Politik

Beppe Grillo: Wer ist der Mann, vor dem Europa zittert?

Lesezeit: 6 min
27.02.2013 01:29
Beppe Grillo Schockwellen hat Europa und die internationale Finanzwelt geschockt. Der junge Göttinger Forscher Bastian Brandau hat sich mit dem Revolutionär beschäftigt. Grillo will, dass Politik kein mit Steuermitteln bezahlter Job, sondern Dienst an der Allgemeinheit sein soll. Er ist gegen Staats-Monopole, eine ausufernde Bürokratie und die ungezügelte Macht der Banken. Es gibt ziemlich viele, die ihn genau deswegen fürchten.
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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie haben sich in einer brandaktuellen Studie mit Beppe Grillo befasst. Was ist das für ein Typ?

Bastian Brandau: Beppe Grillo war in den 1970er und 1980er Jahren ein bekannter Komiker, der in Shows im italienischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen auftrat. Er war immer ein politischer Entertainer, spätestens seitdem er sich Ende der 1980er Jahre aus dem Fernsehen verabschiedete. Er musste gehen, weil er sich über die regierenden Sozialisten und deren allgemein bekannten Bestechlichkeit lustig gemacht hatte. Die Tourneen, die er danach veranstaltete, hatten politische Themen wie 1995  „Energie und Information“. Grillos Art kann man als extrovertiert beschreiben, er schreit, gestikuliert und gibt auf der Bühne alles – das kann man auch anstrengend finden. Insbesondere die mangelnde Informationsfreiheit hat ihn dann auch dazu bewegt, das Internet zu benutzen -  eigentlich hatte er eine Aversion gegen Computer, die er am Ende seiner Auftritte regelmäßig zerhackte. Sein Blog [ww.beppegrillo.it] war und ist ein Riesenerfolg, was auch viel mit den dort veröffentlichten Informationen zu tun hatte, die es schlicht nirgends anders einzusehen gab.

Der endgültige Wandel vom Komiker zum Politiker hat er mit der Gründung des Movimento 5 Stelle vollzogen. Grillo ist der Lautsprecher, das Megaphon der Bewegung, er befindet sich im Diskurs auf Augenhöhe mit den Spitzenpolitikern, die er mit einfachen Wahrheiten angeht. Das spricht in Italien viele Menschen an. Medienkritiker sagen, dass sich jemand wie Grillo alle fünf bis sieben Jahre neu erfindet – man darf gespannt sein.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Rolle spielt Basis-Demokratie?

Bastian Brandau: Die lokalen Gruppierungen des Movimento 5 Stelle, die ich untersucht habe, haben sich Regeln gegeben, wie sie über Themen und Inhalte entscheiden wollen. Eine Art Vollversammlung soll dabei immer das letzte Wort haben, in einigen Regionen werden durch sie auch die Abgeordneten entlastet und deren Gehalt festgelegt, also wie viel Geld sie von der ihnen zustehenden Diät behalten dürfen.

Auf Landes- und Bundesebene gibt es keine Organisationsstruktur, hier erlebt man es im Gegensatz, dass der Führungszirkel um Beppe Grillo durchgreift, etwa bei zwei Abgeordneten, die sich nicht in seinem Sinne verhielten, und denen er kurz vor Weihnachten 2012 die Benutzung des Symbols verbot, was einem Ausschluss gleichkam. Einer von ihnen hatte nämlich gerade die mangelnde parteiinterne Demokratie angeprangert und Grillos Einflüsterer Casaleggio kritisiert. Ein weiteres zwiespältiges Beispiel waren die Vorwahlen für die Kandidaten in den einzelnen Wahlkreisen.

Jeder online registrierte und bestätigte Aktivist hatte Wahlrecht, wer sich zur Wahl stellen durfte und wie genau das Procedere aussah, hatte wiederum der Zirkel um Grillo festgesetzt. Man muss aber auch wissen, dass in Italien innerparteiliche Demokratie nicht vorgeschrieben ist und häufig einfach die Parteivorsitzenden sämtliche Entscheidungen treffen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Das Movimento ist ganz anders organisiert als klassische Parteien. Wie läuft das ab?

Bastian Brandau: Das Movimento ist in Ablehnung des in Italien stark negativ konnotierten Parteienbegriffs bewusst keine Partei und will auch keine werden. Es gibt keinen Mitgliedsbeitrag, keinen Ausweis und kein Parteipräsidium. Ziel ist es, zu zeigen, dass effektive Politik ohne schwere Verwaltungsstruktur und staatliche Zuwendungen möglich ist. Die Wahlkampfkostenerstattung wird dem Staat zurückgegeben, nach den Parlamentswahlen sollen es rund 100 Millionen Euro sein.

