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Das Versagen einer Kanzlerin: Frauen sind Arbeitskräfte II. Klasse

Lesezeit: 7 min
07.06.2014 01:18
Obwohl an der Spitze der Bundesregierung eine Frau steht, haben sich die Arbeitsbedingungen für Frauen in Deutschland kaum verbessert. Es herrschen massive Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen. Weniger als die Hälfte der Frauen verfügt über eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle. Ein Viertel aller Frauen wird zudem nur geringfügig entlohnt. Protokoll des politischen Versagens.
Das Versagen einer Kanzlerin: Frauen sind Arbeitskräfte II. Klasse

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Jedes Jahr im März gibt es den Weltfrauentag, den die UN als Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden auserkoren hat und jedes Mal berichtet das Statistische Bundesamt in Deutschland über die unverändert hohe Lohndiskriminierung der deutschen Frauen.

Die eklatante wirtschaftliche Diskriminierung der Frauen ist seit Langem eines der gravierendsten Probleme der deutschen Soziallandschaft. Immer wieder beklagt hat sich wenig daran geändert. In einer Gesellschaft, die nach kapitalistischen Prinzipien auf die profitabelste Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft eingerichtet ist, wie die deutsche, werden nicht zuletzt die Frauen ökonomisch ausgebeutet. Die Bundesregierung selbst räumte auf parlamentarische Anfrage am 6. März 2014 ein, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern am Erwerbsleben sei noch nicht realisiert. Dies zeige sich in dem hohen Anteil an Beschäftigungsverhältnissen mit einem geringen Stundenumfang bei Frauen, die nicht immer auf einer freiwilligen Entscheidung beruhten, in der Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen sowie dem gesamtwirtschaftlichen Lohngefälle zwischen Frauen und Männern.

1. Frauendomäne: atypische Jobs

Die Erwerbstätigkeit der Frauen ist über die letzten 10 Jahre bis 2012 stetig gestiegen (Abb. 12507). Die neugeschaffenen Stellen wurden zu fast zwei Dritteln mit Frauen besetzt, wobei die Zahl der weiblichen abhängig Erwerbstätigen um 14 % oder 2,1 Mio stieg, die der männlichen dagegen nur um 5 %. Das klingt auf ersten Blick nach einem weiblichen Beschäftigungswunder. Doch mit 43 % haben weit weniger als die Hälfte der Frauen einen sozialversicherungs-pflichtigen Vollzeitjob und sind andererseits 4,6 Millionen Frauen oder 27 % nur geringfügig entlohnt beschäftigt, die meisten in ihrem einzigen Job.

Mit fast 36 % steckt weit mehr als ein Drittel der abhängig beschäftigten Frauen in einem sogenannten atypischen Job, wozu Teilzeitbeschäftigungen mit 20 oder weniger Arbeitsstunden pro Woche, geringfügig entlohnte Beschäftigungen, befristete Beschäftigungen sowie Zeitarbeitsverhältnisse zählen (Abb. 10029). 1991 lag dieser Anteil noch bei 24 % (Abb. 10030). Nicht weniger als 4,6 Mio Frauen leben ausschließlich oder im Nebenjob von geringfügiger Entlohnung.

Während die abhängige Vollzeit-Normalbeschäftigung von Frauen zwischen 1991 und 2012 um mehr als 12 % gefallen ist, stiegen Teilzeitbeschäftigung und befristete Beschäftigung stark an (Abb. 10035) und wuchs die geringfügige Beschäftigung mit einem Plus von fast 400 % besonders stürmisch (Abb. 10036).

Zieht man von der Normalbeschäftigung noch die Teilzeit von mehr als 20 Stunden ab, so fiel deren Anteil an der gesamten abhängigen Vollzeit-Beschäftigung der Frauen von 64 % 1991 auf nur noch 48 % in 2012 und damit viel tiefer als der der Männer mit 84 % (Abb. 10037).

