Immer weniger Menschen in Deutschland profitieren von Branchentarifverträgen. Im vergangenen Jahr galt dies nur noch für rund 50 Prozent der Arbeitnehmer, wie aus einer am Montag vorgestellten Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) unter mehr als 15.000 Betrieben hervorgeht.
Allein im Westen fiel die Zahl der Beschäftigten, die in Betrieben mit Branchentarifverträgen arbeiteten, von 70 Prozent 1996 auf 52 Prozent 2013. Im Osten gab es einen Rückgang von 56 auf 35 Prozent. „In der langen Sicht ist die rückläufige Tendenz eindeutig“, sagte IAB-Expertin Susanne Kohaut. Zuletzt habe sich die Entwicklung allerdings verlangsamt.
Einen Grund für den Rückgang der Tarifbindung sehen Fachleute im Strukturwandel. „Es gibt weiter einen Prozess hin zu mehr Dienstleistung und zu kleineren Betrieben“, sagte der Tarifexperte Reinhard Bispinck vom gewerkschaftsnahen WSI-Institut zu Reuters. Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) sieht dies ähnlich und ergänzte, es gehe oft Tarifbindung verloren, wenn Unternehmen bestimmte Betriebsteile wie Fuhrpark oder Kantine auslagerten. Auch der Mitgliedsschwund der Gewerkschaften in den vergangenen Jahren spielte beiden Experten zufolge hier eine Rolle.
Lesch kritisierte die schwindende Tarifbindung, da sich nun die Politik etwa mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 in die Lohnfindung einmische. „Das schwächt die Tarifautonomie“, sagte der IW-Forscher.
Laut IAB arbeiteten 2013 rund 21 Prozent der westdeutschen und 25 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten in Betrieben, die zwar keinem Branchentarifvertrag unterlagen, sich aber an einem solchen orientierten. Für weitere acht Prozent im Westen und zwölf Prozent im Osten galt ein Firmentarifvertrag, den Betrieb und Gewerkschaft miteinander ausgehandelt hätten. Hier sei die Entwicklung zuletzt weitgehend stabil, während die Zahl der Beschäftigten ohne Tarifvertrag langfristig gestiegen sei.