Politik

Auf dem Weg zum Polizei-Staat: Politiker schüren Angst vor Ausländern

Lesezeit: 5 min
14.12.2014 01:42
Innenminister Thomas de Maizière will Polizei-Streifen in Internet-Foren schicken – angeblich zur „Terror-Abwehr“. Die CSU will in Deutschland lebenden Familien vorschreiben, welche Sprache sie zu Hause sprechen müssen. Die Bürgerrechte werden systematisch beschnitten. Der Hass auf Ausländer, Muslime und Flüchtlinge wird gesteigert. Das Erwachen von neuen radikalen Gruppierungen ist das Echo einer verantwortungslosen Politik, die als Antwort auf ihre eigene Panik-Mache den Polizei-Staat als Lösung anbietet.
Auf dem Weg zum Polizei-Staat: Politiker schüren Angst vor Ausländern

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Vor wenigen Tagen lief folgende Meldung über die dpa:

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) will zur Terrorabwehr «Polizeistreifen» in offenen Internetforen einsetzen. Wenn Verbrecher solche Plattformen nutzten, um sich zum Terror zu verabreden, müsse sich der Rechtsstaat wehren, sagte de Maizière am Mittwoch beim CDU-Parteitag in Köln. Auch in geschlossenen Foren müsse man gegen Kriminelle vorgehen, dafür aber «andere Wege» finden.

De Maizière beklagte Respektlosigkeit im Internet, die durch die Möglichkeit der anonymen Kritik gefördert werde. Er verwies darauf, dass Zeitungen keine anonymen Leserbriefe druckten. Anonymität im Internet sei da kein Fortschritt der Zivilisation. «Wenn wir uns begegnen und uns in die Augen gucken, sind wir höflicher.»

Mit aller Schärfe will die CDU gegen Islamisten vorgehen, die die Freiheitsrechte in Deutschland missbrauchen. In einem Beschluss heißt es: «Die Dschihadisten sollten sich nicht täuschen: Wir sind ein tolerantes Land. Wer aber unseren freiheitlichen Staat bekämpft, dem werden wir mit aller Härte und Schärfe begegnen. Islamistische Umtriebe von Salafisten und anderen werden wir bei uns nicht dulden.»

Terroristischen Vereinigungen soll über einen neuen Straftatbestand der Geldhahn zugedreht werden. Polizei und Justiz sollen personell und informationstechnisch gut ausgestattet werden - zum Umfang wird nichts gesagt. Speicherfristen für Verbindungsdaten sollen wieder eingeführt werden.

De Maizière kritisierte das Bündnis «Pegida» - «Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes», dem Hetze gegen Ausländer und islamfeindliche Agitation vorgeworfen wird. Er sagte: «Das ist eine abstoßende Sprache und davon müssen wir uns distanzieren.»

In dieser Meldung werden alle Zutaten sichtbar, wie eine verantwortungslose Politik die Bürger verunsichert und sich gleichzeitig als Hüter von Toleranz und Anwalt einer scheinbar liberalen Gesellschaft geriert. Die Absurdität des Widerspruchs besteht darin, dass De Maizière den Bürgern einreden will, dass die Freiheit am besten in einem Polizeistaat gesichert werden kann. Bezeichnend ist auch, dass De Maizière in einem Atemzug von den „Kriminellen“ zu den „Respektlosen“ wechselt. Der Terror-Begriff wird immer fließender, und diese Entwicklung hat vor allem für jene Gruppen verheerende Folgen, die sich in ihrer überwältigenden Mehrheit keine Straftat und nicht einmal Respektlosigkeiten gegen die Mächtigen hat zuschulden kommen lassen: die in Deutschland lebenden Ausländer, Muslime und Flüchtlinge

