Finanzen

EU-Geheimplan: Nicht mehr Steuerzahler, sondern Investoren sollen Banken retten

Lesezeit: 2 min
28.05.2012 01:11
Die EU-Kommission will, dass Gläubiger von Banken künftig auf ihre Forderungen verzichten müssen, wenn eine Bank vor der Insolvenz steht. Die Reform soll die Steuerzahler entlasten. Die EU hat die Pläne bisher streng geheim gehalten. Aus gutem Grund: Werden sie bekannt, kann eine massive Kapitalflucht aus den europäischen Banken die Folge sein. Dies nennt man auf Neudeutsch Crash.
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Die EU-Kommission will mit einer Reform der Finanzindustrie die europäischen Steuerzahler entlasten. Künftig sollen angeschlagene Banken nicht mehr von Staaten – also auf Kosten der Steuerzahler – sondern von den Gläubigern gerettet werden. Dies geht aus den Reformvorschlägen der EU-Kommission hervor, die von der FT eingesehen wurden. Das Ziel: Ein Schuldenschnitt für die Investoren, die in Bankenwerte investiert sind. Die europäischen Regulierer sollen diesen erwingen können. Betroffen sind vor allem unbesicherte Schuldscheine.

Die Entwürfe der Kommission sehen vor, dass Gläubiger Schulden von Banken abschreiben müssen, sollten diese vor der Zahlungsunfähigkeit stehen. Weil ein möglicher Schuldenschnitt für angeschlagene Banken das Vertrauen von Anlegern weiter belasten würde, werden die Reformpläne besonders geheim gehalten. Obwohl sie schon in wenigen Wochen veröffentlicht werden sollen, gibt es aktuell drei Entwürfe, die immer noch verändert werden.

Werden die Vorschläge angenommen, bergen Investments in Bank-Aktien ein erheblich höheres Risiko für die Anleger. Dies würde es den Banken erschweren, Kapital aufzutreiben. Das zusätzliche Risiko macht Investments in Bankenwerte extrem unattraktiv und könnte die aktuelle Bankenkrise weiter verschärfen.

Daher hat die EU diese Vorschläge bisher geheimgehalten. Zwar hatte Kommissionspräsident José Manuel Barroso im Herbst 2011 in Strassburg erstmals die Summe von 4,6 Billionen genannt, die die EU-Staaten bisher in die Bankenrettung gepumpt hatten. Im Zusammenhang mit der Finanztransaktionssteuer hatte Barroso gesagt, die Zeit sei vorüber, dass die Steuerzahler die Banken retten könnten. Dies sei Aufgabe der Shareholder der Banken. Die Finanzwirtschaft müsse nun der Gemeinschaft wieder etwas zurückgeben.

Die neuen Vorschläge stossen bei Beobachtern jedoch auf Skepsis. Es wird befürchtet, dass die EU mit dieser Idee Öl ins Feuer der ohnehin schon brennenden europäischen Banken gießen könnte. Vielleicht aber ist das Konzept auch Ausdruck eines gewissen Fatalismus. Bob Penn von Allen & Overy sagte der FT: "Die Kommission könnte entscheiden haben, dass die Dinge schon so schlimm sind, dass sie durch nichts noch schlimmer gemacht werden könnten."

Vor allem aber lassen die Entwürfe einige weitere Zeitbomben außer Acht: Das Überwälzen der Risiken auf die Gläubiger der Banken betrifft nicht den gigantischen Markt der Derivate: Die hochgefährlichen Kunstprodukte belaufen sich gegenwärtig auf etwa 400 Billionen Dollar allein bei den Interest Swaps (Zins-Absicherungen, mit denen Investoren sich gegen Zins-Schwankungen absichern; ein solcher Swap, eingefädelt von Goldman Sachs, war der Anfang vom Ende in Griechenland - mehr hier bei DMN).

Die Entwürfe berücksichtigen ebenfalls nicht die Hochgeschwindigkeits-Trader (High Frequency Trader HFT, die schon im Jahr 2008 zu einer verheerenden Wertevernichtung in den USA geführt haben. Wenn eine latente Kapitalflucht durch HFT beschleunigt wird, hilft keine EU-Richtline.

Die EU-Entwürfe behandeln außerdem nicht die ungedeckten Leerverkäufe, durch welche die Frage, wer eigentlich Investor, Gläubiger oder Spekulant ist, komplett unklar wird. Wer am Ende die Rechnung bezahlt, ist unklar. Wie das läuft, hat man ebenfalls in Griechenland gesehen, wo zahlreiche Hedge Fonds nicht am Schuldenschnitt teilgenommen haben und sich gegen ihre Enteignung auf dem Klageweg zu wehren wissen.

Außerdem gibt es politische Schwachstellen. Der EU-Entwurf sieht vor, dass die nationalen Regulatoren für die Umsetzung verantwortlich sind. Es ist bekannt, dass die nationalen Regulatoren dazu neigen, weichere Regeln aufzustellen, weil sie versuchen, dem nationalen Bankensystem einen Vorteil gegenüber anderen Staaten zu verschaffen.

Außerdem ist es sehr unwahrscheinlich, dass Großbritannien der Regelung zustimmen wird. Schon bisher haben die Briten alles unternommen, um Finanzmarkt-Regulierungen zu torpedieren - aus dem einfachen Grund, weil die Finanzindustrie die einzige Industrie ist, mit der die Briten im globalen Vergleich noch eine Rolle spielen.

Es verwundert daher nicht, dass die Regelungen erst 2018 in Kraft treten sollen. Kommissar Michel Barnier betonte, dass es sich um eine langfristige Maßnahme handelt. Ein Beobachter meint, dass es ganz gut sei, dass das Ganze erst so spät in Kraft treten solle: 2018 dürfte die Krise schon vorüber sein. Wie Europa dann jedoch aussieht und ob es überhaupt noch viele Banken geben wird, die gerettet werden müssen, ist eine Frage, die angesichts der rapiden Beschleunigung der Euro-Krise niemand beantworten kann.


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