Die Organisation funktioniert in einer Stadt anders als in der nächsten. Typisch sind regelmäßige Vollversammlungen, die mal angedachte Entscheidungsfindung via Internet findet nach meinen Erkenntnissen eher selten statt. Jede lokale Gruppierung kann thematisch autonom agieren.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Leute schließen sich dem M5S an?

Bastian Brandau: Verallgemeinernd kann man sagen, dass es jüngere oft gut gebildete Menschen sind, also die Mittelschicht, die von den wirtschaftlich schlechten Entwicklungen der vergangenen Jahre besonders betroffen ist. Sie wären früher eher im Mitte-Links-Lager zu verorten gewesen, sind aber von den Parteien enttäuscht. Auf einmal sehen sie eine Bewegung, in der für sie attraktiv ist, sich zu engagieren. Die Mandatsträger, mit denen ich gesprochen habe, waren vorher Fotograf bzw. Tierarzt.

In den nördlichen Regionen Italiens ist das Movimento auch Erbe der Lega Nord, die sich ja vor zwanzig Jahren als sauberer New-Entry in die Politik profilierte, der mit den Verstrickungen der etablierten Parteien nichts zu tun hat.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Es gibt die Regel, dann Mandatare nur auf Zeit gewählt werden. Warum ist das so?

Bastian Brandau: Die Idee die dahinter steckt, ist das Politiker kein Beruf sein soll, sondern lediglich eine Art Dienst an der Allgemeinheit, den man für eine gewisse Zeit ausübt, um dann wieder ins „normale“ Berufsleben zurückzugehen. Die Privilegien, die mit einem Mandat verbunden sind, sollen nicht der Anreiz sein, sich zu engagieren. Deswegen werden auch die neuen Abgeordneten nur einen Teil ihrer Diät annehmen und den Großteil spenden.

Man kennt diese zwei-Mandats-Regelung vom amerikanischen Präsidenten. Ob diese Regelung auch für Parlamentarier praktikabel ist und was passiert, wenn die erste Generation des Movimento 5 Stelle abdanken muss, ist schwer zu sagen. Die Regelung ist auch eine klare Abgrenzung zu den anderen Parteien und Politikern, denen man Karrierismus und Verschwendung vorwirft.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Bewegung wird nun mit vielen Newcomern im Parlament in Rom einziehen. Wo kommen die Abgeordneten her?

Bastian Brandau: Das wird eine bunte Mischung sein, generalisierend unterscheiden sich die Kandidaten aber durch einige Punkte von denen der anderen Parteien: Die Abgeordneten sind wesentlich jünger als die Kandidaten der anderen Parteien, der Anteil der Frauen ist wesentlich höher, nämlich mehr als die Hälfte, in Italien eine Sensation. Typischerweise sind es Angestellte oder Selbständige, häufig mit Universitätsabschluss; einige kommen direkt von der Universität. Parlamentarische Erfahrung hat keiner von ihnen, wohl aber Wahlkampferfahrung auf Kommunal-  oder Regionalebene. Es wird spannend zu beobachten sein, wie sie sich im Parlament einordnen und verhalten werden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Grillo ist ein knallharter Wirtschaftskritiker, wenn es um Korruption geht. Waren seine Angriffe auf die römische Selbstbedienungs-Mentalität wahlentscheidend?

Bastian Brandau: Die Annahme, dass ein Großteil der italienischen Politiker korrupt ist, gehört zur Grundüberzeugung Grillos und seine Anhänger, das ist für sie sonnenklar. Die Politiker der anderen Parteien haben in den vergangenen Jahren leider wenig dafür getan, die Menschen vom Gegensatz zu überzeugen, das Berlusconi-Lager ebenso wenig wie die Demokraten zuletzt angesichts des Zerfalls der Bank Monte dei Paschi di Siena. Von daher war der Hinweis auf die weit verbreitete Korruption sicher einer der Grundpfeiler des Wahlerfolgs des Movimento 5 Stelle.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie steht er zur Marktwirtschaft?

Bastian Brandau: Es ist schwer, bei Grillo darüber eine gerade Linie zu finden. Entscheidend ist auch nicht unbedingt, was er will, da sollte man die Bewegung als Ganzes nicht unterschätzen. Es ist nicht möglich, hier im Moment eine klare Aussage zu treffen. Im Wahlprogramm des Movimento finden sich Forderungen nach Auflösung von Quasi-Monopolen wie der Telecom Italia, Berlusconis Mediaset, der italienischen Eisenbahn. Banken und Großunternehmen sollen klarer getrennt werden, als dies in Italien aktuell der Fall ist.

