Politik

Chinas Kommunisten zeigen der Welt, wie Industrie-Politik geht

Lesezeit: 10 min
21.10.2017 01:27
Chinas Kommunisten haben auf dem 19. Parteitag eine Wirtschaftsstrategie beschlossen, die im Westen ihresgleichen sucht.
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Der Aufstieg Chinas ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte seit dem radikalen Umbruch von 1978 mit der Machtergreifung von Deng Xiaoping. Nach Jahrzehnten teils katastrophaler Experimente unter Mao Zedong gelang seit 1980 ein gewaltiger Aufschwung – zunächst in die Breite, in den letzten 15 Jahren auch in die Tiefe. Der ganz große Sprung gelang China durch den Beitritt zur WTO im Dezember 2001. Seither ist China zur Fabrik der Welt geworden, und zwar nicht nur in arbeitsintensiven Bereichen, sondern auch in technologisch fortgeschrittenen Industrien und Spitzentechnologien. Parallel dazu hat sich auch die Binnenwirtschaft modernisiert – vor allem durch den Infrastruktur- und Wohnungsbau, den Aufschwung der Automobilwirtschaft mit all ihren Kopplungseffekten und durch die Telekommunikation. Vergleicht man die Entwicklung Chinas mit Indien, so sind riesige Differenzen sichtbar.

Dieser beispiellose Erfolg wird als Verdienst der Kommunistischen Partei Chinas angesehen und auch so verkauft. Der wirtschaftliche Boom legitimiert die an sich anachronistische Alleinherrschaft der Partei. Und doch sollen am Parteitag wichtige Weichenstellungen erfolgen. Sie sollen die Macht der Partei nicht nur zementieren, sondern in spezifischer Weise ausbauen. Darüber hinaus soll vor allem innerparteilich eine enorme Zentralisierung der Macht in einer Figur erfolgen: dem Vorsitzenden Xi Jinping. Dieser würde auf einer Stufe mit Mao stehen, was seine Machtbefugnisse angeht. Warum diese Transformation in eine Richtung, die nicht unbedingt dem entspricht, was im Westen erwartet worden ist?

Auf einen kurzen Nenner gebracht, entwickelt China sein Wachstumsmodell in eine neue Richtung weiter – und zwar im Export wie in der Binnenwirtschaft. Die Führung strebt einerseits eine Zentralisierung der Entscheidungsprozesse an. Sie hat eine zentralstaatliche Industriepolitik entwickelt, welche China beziehungsweise chinesische Unternehmen in den globalen Wachstumsindustrien technologisch in die Spitzenposition bringen soll. Darüber hinaus will China seine in der Binnenwirtschaft aufgebaute Entwicklungs-Kompetenz für den Außenhandel nutzen – dies hauptsächlich, aber nicht exklusiv, in der ‚Belt and Road-Initiative‘, auch Seidenstraße genannt.

Andererseits soll die Kontrolle und Überwachung der Wirtschaft, der Gesellschaft und auch der Partei massiv gestärkt werden. Alle Geheimnisse, Abläufe und Prozesse sollen auf mikro- und makroökonomischer Ebene durchdrungen sowie für die Führung verständlich und nutzbar gemacht werden. Damit sollen Ineffizienzen eliminiert und Politikfehler vermieden werden. Fehlverhalten soll transparent und korrigierbar gemacht werden. Die Kontrolle soll einheitlich und koordiniert stattfinden – deshalb die innerparteiliche Zentralisierung der Machtbefugnisse auf eine Person und seine Gefolgschaft.

