Politik

Merkel erklärt Russland zum Rivalen von Deutschland

Die neue Militärdoktrin sieht Russland nicht mehr als Partner, sondern als Rivalen. Moskau ist empört und bezichtigt Bundeskanzlerin Merkel, der US-Regierung hörig zu sein. Die Doktrin, die im neuen Weißbuch dargelegt wird, dürfte in Deutschland vor allem das Internet zum Kampfplatz werden lassen.
06.06.2016 17:56
Lesezeit: 3 min

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland treibt weiter in Richtung Zerrüttung. Anlass für die neueste Verstimmung ist das in Kürze erscheinende Weißbuch der Bundeswehr, also die neue Militär-Doktrin Deutschlands. Die russischen Geheimdienste haben das Papier offenbar bereits eingehend studiert – und senden noch vor der Veröffentlichung eine harsche Protestnote nach Berlin: Der Chef des Auswärtigen Ausschusses der russischen Staatsduma, Alexej Puschkow, schreibt über den Kurznachrichtendienst Twitter: „Die Entscheidung der deutschen Regierung, Russland als Gegner zu deklarieren, zeigt Merkels Hörigkeit gegenüber der Obama-Regierung.“

Deutschland schätzt Russland als Rivalen ein, nicht als Partner

Zuvor hatte der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kritisiert, dass Deutschland Russland in seinem redigierten Weißbuch als Rivalen und nicht als Partner eingestuft hat, berichtet die Tass. „Russland ist kein Partner mehr, stellt die Regierung fest, sondern ein Rivale. Durch seine auf der Krim und im Osten der Ukraine zutage getretene Bereitschaft, die eigenen Interessen auch gewaltsam durchzusetzen und völkerrechtlich garantierte Grenzen einseitig zu verschieben, stelle Russland die nach dem Kalten Krieg geschaffene europäische Friedensordnung offen infrage“, zitiert die Zeitung Welt aus dem Weißbuch des Bundesverteidigungsministeriums.

Peskow sagte laut TASS, dass, sollte die Darstellung der Welt wirklich zutreffen, dies gleichzeitig „bedauerlich und bedenklich“ sei: Es sei bedauerlich, dass man demnach im Westen die Absichten Russlands nicht verstanden haben, nämlich „auf dem europäischen Kontinent eine Atmosphäre der auf die Zukunft ausgerichteten Kooperation statt der Konfrontation“ anzustreben. Die Sorge sei in der Möglichkeit begründet, dass Deutschland durch falsche Informationen „konfrontative Handlungen“ auslösen könne, welche „keinen Beitrag zum Vertrauen und zur Zusammenarbeiten leisten“ würden.

Das Weißbuch ist ein Dokument des Bundesverteidigungsministeriums, in dem die sicherheitspolitische Lage und Rivalen Deutschlands definiert wird. In dem Dokument werden sowohl die Verbündeten als auch die Gegner und Feinde Deutschlands festgelegt.

Veröffentlichung des Dokuments erfolgt erst im Juli

Das Weißbuch folgt in seiner Definition von Russland als Rivalen der neuen Nato-Doktrin. Diese war auf dem Nato-Gipfel in Wales beschlossen worden, danach hatte Bundeskanzlerin Merkel die Neuausrichtung für Deutschland in Auftrag gegeben.

Aktuell gibt es noch keine Version, das Weißbuch soll im Juli veröffentlicht werden. Die Zeitung Welt hatte offenbar einige Ausschnitte zugespielt bekommen. Es sind allerdings altbekannte Bedrohungsbilder wie Terror, Klimawandel und ungeordnete Zuwanderung, über die die Zeitung räsoniert. Interessant ist, dass offenbar der Zerfall der EU nicht ausdrücklich als Gefährdung für Deutschland gesehen, sondern nur als denkbares Szenario beschrieben wird.

Bereits jetzt kann man auf der Internetseite des Bundesverteidigungsministeriums nachlesen, dass die Bundesregierung vor allem dem Internet als Ort der Meinungsbildung zuleibe rücken will. Die Bundesregierung sieht – in fast schon paranoider Angst – hinter jedem Smiley einen Aluhut, wittert also eine umfassend vom Kreml gesteuerte Desinformationskampagne. Diese Front dürfte schon bald stärker in den Fokus der militärischen Abwehr geraten. Wir lesen auf der offiziellen Website:

„Durch sogenannte Internet-Trolle und politisch gesteuerte Medienkampagnen versucht der Kreml, Medien, Politik und öffentliche Meinung in den westlichen Gesellschaften zu beeinflussen. Auch Deutschland war in der Vergangenheit schon betroffen. Experten rechnen die gezielten Falschmeldungen einer „hybriden Kriegführung“ zu.

