Politik

Putin lockt IS in die Falle: Rückzug aus Syrien war eine Kriegslist

Lesezeit: 4 min
31.03.2016 02:28
Russlands vermeintlicher Abzug aus Syrien war offenbar eine Kriegslist: Tatsächlich haben die Russen ihre Truppen lediglich umgruppiert. Die Finte sollte dazu dienen, die Terror-Milizen in eine Falle zu locken – um danach mit Entschlossenheit den Krieg zu beenden. Putins wichtigster Coup: Er hat die Aktion mit Obama abgesprochen.
Putin lockt IS in die Falle: Rückzug aus Syrien war eine Kriegslist
Russlands Präsident Wladimir Putin mit seinem Verteidigungsminister Sergej Shoigu, April 2015 in Moskau. (Foto: EPA/ALEXEY NIKOLSKY / RIA NOVOSTI / KREMLIN POOL)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Viele Beobachter waren erstaunt über den plötzlichen Rückzug der Russen aus Syrien, den Präsident Wladimir Putin vor einigen Wochen ohne jegliche Vorzeichen verkündete. Je nach Position wurde gerätselt, ob Russland nun die Terror-Milizen IS und al-Nusra besiegt habe – oder vor ihnen kapituliert. Die Russen hatten bis unmittelbar vor Bekanntgabe des Rückzugs stets betont, der Kampf werde lange dauern.

Tatsächlich war schon der Wortlaut ziemlich aussagekräftig: Putin hatte gesagt, er werde einen Teil der Truppen zurückziehen, aber weiter gegen die Terroristen kämpfen. Ein wichtiges militärisches Ziel war mit den Luftschlägen zu diesem Zeitpunkt bereits erreicht: Die russischen Marine- und Luftwaffenstützpunkte in der Region Latakia waren gesichert. Die Russen hatten nach dem Abschuss eines Militär-Jets durch die Türkei auch Interkontinental-Raketen stationiert. Mit diesen Raketen wollten die Russen vor allem ein klares Signal in Richtung Türkei setzen. Diese Raketen vom Tys SS-20 Iskander sind immer noch in Syrien stationiert, wie die russische Militärwebsite military-informant.com am 27. März berichtet.

Auch die US-Nachrichtenagentur Reuters berichtet von umfangreichen Truppenverschiebungen: So kehrte der Marine-Eisbrecher „Jausa“ nicht in seinen Heimathafen in der Arktis zurück. Drei Tage nach Putins Erklärung am 14. März lief die „Jausa“, die als Teil des sogenannten „Syrien-Express“ die russischen Truppen in Syrien versorgt, vom Schwarzmeer-Hafen Noworossijsk abermals nach Tartus aus, dem russischen Marinestützpunkt in Syrien. Reuters: „Was immer die ,Jausa‘ geladen hatte – es war sehr schwer. Das Schiff lag so tief im Wasser, dass seine Ladelinie kaum noch zu sehen war.“ Auch zwei Landungsschiffe seien ins Mittelmeer entsandt worden – die „Caesar Kunikow“ und die „Saratow“. Beide dienen dem Transport von Truppen und Ausrüstung. Auch die „Saratow“ hatte laut Reuters sehr schwere Fracht an Bord, als sie am Donnerstag Kurs auf Syrien nahm.

Die Fahrten der russischen Schiffe legen nahe, dass in den vergangenen zwei Wochen mehr Ausrüstung und Nachschub nach Syrien gebracht als von dort abtransportiert wurde (mehr dazu hier). Was genau die Schiffe geladen haben und was an Bord der Frachtflugzeuge war, die zusammen mit russischen Kampfjets aus Syrien abgeflogen sind, ist nicht bekannt.

Reuters hat berechnet, dass in den Tagen nach Putins Erklärung rund die Hälfte der Kampfflugzeuge abgezogen wurde. Am Montag zeigte das Staatsfernsehen, wie drei Kampfhubschrauber aus Syrien abtransportiert wurden (Video am Anfang des Artikels). Die genauen Zahlen hält Russland geheim, doch vermutlich sind noch 36 Kampfjets in Syrien. Die TASS bestätigt diese Einschätzung und wiederholt zu diesem Zweck, dass Russland nie gesagt habe, es werde sich vollständig aus Syrien zurückziehen.

Vermutlich hat Russland derzeit mehr als ein Dutzend Kriegsschiffe im Mittelmeer. Dazu gehört auch die „Selenij Dol“, die mit äußerst zielgenauen „Kalibr“-Raketen ausgerüstet ist.

Der Grund der Ankündigung des russischen Abzugs war demnach offenbar nichts anderes als eine Kriegslist, mit der Putin zwei Dinge erreicht hat: Er hat die Terror-Milizen in die Irre geführt. So hatte der IS nach dem Putin-Statement angekündigt, nun werde man eine Offensive gegen Latakia starten. Doch die Terror-Milizen wurden in eine Falle gelockt: Mit Unterstützung der Russen gelang es der syrischen Armee, Palmyra zurückzuerobern und dem IS eine schwere Niederlage zuzufügen.

Putin hat diese Wendung nicht allein herbeigeführt, sondern offenkundig in enger Abstimmung mit US-Präsident Barack Obama. Dieser hatte sich vor Monaten bereits gegen die CIA und die Neocons gestellt und deren Idee, andere Staaten mit Söldnern zu destabilisieren, als gescheitert bezeichnet. In der Woche vor dem Fall von Palmyra war US-Außenminister John Kerry faktisch Dauergast im Kreml. Man kann davon ausgehen, dass die Strategie zur Beendigung des IS im Detail von den Großmächten gemeinsam entwickelt wurde.