Die Exporte Chinas haben seit dem Beitritt zur WTO phänomenal zugenommen. In Dollar ausgedrückt haben sie sich von 2001 bis 2014 fast verzehnfacht. Dabei stand in den 2000er Jahren der Export ausländischer Firmen im Vordergrund. Diese nutzten die Sonderwirtschaftszonen zur Plattform für Produktionsverlagerungen und exportierten in ihre traditionellen Märkte. Der Beitrag dieser westlichen multinationalen Unternehmen zum Gesamtexport Chinas erreichte in diesem Zeitraum etwa 60 Prozent. Chinas Rolle beschränkte sich in diesem Zeitraum für den Großteil der Exporte auf eine effiziente Bereitstellung der Infrastruktur, des regulatorischen Rahmenwerks und der administrativen Abläufe. Der Rest war Sache der multinationalen Unternehmen.

Zum genaueren Verständnis: Diese Exporte ausländischer Unternehmen sind nicht zu verwechseln mit der Produktionstätigkeit ausländischer Unternehmen für den chinesischen Binnenmarkt. Dort unterliegen ausländische Unternehmen ganz anderen regulatorischen und steuerlichen Bedingungen. In vielen Bereichen müssen sie etwa Joint-Ventures mit staatlichen einheimischen Unternehmen eingehen. Außerdem zahlen sie viel höhere Steuern und Abgaben. Es sind effektiv die Exportzahlen spezialisiert für den Weltmarkt außerhalb Chinas arbeitender Unternehmen, die von gezielten Exportbeihilfen profitieren. Es kann keine Frage sein, dass diese Produktionsauslagerung nach China massiv zur Desindustrialisierung in den USA und in Europa seit der Jahrtausendwende beigetragen hat.

Die Dynamik dieser Exporte von ausländischen Unternehmen ist mit der Stagnation der Inlandnachfrage in den USA und in Europa seit der Großen Finanzkrise 2009 deutlich zurückgegangen. Der Export von 2015, der letzten verfügbaren Zahl, ist gegenüber 2008 nur noch wenig angestiegen (rote Balken in der Grafik). Die Exporte chinesischer Unternehmen haben hingegen weiterhin extrem stark zugelegt. Sie repräsentieren heute an die 60 Prozent der chinesischen Gesamtexporte – dies natürlich bei einem riesig angestiegenem Exportwert und -volumen. Die Grundlage dafür war teilweise ähnlich wie bei den ausländischen Multinationalen, teilweise spezifisch chinesisch: Die chinesischen Unternehmen haben vom Freihandel unter dem WTO-Abkommen, von den niedrigen Arbeitskosten und Umweltstandards, sowie spezifisch von den geringen Kapitalkosten und von einem praktisch unbegrenzt verfügbaren inländischen Kreditangebot profitiert.

Ein für das Gesamtverständnis wichtiger Faktor betrifft außerdem die Tatsache, dass die Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind. Die chinesischen Exporte und die Importe aus China in den Abnehmerländern weichen teilweise massiv voneinander ab. Der Unterschied kann nicht einfach mit der fob-cif Differenz erklärt werden, sondern hat noch andere Ursachen. Gleiches gilt im Übrigen teilweise für die chinesischen Importe und die Exporte aus Lieferantenländern. China weist die Importe bei einzelnen Ländern massiv höher aus – bei anderen hingegen ist die Differenz unbedeutend. Dies dürfte einem systematischen Verhalten zuzuschreiben sein. Vor allem chinesische Unternehmen haben allen Grund, Exporte etwa an ausländische Abnehmer oder Handelsgesellschaften, mit denen sie verbunden sind, zu unterfakturieren, und Importe von solchen zu überfakturieren. Sie können so geringere Gewinne ausweisen, inländische Steuern sparen und außerdem Kapital ins Ausland schaffen. Besonders 2015 und 2016 war dies der Fall, als die Abwertung des Yuan einen zusätzlichen Anreiz für dieses Verhalten schuf. Problematische Export- und Importdaten sind kein Privileg Chinas. Sie sind endemisch geworden in einer globalisierten Welt mit unterschiedlichen Steuersätzen und Steuerregimes, mit unterschiedlichen Arbeitskosten und regulatorischen Vorgaben. Auch innerhalb Europas sowie in den USA gibt es bedeutende analoge Verzerrungen, die zu verfehlten wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen geführt haben.