2. Sehr viel Teilzeit, oft bei unerfülltem Wunsch nach voller Beschäftigung

Die Teilzeitquote ist bei den Frauen über diese 10 Jahre auf 51,5 % gestiegen. Doch jede Siebente der 7,7 Millionen teilzeitbeschäftigten Frauen geht der Teilzeitbeschäftigung unfreiwillig nach und möchte länger arbeiten, ohne längere Arbeit zu finden. Das sind etwa 1,1 Mio Frauen. Im Internationalen Vergleich gehört Deutschland nach erheblichem Zuwachs der Teilzeitbeschäftigung zu den Ländern mit dem geringsten Anteil an Vollzeitbeschäftigung in W-Europa (Abb. 15180).

3. Sehr viel Niedriglöhne

Frauen arbeiten häufiger zu Niedriglöhnen: Fast 30 % erhielten 2011 einen Stundenlohn unter 9,14 Euro. Das waren 4,9 Mio Frauen, bei den Männern waren es dagegen mit 3,2 Mio nur 18,6 %. Dabei stellen die Frauen mit 54,5 % die Mehrheit der Hartz IV-Aufstocker - obwohl sie mit 46 % nicht mal die Hälfte der Erwerbstätigen ausmachen (Abb. 14155).

4. Viel unsichere weil befristete Arbeitsverhältnisse

Frauen sind mit einem Anteil von 9 % öfter befristet beschäftigt (Männer: 6%). Der Anteil ist über 10 Jahre noch um 3 Prozentpunkte angestiegen. Bei Neueinstellungen sind Frauen inzwischen zu 47 % befristeten Verträgen unterworfen (Männer 38 %). In weiblich geprägten Erziehungsberufen sind sogar 2 von 3 Neueinstellungen befristet, bei den Gesundheits- und Sozialberufen ist es eine von zwei. Das ursprüngliche Verbot von Kettenarbeitsverträgen wurde 2001 aufgehoben. Seitdem darf bis zu zwei Jahren befristet und innerhalb dieser Zeit bis zu dreimal verlängert werden. Daneben ist eine Befristung mit Sachgrund, z. B. Schwangerschafts- oder Elternzeitvertretung, erlaubt, die beliebig oft wiederholt werden darf und die Befristungsgrenzen praktisch aushebelt. Schließlich wurde im Rahmen der Hartz-Gesetze die Möglichkeit geschaffen, Arbeitsverhältnisse mit Arbeitnehmern, die bei Beginn des befristeten Arbeitsverhältnisses das 52. Lebensjahr vollendet haben, generell und ohne sachlichen Grund zu befristen und die Befristung beliebig auch über zwei Jahre auszudehnen. Der Schutz der Arbeitnehmer wurde also immer weiter aufgegeben.

5. Unverändert größte Lohndiskriminierung in W-Europa

Der Verdienstabstand zwischen Frauen und Männer stagniert seit 2006 vor allem wegen des Aufwuchses atypischer Beschäftigung bei 22 bis 23 % (Abb. 17272). Unter 17 vergleichbaren Ländern hat Deutschland neben Österreich den größten Unterschied (Abb. 14224). in den Branchen mit dem größten Beschäftigungszuwachs von vollzeitbeschäftigten Frauen liegen die Verdienste meist deutlich unter dem allgemeinen Durchschnittsverdienst.

Die Armutsgefährdungsquote deutscher Frauen wird mit etwas über 21 % nur noch von den Eurokrisenländern, Belgien und Großbritannien übertroffen (Abb. 18371). Dabei ist die Armutsgefährdung der Frauen in Deutschland seit Jahren deutlich höher als die der Männer (Abb. 18372)

6. Fehlende Betreuungsangebote für Mütter und kurze Wochenarbeitszeiten

Es fehlt an ausreichenden Betreuungsangeboten für Mütter. Das trägt dazu bei, daß teilzeitbeschäftigte Frauen in Deutschland neben Portugal die geringste Wochenarbeitszeit in W-Europa haben (Abb. 10033). Mehr als die Hälfte der nicht berufstätigen Mütter würde nach Auskunft der Bundesregierung gern arbeiten, wenn geeignete Binderbetreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Die Betreuungsangebote seien jedoch regional weiter sehr unterschiedlich. So gingen in Sachsen 80 % der Schüler ganztags zur Schule, während es in Bayern gut 11 % seien.

