Politik

Flüchtlings-Gipfel gescheitert: Regierung verweigert Merkel die Gefolgschaft

Lesezeit: 2 min
01.11.2015 14:52
Der groß angekündigte Flüchtlings-Gipfel der Bundesregierung ist gescheitert. Die drei Regierungsparteien gingen am Sonntag ohne Ergebnis auseinander. Die Regierung bietet ein Bild des Jammers.
Flüchtlings-Gipfel gescheitert: Regierung verweigert Merkel die Gefolgschaft

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die große Koalition bietet nach dem Scheitern ihres Krisengipfels zur Asylpolitik ein Bild tiefer Zerstrittenheit. Die Schwesterpartei CSU verweigert der Kanzlerin die Gefolgschaft. Kanzlerin Angela Merkel (CDU), CSU-Chef Horst Seehofer und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel konnten sich am Sonntag weder auf die von der Union geforderten Transitzonen in Grenznähe noch auf weitere Maßnahmen zur Begrenzung des Flüchtlingsandrangs einigen. Nun soll am Donnerstag vor der Ministerpräsidentenkonferenz nach Lösungen gesucht werden. Die Regierung gibt in dieser kritischen Situation ein Bild des Jammers ab.

Die SPD hatte am Samstag statt der Transitzonen dezentrale Registrierungs- und Einreisezentren vorgeschlagen und sich damit vom Koalitionspartner CDU/CSU klar abgegrenzt. Seehofer hatte Merkel vor einigen Tagen ein Ultimatum gestellt und bis zu diesem Sonntag weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Asylbewerberzahlen gefordert.

Nach dem zweistündigen Dreiertreffen im Kanzleramt beriet die Unionsspitze dort am Sonntag separat weiter – Gabriel hatte die Runde zuvor wie geplant verlassen. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von einer „Vielzahl von inhaltlichen Gemeinsamkeiten“ in der großen Koalition, doch es gebe „einige noch zu klärende bzw. offene Punkte“. Dazu gehöre auch das Thema Transitzonen. Zwischen CDU/CSU und SPD ist umstritten, ob diese Bereiche bewacht oder eingezäunt werden müssen – „Haftzonen“ lehnen Gabriel und die SPD ab.

Aus Regierungskreisen hieß es am Mittag, es gebe noch erhebliche, auch grundsätzliche Differenzen. Vor allem zwischen Merkel und Seehofer knirscht es heftig, seit die Kanzlerin die Grenzen für Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten im September öffnete. Dieses Jahr werden nach offizieller Prognose mindestens 800.000 Asylbewerber in Deutschland erwartet, Gabriel spricht von mehr als einer Million. Eine Regierungssprecherin wies am Sonntag einen Medienbericht zurück, wonach die Kanzlerin die Prognose intern nach oben korrigiert haben soll. Wenn schon bei den Zahlen ein derartiger Dissens herrscht, lässt dies auch für die Problemlösung wenig Gutes erwarten.

Kurz angerissen wurden bei dem mit Spannung erwarteten Krisengipfel dem Vernehmen nach der Umgang mit Afghanistan-Flüchtlingen sowie Möglichkeiten, den Familiennachzug von Asylberechtigten zu begrenzen. Dazu laufen Prüfungen, ob dann das Grundgesetz geändert werden muss und ob es dafür Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat gibt.

Gabriel hatte am Samstag seine verfassungsrechtliche Skepsis zu einer in der Union angepeilten Begrenzung des Familiennachzugs deutlich gemacht. Der SPD-Chef erklärte bei der Präsentation seiner Vorschläge zur Einrichtung von Einreisezentren, dass Flüchtlinge, die sich einer Registrierung dort verweigerten, weniger Leistungen bekämen und erhebliche Nachteile im Asylverfahren erlitten. Das SPD-Konzept sei „ein wesentlich intelligenterer Alternativvorschlag“ als Transitzonen, so der Vizekanzler.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) unterstützte Gabriels Kurs und warf Seehofer „Krawallmacherei“ vor. Transitzonen erforderten „gigantische Einrichtungen für Zehntausende Menschen“, sie seien nicht umsetzbar und für den Rechtsstaat problematisch, sagte sie am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur.

