Politik

Russlands Wirtschaft stagniert und schafft Modernisierung nicht

Lesezeit: 6 min
01.04.2017 01:45
Russlands Wirtschaft bleibt unter den Erwartungen. Das Kernproblem:, Das Land kann wegen der aufgezwungenen Isolation seine Industrie nicht modernisieren und seine Exporte nicht diversifizieren.
Russlands Wirtschaft stagniert und schafft Modernisierung nicht

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Im März 2018 finden in Russland die nächsten Präsidentenwahlen statt. Somit gibt es derzeit nur mehr gute Nachrichten. Und wenn jemand wagt, die Frohbotschaften zu bezweifeln und dies bei einer friedlichen Demonstration in Moskau zum Ausdruck bringt, dann landet er prompt in einer Polizeizelle: So erging es am Sonntag dem Oppositionspolitiker und Präsidentschaftskandidaten Alexej Nawalny.

Russland kürzt die Militärausgaben. Oder doch nicht?

In den vergangenen Tagen ging durch die Medien die Nachricht, dass Russland die Militärausgaben um 25 Prozent kürzt. Diese Meldung wurde zwar in der Folge relativiert, doch blieb die Botschaft, dass eine substanzielle Verringerung stattfindet. Offenkundig sollte Russland als friedfertiges Land präsentiert werden, im Gegensatz zu den USA, wo Präsident Donald Trump das Militärbudget kräftig aufstocken will.

Wie die Politik tatsächlich aussieht, konnte man bei einer Tagung in Sotschi am 27. Februar 2017 erfahren, wo Ministerpräsident Dimitri Medwedew die Strategie erläuterte. „Wir planen die umfangreiche Aufrüstung bis 2020 abgeschlossen zu haben und eine gewisse Reserve sicher zu stellen.“ Um Diskussionen zu vermeiden, sei hier der englische Text auf der Homepage der russischen Regierung zitiert: „We have plans to finish large-scale re-armament by 2020, to reach a certain level of equipment provision.“

Die russische Armee leidet unter der Tatsache, dass die Ausrüstung zum Teil veraltet ist. Für die Modernisierung würde man aber gerne nicht nur die eigenen Entwicklungen, sondern auch die westliche Technologie nützen. Wegen der Sanktionen ist aber neben vielen Waren der Verkauf von militärisch nutzbarer Soft- und Hardware nach Russland besonders streng verboten.

Eine Strategie zur Entschärfung der westlichen Sanktionen

In den Sanktionen untersagen die USA und die EU zudem ausdrücklich Lieferungen von Produkten, die für zivile und militärische Zwecke verwendet werden können an Unternehmen, die in beiden Bereichen tätig sind. Diese so genannten „Dual-Use-Güter“ sowie die möglichen Abnehmer in Russland sind ausdrücklich in einer Liste angegeben.

In Sotschi kündigte Medwedew eine Strategie an, die die Umsetzung der im Rahmen der Sanktionen vom Westen verfolgten Politik konterkarieren soll. Künftig wird die Trennung zwischen der Verteidigungsindustrie und dem zivilen Bereich aufgehoben. Der Anteil der „dual-purpose“-Produkte von derzeit 17 Prozent soll bis 2025 auf 30 und bis 2030 auf 50 Prozent ansteigen. Die Trennung sei nicht sinnvoll, wenn man an die vielen Entwicklungen im Militärbereich denkt, die in der Folge zu Konsum- und Investitionsgütern wurden, sagte Medwedew. Wenn zahlreiche Produkte in diese Kategorie fallen, sollte doch der Westen im Interesse seiner Exporteure die Dual-Use-Regel in Frage stellen, lautet das unausgesprochene Ziel.

Bekämpft die russische Zentralbank eine Inflation, die es nicht gibt?

Das entscheidende Problem für die Bevölkerung ist die Inflation. Im Jahr 2015 stieg das Preisniveau um 15 Prozent und dezimierte die ohnehin bescheidenen Einkünfte. Auch im Verlauf des Jahres 2016 rechnete man mit weiteren 8 Prozent Teuerung. Ende Dezember verkündete jedoch das nationale Statistikamt, dass die Steigerung 2015 nicht 15, sondern 13 Prozent betragen hatte und im Jahr 2016 die Inflationsrate letztlich doch nicht 8, sondern nur 5,4 Prozent betrug, womit man den niedrigsten Wert seit 25 Jahren erreicht habe. Erklärt wird auch, dass das netto verfügbare Einkommen 2016 um 8 Prozent kräftig angestiegen sei. Noch vor kurzem wurde beklagt, dass erstmals seit der Hyper-Inflation in den neunziger Jahren die Privathaushalte 2015 die Reserven angreifen mussten um den Alltag zu finanzieren.