7. Viel Diskriminierung bei den Führungspositionen

Unter solchen Umständen eklatanter Diskriminierung der Frauen sollte auch nicht überraschen, daß der Anteil der Frauen in Führungsetagen für Deutschland immer noch sehr niedrig ist. Nach den Ergebnissen des Zensus von 2011 waren bei den erwerbstätigen Frauen 3,1 % als Führungskräfte tätig gegenüber 6,8 % bei den Männern. Gegen Ende des Berufslebens wird der Abstand immer größer, so in der Altersklasse von 60 bis 64 Jahren 4,1 % gegenüber 9,7 %.

Nach einer Untersuchung, die das britische Institut Experian im Auftrag der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Warth-Klein Grant Thornton über Interviews mit 3500 mittelständischen und großen Unternehmen in 45 Ländern durchführte, gehört Deutschland zu den Ländern mit der geringsten Beteiligung von Frauen in den Unternehmensvorständen. Der Anteil liegt bei nur 14 % und wird nur von der Schweiz, den Niederlanden und Japan unterboten (Abb. 18309); unter den Vorstandschefs befand sich nach Eurostat 2013 keine einzige Frau (Abb. 18310). Schon für 2010 hatte das Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung den Frauenanteil in den Vorständen der 100 wichtigsten Konzerne bei gerade einmal 2,2 %, wobei und mehr als 90 % noch keine einzige Frau in der Konzernführung hatten.

Der Anteil der weiblichen Chefs in Bundesministerien und nachgeordneten Behörden liegt nach Auskunft des Bundesinnenministeriums nur bei 21 %. Noch niedriger ist die Frauenquote in den deutschen Botschaften. Wie es unter Berufung auf Daten aus dem Auswärtigen Amt heißt, gibt es in den 153 Botschaften der Bundesrepublik nur 17 Botschafterinnen.

8. Armut im Alter

Wenn man die Verteilung der Einkommenskomponenten am Bruttoeinkommensvolumen der ab 65-Jährigen in Deutschland betrachtet, erweisen sich die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Anteil von insgesamt 65 % als wichtigste Einkommensquelle der älteren Generation. Vor allem alleinstehenden Frauen sind mit 72 % ihres Einkommens besonders stark auf die staatliche Rentenversicherung angewiesen. Doch der Anteil der Versichertenrenten an Frauen mit Zahlbetrag noch unterhalb des durchschnittlichen Bruttobetrags in der Grundsicherung im Alter (Sozialhilfe) ist von 56 % 2003 auf 68 % in 2011 hochgestiegen (Abb. 17877). Auch fällt die Rente der Frauen zwischen kinderlosen und solchen mit Kindern und dann nach der Kinderzahl deutlich (Abb. 17878).

Selbst nach Berechnungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, die 2012 bekannt wurden, müssen Millionen Frauen trotz harter Arbeit fürchten, im Alter arm zu werden. An diesem enormen Mißstand wird die im Koalitionsvertrag vorgesehen "solidarische Lebensleistungsrente" wenig ändern, solange Niedriglöhne, Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung, Kindererziehung und Pflege von Angehörigen weiter Lücken in die Rentenbiografien reißen. Das gilt umso mehr, als die gesetzlich verordnete Absenkung des Rentenniveaus um über 20 % bis 2030 neue Niedrigrenten schafft. Zieht man vom maximal vorgesehenen Betrag der Zusatzrente von 850 Euro noch Kranken- und Sozialversicherungsbeiträge ab, so bleiben im günstigsten Fall etwa 760 Euro netto übrig. Das ist nicht viel mehr als die derzeitige Grundsicherung im Alter von 752 Euro für Haushaltsvorstände und Alleinstehende einschließlich Aufwand für Miete.

