Politik

Merkel spekuliert über Wechsel nach Brüssel

Lesezeit: 3 min
16.05.2019 13:41
Die Tage von Merkels Amtszeit sind gezählt. Jetzt gibt die Kanzlerin Spekulationen Nahrung, dass sie einen hohen Posten bei der EU in Brüssel anstrebt.
Merkel spekuliert über Wechsel nach Brüssel

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Spekulationen über einen Wechsel auf einen wichtigen EU-Posten nach dem Ende ihrer Amtszeit angeheizt. In einem heute erschienenen Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ kündigte die CDU-Politikerin an, sich künftig mit noch größerem Einsatz als bisher für die Zukunft Europas einzusetzen. „Viele machen sich Sorgen um Europa, auch ich“, so die Kanzlerin. Und weiter: „Daraus entsteht bei mir ein noch einmal gesteigertes Gefühl der Verantwortung, mich gemeinsam mit anderen um das Schicksal dieses Europas zu kümmern.»

In dem Interview beschwor Merkel zugleich ihr gutes Verhältnis zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Dieser dürfte nach der Europawahl am 26. Mai neben Merkel eine Schlüsselrolle bei der Verteilung der EU-Spitzenposten spielen. In den Wechsel-Spekulationen wird Merkel meist als mögliche Nachfolgerin von EU-Ratspräsident Donald Tusk ins Spiel gebracht - auf dem Posten könnte sie als Vermittlerin ihre große Erfahrung einbringen, so die Meinung ihrer Unterstützer.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte kürzlich klar gemacht, dass er es für denkbar hält, dass Merkel nach ihrer Zeit als Kanzlerin eine wichtige Rolle auf europäischer Ebene übernimmt. „Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass Angela Merkel in der Versenkung verschwindet“, sagte er Ende April den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Sie ist nicht nur eine Respektsperson, sondern ein liebenswertes Gesamtkunstwerk.“ Mit Blick auf ein mögliches EU-Amt Merkels fügte er hinzu: „Hochqualifiziert wäre sie.“

[newsletter-signup-telegram]

Obwohl Merkel in der „Süddeutschen Zeitung“ Meinungsverschiedenheiten mit Macron einräumte, sieht sie das gegenseitige Verhältnis unbelastet. „Gewiss, wir ringen miteinander. Es gibt Mentalitätsunterschiede zwischen uns sowie Unterschiede im Rollenverständnis.“ Das sei schon mit früheren Präsidenten so gewesen. Trotzdem stimmten Deutschland und Frankreich „in den großen Linien natürlich“ überein und fänden stets Kompromisse. „So leisten wir viel für Europa, auch heute.»“ Auf die Frage, ob sich ihr Verhältnis zu Macron in den vergangenen Monaten verschlechtert habe, antwortete Merkel: „Nein. Überhaupt nicht.“

Die Kanzlerin wies auch den Vorwurf zurück, sie setze im Vergleich zu Macron weniger europapolitische Impulse, weshalb er als Reformer gelte, sie als Bremserin. „Wir finden immer eine Mitte.“ Als Beispiel nannte Merkel „enorme Fortschritte“ in der Verteidigungspolitik. So habe man beschlossen, zusammen ein Kampfflugzeug und einen Panzer zu entwickeln. „Es ist doch ein großes gegenseitiges Kompliment und ein Zeichen des Vertrauens, wenn man sich in der Verteidigungspolitik stärker aufeinander verlässt.“

Macron sei noch nicht so lange aktiv im politischen Geschehen wie sie, sagte Merkel - er bringe noch «gewissermaßen auch ein wenig die Perspektive von außen mit. Es ist gut, wenn wir unser Europa aus verschiedenen Blickwinkeln sehen.» Zugleich warnte sie, wenn man «Europa nicht mehr zukunftsorientiert begründen könnte, wäre auch das Friedenswerk schneller in Gefahr, als man denkt».

Die Kanzlerin verwies auch auf Unterschiede in den Ämtern und politischen Kulturen. «Ich bin die Bundeskanzlerin einer Koalitionsregierung und dem Parlament viel stärker verpflichtet als der französische Präsident, der die Nationalversammlung überhaupt nicht betreten darf», sagte Merkel. «Aber in den Kernfragen - wohin entwickeln sich Europa, die Wirtschaft, welche Verantwortung tragen wir für das Klima und für Afrika - sind wir auf einer sehr ähnlichen Wellenlänge.» Dies gelte auch in der Frage, «wo wir gegebenenfalls unabhängig von den Vereinigten Staaten agieren müssen, auch wenn ich mir solche Situationen eigentlich nicht wünsche».

