Politik

Armut in Europa: Die Tuberkulose kehrt zurück

Lesezeit: 3 min
26.02.2013 02:40
Die Kürzung der Gesundheitsausgaben und die zunehmende Armut in Südeuropa könnten zum Ausbrechen einer gegen die meisten Medikamente resistenten Tuberkulose-Art führen. Migration und Tourismus aus den ehemaligen Ostblock-Staaten begünstigen diese Entwicklung sogar.
Armut in Europa: Die Tuberkulose kehrt zurück

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Aktuell:

Brüssel zittert: Italien läutet das Ende der EU ein

Tuberkulose fand in den vergangenen zehn Jahren keine besonders große Beachtung in der westlichen Welt, sie galt als überwiegend ausgeschaltet. Doch in den ehemaligen Ost-Block-Staaten nimmt die Zahl der Tuberkuloseerkrankungen wieder zu und birgt eine Gefahr nicht nur für die dortige Bevölkerung, sondern für ganz Europa – die Krise begünstigt dies zusätzlich.

Nach dem Ende der Sowjetunion war das öffentliche Gesundheitswesen einem Zusammenbruch nah. Fehlende Krankenschwestern und Apotheken, die teure Medikamente ohne Rezept und Anweisung zur richtigen Einnahme verkauften, führten gegen Ende der 90er Jahre zu einem massiven Anstieg in den ehemaligen Ost-Block-Staaten: Die betroffenen Patienten nahmen teilweise die falschen Medikamentenkombinationen, erhielten gar keine Medikamente oder setzten diese zu früh ab. Die verfrühte Absetzung der Medikamente sowie die falsche Kombination aus verschiedenen Präparaten führten dazu, dass die Bakterien mutierten und schnell resistent gegen entsprechende Mittel wurden. Und obwohl sich beispielsweise die baltischen Staaten politisch stark mit dem Problem auseinandersetzen, „zahlen wir noch immer für die Fehler der Vergangenheit“, sagte Giovanni Battista Migliori, Direktor des Zentrums für Tuberkulose und Lungenkrankheiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Italien, dem EUObserver.

Der falsche Gebrauch von Antibiotika hat nicht nur zu mehr Tuberkulosefällen geführt, sondern zu besonders resistenten Varianten. Besonders betroffen ist vor allem Rumänien. „Fast jeder zweite Tuberkulose-Patient der EU stammt aus Rumänien“, so Dara Masoud, Europa-Berater für Tuberkulose bei der WHO. An der multiresistenten Tuberkulose erkranken hier jedes Jahr zwischen 1.000 und 1.200 Menschen. Doch weniger als zwei von zehn Patienten, die unter der multiresistenten Tuberkulose in Rumänien leiden, können geheilt werden. Hinzu kommt, dass in Rumänien 27 bis 28 Prozent der Betroffenen ihre Behandlung frühzeitig abbrechen. Ein unbehandelter Tuberkulose-Erkrankte kann jedoch bis zu 15 Personen im Jahr anstecken. Außerdem dauere es manchmal in Rumänien mehrere Monate, bis die entsprechende Diagnose gestellt werde – in anderen EU-Mitgliedsstaaten geht das innerhalb von Tagen.

Ein weiteres Problem in Rumänien, wie auch in anderen Staaten, ist die Kostspieligkeit der Behandlung. Die Behandlung einer normalen Tuberkulose kostet zwischen 50 und 60 Dollar, so Masoud. Eine multiresistente Tuberkulose kann jedoch bis zu 7.500 Dollar im Monat kosten. Die Behandlungskosten für extrem-resistente  Tuberkulose liegen sogar bei bis zu 20.000 Dollar. Doch die Tuberkulose-Probleme in Rumänien etwa sind bereits dabei zu einem gesamteuropäischen Problem zu werden. Migration und Tourismus spielen hier eine große Rolle.

So kommt etwa die Hälfte der Medikamenten-resistenten Tuberkulose-Fälle, die in den Niederlanden registriert werden, aus Rumänien, sagt Gina Popescu, Chefin des Tuberkulose-Programms in Rumänien. In Belgien kommen die Tuberkulose-Fälle überwiegend ursprünglich aus Tschetschenien. Ein ähnliches Bild zeigt sich in Italien: „Jedes Jahr haben wir drei oder vier Personen, die nach Italien kommen und sterben müssen. Die Fälle sind völlig unüberschaubar - resistent gegen alle Medikamente“, so Giovanni Battista Migliori von der WHO.