Im internationalen Vergleich der Alterssicherungseinkünfte innerhalb der Alt-EU hatte Deutschland 2007 einen der größten Rückstände der Frauen gegenüber den Männern, zweieinhalbmal größer als beispielsweise in Dänemark (Abb. 17876). Die Diskriminierung der Frauen bei den Löhnen setzt sich so bei den Renten noch verstärkt fort. Anders als einige andere Länder, wie z.B. Dänemark, hat Deutschland keine Mindestrenten.

9. Psychische Folgen

Nach der neuen Gesundheitsstudie des Robert Koch-Instituts von 2013 sind 14 % der Frauen stark und andauernd gestreßt (8 % der Männer). Zu ähnlich alarmierenden Ergebnissen kommt eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse vom Oktober 2013: ein Viertel der Frauen geben an, in Dauerstreß zu leben, wobei Höchstwerte im Alter zwischen 36 und 45 Jahren erreicht werden, wenn es schwieriger wird, den beruflichen Druck und den der Familie und Kinderaufzucht zu bewältigen. Fast sechs von zehn Frauen sagen, ihr Leben sei in den vergangenen drei Jahren stressiger geworden (bei den Männern knapp jeder zweite).

Der sozio-ökonomische Status (SES) spielt beim Streß eine große Rolle. Bei den Frauen mit niedrigem SES ist mehr als jede Fünfte stark gestreßt (20 %), bei den Frauen mit hohem SES geht es hingegen nur etwa jeder neunten so (11 %).

10. Demographische Bremsspuren

Die Behandlung der Frauen mit der Zerreißprobe zwischen Beruf und Familie bei einem erheblichen Pegel an Diskriminierung gegenüber den Männern erklärt entscheidend mit, warum Deutschland schwer unter Kindermangel leidet, wobei die Geburtenziffer pro Frau seit 1970 von 2,19 auf 1,38 gefallen ist, in Westeuropa nur noch von den Eurokrisenländern Portugal, Spanien und Griechenland unterboten (Abb. 04047). Dabei hängt der Rückgang der Geburtenziffer vor allem vom Anteil kinderloser Frauen ab, und der steigt nicht zuletzt unter dem Druck des Arbeitslebens unaufhaltsam immer weiter an (Abb. 17893).

Gerade in dieser Beziehung rächt sich die Diskriminierung und verbreitete Ausbeutung der Frauen schwer, zumal die Folgen sich erst in der Zukunft voll bemerkbar machen und sehr schwer zu reparieren sein werden.

Joachim Jahnke, geboren 1939, promovierte in Rechts- und Staatswissenschaften mit Anschluss-Studium an französischer Verwaltungshochschule (ENA), Mitarbeit im Kabinett Vizepräsident EU-Kommission, Bundeswirtschaftsministerium zuletzt als Ministerialdirigent und Stellvertretender Leiter der Außenwirtschaftsabteilung. Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London, zuletzt bis Ende 2002 als Mitglied des Vorstands und Stellvertretender Präsident. Seit 2005 Herausgeber des „Infoportals“ mit kritischen Analysen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung (globalisierungskritisch). Autor von 10 Büchern zu diesem Thema, davon zuletzt „Euro – Die unmöglich Währung“, „Ich sage nur China ..“ und „Es war einmal eine Soziale Marktwirtschaft“. Seine gesellschaftskritischen Analysen beruhen auf fundierter und langjähriger Insider-Erfahrung.

Sein Buch über das Ende der sozialen Marktwirtschaft (275 Seiten mit 176 grafischen Darstellungen) kann unter der ISBN 9783735715401 überall im Buch- und Versandhandel für 15,50 Euro bestellt werden, bei Amazon hier.

 

 


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