese Berichte sind in den vergangenen Monaten klammheimlich versickert. Die Regierungen haben sich in die Statistik-Falle locken lassen. Die Öffentlichkeit diskutierte Prozentzahlen über das Wirtschaftswachstum oder diskutierte Kunst-Themen, wie den „Primärüberschuss“.

Sie alle haben die wichtigste Kenngröße des Staatswesen vergessen, die Menschen. Die Arbeitslosigkeit ist in allen Südstaaten immer noch viel zu hoch. Der zarteste Wirtschaftsaufschwung fand unter Ausschluss der Arbeitnehmer statt. Die Jugendarbeitslosigkeit verharrte trotz Billionen an künstlichem Geld auf astronomisch hohem Niveau. Nun haben die Jungen zurückgeschlagen und haben sich über die Rentner hinweggesetzt: Die Aussicht, niemals eine ordentlich bezahlte Arbeit zu erhalten, hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Das wird sich fortsetzen – denn keine Regierung kann bestehen, wenn sie den Bürgern einredet, alles sei gut, die Leute aber entweder keine Arbeit haben oder sich in Billigjobs verdingen müssen.

Die Spaltung zwischen Nord und Süd ist nicht durch pathetische Appelle zu überwinden. Der blanke Austerität führt in den sozialen Aufruhr, wenn die Sozialsysteme nicht grenzüberschreitend funktionieren. Die Nord-Staaten haben sich in der Fiktion eingegraben, man könne Austerität verordnen, ohne sie zu finanzieren. Die Süd-Staaten haben sich verzockt, weil sie geglaubt haben, die Transfer-Union ohne gemeinsame politische Willensbekundung erzwingen zu können. Der finale griechische Versuch, den Wahnsinn der gegenseitigen Täuschung und Erpressung konsequent und durchaus ideologisch zu Ende zu denken, hat die Euro-Zone zur Explosion gebracht. Man könnte von angewandter Dialektik und ihren fatalen Folgen sprechen.

Die Spaltung zwischen Arm und Reich ist durch den Euro nicht geringer, sondern größer geworden, Von der Kredit-Orgie profitierten nie die Bedürftigen. Am meisten profitierten die Super-Reichen, gefolgt von einer kleinen Mittelschicht, die sich nicht durch Leistung, sondern durch die Zugehörigkeit zu nationalen oder europäischen Netzwerken saniert hat. Die Einkommensungerechtigkeit ist in Griechenland gestiegen, genauso wie in Deutschland uns in den anderen Staaten. Das ist der Keim der Revolution. Wenn zu viele Leute nichts mehr zu verlieren haben, stimmen sie mit Nein.

Die Spaltung in Demokraten und Technokraten hat das Euro-Schiff manövrierunfähig gemacht. Das beste Beispiel waren die unglaublichen Anwürfe gegen die Griechen, nur, weil diese sich erdreisteten, über einen existentielle Frage das Volk zu befragen. Nun liegt das Votum vor – und es ist vernichtend für die Troika und die Euro-Retter.

Die Spaltung in kleine und mittelständische Unternehmen und internationale Konzerne: Vom Euro profitieren die Konzerne, nicht die Familienbetriebe. Sie müssen sich in lokalen Märkten bewähren. Wenn sie ganz besonders gut sind, wie viele deutsche Mittelständler, dann können sie Weltmarktführer werden. Der Aufstieg der „hidden champions“ begann in den Zeiten der D-Mark. Die war hart, und die deutschen Unternehmen waren genau deshalb erfolgreich. Sie wurden gezwungen, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch Innovation zu behaupten. Die monetären Weichspüler-Nationen haben den technologischen Fortschritt ignoriert, weil es einer besonderen Anstrengung nicht bedurfte. Die französischen Unternehmen sind das beste Beispiel dafür.

