Politik

EU-Kniefall vor der Türkei: Die Nato führt für Angela Merkel Regie

Lesezeit: 5 min
29.11.2015 17:36
Der EU-Türkei-Gipfel verfolgt vor allem einen Zweck: Die Nato will den EU-Beitritt der Türkei, um ein Abdriften des Landes in Richtung Russland zu verhindern. Der islamistische Präsident Erdogan kann daher machen, was er will. Denn die Nato will die Türkei, wie die Ukraine, als Bollwerk gegen eine angebliche russische Aggression befestigen. Zu finanzieren ist dieses militärische Projekt – wie die Ukraine – von den europäischen Steuerzahlern.
EU-Kniefall vor der Türkei: Die Nato führt für Angela Merkel Regie
Das neue Buch von Michael Maier. (Foto: FBV)

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Eigentlich sollte die EU eine politische Union sein, in der gemeinsame Entscheidungen mit Sachverstand und im gegenseitigen Interesse getroffen werden. Doch spätestens seit der Schulden- und der Flüchtlingskrise zeigt die EU Auflösungserscheinung. Das ist aufrichtig zu bedauern – denn das Vakuum wird militärisch gefüllt.

Die Nato hat sich in den vergangenen Monaten immer stärker als der eigentliche Drahtzieher bei Entwicklungen in Europa profiliert. Das war bei der Ukraine so, wo in einem Assoziierungsabkommen plötzlich eine militärische Allianz verankert wurde. Mit einem Putsch in Kiew wurde erfolgreich eine neue Regierung eingesetzt. Deren Premier Jazenjuk hat in seinem aktuellen Haushalt die absolute Priorität auf Militär-Ausgaben gelegt. Die Nato hält quasi Dauer-Manöver ab. Russland ist sehr beunruhigt über diese Entwicklung – vor allem über die Entscheidung des US-Kongresses, mitten in einen brüchigen Waffenstillstand tödliche Waffen an die Ukraine zu liefern.

Dieselbe Militarisierung ist in Polen zu beobachten: Nachdem der neue Präsident bereits im Herbst gesagt hatte, er wolle „mehr Nato und weniger EU“, hat der neue Außenminister die Forderung des EU-Präsidenten Donald Tusk erneuert, die Nato-Russland-Akte aufzukündigen, damit die Nato auch in Polen Atomwaffen stationieren könne. Moskau reagierte, wenig verwunderlich, alarmiert.

Dasselbe Spiel läuft in der Türkei: Bereits Anfang Oktober berichtete der Guardian, dass die Nato sogar bereit sei, Truppen in die Türkei zu schicken. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte damals: „Die Nato ist bereit, alle ihre Verbündeten zu verteidigen, auch die Türkei, und zwar gegen alle Formen der Bedrohung.“ Die Nato erwähnte ausdrücklich Russland und die damals schon von der Türkei behaupteten Verletzungen des türkischen Luftraums, die die Russen vielleicht etwas zu salopp mit dem „schlechten Wetter“ begründeten.

Nach dem Abschuss der russischen Maschine sagte Stoltenberg in Brüssel einen verräterischen Satz: „Ich habe schon früher meine Bedenken zu den Implikationen zum Ausdruck gebracht, die sich aus den militärischen Aktionen der russischen Föderation nahe der Grenzen der Nato ergeben.“

Die US-Regierung ist bei diesen Aktivitäten eine Getriebene der Nato, der Neocons und der Rüstungsindustrie. Präsident Obamas Überzeugung, dass der Krieg in Syrien allein nicht zu gewinnen und daher eine Allianz mit Russland notwendig ist, hat die Nato-Generäle nachhaltig verärgert. Sie und die Geheimdienste sehen seither die russischen Fortschritte weniger als Glück für die Welt im Kampf gegen die Terrormiliz IS, sondern vielmehr als fortgesetzten Affront gegen ihre eigene Berufsehre: Russlands Präsident Wladimir Putin hatte die russische Intervention mit dem militärischen Scheitern der von den USA geführten Koalition begründet.

Die Nato versucht, ihren Ruf zu retten. Nato-freundliche Medien wie die Bild-Zeitung, die per Unternehmensstatut zur transatlantischen Treue verpflichtet ist, berichtet am Sonntag, dass die IS-Hochburg Rakka wegen der französischen und amerikanischen Bomben vor dem Fall stehe. Die Russen werden nur am Rande erwähnt – doch ist der Rückzug des IS vor allem auf die Operationen der Russen mit der syrischen Armee zurückzuführen. Wie professionell Putin vorgeht, zeigt die Tatsache, dass Russland mit Frankreich und Israel enge Kooperationen geschlossen hat.

Als Quelle für den Nato-Jubel nennt die Bild-Zeitung das US-Magazin Vice, das vom konservativen Medien-Mogul Rupert Murdoch gekauft wurde, um weltweit die Interessen der US-Konzerne zu vertreten. Vice spielt hier mit der Bild-Zeitung auffällig über Bande: Erst vor wenigen Tagen hatte das Murdoch-Blatt die DWN zu denunzieren versucht, weil in den DWN die Nato kritisiert wurde. Nun auf einmal ist Vice der Kronzeuge für die Bild und dient als Quelle für angebliche Nato-Erfolgsmeldungen. Vice erhält für seine Agitation in Europa direkte Informationen vom Pentagon, wie sich die Bild-Zeitungs ausdrücklich brüstet: „,Vice‘ veröffentlichte Aufnahmen des Pentagons von der Aktion „Tidal Wave II“ (Flutwelle II), bei der am Wochenende ein Konvoi von 283 Öl-Lastern attackiert wurde.“

Für die Nato und die sie unterstützenden Geheimdienste spielt die Türkei eine wichtige Rolle: Mit dem türkischen Geheimdienst MIT lässt sich faktisch jede Operation durchziehen – selbst beim Attentat auf den polnischen Papst könnten die CIA und der MIT kooperiert haben.