Troll-Beiträge sollen die Kommunikation im Internet steuern und finden sich vor allem in Diskussionsforen. Als Troll wird in diesem Kontext bezeichnet, wer systematisch Diskussionen mit strategisch-einseitigen Beiträgen von einem verdeckten Absender aus beeinflusst, um eine politisch verzerrende Wirkung zu erzielen.

Ein Beispiel sind Beiträge, die Russlands Aggressionen in der Ukraine rechtfertigen sollen. Diese Posts kommen informativ und in attraktiver Verpackung daher, sind jedoch Teil einer ausgeklügelten Strategie: Durch die gezielt platzierten falschen Nachrichten soll das Meinungsbild der Leser nachhaltig beeinflusst werden.

Allein in St. Petersburg arbeiten nach Angaben von DGAP-Experte Stefan Meister 300 Kreml-Trolle an der Verbreitung falscher oder erfundener Informationen über die sozialen Netzwerke. Eines der wichtigsten Instrumente ist das Online-Medienportal „Sputnik“, das in mehr als 30 Sprachen abrufbar ist. Mehrere hundert Mitarbeiter arbeiten dort an der weltweiten Verbreitung der Propaganda-Nachrichten des Kreml. Verantwortet wird das Portal von Russlands staatlicher Nachrichtenagentur Rossiya Segodnya. Das NATO Strategic Communications Center of Excellence (StratCom COE) in Lettlands Hauptstadt Riga unterscheidet zwischen fünf verschiedenen digitalen Angriffen:

- Verschwörungs-Trolle zielen darauf ab, alles Übel der Welt auf die USA zurückführen.

- Wut-Trolle schüren Hass und Aggressionen.

- Anhang-Trolle verbreiten Schadprogramme.

- Wikipedia-Trolle haben das Ziel, Fakten im Netz zu manipulieren.

- Bikini-Trolle setzen auf erotische Fotos, um – etwa über die Bildunterschriften – Propaganda zu streuen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen EU-Vermögensregister und Bargeldbeschränkungen: Risiko für Anleger

Das EU-Vermögensregister gehört derzeit zu den größten Risiken für Anleger. Daher ist es wichtig, sich jetzt zu überlegen, wie man...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Börse-Ausblick: Europa trotzt Trump – doch wie lange noch?
07.07.2025

Ein halbes Jahr voller Turbulenzen: Trump, Zölle, Währungskrise – die Börsen zeigen extreme Bewegungen. Welche Märkte profitieren,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Euro-Kurs wird zur Gefahr: Europas Exporte brechen ein
06.07.2025

Ein starker Euro, schwaches Wachstum, neue US-Zölle – Europas Wirtschaft gerät unter Druck. Die EZB warnt, doch die Lage droht zu...

DWN
Politik
Politik Neuregelung der Vaterschaft: Mehr Rechte für leibliche Väter
06.07.2025

Die Bundesregierung plant eine Reform, die leiblichen Vätern zu mehr rechtlicher Anerkennung verhelfen soll. Der Entwurf aus dem...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnungstausch: Wie Sie Ihre Ferienwohnung herzaubern und worauf Sie achten müssen
06.07.2025

Der Wohnungstausch boomt – günstig, persönlich und spannend. Doch wie funktioniert das Ganze wirklich, und worauf muss man achten,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Jungmakler mit TikTok: Wie eine Generation den Versicherungsmarkt neu denkt
06.07.2025

TikTok-Reichweite, neue Rollenbilder, klare Erwartungen: Junge Makler treiben die Disruption im unabhängigen Versicherungsvertrieb voran....

DWN
Technologie
Technologie Wäschetrockner: Neues Energie-Label einfach erklärt
06.07.2025

Seit dem 1. Juli gelten für Wäschetrockner strengere Energiekennzeichnungen. Verbraucher sollen Geräte nun besser vergleichen können....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Praktika und Probearbeiten: Rechte, Pflichten und Fallstricke für Berufseinsteiger
06.07.2025

Viele Praktikanten kennen ihre Rechte nicht – und riskieren, ausgenutzt zu werden. Was wirklich erlaubt ist, wann Praktika bezahlt werden...

DWN
Technologie
Technologie Lithium: Schlüssel zur technologischen Unabhängigkeit – doch der Rohstoff ist knapp
06.07.2025

Lithium ist der Treibstoff moderner Technologien – von E-Autos bis Energiewende. Doch was passiert, wenn die Nachfrage explodiert und das...