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Einigung: Union und SPD wollen über Große Koalition verhandeln

Lesezeit: 3 min
12.01.2018 02:15
Union und SPD wollen in Verhandlungen über eine Große Koalition eintreten.
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Nach 25-stündigem Ringen haben Union und SPD die Grundlage für die Bildung einer neuen Koalition gelegt. "Wir haben ein Papier des Gebens und des Nehmens beschlossen", sagte Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel am Freitag in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den Vorsitzenden von SPD und CSU, Martin Schulz und Horst Seehofer. "Ich glaube, dass wir hervorragende Ergebnisse erzielt haben", sagte Schulz, der am entscheidenden Tag auch Gastgeber im Willy-Brandt-Haus war. Seehofer gab das Ziel aus, bis Ostern eine neue Bundesregierung zu bilden.

Die drei Parteien beendeten damit eine fünftägige Sondierungsphase. Sowohl Merkel und Schulz als auch Seehofer betonten nach der Einigung, dass die Vertreter ihrer Parteien dem Sondierungspapier einstimmig zugestimmt und den Einstieg in Koalitionsverhandlungen empfohlen hätten. Am Freitag sollen noch die Parteigremien von CDU und SPD das Papier abnicken, die CSU wird am Montag folgen. Am 21. Januar muss dann ein SPD-Parteitag das OK für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union geben. Sollte es zu einem Koalitionsvertrag kommen, müssten am Ende die SPD-Mitglieder zustimmen. Bereits während der Verhandlungen hatten etwa die Jusos eine neue große Koalition unter Merkel abgelehnt.

Die Kanzlerin und Schulz räumten ein, dass die Verhandlungen sehr hart und "turbulent" gewesen seien. Ein Scheitern habe aber nicht gedroht. In der letzten Runde wurden die besonders sensiblen Punkte wie Finanzen, Rente, Gesundheitsreform und Flüchtlingsfrage besprochen. Die SPD verzichtete dabei etwa auf die Forderung nach einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes. "Wir werden die Steuerbelastung der Bürger nicht erhöhen", heißt es in dem Papier der Sondierer. Der zusätzliche finanzielle Spielraum für eine neue Regierung wird bis 2021 mit rund 46 Milliarden Euro angegeben. Das Geld soll unter anderem genutzt werden für einen weitgehenden Abbau des Solidaritätszuschlags.

Die gesetzliche Krankenversicherung soll nach dem Willen von Union und SPD wieder zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert werden. Dies belastet die Wirtschaft nach Einschätzung von Kritikern mit rund fünf Milliarden Euro. Die Forschungsausgaben sollen bis 2025 auf 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung angehoben werden. Bund und Länder sollen 15.000 neue Polizisten einstellen.

In der Migrationspolitik wollen Union und SPD für Flüchtlinge mit einem nachrangigen Schutzstatus den Familiennachzug in begrenztem Umfang für Härtefälle zulassen. So soll 1000 Menschen pro Monat der Nachzug nach Deutschland ermöglicht werden. Zudem vorgesehen ist eine Art Obergrenze. So soll "die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000" nicht überstiegen werden. Gleichwohl gelte das Recht auf Asyl

Es sei gemeinsam ein "Aufbruch" beschlossen worden, betonten alle drei Parteivorsitzenden. Dies gelte besonders für das Thema Europa, das an der Spitze des 28-seitigen Sondierungsergebnisses steht. "Das Europakapitel ist ein Aufbruch für Europa", sagte Schulz, der mit diesem Thema Unterstützung seiner Partei für die eigentlich ungeliebte dritte große Koalition unter Merkel sucht. Deutschland werde wieder zum Motor in der Europapolitik und habe Antworten auf Reformvorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und von EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. So erklären sich die drei Parteien etwa bereit, ein Fonds für die Stabilisierung von Staaten in der Euro-Zone zu schaffen. Dabei wird allerdings offen gelassen, wo ein entsprechendes Budget angesiedelt werden soll, im EU-Haushalt oder in der Euro-Zone. In der EU wird unter anderem ein System von Mindestlöhnen angestrebt.

Seehofer lobte die sozialpolitischen Beschlüsse der Sondierer. So sei eine Grundrente und ein umfassendes Pflegepaket beschlossen worden. In der Rentenversicherung ist eine doppelte Haltelinie zur Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent und zur Stabilisierung der Beiträge vorgesehen. Für Langzeitarbeitslose soll es einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt geben. In der Bildungsfinanzierung soll der Bund eine noch größere Rolle spielen bei der Modernisierung von Schulen. "Wenn uns das alles gelingt, können das vier sehr gute Jahre werden", sagte Seehofer.

Ganz harmonisch waren die Gespräche aber offenbar nicht. In der SPD wird kolportiert, dass die CSU beim Flüchtlingsthema Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier und Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (beide CDU) an den Rand gedrängt habe. In der Union wiederum heißt es, dass die SPD-Führung Schulz offensichtlich misstraue und immer wieder von ihm getroffene Vereinbarungen einkassiert habe. In den stundenlangen Gesprächen wurde meist in der sogenannten Sechser-Gruppe aus Partei- und Fraktionschefs verhandelt. Die SPD zeigte sich zufrieden, dass sie nur einen einzigen großen Punkt nicht durchgesetzt habe, nämlich die Abschaffung der sachgrundloser Befristung von Arbeitsverhältnissen.

Kritische Töne kamen aus der Wirtschaft: "Der Preis der Wirtschaft für diesen Kompromiss ist hoch", bemängelte der Präsident der Deutsche Industrie- und Handelskammertag DIHK. Mittelstandspräsident Mario Ohoven sagte: "Eine Wiederauflage der großen Koalition kommt Deutschland teuer zu stehen." Kritik kam auch von der Linkspartei: Die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht warf CDU, CSU und SPD "krasse soziale Ungerechtigkeit" vor.


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