Politik

EU erlaubt offiziell Manipulationen der nationalen Defizite

Lesezeit: 3 min
05.07.2013 01:12
Die EU hat eine neue Idee präsentiert, wie sich die Staaten ihre Defizite schönrechnen können. Leider haben die EU-Führer dabei übersehen, dass schwer verschuldeten Staaten auch die feinsinnigsten Manipulationen nichts mehr nützen.
EU erlaubt offiziell Manipulationen der nationalen Defizite

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die EU hat sich zu einem weitreichenden Schritt entschlossen: Weil die nationalen Haushalts-Defizite nicht mehr auf legalem Weg unter Kontrolle gebracht werden können, wird den Schulden-Staaten nun offiziell erlaubt, ihre Defizite durch kreative Buchführung zu schönen.

Damit haben wir eine neue Qualität in der Euro-Krise erreicht: Die EU-Kommission erlaubt offiziell die Manipulation der nationalen Haushalts-Defizite.

Verpackt wird dieser bemerkenswerte Schritt in eine Mischung aus Krisen-Jargon und Bürokraten-Sprech.

Der Kern der Maßnahme: Wenn es einem Land schlecht geht, kann es Investitionen aus dem Defizit herausrechnen.

Der gewagte Schachzug soll vor allem die Italiener beruhigen.

Am Mittwoch gab das italienische Finanzministerium bekannt, die Wirtschaftskraft werde in diesem Jahr um 1,5 bis 1,6 Prozent sinken. Ein Wirtschaftswachstum ist jedoch unmittelbare Voraussetzung dafür, die Staatsverschuldung nach und nach abbauen zu können.

Noch verheerender sieht es beim italienischen Staatsdefizit aus. Das Defizit stieg entsprechend im ersten Quartal dieses Jahres auf 7,3 Prozent. Im Vorjahresquartal lag es noch bei 6,6 Prozent und das Defizit-Ziel für dieses Jahr ist 2,9 Prozent.

Offenbar war dies der EU-Kommission bereits längst bekannt. Denn nun möchte die EU-Kommission die Fiskalregeln durch Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen lockern. Was bisher noch ein theoretisches Planspiel der EU war, wird nun ganz konkret. Mittels kreativer Buchführung sollen Investitionen in die Infrastruktur nicht mehr dem Haushaltsdefizit angerechnet werden (hier).

Brüssel will den EU-Ländern mehr Flexibilität geben, um damit wichtige öffentliche Investitionen zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums zu erreichen, so die FT. Auch die Senkung der Rekordarbeitslosigkeit soll dadurch erleichtert werden.

Bisher mussten die EU-Staaten bei Projekten, die durch den sogenannten EU-Strukturfonds gefördert wurden, als Ko-Finanzierung bis zu 50 Prozent beitragen. Diese öffentlichen Investitionen sollten nach den Plänen der EU nur noch teilweise dem Staatsdefizit angerechnet werden.

Nun will die Kommission noch weiter gehen - und den Schuldenstaaten die Buchhaltung erleichtern.

Das ist Manipulation.

Sonst gar nichts.

José Manuel Barroso, der Präsident der Europäischen Kommission, sagte, „dass die Budgetregeln, die mitten in der Eurokrise verstärkt interpretiert werden, nicht mehr tragbar sind, so dass einige öffentliche Ausgaben für Verkehr, Energie und andere Infrastruktur in den veröffentlichen Defizitzahlen in diesem und nächstem Jahr nicht mehr enthalten sein werden“.

Mit anderen Worten: Jedwede neue Investition in die Infrastruktur – in welchem milliardenschweren Umfang auch immer – wird dem Staatsdefizit nicht mehr angerechnet. Allein drei Milliarden Euro sollen etwa in das Bahnnetz investiert werden.

In der Krise gelten also die Regeln, die genau für die Krise aufgestellt wurden, nichts mehr. 

Die EU setzt ihre lange Tradition der Rechtsbrüche ungeniert fort.

Man kann den Eindruck gewinnen: Je aussichtsloser die Lage, desto unverfrorener die Willkür.

EU-Kommissionspräsident Barroso sagte zu diesem Thema am Mittwoch im EU-Parlament: „Die Kommission hat weitere Möglichkeiten zu einem einmaligen öffentlichen Investitionsprogramm mit einem nachgewiesenen Einfluss auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen erforscht.“

Währungs-Kommissar Olli Rehn soll die Ausnahmen gegenüber den Finanzministern in den Einzelstaaten in einem Schreiben konkretisieren, berichtet die FT. Eine Zustimmung der Staaten ist jedoch nicht nötig, weil die Interpretationsfreiheit bei der Budget-Bewertung bereits jetzt Bestandteil der Verträge ist.