Denn der Aufruhr der Bürger in Deutschland gegen die „Salafisten“ kommt mitnichten daher, dass auf einmal alle Muslime des Landes mit einem Dolch im Gewande umherlaufen. Es hat in den vergangenen Jahren in Deutschland nur eine Handvoll Gewalttaten gegeben, die man im weitesten Sinn mit religiösen Motiven begründen kann. Und selbst das ist schwierig: In der Regel werden Gewalttäter aktiv, wenn sie aus zerrütteten sozialen Milieus kommen und in ihrem persönlichen Umfeld gewalttätiges Handeln zum Selbstverständnis gehört. Noch vor wenigen Jahren hatte die deutsche Politik bei jeder Gewalttat „das Internet“ als Ursache für eine angebliche Verrohung ausgemacht. Vom Kampf gegen gewalttätige Computer-Spiele – die sich bei Jugendlichen aller Kulturkreise großer Beliebtheit erfreuen - hört man heute nur noch wenig. Erst nach der nächsten Tragödie in einer Schule wird die Debatte wieder aufflammen, um nach kurzer Zeit wieder zu versickern.

Heute fürchten sich die Deutschen vor den Salafisten. Tatsächlich kann man ohne großes Risiko behaupten, dass keiner der Glatzköpfe, die da neulich wie aus dem Nichts auf den Straßen Kölns aufgetaucht sind, auch nur ansatzweise erklären kann, was ein Salafist ist. Vermutlich können die unfreundlichen Gesellen aus dem Hooligan- und Rechtsextremen-Milieu nicht einmal genau sagen, was ein Muslim ist.

Doch die ständige Angstmache der westlichen Regierungen hat dazu geführt, dass es neue, diskriminierende Klischees gibt, die auf eine einfache Formel reduziert werden können: Salafist = Muslim = Ausländer = Terrorist.

Ein in Berlin-Neukölln tätiger Arzt mit asiatischer Herkunft hat den Deutschen Wirtschafts Nachrichten sehr betroffen berichtet, dass er unter seinen Kollegen in den vergangenen Wochen eine beklemmende Veränderung beobachte: Die Ärzte, die seit Jahrzehnten Patienten unterschiedlicher ethnischer und religiöser Sozialisierung behandeln, verwenden plötzlich rassistische Sprachmuster und stellen Muslime unter Generalverdacht. Diese Ärzte haben ihre neue Sprache nicht gefunden, weil sie in rechtsextremen Kreisen verkehren, sondern weil sie vermutlich das glauben, was die Stellungnahmen der Bundesregierung ihnen nahebringen: Die Angst vor dem unsichtbaren „islamistischen“ Terror hat mit der Errichtung des „Islamischen Staates“ ein neues Feindbild gefunden. Sie ist in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft angekommen. In diesem Umfeld wird der Muslim (= Terrorist = Salafist = Ausländer) zum Sündenbock für alle Probleme der alternden und von der Schulden-Krise an den Rand ihrer wirtschaftlichen Lebensfähigkeit gebrachten westlichen Gesellschaften.

Der Auftritt der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ ist nicht der Virus, den die Rechtsextremen in Deutschland erfolgreich ausgesät haben. Die NPD dümpelt immer noch jenseits der Wahrnehmungsschwelle. Die Angst vor „den Ausländern“ ist das Echo einer Politik, die in den vergangenen Jahren in geradezu inflationärer Weise von unmittelbar bevorstehenden „islamistischen Terror-Anschlägen“ warnt. Die Mobilisierung der Bürger auf der Straße ist das Ergebnis einer höchst widersprüchlichen Politik, die der Bevölkerung vorgaukelt, einerseits alles im Griff zu haben und zum anderen fortlaufenden die polizeistaatlichen Befugnisse ausweitet - um die Bevölkerung vor einer Gefahr zu schützen, vor der dieselben Politiker an anderer Stelle erklären, dass man sich gegen Terrorismus nicht wirkungsvoll schützen könne.