Die vor wenigen Tagen erfolgte Senkung des Leitzinssatzes durch die russische Nationalbank von 10 auf 9,75 Prozent löst allerdings einige Fragen über die tatsächliche Wirtschaftslage Russlands aus. Die Notenbank in Moskau fährt seit längerem einen Hochzinskurs um die Inflation zu bekämpfen: Hohe Zinsen sollten den Rubel-Kurs stützen, ein hoher Rubel-Kurs verbilligt die Importe, die für das russische Preisniveau eine entscheidende Rolle spielen.

Wenn nun tatsächlich die Teuerung von 13 oder 15 Prozent im Jahr 2015 auf nunmehr 4 oder 5 Prozent gesunken sein sollte, wäre eine weit stärkere Zinssenkung das Gebot der Stunde. Im Dezember 2014 hat die Nationalbank in einem Gewaltakt den Leitzins von 10 auf 17 Prozent angehoben und den Satz in den folgenden sechs Monaten bei 11 Prozent stabilisiert. In dieser Phase stöhnte Russland unter einer extremen Teuerung, jetzt bei moderaten Preissteigerungen geht man nur auf 9,75 Prozent herunter. Glaubt man in der Zentralbank nicht, dass die Inflation tatsächlich so stark gesunken ist?

Die offizielle Darstellung besagt, dass die Krise überwunden sei: Die Inflationsrate soll heuer auf 4 Prozent sinken, die Einkommen würden weiter real steigen. Die Arbeitslosigkeit habe man bei 5,9 Prozent stabilisiert. Der Rückgang der Wirtschaftsleistung wäre gestoppt, 2016 sei das BIP um 1 Prozent gewachsen, womit sich das Land im Gleichklang mit der Wachstumsrate der EU entwickelt habe. Der Rubel fällt nicht weiter, im Gegenteil ein Teil des Rückgangs wurde wieder wettgemacht. Das Motto: Die Regierung hat die Lage im Griff.

Die Botschaften richten sich an die Bevölkerung in Russland. Nach außen gehen andere Signale: Da wirbt man um Investitionen mit den niedrigen Löhnen und betont, dass die Personalkosten sogar unter dem chinesischen Niveau liegen. Nachdem die Preise in Russland hoch sind, stellt allein diese Werbeaussage das Bild von der Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage in Frage.

Auch der niedrige Rubel-Kurs erleichtere ein Engagement in Russland, heißt es in der Werbung. Das Interesse ist aber nicht sehr groß, nicht nur wegen der Sanktionen der USA und der EU.

Die internationalen Investoren haben sich aus mehreren Gründen zurückgezogen. Die Weltbank betont in einer aktuellen Analyse, dass sich die viel kritisierten Schwachstellen in den letzten Jahren nicht entscheidend gebessert haben: Auf einer Skala von 0 bis 100 wird die Verlässlichkeit von Betriebs- und Baugenehmigungen mit 66 angegeben, die Durchsetzbarkeit von Forderungen mit 75 und der Schutz von Minderheitsaktionären mit 60.

Auch das Kurs-Argument ist problematisch: Als in den vergangenen Jahren die Umrechnung von 40 Rubel für einen Dollar sich auf 80 verschlechterte und jetzt trotz der leichten Erholung immer noch bei 60 liegt, gerieten die russischen Partner in Schwierigkeiten. Kredite in fremder Währung mussten mit einem enorm höheren Rubel-Betrag getilgt werden, den viele nicht leisten konnten. Für Neu-Einsteiger sind 60 Rubel für einen Dollar attraktiv, wenn aber nach einem neuerlichen Kursverfall Tilgungen bei 80 oder 90 notwendig werden sollten, sind Ausfälle unvermeidlich.

Nach der Wende von der sowjetischen Staatswirtschaft zur Marktwirtschaft kamen die entscheidenden Impulse aus dem Ausland über Investitionen, über die Lieferung moderner Maschinen und die Bereitstellung von Know-how. Die auch noch heute von der Weltbank kritisierte Rechtsunsicherheit dämpfte nach und nach die Begeisterung für Russland-Engagements. Seit den von den USA und der EU verhängten Sanktionen spielen die ausländischen Investitionen nur mehr eine geringe Rolle.

