Politik

Merkels Vermächtnis: Deutschland spielt nicht mehr in der Welt-Liga

Lesezeit: 3 min
24.09.2017 03:42
Die politischen Parteien in Deutschland haben den Übergang in die Moderne verpasst. Diese Entwicklung ist das Vermächtnis der Ära-Merkel, in der das Neue stets als Gefahr für einen idealisierten Status Quo verteufelt wurde.
Merkels Vermächtnis: Deutschland spielt nicht mehr in der Welt-Liga

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

+++Werbung+++

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

In früheren Jahren waren Bundestagswahlen für den britischen Economist oft einen Cover wert. Das hat sich geändert: Diesmal ziert ein chinesischer Panda-Bär das Cover. Die Bundestagswahl wird in einem kleinen Artikel auf Seite 22 abgehandelt – deutlich kleiner als der Konflikt um Katalonien.

Deutschland spielt im globalen Kontext nicht mehr die Rolle, die das Land noch unmittelbar nach der Wiedervereinigung gespielt hatte. Das liegt weniger an den wirtschaftlichen Daten, die wegen des „weichen“ Euro durchaus positiv sind. Es liegt an der Innovations-Verweigerung der deutschen Politik, welches sich in den kommenden Jahren noch rächen könnte.

Die Innovations-Verweigerung findet auf mehreren Ebenen statt: Das zentrale Problem ist, dass Deutschland unter Angela Merkel der EZB-Rettungspolitik zugestimmt hat: Wegen der niedrigen Zinsen können auch Unternehmen weitermachen, die eigentlich längst nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Weil die Unternehmen künstlich gestützt werden, nehmen sie innovativen Unternehmen die Möglichkeit, sich in einem fairen Wettbewerb auf dem Markt durchzusetzen. Die Folge: Die alten Unternehmen dümpeln vor sich hin, die neuen Unternehmen können nicht reüssieren.

Um die Staatsverschuldung niedrig zu halten, den Euro-Kurs zu drücken und so die Fiktion aufrechtzuerhalten, dass der Euro-Raum prima funktioniert, hat die Große Koalition unter Merkel den jungen deutschen Unternehmen die Luft genommen, die diese zum Atmen brauchen.

Nach drei Kanzlerperioden Merkels gibt es im Technologie-Bereich faktisch keinen einzigen deutschen Weltmarktführer. Es gibt nicht einmal einen europäischen Champion, weil im Schatten der falschen Geldpolitik der nationale Protektionismus blüht. Hinzu kommen externe Faktoren wie die Betrugsfälle der deutschen Automobilindustrie, die ähnlich gewirkt haben wie die geschenkten Kredite: Radikale Infragestellungen von Althergebrachtem konnten unterbleiben, weil man der Betrug als Turbo für den Profit fungierte. Toyota baute in derselben Zeit die erfolgreichsten Hybrid-Autos – und wird bei der sich abzeichnenden Auto-Wende besser dastehen als die europäische Konkurrenz.

Zugleich wurde der Industriestandort heruntergewirtschaftet, etwa mit der sogenannten Energiewende: Deutschland ist heute faktisch als Industrieland nur noch funktionsfähig, wenn es Energie importiert. Dazu gehören Kernkraft, Öl und Gas. Die großen deutschen Energiekonzerne sind nur noch Schatten ihrer selbst und müssen sich den Launen der Politik unterwerfen, wie das Beispiel Nord Stream 2 zeigt. Viele Manager haben in der Ära Merkel vor allem dem Opportunismus gehuldigt, weshalb sie eine entsprechende Mitschuld an der schwachen Substanz trifft.

Die Innovations-Verweigerung fand aber auch in der Politik selbst statt. Merkel – und mit ihr alle anderen Parteiführer – sind Opfer ihrer selbst geschaffenen Echo-Kammern geworden: In Deutschland gibt es kaum Innovationen im Medien-Bereich. Es herrscht ein Duopol aus den von den Parteien kontrollierten öffentlich-rechtlichen Sendern und einigen großen „befreundeten“ Verlagen. In diesen Echo-Kammern wurde die globale Veränderung des politischen Zeitgeists von einer Nebelwand der moralischen Selbstgerechtigkeit verhüllt. So wurden markante Zäsuren nicht als das erkannt, was sie waren: Nämlich Änderungen der Rahmenbedingungen, die man beklagen kann, aber auf die man sich einstellen muss, wenn man in einer globalen Wirtschaft erfolgreich sein will.

Donald Trump tritt in der Definition seines Chefvordenkers Steve Bannon für den „wirtschaftlichen Nationalismus“ ein. Der Austritt der Briten aus der EU geht in dieselbe Richtung: Theresa May sagte dieser Tage in Florenz, dass die Briten mit ihrem Votum vor allem eines wollen: Ihr Schicksal selbst bestimmen und ihre Souveränität wiedergewinnen. Aus Ungarn und Polen kommt dieselbe Position, wenngleich mit etwas anderen Untertönen. Die BRICS-Staaten haben neulich bei ihrem Gipfel in Peking deutlich gemacht, dass sie mehr Gewicht in der globalen Weltordnung haben wollen. Der türkische Präsident Erdogan fährt einen stramm auf die nationalen Interessen ausgelegten Kurs. US-Präsident Trump sagte vor den UN, dass die Zukunft der Vereinten Nationen im Zusammenwirken von souveränen Nationen liegen wird. Russlands Präsident Putin sagte, dass sich heute leider nur noch wenige Nationen ihre Souveränität leisten können. China praktiziert den nationalen Egoismus seit jeher – und zwar als Staatsräson.