In der Konsequenz sind die Exporte Chinas um mehrere Hundert Milliarden US-Dollar unterschätzt, die Importe aber um Dutzende Milliarden überschätzt. Damit ist auch die Handels- und Leistungsbilanz falsch ausgewiesen.

Nicht nur in der Binnenwirtschaft, sondern auch im Export traten Verwerfungen aus der Kreditbonanza auf. Viele Provinzen und Städte subventionierten Start-ups und Neu-Ansiedlungen mit einem Wildwuchs, welche in traditionellen und neuen Industrien in den Export einstiegen. Rasch kam es zu gewaltigen Überkapazitäten auch in sehr kapitalintensiven Bereichen, welche später mit Riesenverlusten liquidiert werden mussten beziehungsweise immer noch nicht liquidiert sind. Auch sind die Faktoren für die Wettbewerbsvorteile im Außenhandel nicht mehr die gleichen: Die Arbeitskosten sind in China dramatisch angestiegen, Umweltstandards können nicht mehr gleichermaßen missachtet werden.

Deshalb kommt nun eine neue Phase, die von einer zentralisierten Industriepolitik gekennzeichnet ist. Der chinesische Staat definiert Zukunftstechnologien und -felder, reorganisiert seine Industrien zu nationalen Champions und fördert diese mit allen erdenklichen Mitteln. Ressourcen werden bereitgestellt, gezielt Unternehmen mit spezialisiertem Know-how in diesen Schwerpunkten im Ausland zugekauft. Schwerpunkt und Zielsetzung werden ganz klar die Hochtechnologie und sogar Weltmarkt-Führerschaft in diesen Bereichen sein. Fabrikautomatisierung, Robotik, künstliche Intelligenz, ‚Big Data’ und Telekommunikation stehen auf dem Entwicklungsprogramm. Die Zwangs-Elektrifizierung der Autoindustrie gehört auch in dieses Kapitel. Damit werden viele bisherige Wettbewerbsvorteile der ausländischen Hersteller beseitigt, die auf der Verbrennungstechnologie beruhen.

Die staatseigenen Unternehmen sind unter Parteichef Xi Jinping somit zur Speerspitze geworden, mit denen China technologisch zur Weltspitze aufschließen und diese übernehmen soll. Die staatlichen Unternehmen (engl. State Owned Enterprises, kurz SOE) erleben nicht nur eine Renaissance, sondern eine tiefgreifende Modifikation ihres Auftrages. Ursprünglich waren sie vor allem für die Binnenwirtschaft zuständig. Mit Joint Ventures sollte der Know-how Transfer in möglichst vielen Bereichen gesichert werden.

Doch inzwischen hat sich das umgekehrt: China hat heute eine staatliche Industriepolitik wie europäische Länder in der Nachkriegszeit – vor allem in den 1960er und 1970er Jahren. Nur hat China nicht nur und nicht mehr eine staatliche Industriepolitik auf Provinz- oder Regionen-Ebene, vergleichbar den einzelnen europäischen Ländern damals, sondern nunmehr eine hochzentralisierte für das ganze Land mit seinen 1.3 Milliarden Einwohnern. Vorher, vor allem in den Jahren 2009-2013 waren die Provinzen und Städte federführend gewesen. Seither hat sich das Gewicht zunehmend auf die nationale Ebene verlagert. Dabei werden gezielt die Spitzensektoren identifiziert und gefördert. Es werden alle Hebel – menschliche und sachliche Ressourcen, Regulation, Außenpolitik, Kredite – in Bewegung gesetzt, um diesen Spitzensektoren zum Durchbruch zu verhelfen. Einer der Hebel ist der selektive Marktzugang in der Binnenwirtschaft. Durch die enorme Größe des Binnenmarktes können chinesische Unternehmen Skaleneffekte erzielen, die ihnen im zukünftigen Wettbewerb auf dem Weltmarkt bedeutende Wettbewerbsvorteile verschaffen und sichern. Sie können dann auch andere Anbieter mit Dumping-Praktiken aus dem Markt befördern. Durch ihre Position im Binnenmarkt können sie so hohe Gewinne einfahren, dass sie sich einige Zeit Verlust im Auslandgeschäft problemlos leisten können.