Vor diesem Hintergrund ist der Abschuss der russischen Maschine zu sehen. Die Israelis, die seit Jahrzehnten gegen den radikalen Islamismus kämpfen, haben den Abschuss als töricht bezeichnet. Das mag auf den ersten Blick so scheinen. Doch wenn man die Berichte der Nato-freundlichen Medien im Lauf der vergangenen Jahre analysiert, kristallisiert sich eine neue Lesart heraus: Russland soll, wie schon in der Ukraine, als Aggressor dargestellt werden.

Mit dem Abschuss ist Russland definitiv gereizt worden: Die Reaktion von Putin, der den Abschuss als „hinterhältig“ bezeichnete und die Türkei der „Komplizenschaft“ mit dem IS bezichtigte, war eindeutig: Die Russen wissen genau, dass die Nato nicht an ihrer Seite kämpft, sondern nichts unversucht lässt, um Russland an mehreren Fronten zu binden.

Hierzu passt auch das Timing der jüngsten Anschläge von Rechtsextremen in der Ukraine: Die von der EU unterstützte und vom europäischen Steuerzahler finanzierte korrupte Regierung in Kiew toleriert die Aktionen der Extremisten. Dies ist sogar den EU-Strategen, die mit der Nato sympathisieren, mittlerweile unheimlich: Das European Council on Foreign Relations warnt vor Provokationen in Richtung Russland durch die Türkei und die Ukraine.

Doch diese Warnungen könnten nur politisches Gewicht bekommen, wenn sich Bundeskanzlerin Merkel eindeutig gegen die Komplizenschaft der Türkei mit dem IS-Terror und gegen die Kriegstreiber in Kiew positionieren würde. Das ist jedoch bisher nicht geschehen: Die Nato-Strategen haben gemeinsam mit den Geheimdiensten Merkel das Heft aus der Hand genommen. Sie wollen die Einbindung der Türkei in die EU, obwohl die Türkei als islamistische Theokratie zur EU passen würde wie die Mitgliedschaft Saudi-Arabiens im Internationalen FKK-Verband. Doch die Nato will mit allen Mitteln verhindern, dass die Türkei in Richtung Russland abdriftet: Präsident Erdogan hatte in den vergangenen Monaten immer wieder Avancen in Richtung Moskau gemacht, etwa in der Zusammenarbeit mit dem Pipeline-Projekt South Stream. Dieses war von Putin jedoch auf Eis gelegt worden – schon vor dem Abschuss der russischen Maschine, wegen der zunehmend diktatorischen Entwicklung in der Türkei.

Diese Entwicklung erklärt die gespenstisch blutleeren Aussagen von Merkel und Juncker, mit denen diese Politiker die Türkei ihrer Unterwürfigkeit versichern: „Es geht darum, dass die Türkei weit mehr als zwei Millionen Flüchtlinge beherbergt und dafür wenig internationale Unterstützung bekommen hat“, sagte Merkel bei der Ankunft zum EU-Türkei-Gipfel am Sonntag in Brüssel (Video am Anfang des Artikels). Die Türkei erwarte daher mit Recht, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten das Land bei der Bewältigung dieser Aufgabe entlasteten. Die EU werde künftig aus vielerlei Gründen enger mit der Türkei zusammenarbeiten, sagte Merkel. „Denken wir nur an den Bürgerkrieg in Syrien, an den Kampf gegen IS, aber auch an die illegalen Migrationsbewegungen. Und so wird natürlich ein wesentlicher Teil dieses EU-Türkei-Aktionsplans auch sein, wie wir illegale Migration durch legale Migration ersetzen können.“

EU-Präsident Juncker sagte: „Mit dem EU-Türkei-Gipfel vertiefen wir die Partnerschaft mit einem unserer wichtigsten Nachbarn – und das nicht nur, weil wir einander gerade brauchen, sondern auch, weil wir gemeinsam mehr erreichen wollen.“ Die Türkei verdiene „nicht nur unseren Respekt, sondern auch unsere Unterstützung. Wir wollen die Zusammenarbeit mit der Türkei auch über die akute Flüchtlingskrise hinaus vertiefen. Wenn wir in wirtschaftlichen Fragen, bei Energie, Justiz und Menschenrechten die Türkei unterstützen, die europäischen Standards schneller zu erfüllen, dann profitieren wir alle davon.“

Zu den Verstrickungen der Türkei in die Finanzierung der Terror-Miliz IS liegen weder von Angela Merkel noch von der EU bis zur Stunde Stellungnahmen vor.

***

DWN-Herausgeber Michael Maier analysiert in seinem neuen Buch genau diese Art von globaler Interessenspolitik, deren fester Bestandteil die Täuschung und Irreführung der Öffentlichkeit über wichtige politische Entscheidungen ist. Deutschland spielt in diesem Szenario eine defensive Rolle und hat es unter Angela Merkel nicht verstanden zu definieren, was die deutschen Interessen sind. Angesichts der Entschlossenheit zahlreicher anderer Player ist dies eine äußerst bedenkliche Entwicklung.

Michael Maier: „Das Ende der Behaglichkeit. Wie die modernen Kriege Deutschland und Europa verändern“. FinanzBuch Verlag München, 228 Seiten, 19,99€.

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