Finanzen

Das in Deutschland selten bemerkte, eigentliche Drama der Griechen

Lesezeit: 3 min
21.06.2015 15:43
Der eigentliche soziale Skandal in Griechenland ist eine sehr breite wohlhabende Schicht, die man nach internationalem statistischen Gebrauch als das „oberste Fünftel“ anspricht, und die ihren Wohlstand über die Krise bewahrt hat und, vor allem in den freien und selbstständigen Berufen, wie die Superreichen Steuerzahlungen vermeidet.
Das in Deutschland selten bemerkte, eigentliche Drama der Griechen

Die deutschen Medien sind voller Berichte über das soziale Elend in Griechenland, das dann oft den Gläubigern und der bösen Troika in die Schuhe geschoben wird. Natürlich wird auch berichtet, daß es sehr reiche Griechen, vor allem die Reeder, gibt und der Staat Schwierigkeiten hat, von diesen Superreichen Steuern einzutreiben.

Doch ein solches Bild ist ziemlich irreführend. Die wirklich Reichen, wie die Reeder, sind eine dünne Oberschicht, wobei viele, wieder vor allem die Reeder, ihr Vermögen ohnehin im Ausland halten. Der eigentliche soziale Skandal ist eine sehr breite wohlhabende Schicht, die man nach internationalem statistischen Gebrauch als das "oberste Fünftel" anspricht, und die ihren Wohlstand über die Krise bewahrt hat und, vor allem in den freien und selbstständigen Berufen, ebenfalls die Steuerzahlungen vermeidet. Selbständige stellen in Griechenland etwa ein Drittel der Beschäftigten, etwa der doppelte Anteil des europäischen Durchschnitts und der höchste Anteil in Europa.

Dieses oberste Fünftel hat das höchste Einkommensverhältnis zum untersten Fünftel unter allen Ländern in Westeuropa (Abb. 18842). Das Verhältnis ist seit Ausbruch der Krise auf einen neuen Höchstpunkt geklettert (Abb. 18841). Ebenso zeigt der Gini-Koeffizient eine wesentlich ungleichere Gesellschaft an als im Durchschnitt der Eurozone und in Deutschland (Abb. 18840).

Mit durchschnittlich 20,1 Prozent an Armut hatte Griechenland bereits in den Jahren vor der Krise 2000 bis 2010 einen der höchsten Anteile an Armut und in mehreren Jahren den höchsten, ohne daß die griechischen Regierungen dagegen vorgegangen waren (Abb. 18843). 1995 hatte er sogar bei 22,0 Prozent gelegen und im letztverzeichneten Jahr 2014 lag er bei 23,1 Prozent. Armut ist also für das Land nicht erst seit Ausbruch der Krise oder wegen der Absprachen mit den Gläubigern ein schweres Problem, das man mal eben diesen in die Schuhe schieben könnte.

Andererseits hat das oberste Fünftel seit 1995 um die 41 Prozent des Nationaleinkommens auf sich konzentriert (Abb. 18844), das oberste Zehntel allein im vergangenen Jahr sogar 26 Prozent.

Es ist vor allem diese finanzielle Oberklasse, die seit Ausbruch der Krise noch mehr mit den Steuern zurückhält und nun ihre Konten räumt, um mindestens einen Teil davon im Ausland in Sicherheit zu bringen. So brachen im letztgemeldeten Monat Mai die Steuereinnahmen um fast ein Viertel gegenüber der Planung ein. Da gleichzeitig durch die Krise und die damit verbundene hohe Arbeitslosigkeit die Armut stark zugenommen hat, sind auf den griechischen Staat zusätzliche Belastungen gekommen, die er mit seinem viel zu geringen Steueraufkommen nicht zu schultern vermag und daher immer neue Rettungskredite braucht.

Doch keine Troika und kein Druck der Gläubiger kann von außen die soziale Verteilung in Griechenland regeln. Dazu müßte die griechische Regierung selbst endlich die notwendigen Maßnahmen treffen. Als erstes gehörten dazu Kapitalverkehrskontrollen, die den Abfluß großer Vermögen ins Steuerausland bremsen würden, wie sie in Zypern erfolgreich bestanden haben. Die Regierung ist eine Koalition mit den Rechtsextremen, die wenig Neigung haben, die Sozialverhältnisse zu ändern. Der Chef dieser Partei ist selbst mit einer sehr wohlhabenden Reederin verheiratet.