Eine Chronologie dieser Warnungen erklärt, warum die Leute auf die Straße gehen und sich in diffuser Weise um die Sicherheit des Abendlandes sorgen. Die Chronologie zeigt: Seit Jahren warnt die politische Elite vor unmittelbar bevorstehenden Terror-Akten, die von Islamisten angeblich gerade konkret geplant werden. Doch trotz all dieser beängstigenden Warnungen kann die schrecklichste Terror-Tat in der jüngeren deutschen Geschichte nicht von Muslimen, sondern von Rechtsextremen – die vom Verfassungsschutz so unzureichend bearbeitet wurden, dass der mehrfache Mord an Deutschen mit ausländischen Wurzeln nicht verhindert werden konnte.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die ständige Warnung vor „Rückkehrern aus Syrien“, die meist in einem Atemzug mit „Flüchtlingen aus Syrien“ ausgesprochen wird. Was erwartet man eigentlich von der Bevölkerung? Jeder durchschnittlich denkende Mensch wird sich vor syrischen Flüchtlingen fürchten – denn er muss, wenn er De Maizières Beschwörungen (ausgedrückt im Juni 2014) folgt, damit rechnen, dass in seiner Nachbarschaft ein potentieller Selbstmordattentäter einquartiert wird. Die Folge ist logisch: Flüchtlingsunterkünfte werden angezündet, wie neulich im mittelfränkischen Vorra.

Natürlich ist es die Aufgabe der Regierungen, die Bevölkerung vor Terror zu schützen. Doch die dramatischen Warnungen vor einer unbekannten Gefahr, die zwar nun seit zwei Jahren als sehr konkret und gleichzeitig nicht greifbar geschildert wird, helfen den Bürgern nicht im Geringsten. Viel wirkungsvoller wäre es gewesen, wenn die Polizei die Straßenschlachten zwischen Fanatikern und Kurden vor einigen Wochen etwa in Hamburg, Celle und Stuttgart durch Abgrenzung der Randalierer und gezielte Ermittlungen im Vorfeld im Keim erstickt hätte. Wenn ohnehin alles überwacht wird – warum sind die Behörden dann jedes Mal überrascht, wenn es wirklich zu Ausschreitungen kommt?

Der Ratlosigkeit der Innenminister angesichts von Pegida wohnt eine gehörige Portion Heuchelei inne: Man verurteilt die Bürger, die gegen die Gefahren demonstrieren, die vorher von den Politikern in den düstersten Farben an die Wand gemalt wurden. Dabei erscheint die Realität nur noch als störendes Nebengeräusch: Dass nämlich in Deutschland seit Jahrzehnten Millionen Muslime leben, von denen die überwiegende Mehrzahl nach Recht und Gesetz und nicht nach der Scharia leben und die auch keine Lust verspüren, den demokratischen Rechtsstaat mit einem Gottesstaat zu vertauschen.

Die Forderung der CSU, von Ausländern künftig zu verlangen, dass sie auch zu Hause Deutsch sprechen sollen, ist die auf die Spitze getriebene zwingende Logik einer politischen Klasse, die sich so weit von den Bürgern entfernt hat, dass sie die Polizei ins Wohnzimmer und ins Internet schicken muss, um zu erfahren, was die Bürger denken.

Dieser politischen Elite, die in ihrem Elfenbeinturm lebt, sollte bewusst sein, dass sich ihre politischen Sprechblasen sehr schnell zu einer neuen, wenngleich virtuellen, Gegen-Realität verdichten. Dazu gehört auch die ständige Warnung vor einem neuen Flüchtlings-Tsunami, der von den Fakten in keiner Weise gedeckt ist. Diejenigen, die mit dem Feuer der latenten Ausländer-Feindlichkeit spielen, bieten nun als Löschfahrzeug den Polizei-Staat an. Das ist blanker Zynismus – gegenüber Ausländern, Muslimen und Flüchtlingen. Es ist zugleich das Für-Dumm-Verkaufen jener Bürger, die immer noch glauben, dass die Politik mehr leisten könne als Sündenböcke für die Probleme zu finden, die sie selbst herbeigeredet oder zu verantworten hat.

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