Mit dieser zentralisierten staatlichen Industriepolitik will die chinesische Spitze nicht nur eine Technologie-Führerschaft in den Wachstumsbereichen der Weltwirtschaft erringen. Kostspielige Fehlinvestitionen und überschießende sektorale Investitionen wie in der Vergangenheit sollen vermieden oder eingeschränkt werden.

Hinzu kommt, dass China heute die größte Volkswirtschaft der Welt ist. Sie hat einen riesigen und schnell wachsenden Binnenmarkt, der zusehends auch technologisch anspruchsvoll wird. Indem China fein balanciert selektiven Marktzutritt für einzelne Branchen und Unternehmen aus dem Ausland gewährt, kann es sich umgekehrt nach wie vor Praktiken leisten, die dem WTO-Code Hohn sprechen. Und niemand protestiert, denn man will sich ja den Zugang zum Markt der Zukunft beziehungsweise dem nicht versperren, was man sich davon verspricht. Man spricht im Gegenteil von der Vertiefung des Freihandels und merkt nicht, wie man gnadenlos über den Tisch gezogen wird.

Zudem handelt Beijing mit einem industriepolitischen Gesamtkonzept, das alles in den Schatten stellt, was die USA, Europa oder einzelne europäische Länder bieten oder bieten können. Die USA und Europa sind alternde Volkswirtschaften ohne große zukünftige Wachstumsdynamik. Bei beiden bestehen Zweifel, ob sie überhaupt mittel- und längerfristig wachsen werden. Bei den gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Konzepten könnte man die europäische Zukunft an sich in Frage stellen. Denn die Zukunft weltwirtschaftlichen Wachstums liegt eindeutig in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Dort ist die Bevölkerung jung, mit einer pyramidenförmigen Struktur des Altersaufbaues teilweise stark wachsend, und mit viel Potential zum Aufholen, dem viel zitierten ‚Catching-up‘.

Und für diese Länder bereitet China eine Strategie vor, die ihresgleichen sucht. Zunächst ist dort seine Expertise im effizienten Aufbau einer Infrastruktur, dem Kern jeglichen erfolgreichen Wachstumsprozesses, besonders in Schwellen- und Entwicklungsländern. Da können die chinesischen Entwicklungs- und Konstruktionsfirmen nahtlos an ihre fieberhafte Bautätigkeit und Erfahrungen im Inland anknüpfen. Damit verbunden werden Zulieferungen aus der Stahl-, Aluminium-, Elektro- und Ausrüstungsindustrien in China sein. Die hochmoderne, effizient hochgezogene Infrastruktur in China selbst ist dabei eine erstklassige Referenz. Die praktisch unbegrenzte und kostengünstige Finanzierung, welche staatliche chinesische Banken anbieten können, kommt als zusätzlicher Faktor hinzu.

Vergleicht man dies mit der verwahrlosten und heruntergewirtschafteten Infrastruktur in den USA, im Vereinigten Königreich, teilweise in Deutschland, so gibt es keine Fragen, wer als Lieferant besser geeignet ist. Auch die Effizienz der Bautätigkeit überzeugt. In Beijing wird gegenwärtig ein neuer Großflughafen gebaut, für rund 100 Millionen Passagiere jährlich. Der Bau wurde 2014 begonnen und dürfte nach allem, was bekannt ist, zeitgerecht 2019 fertiggestellt sein – mit Anschlüssen für Autobahnen und Untergrundbahnen direkt ins Stadtzentrum von Beijing.