Es besteht also ein signifikanter Konsens, dass der Erfolg eines jeden einzelnen Staates in einer neuen Weltordnung maßgeblich davon abhängen wird, wie sehr er sich gegen andere behaupten kann. Die Bedeutung internationaler und supranationaler Gremien dürfte abnehmen.

Dazu gehört auch wesentlich die Frage der Kriege und ihrer Folgen. Deutschland hat unter Merkel hier keine angemessene Rolle gespielt: Im gesamten Wahlkampf wurde zwar wie außer Rand und Band über die Flüchtlinge und die Migranten geschimpft, doch die entscheidenden Ursachen, nämlich die unter aktiver deutscher Mitwirkung geführten Kriege sowie ein fortgesetzt ausbeuterisches globales Finanz-Regime wurden von keiner einzigen Partei thematisiert. Das Schweigen zu den Kriegen ist ein sicheres Indiz, dass die deutsche Politik geschlossen davon ausgeht, in der Welt nicht selbstbestimmt handeln zu können.

Die zwei neuen Trends – Innovation durch Technologie und Wettbewerb der Nationen – werden in ihrer Summe die Moderne ausmachen. Wegen der rapiden technologischen Veränderungen kann der Zeitraum dafür sehr kurz sein. Die Veränderungen werden beschleunigt erfolgen, wenn die EZB und die anderen Zentralbanken den geldpolitischen Ausnahmezustand aufheben.

Für Deutschland gibt sich der ernüchternde Befund, dass keine einzige der politischen Parteien in dieser Hinsicht auf der Höhe der Zeit ist. Das ist nicht die Schuld von Angela Merkel, weil ja niemand die anderen Parteien gehindert hat, es besser zu machen. Dennoch lautet das zentrale Vermächtnis der vielen Jahre der Ära Merkel: Die politischen Eliten in Deutschland haben sich in einer Art Selbstaufgabe auf ihre folkloristische Funktionen zurückgezogen und sich damit abgefunden, dass sie zwar mitspielen dürfen, aber nicht gestalten können.

Die radikale Veränderung, die die technologische Moderne für Wirtschaft, Politik und Nationen bringt, wollen sie nicht wahrhaben. Damit treffen sie in weiten Teilen auch das Lebensgefühl ihrer Klientel: Die Rentner sind die größte Wählergruppe. Sie wollen, dass vor allem für sie alles so bleibt wie es ist. Ihre Verlust-Ängste fängt die AfD am besten ab; das haben die anderen Parteien zu spät erkannt.

So wurde die Bundestagswahl 2017 zu einer Retro-Veranstaltung, die den Bedeutungsverlust Deutschlands in einer sich rapide ändernden Welt spiegelt.

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..


Mehr zum Thema:  

DWN
Immobilien
Immobilien Immoscout: Vorsichtige positive Signale auf dem Immobilienmarkt
19.03.2024

Stark ansteigende Kreditzinsen und Baukosten haben den Kauf eines Eigenheims für viele in den vergangenen Jahren unerschwinglich gemacht....

DWN
Finanzen
Finanzen Fundamentale Aktienanalyse - so bewertet man Wertpapiere richtig
18.03.2024

Die fundamentale Aktienanalyse ist ein unverzichtbares Instrument für jeden Investor, der Wertpapiere nicht nur verstehen, sondern auch...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Umfrage: Sehr viele Deutsche sorgen sich vor weiteren Energiepreissprüngen
18.03.2024

Die Menschen in Deutschland haben einer Umfrage zufolge Sorgen vor weiteren Energiesprüngen und allgemeinen Preissteigerungen - trotz der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Airbus-Jubiläum: 50 Jahre Linienflüge im Airbus - Boeing hat Wettkampf quasi verloren
18.03.2024

Kein Hersteller baut so gute und so viele Flugzeuge wie Airbus. Eine Erfolgsgeschichte, an die sich Frankreich und Deutschland gerade in...

DWN
Finanzen
Finanzen Bankenaufsicht: Mehrzahl der Geldinstitute kann kräftigen Gegenwind überstehen
18.03.2024

In Deutschland und Europa ist das Gros der Geldhäuser gut kapitalisiert. Die Krise an den Märkten für Büro- und Handelsimmobilien...

DWN
Technologie
Technologie Verhandelt Apple mit Google über KI-Technologie?
18.03.2024

Gibt es bald Googles KI auf Apples iPhones? Laut gut informierten Kreisen verhandelt Apple angeblich mit Google über die Integration von...

DWN
Panorama
Panorama ifo-Institut und EconPol Europe: Wirtschaftsforscher fordern mehr Energie-Zusammenarbeit in Europa
18.03.2024

Wirtschaftswissenschaftler appellieren an die EU, im Zusammenhang mit ihrer Energiepolitik aus der aktuellen Energiekrise zu lernen und mit...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Arbeiten ohne Grenzen: Was beim Homeoffice im Ausland zu beachten ist
18.03.2024

Arbeiten über Grenzen hinweg: Ein Trend, der immer beliebter wird - und große Chancen bietet, wenn Sie steuer- und...