Doch man wird nicht erwarten können, daß die Partner im Euro mit immer neuen Geldern den sozialen Mißstand in Griechenland abfedern, zumal wenn die griechische Regierung selbst sich dazu als unfähig erweist.

Hier also liegt das eigentliche Drama der Griechen. Es besteht schon seit jeher, hat sich nun aber in der Krise dramatisch zugespitzt. Gerade sozialkritische Geister in Deutschland müßten sich aus ihrem sozialen Gewissen heraus damit beschäftigen, statt alle Schuld bei der Troika abzuladen und gleichzeitig auf billigste und vordergründigste Weise die Bundesregierung für das griechische Drama verantwortlich zu machen.

Mit solchen Desinformationskampagnen wird das griechische Drama keiner Lösung näher gebracht. So erhielt ich heute einen Rundbrief des wirtschaftspolitischen Sprechers der Fraktion DIE LINKE unter dem Titel "Griechenland-Hatz: Die Rentner". Und auf meinen letzten Rundbrief zu Griechenland erhielt ich denn auch prompt eine Zuschrift, in der von "rigorosen Maßnahmen, die von der Troika durchgesetzt wurden", die Rede ist (gemeint sind angeblich von der Troika durchgesetzte Lohnkürzungen). Und die ein "linkes" Publikum ansprechenden Deutschen Wirtschafts Nachrichten spielen im griechischen Team mit vollen Rohren unter Überschriften wie "Unfassbar schlampige Politik, Der Grexit als erster Akt der finalen Zerstörung der EU" sowie "Die Masken fallen ,Die Stunde der Opportunisten: Macht die Griechen fertig!"

Daß sich die griechische Regierung und zuletzt das Truth Committee on the Greek Public Debt des griechischen Parlaments mit dem Weltwährungsfond (und der Troika) ein Feindbild aufbaut, indem die Hilfen als ein verbrecherischer Anschlag auf das griechische Volk ("Greece should not pay this debt because it is illegal, illegitimate, and odious") dargestellt werden, ist massenpsychologisch verständlich. Denn es erspart eine dringend notwendige Auseinandersetzung zwischen den Interessen von Arm und Reich im eigenen Lande und schweißt die Anhänger über die scharfen sozialen Grenzen hinweg zusammen. Es läßt auch eine extrem linke mit einer extrem rechten Partei in der gleichen Regierung kooperieren - wohl einmalig in der Welt. Daß aber dieses höchst künstliche Feindbild von der deutschen Linken und sogar einigen deren wissenschaftlich ausgewiesenen Vertretern übernommen wird, ist nicht mehr nachvollziehbar.

***

Joachim Jahnke, geboren 1939, promovierte in Rechts- und Staatswissenschaften mit Anschluss-Studium an französischer Verwaltungshochschule (ENA), Mitarbeit im Kabinett Vizepräsident EU-Kommission, Bundeswirtschaftsministerium zuletzt als Ministerialdirigent und Stellvertretender Leiter der Außenwirtschaftsabteilung. Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London, zuletzt bis Ende 2002 als Mitglied des Vorstands und Stellvertretender Präsident. Seit 2005 Herausgeber des „Infoportals“ mit kritischen Analysen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung (globalisierungskritisch). Autor von 10 Büchern zu diesem Thema, davon zuletzt „Euro – Die unmöglich Währung“, „Ich sage nur China ..“ und „Es war einmal eine Soziale Marktwirtschaft“. Seine gesellschaftskritischen Analysen beruhen auf fundierter und langjähriger Insider-Erfahrung.

Sein Buch über das Ende der sozialen Marktwirtschaft (275 Seiten mit 176 grafischen Darstellungen) kann unter der ISBN 9783735715401 überall im Buch- und Versandhandel für 15,50 Euro bestellt werden, bei Amazon hier.

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