Es bestehen aufgrund der Erfahrung berechtigte Zweifel, ob in der deutschen Hauptstadt Berlin ein viermal kleinerer Flughafen zum gleichen Zeitpunkt in den Betrieb übergeben werden kann. Allerdings wurde dieser 2006 begonnen und hätte 2011 eröffnet werden sollen. Zusätzlich ist eine Kostenüberschreitung von mehreren Hundert Prozent zu konstatieren. Wer bekommt da einen Auftrag aus einem Schwellenland: die staatliche chinesische Gesellschaft, oder ein deutsches Bauunternehmen?

In China wurde innerhalb von 13 Jahren ein weltweit einzigartiges Netz von Hochgeschwindigkeitszügen gelegt. Die Technologie dafür stammt von Siemens, wurde aber zwangsweise in Joint-Ventures mit chinesischer Mehrheit eingebracht, von den chinesischen Eisenbahnbauern prompt adaptiert und weiterentwickelt. Heute darf Siemens noch Teile liefern. Die beiden staatlichen Eisenbahnbauer wurden zwangsfusioniert und treten heute nicht nur in Schwellenländern als dominante, sondern selbst in Europa als ernsthafte Wettbewerber auf. Die Züge in China sind brandneu, das Netz ebenfalls. Sie kommen pünktlich an. Um ein Gegengewicht bilden zu können, wurden die beiden großen Hersteller von Hochgeschwindigkeitszügen in Europa, Alstom und die Bahn-Aktivitäten von Siemens, zusammengelegt. Keine Frage, dass dies wettbewerbsfähige Unternehmen sind und kombiniert wohl schlagkräftiger sein könnten. Aber sie haben eben nicht das hochmoderne Netz als Referenz. Vor allem Deutschland mit seiner maroden Schieneninfrastruktur bietet ein eher abschreckendes Bild. Die Politik der schwarzen Null und der Überschüsse hat anderswo gewichtige Nachteile.

Neben der Infrastruktur ist die Modernisierung des Agrarsektors für Schwellen- und Entwicklungsländer von zentraler Bedeutung. Auch da hat China einiges zu bieten – nicht nur in Bezug auf Maschinenpark, Bewässerungstechnik, Elektrifizierung und Erschließung mit Verkehrsmitteln. 2017 wurde von einem staatlichen chinesischen Mischkonzern die schweizerische Syngenta, einer der beiden größten Saatgut-Produzenten der Welt, zu einem hohen Preis gekauft. Der andere ist Monsanto – mit einem miserablen Ruf – 2018 von Bayer zur Übernahme vorgesehen. Syngenta wird mit Sicherheit auf die Bedürfnisse nicht nur der Landwirtschaft in China, sondern eben in Schwellenländern und armen Entwicklungsländern ausgerichtet werden.

Den Aufbau von Fabriken kann China dort problemlos finanzieren und organisieren, wo es nicht gegen eigene Interessen geht. Dies dürfte ein Unterschied zur Praxis von Unternehmen aus den USA und aus Europa sein, welche systematisch die Produktionsbasis in den Heimatländern ausgehöhlt und nach China verlagert haben.

Ganz wichtig für die Entwicklung von Schwellenländern ist der Aufbau eines Gesundheitswesens. Auch da verfügen die Chinesen über Trümpfe. In den USA und in Europa ist die Medizin und vor allem die Pharmaforschung auf typische Alterskrankheiten ausgerichtet, vor allem für Krebsmedikamente, welche enorme Margen haben. Die Entwicklung und Produktion von Impfstoffen und von Antibiotika wird von den Pharmakonzernen unbeachtet liegen gelassen, da sie durch Regulation und Auflagen margenschwach beziehungsweise unprofitabel ist. In diese Lücke ist China gesprungen, das heute auf  ein Monopol für die Produktion von Impfstoffen und Antibiotika zusteuert, zusammen mit Indien. In Westeuropa gibt es deswegen heute teilweise Engpässe und Mängel an bestimmten verfügbaren Impfstoffen. Anzufügen ist, dass die Pharmaindustrie auch die Forschung für Impfstoffe und Pharmazeutika weitgehend aufgegeben hat. Dies obschon die Verseuchung mit Antibiotika in den USA und in Westeuropa inzwischen weit fortgeschritten ist. Antibiotikaresistenzen sind ein hohes Risiko, und können bei an sich harmlosen Erkrankungen oder operativen Eingriffen in Krankenhäusern zu gravierenden Konsequenzen führen.