Eingriffe in den Markt sind durchaus vorgesehen, etwa um Preise für Strom, Gas, Wasser auf ein europäisches Niveau zu senken. Auch tritt das Movimento für eine Deckelung von Manager-Gehältern ein. Um den Haushalt zu sanieren, sollen sofort öffentliche Ausgaben gestrichen werden. Auch ein Grundeinkommen wurde zuletzt gefordert, genauso wie die Privilegierung nachhaltiger und regionaler Wirtschaft.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Will er, dass Italien aus dem Euro austritt?

Bastian Brandau: Unklar, Grillo positioniert sich mal so, mal so. Eine Forderung des Movimento 5 Stelle ist die nach einem Referendum über den Ausstieg aus dem Euro. Ob das überhaupt möglich ist, ist umstritten.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Er hat auch immer wieder die Bürokraten in Brüssel attackiert. Wie steht das M2S zu den Euro-Zentralisten?

Bastian Brandau: Beppe Grillo hat 2009 vor dem Europaparlament gesprochen und die Probleme in seinem Land geschildert. Viele Italiener erhoffen sich Unterstützung aus Brüssel, eine Hoffnung, die unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Lage und den Vorgaben aus Brüssel wohl eher geschwunden sein dürfte.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Oft sind neue Parteien ausländerfeindlich. Bis auf einen Ausrutscher scheint M5S eher liberal. Stimmt das?

Bastian Brandau: Das Movimento 5 Stelle ist keinesfalls mit der FPÖ in Österreich oder der VVD in den Niederlanden zu vergleichen. Grillo ist Populist, sicher aber weder Rassist noch Faschist, das gilt wohl auch für 99,9%  seiner Anhänger. Da sie sich aber als „postideologisch“ verstehen, haben sie keine Berührungsängste mit der Lega Nord oder den Faschisten der „Casa Pound“, was sehr irritierend wirkt.

Ihr Credo ist: Wenn wir etwas durchsetzen können und die Lega unterstützt uns dabei, ist es uns egal, dass es die Lega ist, auch wenn diese Zusammenarbeit in der Realität recht selten sein dürfte. Grillo hat einige widersprüchliche Äußerungen getätigt, unter anderem über die Staatsbürgerschaft über in Italien geborene Menschen nichtitalienischer Herkunft, was ihm immer wieder vorgehalten wird. Das Programm des Movimento 5 Stelle enthält meiner Erkenntnis nach keinerlei Formen des Rassismus.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Kann Grillos Bewegung in Italien etwas verändern?

Bastian Brandau: So radikal, wie es ihnen vorschwebt, werden die Änderungen sicher nicht sein. Die Mandatsträger, die ich im März 2011 interviewt habe, haben schon erste Veränderungen gesehen: Politik in ihrer Region laufe jetzt sauberer ab, die Regierung sei vorsichtiger geworden, betreffend Ausgabe, Postenbesetzung, Spesenabrechnung. Ähnlich könnte es jetzt im Parlament laufen.

Ob es dem Movimento gelingen wird, eigene Forderungen durchzusetzen, ist schwer zu sagen, da es noch völlig offen ist, ob es überhaupt zu einer Zusammenarbeit mit einer Regierung kommt, die ja auch erst einmal gebildet werden muss. Was jetzt schon offensichtlich ist: Sie haben die Machtverhältnisse in Italien stark verschoben. Und sie haben viele Menschen zu bürgerschaftlichem Engagement bewegt, die dies vor kurzer Zeit noch für sich völlig abgelehnt hätten.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wird M5S jetzt zwangsläufig zu einer „normalen“ Partei“, oder kann die Bewegung ihr Profil bewahren?

Bastian Brandau: Die Gefahr des Verschleißes der Abgeordneten sehe ich auf jeden Fall, denn sie werden keine Wunderdinge vollbringen können und schnell an ihre Grenzen stoßen. Und: Bisher ging es immer nur aufwärts, wie wird die Bewegung mit ersten Rückschlägen umgehen? Interessant wird, welche Persönlichkeiten sich im Parlament hervortun werden innerhalb der Fraktionen. Grillo, der ja nicht im Parlament sitzt, wird seine Rolle im Zusammenspiel mit den Parlamentariern in Abgeordnetenhaus und Senat auch noch finden müssen. Außerdem warten natürlich sämtliche politischen Gegner auf den ersten großen Fehler eines Parlamentariers.

Bastian Brandau ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Sein soeben erschienenes Buch: Fünf Sterne gegen Berlusconi. Das Movimento 5 Stelle und sein Weg in die italienische Politik. Göttinger Junge Forschung 14, ibidem-Verlag: Stuttgart 2013, 160 Seiten, 24,90 Euro.

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