Darüber freute sich vor allem Italiens Ministerpräsident Enrico Letta. „Wir haben es geschafft!“, schrieb er über Twitter. Italiens Finanzminister Saccomanni sah gar „ein Licht am Ende des Tunnels“.

Tatsächlich hilft die Maßnahme den hochverschuldeten Staaten wie Italien überhaupt nicht. Sie müssen ihre Schulden refinanzieren. Wenn die Zinssätze am Bondmarkt wieder steigen, haben die Staaten keine Spielräume mehr für Investitionen. Am Ende 2012 betrugen die Staatsschulden 1,988 Billionen Euro, im April waren es der italienischen Zentralbank zufolge dann bereits 2,0413 Billionen Euro.

Ein ähnliches Problem haben gerade die Niederlande: Sie können sich wegen des giftigen Cocktails aus geringeren Steuereinnahmen, zu erwartenden Banken-Rettungen und Zinseszinsen keine Investitionen mehr leisten - und rufen die Banken um Hilfe (hier).

Profitieren werden von der EU-Erleichterung jedoch nicht die alten Schulden-Staaten, sondern das Baltikum und Rumänien, wie Beobachter erwarten. Denn diese Staaten haben schon hohe Investitionen in ihren Haushaltsplänen - und können diese nun vom Defizit absetzen.

Die EU-Maßnahme zeigt, dass die Schuldenkrise so verfahren ist, dass mit technokratischen Tricks nichts erreicht werden kann.

Brüssel versucht verzweifelt, zu retten, was nicht mehr zu retten ist.

Es dürfte nicht allzu lange dauern, bis die Italiener merken, dass sie verschaukelt wurden.

Denn wenn etwas in Europa unbestechlich ist, dann sind es die Schuldenstände.

Sie sind die einzige Währung, die nicht unbemerkt manipuliert werden kann.

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Politik
Politik Vom Kriegsrisiko bis zur politischen Krise: Chameneis Erbe und Irans Zukunft
16.04.2024

Die politische Landschaft des Irans ist geprägt von Unsicherheit und potenziellen Umwälzungen. Während sich die Diskussionen über die...

DWN
Politik
Politik Eskalation im Nahen Osten: Israel plant wohl Antwort auf iranischen Drohnenangriff
16.04.2024

Die Spannungen im Nahen Osten spitzen sich zu, nachdem der Iran Israel mit Raketen attackiert hat. Welche Optionen hat Israel? Wie reagiert...

DWN
Politik
Politik Scholz in China: Deutliche Worte bei Xi zum Ukraine-Krieg und Klimaschutz
16.04.2024

Auf der letzten Etappe seiner China-Reise traf Bundeskanzler Scholz seinen Amtskollegen Präsident Xi Jinping. Bei ihrem Treffen in Peking...

DWN
Politik
Politik Engpass bei Stromversorgung: Oranienburg zeigt Deutschland die Grenzen auf
16.04.2024

Noch ist es ein Einzelfall: Die Kleinstadt Oranienburg, nördlich von Berlin, kommt dem Bedarf ihrer Kunden nicht mehr umfänglich nach....

DWN
Politik
Politik Ampel-Regierung bringt Reform des Klimaschutzgesetzes und Solarpaket auf den Weg
15.04.2024

Mehr Solarkraft und neue Leitlinien beim Klimaschutz: SPD, Grüne und FDP haben sich auf eine Reform des umstrittenen Klimaschutzgesetzes...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Marktflaute bei E-Autos: Tesla plant massiven Stellenabbau
15.04.2024

Nach Jahren des schnellen Wachstums hat sich Markt für Elektroautos deutlich abgekühlt. Nun will Tesla-Chef Elon Musk im großen Stil...

DWN
Politik
Politik Angriff auf Israel: Warum die Revolutionsgarde im Iran eine große Gefahr ist
15.04.2024

Der massive Raketen- und Drohnenangriff aus dem Iran auf Israel markiert einen Wendepunkt im langjährigen Konflikt der beiden Länder. Was...

DWN
Finanzen
Finanzen Kurz vor dem nächsten "Halving": Wie geht es mit dem Bitcoin weiter?
15.04.2024

Der Bitcoin hat in diesem Jahr eine rasante Rally hingelegt. Die bevorstehende Halbierung des täglich neugeschöpften Bitcoin-Angebots...