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Am Tag vor der nächsten Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) hat Deutsche-Bank-Chef John Cryan ein Ende der niedrigen Zinsen in Europa gefordert, berichtet Reuters. „Die Zeit des billigen Geldes in Europa sollte enden – trotz des starken Euro“, sagte Cryan am Mittwoch in Frankfurt. Es sei zwar unbestritten, dass die ultraniedrigen Zinsen den Finanzmärkten, den Staaten und auch den Banken aus der Finanzkrise geholfen hätten. „Die lockere Geldpolitik führt aber auch zu immer größeren Verwerfungen“, sagte Cryan. „Wir sehen inzwischen Anzeichen von Blasen an immer mehr Stellen des Kapitalmarkts.“
Außerdem führten die niedrigen Zinsen der EZB zu „einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung“ im Finanzsystem, bemängelte Cryan. Dies gelte vor allem zwischen Banken in Europa und Banken in den USA, die es wegen der langsamen Abkehr der dortigen Notenbank, der Federal Reserve, von den Niedrigzinsen besser hätten als ihre Konkurrenten hierzulande. „Alleine im ersten Halbjahr 2017 ist der Zinsüberschuss amerikanischer Banken um acht Prozent gestiegen – in Europa ist er dagegen um zwei Prozent gefallen“, sagte Cryan. Damit trage die Geldpolitik der EZB direkt dazu bei, dass die Erträge der europäischen Banken zurückgingen. „Verglichen mit der Zeit vor der Finanzkrise beträgt das Minus ganze 23 Prozent.“
Eine Umfrage der Bundesbank hatte unlängst ergeben, dass die niedrigen Zinsen in der Euro-Zone kleineren Geldhäusern langsam das Wasser abgraben. So gehen die rund 1500 untersuchten Sparkassen und Volksbanken auf Sicht von fünf Jahren davon aus, dass ihr Vorsteuergewinn gemessen an ihrer Bilanzsumme um 16 Prozent schrumpfen wird.
Die veränderten Wettbewerbsbedingungen zwischen Banken aus Europa und den USA sind auch ein wichtiger Grund für den Streit beider Lager bei den laufenden Verhandlungen zum Vertragswerk „Basel IV“, bei dem es um die Mindestreserveanforderungen von Banken geht.
Im Ringen um die geplante Reform der weltweiten Kapitalvorschriften fordert Commerzbank-Chef Martin Zielke Augenmaß. „Hier müssen die Regulierer und Aufseher dafür sorgen, dass die europäischen Banken nicht weiter ins Hintertreffen geraten“, sagte Zielke. Der Rahmen für die Banken müsse so kalibriert werden, „dass sie ihre Kernfunktionen auch weiter verlässlich wahrnehmen können“.
Der Streit über die Reform der weltweiten Kapitalvorschriften zieht sich seit längerem hin. Wichtigster Streitpunkt ist die Frage, wie weit Großbanken die Risiken in ihren Bilanzen mit eigenen internen Modellen herunterrechnen dürfen, um Kapital zu sparen. Umstritten ist vor allem der Vorschlag, dass der nach internen Modellen errechnete Kapitalbedarf nicht unterhalb von 75 Prozent des nach dem Standard-Modell ermittelten Werts fallen sollte. Frankreich, Deutschland und die Niederlande lehnten dies zuletzt ab. Europas Banken befürchten, dass ihr Eigenkapitalbedarf stark steigen wird, wenn sie nur wenig Spielraum beim Einsatz interner Modelle erhalten.
Auch aus der Politik kommen Stimmen, die als Plädoyer für eine Normalisierung gedeutet werden können. So spricht sich etwa Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble für eine rasche Abkehr von der Politik des billigen Geldes aus. Es sei eine außergewöhnliche Politik, die die Europäische Zentralbank verfolge, sagte Schäuble am Mittwoch. „Und deswegen wünscht sich jeder weltweit, dass wir möglichst bald zur Normalisierung kommen“, fügte er hinzu. Inzwischen sei man dieser Normalisierung sehr viel nähergekommen, als es die meisten Pessimisten noch vor einem Jahr für möglich gehalten hätten. „Wir haben eine ausgesprochen gute wirtschaftliche Entwicklung in der Euro-Zone insgesamt,“ sagte Schäuble.
Die EZB entscheidet am Donnerstag das nächste Mal über ihren geldpolitischen Kurs. Beobachter erwarten noch keine Abkehr von den Niedrigzinsen. Der Leitzins liegt aktuell bei null Prozent. Die Zentralbank erhebt zudem einen Strafzins von 0,4 Prozent von Banken, die Geld bei ihr parken anstatt es als Kredit an Kunden weiterzureichen.
Da die Konjunktur in der Euro-Zone inzwischen wieder vergleichsweise gut läuft, rückt für die EZB eine Abkehr von der expansiven Geldpolitik näher. Einen ersten vorsichtigen Schritt dahin hatte sie im Juni gewagt, als sie die Option auf noch tiefere Schlüsselzinsen aus ihrem geldpolitischen Ausblick strich. Nun erwarten Volkswirte weitere Trippel-Schritte in diese Richtung, zumal das auf 2,3 Billionen Euro angelegte Anleihen-Kaufprogramm ohnehin nur noch bis Ende Dezember laufen soll. EZB-Präsident Mario Draghi muss daher den Finanzmärkten bald ein Signal geben, wie es danach weitergehen soll.
Der Ausstieg ist allerdings mit beträchtlichen Risiken behaftet, weil Teile der Finanzmärkte und auch die Staaten in weiten Teilen von der expansiven Geldpolitik profitieren, etwa bei der Schuldenaufnahme, und faktisch vom günstigen Geld abhängig wurden.
Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon forderte, die EZB dürfe die Entscheidung, ihre extrem expansive Geldpolitik wieder zurückzudrehen, „nicht immer wieder auf Wiedervorlage setzen“, sondern müsse jetzt endlich eine Entscheidung treffen. Er wünsche sich, dass die Notenbank „in kleinen Schritten anfängt“, die Zinsen zu normalisieren. Der Chef des Verbandes der Volks- und Raiffeisenbanken, Uwe Fröhlich, erklärte, die rund 1.000 kleinen Institute, die seinem Verband angeschlossen seien, würden händeringend darauf warten, dass die EZB sich endlich bewege: „Uns allen ist wohl klar, dass die EZB langsam überzieht.“