Macron beschrieb am Mittwochabend sein Konzept einer «fruchtbaren Konfrontation» im Verhältnis zu Deutschland. «Wir müssen es schaffen, augenblickliche Meinungsunterschiede zu akzeptieren, nicht zu allem völlig einig zu sein (...)», sagte er in Paris. «Ich glaube an die fruchtbare Konfrontation, das heißt, man schlägt vor, man testet den Partner (...)». Letztlich komme man dann zu einem Kompromiss.

Auf die von der Süddeutschen Zeitung gestellte Frage, ob sie lieber den Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP) - den konservativen CSU-Politiker Manfred Weber - als Präsidenten der EU-Kommission sehen würde oder Bundesbankpräsident Jens Weidmann als Präsidenten der Europäischen Zentralbank, sagte Merkel: «Diese Alternative diskutiere ich nicht.» Sie setze sich jetzt für Weber als Kommissionspräsidenten ein. «Das schließt nicht aus, dass Deutschland andere herausragende Persönlichkeiten für andere Ämter hat.» Auch CDU und CSU gehören zur konservativen Parteienfamilie EVP.

Zugleich räumte die Kanzlerin inhaltliche Differenzen mit Weber ein, etwa bei dessen Ablehnung der umstrittenen Ostseepipeline „Nord Stream 2“. Weber komme hier «aus einer gesamteuropäischen Perspektive zu einer anderen Lösung» als sie es tue: «Meine Perspektive ist eine deutsche und mit Europa kompatible Perspektive.» Anders als Weber plädierte Merkel auch nicht für den sofortigen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Zwar machten die jüngsten Ereignisse nach den Kommunalwahlen eine Mitgliedschaft der Türkei nicht wahrscheinlicher. Andererseits gebe es mit Blick auf Syrien und den islamistischen Terror «gemeinsame Interessen» mit der Türkei.


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Politik
Politik Europaparlament billigt neue EU-Schuldenregeln nach langwierigen Debatten
23.04.2024

Monatelang wurde über Europas neue Regen für Haushaltsdefizite und Staatsschulden diskutiert. Die EU-Abgeordneten sprechen sich nun für...

DWN
Immobilien
Immobilien Bauministerin: Innenstädte brauchen vielfältigere Angebote
23.04.2024

Klara Geywitz wirbt für mehr Vielfalt in den deutschen Innenstädten, um damit stabilere Immobilienmärkte zu unterstützen. Ein Mix von...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Palantir: Wie Vorurteile die sinnvolle Anwendung von Polizei-Software behindern
23.04.2024

Palantir Technologies ist ein Software-Anbieter aus den USA, der entweder Gruseln und Unbehagen auslöst oder Begeisterung unter seinen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen 20 Jahre EU-Osterweiterung: Wie osteuropäische Arbeitskräfte Deutschland unterstützen
23.04.2024

Zwei Jahrzehnte nach der EU-Osterweiterung haben osteuropäische Arbeitskräfte wesentlich dazu beigetragen, Engpässe im deutschen...

DWN
Finanzen
Finanzen Der DWN-Marktreport: Spannung und Entspannung – Geopolitik sorgt für Bewegung bei Aktien und Rohstoffen
23.04.2024

Die hochexplosive Lage im Nahen Osten sorgte für reichlich Volatilität an den internationalen Finanz- und Rohstoffmärkten. Nun scheint...

DWN
Finanzen
Finanzen Staatsverschuldung auf Rekordhoch: Steuerzahlerbund schlägt Alarm!
23.04.2024

Der Bund Deutscher Steuerzahler warnt: Ohne Kehrtwende droht der fiskalische Abgrund, trotzdem schöpft die Bundesregierung das...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Zahl der Apotheken in Deutschland sinkt weiter - Verband alamiert
23.04.2024

Laut neuen Zahlen gibt es immer weniger Apotheken-Standorte. Der Apothekerverband spricht von „alarmierenden Zeichen“ und erklärt,...

DWN
Finanzen
Finanzen Silber im Aufschwung: Das Gold des kleinen Mannes holt auf
23.04.2024

Silber hinkt traditionell dem großen Bruder Gold etwas hinterher. In den letzten Wochen hat der Silberpreis massiv zugelegt. Was sind die...