Die Grünen kritisierten die Koalitionspläne: „Ob Einreisezentren der SPD oder Transitzonen der Union, beide Vorschläge sind erneut reiner Aktionismus“, sagte die Vorsitzende Simone Peter. „Denn sie zielen am grundsätzlichen Problem, dem akuten Personalmangel bei Registrierung und Antragsbearbeitung sowie unterschiedlichen Registrierungssystemen, völlig vorbei.“ Viele Flüchtlinge würden „auf ihrem Weg durch Europa mehrfach registriert, sogar in Deutschland“. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte: „Niemand hat schnelle Patentlösungen – aber mehr als Parteigezänk haben die besorgten Bürgerinnen und Bürger schon verdient.“

Der Deutsche Landkreistag forderte, „den weiteren Zuzug schnellstmöglich wirksam und deutlich zu begrenzen“. „Jetzt ist die Zeit für Lösungen, nicht für parteipolitische Auseinandersetzungen“, sagte Hauptgeschäftsführer Hans-Günter Henneke.

Die deutsche Polizei rechnete für Sonntag mit einer weiterhin hohen Zahl an Flüchtlingen, die über Österreich nach Bayern einreisen. In Österreich warteten mehrere Tausend auf den Weitertransport Richtung Deutschland. Allein an der Sammelstelle in Spielfeld an der Grenze Österreichs zu Slowenien zählten die Behörden etwa 2300 Menschen.

 


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Lieferdienste in Deutschland: Bei Flink, Wolt und anderen Lieferando-Konkurrenten geht es um alles oder nichts
25.04.2024

Getir, Lieferando, Wolt, UberEats - es fällt schwer, in deutschen Großstädten beim Angebot der Essenskuriere den Überblick zu...

DWN
Finanzen
Finanzen Familienunternehmer in Sorge: Land verliert an Wettbewerbsfähigkeit
25.04.2024

In einer Umfrage kritisieren zahlreiche Familienunternehmer die Politik aufgrund von übermäßiger Bürokratie und Regulierung. Besonders...

DWN
Finanzen
Finanzen So wählt Warren Buffett seine Investments aus
25.04.2024

Warren Buffett, auch als „Orakel von Omaha“ bekannt, ist eine Ikone der Investment-Welt. Doch worauf basiert seine Investmentstrategie,...

DWN
Technologie
Technologie KI-Chips trotz Exportbeschränkungen: China sichert sich US-Technologie durch die Hintertür
25.04.2024

Trotz der US-Exportbeschränkungen für Hochleistungsprozessoren scheint China einen Weg gefunden zu haben, sich dennoch mit den neuesten...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Russlands Kriegswirtschaft: Putin geht das Geld nicht aus
25.04.2024

Russlands Wirtschaft wächst weiterhin, ist aber stark von der der Kriegsproduktion abhängig. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius...

DWN
Technologie
Technologie Petrochemie: Rettungsleine der Ölindustrie - und Dorn im Auge von Umweltschützern
24.04.2024

Auf den ersten Blick sieht die Zukunft des Erdölmarktes nicht rosig aus, angesichts der Abkehr von fossilen Treibstoffen wie Benzin und...

DWN
Politik
Politik Sunaks Antrittsbesuch bei Kanzler Scholz - strategische Partnerschaft in Krisenzeiten
24.04.2024

Rishi Sunak besucht erstmals Berlin. Bundeskanzler Scholz empfängt den britischen Premierminister mit militärischen Ehren. Im Fokus...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank-Präsident: Zinssenkungspfad unklar, digitaler Euro erstrebenswert
24.04.2024

Spannende Aussagen von Bundesbank-Präsident Joachim Nagel: Ihm zufolge wird die EZB nach einer ersten Zinssenkung nicht unbedingt weitere...