Für sehr junge, kinderreiche Bevölkerungen wie in Schwellen- und Entwicklungsländern sind Impfstoffe und Antibiotika zentral für die Versorgung der Bevölkerung – China kann und wird sie liefern. Auch hat China neben der westlichen Schulmedizin eine eigene chinesische Medizin, die ohne teure Apparate auskommt und für viele Krankheiten und Gebrechen sehr effektiv und kostengünstig ist. Die Apparatemedizin westlicher Industrieländer dagegen ist angesichts der finanziellen Erfordernisse für Entwicklungsländer wenig erfolgversprechend und eher auf eine alternde Bevölkerung ausgerichtet.

China liefert dabei ein globales Gesamtkonzept mit der ‚Belt and Road’-Initiative. Damit wird für einen riesigen und bevölkerungsreichen Wirtschaftsraum, der von China über Zentralasien bis nach Europa und nach Afrika reicht, ein Gesamtprojekt definiert. Dort stehen der chinesischen Wirtschaft alle möglichen Entwicklungsoptionen offen, die sie modular anbieten kann: deer Bau von Häfen, Eisenbahnstrecken, Hochgeschwindigkeitszüge, Gas-Pipelines, Kraftwerken. Gegenwärtig sind von chinesischen Unternehmen 700 neue Kohlekraftwerke geplant. Die meisten von ihnen im Westen Chinas und in Ländern an der geplanten Seidenstraße. Auch in Ländern, die bisher keine solchen Kohlekraftwerke haben wie Ägypten, Pakistan, Bangladesch, Myanmar etc. Dass damit die CO2-Ziele unerreichbar sind und die Erderwärmung um 2 Prozent vergessen werden kann, sei nur nebenbei erwähnt.

Genauso wie im Hochtechnologie-Sektor wird mit der Seidenstraße beziehungsweise mit der Fokussierung auf die Schwellen- und Entwicklungsländer also eine bisher binnenwirtschaftliche Aktivität in ein Exportangebot umgepolt. Es ist ein Gesamtkonzept – und China kann ein modular aufgebautes Programm und komplette Gesamtlösungen offerieren, inklusive der Finanzierung. Ausländische Anbieter werden es schwierig haben, selbst wenn sie für Teile günstigere Angebote oder technisch bessere Lösungen haben. Denn China kann alles mit allem kombinieren, ein strukturiertes Produkt kreieren, bei dem die Marge anderswo anfällt. Selbst denkbar ist, dass China für eine Gesamtlösung Teile bei westlichen Unternehmen im In- oder Ausland einkauft und ihnen gegenüber durchaus als Preisdrücker auftritt.

Die Zentralisierung der Entscheidungen und Entscheidungsorgane ist also ein Teil eines neuen Wachstums- und Exportmodells. Es ist eine Form von Industriepolitik, welcher die USA und Europa beziehungsweise einzelne europäische Länder nichts Gleichwertiges entgegensetzen können. Jedenfalls nicht mit den heutigen Politik-Ansätzen. TPP war von Seiten der Obama-Administration ein Versuch, dies zu tun – unter Ausschluss Chinas. Doch die Zentralisierung und vor allem die Machtkonzentration in Chinas Parteiführung hat noch eine andere Funktion: nämlich in Bezug auf die Binnenwirtschaft. Dort sieht es beileibe nicht so rosig aus wie im Export.

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