Und schließlich die Spaltung in der Geldpolitik: Die EZB kann es nicht allen recht machen. Also hat sie sich einerseits abgekoppelt und gemacht, was für die Banken und die Märkte gut ist. Zum anderen hat sie sich nicht entschlossen von der Politik abgeschottet, weil sie in maßloser Selbstüberschätzung viel zu viele Aufgaben übernommen hat, für die ihr die Werkzeuge fehlen. Hätte sie sich auf die Geldpolitik konzentriert und sich nicht zum allmächtigen Steuerungs-Wunderwuzzi hochstilisiert, hätte sie flexibler reagieren können. Eine restriktive Geldpolitik ist in bestimmten konjunkturellen Phasen richtig, in anderen ist sie Gift. Das hat die griechische Krise vertieft, weil ein Konjunkturzyklus den wichtigsten griechischen Sektor, die Handelsschifffahrt, voll getroffen hat. Hier wäre statt Ideologie Sachverstand nötig gewesen.

Doch die ans Rassistische grenzende Verteufelung der „Griechen“ hat dazu geführt, dass die politischen Rankünen in der Euro-Zone auch der EZB den Blick für Ursache und Wirkung verstellt haben.

All diese Spaltungen ziehen sich in der einen oder anderen Form durch alle Euro-Staaten. Sie können nicht mehr überwunden werden, weil der griechische Crash zu Milliardenverlusten in der Euro-Zone führen wird: 340 Milliarden Euro sind so gut wie verbrannt. Die Asche wird sich auf die nationalen Haushalte legen wie Mehltau. Austerität wird nach dem Griechen-Desaster zum gesamteuropäischen Imperativ.

Solcherart in die fiskalpolitische Defensive geraten, kann man die Fiktion einer unvollkommenen politischen Union nicht aufrechterhalten. Die nationalen Egoismen werden die Politik der kommenden Jahre dominieren. Man kann höhere Steuern, gekürzte Sozialleistungen, verfallende öffentliche Infrastrukturen und den Ausverkauf von nationalem Volksvermögen als „Reformen“ verkaufen, wenn es sich um die anderen handelt. Für die nationale Politik bedeuten solche „Hilfsprogramme“ das one-way-ticket in die Bedeutungslosigkeit, Die griechischen Konservativen und die Sozialdemokraten haben es vorgemacht: Sie haben sich selbst „wegrefomiert“. Keiner wird es ihnen nachmachen. In Italien, Frankreich und Spanien tagen schon die Krisenstäbe in Permanenz. Niemand wird sich einem neuen Spar-Diktat beugen. Alle werden Schuldenschnitte verlangen.

Es ist die Stunde der zentrifugalen Kräfte. Am deutlichsten haben wir das in den vergangenen Monaten in der Flüchtlingsfrage erlebt: Ein beschämendes Abschieben der Verantwortung, eine kollektive Preisgabe der Humanität bedeuten die Aufgabe des elementaren Solidaritätsgedanken. Ohne ihn ist eine politische Union nicht denkbar.

Wir erleben den Anfang vom Ende der Euro-Zone. Es wird Generationen brauchen, bis sich Europa von diesem Schock erholt. Die Griechen haben ein Machtwort gesprochen. Es wird für sie sehr schmerzhaft sein. Der Preis, den sie für die Wiedererlangung ihrer „Würde“ erlangen, wird gewaltig sein. Doch die Euro-Retter, die nun die Parole ausgeben, dass eine Ende mit Schrecken besser sei als ein Ende ohne Schrecken, irren sich gewaltig: Der Crash in Griechenland ist die neue Blaupause für alle anderen Staaten. Die Ansetzbewegungen werden zum Mainstream. Das Gesicht Europas hat sich verändert. Es wird nichts mehr so sein wie zuvor. Ein Ende mit Schrecken – das ist naiv, das ist das Pfeifen im Walde. Wir erleben kein Ende, sondern eine Wende. Die Illusionen verfliegen. Der Schrecken bleibt.


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