Für die endgültige Beendigung des Krieges soll die Zusammenarbeit sogar offen operativ erfolgen: Russland und die USA bereiten sich nach Angaben aus Moskau und Washington gemeinsam auf die Bekämpfung der radikalislamischen Miliz IS in deren wichtigster Hochburg Raqqa vor. Beide Seiten würden über eine „konkrete“ militärische Koordinierung zur Befreiung der nordsyrischen Stadt sprechen, zitierte die Nachrichtenagentur Interfax am Mittwoch den russischen Vize-Außenminister Oleg Syromolotow. Reuters schreibt, sichtlich beeindruckt: „Eine Zusammenarbeit, die auf eine Rückeroberung der de facto Hauptstadt des IS in Syrien abzielt, wäre auf dieser Ebene ein beispielloser Schritt.“

Das Weiße Haus hat die Zusammenarbeit ebenfalls bestätigt. Der stellvertretende Sicherheitsberater Ben Rhodes sagte am Mittwoch bei einer Pressekonferenz, dass man der Türkei klargemacht habe, dass es eine Kooperation zwischen den USA und Russland gäbe: „Einer der Punkte, die wir der Türkei gesagt haben, ist, dass wir mit Partnern des syrisch-arabischen Koalition zusammenarbeiten, welche sich gerade anschicken, den Druck auf ISIL nördlich von Raqqa zu erhöhen.“ Auch zu diesem Zweck sind die Russen in Syrien unverändert militärisch präsent. Der Staatssender Sputnik bringt ein Statement des russischen Verteidigungsministeriums. Demnach sind die Russen in der Nacht zum Mittwoch 23 Luftangriffe gegen 54 Ziele von Terroristen geflogen, mit offenbar erheblicher militärischer Wirkung.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Putin sich offenkundig mit Israel genau abstimmt. Defense News zitiert einen israelischen Luftwaffen-Offizier, der die fortgesetzte Präsenz der Russen in Syrien bestätigt, in ihr aber keine Gefahr für Israel erkennt. Die Russen würden die Langstreckenraketen zur Luftabwehr gegen die Türkei einsetzen und nicht gegen Israel richten. Auch der Iran, einer der Verbündeten der Russen in Syrien, stelle in diesem Zusammenhang keine Gefahr dar, im Gegenteil: Die israelischen Geheimdienste haben offenbar beobachtet, dass der Iran die Qualität seiner Truppen in Syrien zurückfährt.

Die überraschende Finte Putins hat offenbar noch einen weiteren Zweck erfüllt: Sie hat das Selbstvertrauen der syrischen Armee gestärkt. Wie der US-Journalist Seymour Hersh kürzlich bereits berichtete, sei man bei den US-Militärs durchweg voller Anerkennung für die Strategie der Russen, die Moral der syrischen Armee aufgebaut zu haben, damit sie den Kampf gegen den Terror annimmt. Der spektakuläre Erfolg der syrischen Armee bei der Rückeroberung von Palmyra scheint bereits das Ergebnis der wiedergewonnenen Kampfmoral zu sein. Denn anders als den Terror-Gruppen war der syrischen Armee rechtzeitig signalisiert worden, dass die Russen nicht daran denken, auf halbem Weg in Syrien umzukehren.

*** Bestellen Sie den täglichen Newsletter der Deutschen Wirtschafts Nachrichten: Die wichtigsten aktuellen News und die exklusiven Stories bereits am frühen Morgen. Verschaffen Sie sich einen Informations-Vorsprung. Anmeldung zum Gratis-Newsletter hier. ***


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Technologie
Technologie Der Chefredakteur kommentiert: Kleiner Blackout - kein neuer Strom mehr in Oranienburg! Echt jetzt?
19.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Forsa-Zahlen: Die Grünen unterliegen den Fliehkräften der Abwärtsspirale
19.04.2024

Und schon wieder eine Etage tiefer. Der Sog verstärkt sich und zieht die Partei Bündnis 90/Grüne immer weiter hinab in der Wählergunst....

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft G7-Außenministertreffen: Israel-Iran Konflikt überschattet Agenda
19.04.2024

Nach israelischem Angriff auf Iran: G7-Außenministertreffen auf Capri ändert Agenda. Diskussionen zu China und Cyber-Sicherheit werden...

DWN
Technologie
Technologie Sehnsuchtsort Mond – Wettlauf um Macht und Rohstoffe
19.04.2024

Forscher, Technologiefirmen und ganze Staaten streben nach neuen galaktischen Ufern. Der Mond lockt mit wertvollen Rohstoffen und dient...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Krieg: So ist die Lage
19.04.2024

Ukraines Präsident, Wolodymyr Selenskyj, dankt Deutschland für die Unterstützung. Die Außenminister beider Länder, Baerbock und...

DWN
Immobilien
Immobilien Wie viel Immobilie kann ich mir 2024 leisten?
19.04.2024

Wie günstig ist die aktuelle Marktsituation für den Erwerb einer Immobilie? Auf welche Haupt-Faktoren sollten Kaufinteressenten momentan...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Trotz Exportbeschränkungen: Deutsche Ausfuhren in den Iran gestiegen
19.04.2024

Deutsche Exporte in den Iran trotzen geopolitischen Spannungen: Anstieg trotz EU- und US-Sanktionen. Welche Kritikpunkte gibt es in diesem...

DWN
Technologie
Technologie Turbulenzen bei Tesla: Stellenabbau und düstere Prognosen für 2024
19.04.2024

Nach einem Stellenabbau bei Tesla prognostizieren Experten ein „Durchhänger-Jahr“ für Elektromobilität 2024, während Tesla auf...