Von den 27 am stärksten von der resistenten Tuberkulose betroffenen Ländern befinden sich der WHO zufolge allein 15 in Europa – vier davon sind EU-Staaten. Gerard de Vries von der niederländischen Tuberkulose-Stiftung KNCV geht davon aus, dass die normale Tuberkulose in den europäischen Staaten unter Kontrolle ist, aber Probleme sieht auch er bei den multiresistenten tuberkulose-Fällen, „da es hier kaum noch Medikamente gibt, um die Menschen zu behandeln“. Zu widerstandsfähig seien die Bakterien geworden. Belarus etwa hat die höchste Rate der Medikamenten-resistenten Tuberkulose der Welt. Jeder zweite Tuberkulose Fall ist multiresistent. In der Ukraine sind es ein Fünftel der Patienten, in Moldawien gab es WHO-Schätzungen zufolge  1.700 Fälle dieser Art. Für Russland liegen die Prognosen bei etwa 31.000 resistenten Fällen, lediglich 13.700 davon befinden sich überhaupt in Behandlung.

Die fortschreitende Krise in der Eurozone könnte diese Entwicklung noch begünstigen. Gerade in den südeuropäischen Ländern wie Griechenland, Spanien, Italien und Portugal kann es aufgrund der zunehmenden Armut der Bevölkerung und der Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen zu einem Anstieg der multiresistenten Tuberkulose-Fälle führen. „Die Menschen sind arm“, so Andra Cirule, Pneumologin an der lettischen Klinik für Tuberkulose- und Lungenkrankheiten. „Sie gehen nicht zu Ärzten, weil sie denken, es sei nicht notwendig, für einen Arztbesuch zu zahlen, aber für Tuberkulose ist es notwendig“, ergänzt sie.

Gerade bei der zunehmenden Anzahl multiresistenter Tuberkulose-Fälle ist es auch im Forschungsbereich schwierig zu begegnen. Viele Medikamente und Impfstoffe sind sehr alt, auch, weil die Pharmaunternehmen in der Krankheit kein großes Gewinnpotential sehen. „Impfstoffe sind extrem schwierig herzustellen“, sagt auch Hannu Laang von der Forschungsabteilung der Europäischen Kommission. Der Impfstoff Bacillus Calmette-Guerin (BCG) beispielsweise ist fast 100 Jahre alt. „In zehn Jahren werden wir zusätzlich auch Tuberkulose-Fälle haben, die gegenüber diesen alten Medikamente resistent sind“, warnt Battista Migliori, Direktor des Zentrums für Tuberkulose und Lungenkrankheiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Italien. „Und dann haben wir für weitere 20 Jahre nichts", ergänzt er.

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..


Mehr zum Thema:  
Europa >

DWN
Politik
Politik Verfassungsgericht stärken: Mehrheit der Parteien auf dem Weg zur Einigung?
28.03.2024

Das Verfassungsgericht soll gestärkt werden - gegen etwaige knappe Mehrheiten im Bundestag in aller Zukunft. Eine Einigung zeichnet sich...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschlands maue Wirtschaftslage verhärtet sich
28.03.2024

Das DIW-Konjunkturbarometer enttäuscht und signalisiert dauerhafte wirtschaftliche Stagnation. Unterdessen blieb der erhoffte...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Lauterbach will RKI-Protokolle weitgehend entschwärzen
28.03.2024

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, dass einige der geschwärzten Stellen in den Corona-Protokollen des RKI aus der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Brückeneinsturz in Baltimore trifft Importgeschäft der deutschen Autobauer
28.03.2024

Baltimore ist eine wichtige Drehscheibe für die deutschen Autobauer. Der Brückeneinsturz in einem der wichtigsten Häfen der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft „Made in Germany“ ist wieder gefragt - deutsche Exporte steigen deutlich
28.03.2024

Der Außenhandel in Deutschland hat wider Erwarten zu Jahresbeginn deutlich Fahrt aufgenommen. Insgesamt verließen Waren im Wert von 135,6...

DWN
Finanzen
Finanzen Der Ukraine-Krieg macht's möglich: Euro-Bonds durch die Hintertür
28.03.2024

Die EU-Kommission versucht, mehr Macht an sich zu ziehen. Das Mittel der Wahl hierfür könnten gemeinsame Anleihen, sogenannte Euro-Bonds,...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Osterfreude und EM-Fieber: Hoffnungsschimmer für Einzelhandel
28.03.2024

Das Ostergeschäft verspricht eine Wende für den deutschen Einzelhandel - nach einem düsteren Februar. Wird die Frühlingshoffnung die...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienkrise für Banken noch nicht überwunden
28.03.2024

Die deutschen (Pfandbrief-)Banken sind stark im Gewerbeimmobilien-Geschäft engagiert. Das macht sie anfällig für Preisrückgänge in dem...