Die Erneuerung der russischen Industrie lässt auf sich warten

Offiziell wird versucht, diese Situation als Vorteil darzustellen: Nun sei die eigene Wirtschaft gezwungen, sich zu modernisieren. Die starren Strukturen aus der Zeit der Staatswirtschaft dominieren aber immer noch, die Industrie ist nur in beschränktem Ausmaß wettbewerbsfähig. In der nun eingetretenen Isolation fehlen die Impulse.

Dass unter den derzeit gegebenen Umständen trotz verschiedener Förderprogramme nur bescheidene Fortschritte gelingen, zeigt sich an der Außenhandelsstatistik.

- Auf der Importseite hat sich die Nachfrage nicht wesentlich geändert, sie kann allerdings etwa bei Maschinen nicht voll befriedigt werden, da die Sanktionen tatsächlich einschränkend wirken.

- Auf der Exportseite dominieren nach wie vor Öl und Gas, während hochwertige Fertigprodukte keine entscheidende Rolle spielen. Somit bestimmt der für den gesamten Energiemarkt maßgebliche Rohölpreis die wirtschaftliche Lage Russlands: Naturgemäß sind die aktuell bezahlten rund 50 Dollar je Fass weniger ergiebig als 140.

Die Hochzinspolitik bremst die inländische Investitionstätigkeit

Die hohen Zinsen, die schon als Instrument der Inflationsbekämpfung problematisch sind, erweisen sich zudem als Wirtschaftsbremse.

Aufbauend auf dem Leitzins von 11, dann 10 und nunmehr 9,75 Prozent werden die Kreditzinsen gestaltet. Diese sind extrem hoch und überfordern die Kunden. Kreditkosten von 11 bi 16 Prozent und in manchen Phasen von deutlich mehr als 20 Prozent lassen sich kaum verdienen, weder von den Privathaushalten noch von den Unternehmen. In der Folge wird zu wenig konsumiert und investiert und auch aus diesem Grund kann die russische Wirtschaft ihren Innovations-Rückstand nicht beseitigen: Die Zurückhaltung der ausländischen Investoren und die Finanzierungskosten im Inland ergeben zusammen mit den hohen Zinsen im Land einen fatalen Bremseffekt.

Das Motto: Glücklich und sicher in der Isolation

Das offizielle Russland arbeitet an einer Stimmung, die bei großen Teilen der Bevölkerung Anklang findet. Man werde von der Welt und vor allem vom Westen abgelehnt. Das könne jede und jeder an den Sanktionen ablesen. Im Land lebe es sich doch gut.

Die Zeitschrift „Argumenti i Fakti“ bringt diese Woche die entsprechenden Berichte. Auf der Seite 1 prangt die Frage „Wo lebt man in Russland gut?“ und im Inneren schildern Prominente die Fortschritte in den Regionen. Ebenfalls auf der Seite 1 wird die Frage gestellt „Wozu braucht man die Europäische Union?“ um im Blatt die Vorteile der Eurasischen Wirtschaftsunion zu erfahren: Russland, Weißrussland, Kasachstan, Kirgisien und Armenien seien auf Erfolgskurs, man könne sogar über eine gemeinsame Währung nachdenken. Die katastrophale Lage der Ukraine zeige, wohin ein Land gerät, das sich dem Westen ausliefert. Zur Abrundung erklärt eine Psychologin den Weg zum wahren Glück in der Bescheidenheit.

Einrichtungen, die unabhängig die Lage im Land analysieren, werden als ausländische Spione und Saboteure an den Pranger gestellt: Das einzige, nicht von der Regierung abhängige Meinungsforschungsinstitut, Levada-Center, wird seit Herbst vergangenen Jahres von den Behörden diffamiert. Dabei erhebt das Institut regelmäßig, dass Präsident Wladimir Putin von 80 Prozent der Bevölkerung positiv beurteilt wird und auch eine Mehrheit mit der Politik der Regierung einverstanden ist. Allerdings stellen die Meinungsforscher auch Mängel fest, die in der Bevölkerung auf Missfallen stoßen, erheben, dass nicht alle Russen alles gut finden, dass Demonstrationen und Proteste nicht mehr nur in Moskau und St. Petersburg stattfinden.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF. 

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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