Politik

Flüchtlinge als Faustpfand: In Libyen tobt ein Öl-Krieg

Lesezeit: 6 min
30.06.2018 01:59
Die Flüchtlinge in Libyen sind ein Faustpfand in den Händen von Söldner-Verbänden. Diese Gruppen sollen den Großmächten den Zugang zu den Öl-Quellen des Landes freikämpfen.
Flüchtlinge als Faustpfand: In Libyen tobt ein Öl-Krieg

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Der libysche Milizen-General Chalifa Haftar hat andere Staaten davor gewarnt, im Rahmen ihrer Migrationspolitik Soldaten nach Libyen zu entsenden. Es dürfe "unter dem Vorwand des Kampfes gegen illegale Migration" keine "ausländische Militärpräsenz" im Süden des Landes geben, erklärte Haftar am Freitag. Italiens Innenminister Matteo Salvini hatte am Montag bei einem Besuch in Tripolis "Aufnahmezentren jenseits der südlichen Grenze Libyens" ins Spiel gebracht.

Die EU-Länder hatten sich Freitagfrüh in einem schwierigen Kompromiss auf die Einrichtung von Aufnahmezentren außerhalb der EU verständigt. Diese "regionalen Ausschiffungsplattformen" sollen "auf freiwilliger Basis" in Drittstaaten eingerichtet werden. Bisher hat sich aber kein Land etwa in Nordafrika bereit erklärt, solche Lager zu beherbergen.

Libyen ist das Hauptdurchgangsland für Flüchtlinge auf dem Weg nach Italien. Bei Salvinis Libyen-Besuch am Montag hatte der libysche Vize-Ministerpräsident Ahmed Meitik gesagt, sein Land lehne "die Einrichtung von Migrantenlagern in Libyen kategorisch ab".

Seit dem Sturz von Libyens langjährigem Machthaber Muammar al-Gaddafi im Herbst 2011 herrscht Chaos in dem nordafrikanischen Land. Weite Teile Libyens werden von bewaffneten Milizen kontrolliert, im Osten größtenteils von Truppen des Generals Haftar. Er unterstützt eine Gegenregierung zur international unterstützten Regierung der nationalen Einheit unter Regierungschef Fajes al-Sarradsch.

Russland und die USA wollen sich die Rohstoffe Libyens aufteilen. Involviert sind außerdem Katar, die Türkei und Italien. Die Kämpfe um Territorien wird, wie in Syrien, mit Söldnern geführt. In den vergangenen Tagen haben die Kampfhandlungen an Intensität gewonnen.

Militärische Aktivitäten

Der Sprecher des Roten Halbmonds in Ajdabiya, Mansour Ati, sagte am vergangenen Samstag, dass es am “Erdöl-Halbmond” zu Zusammenstößen gekommen sei. Dabei seien 29 Menschen ums Leben gekommen. “Bis zum vergangenen Donnerstag wurden 29 Menschen getötet und 36 verwundet”, zitiert der Libya Observer den Sprecher.

Das Mohamed Magareif Krankenhaus in Ajdabiya meldete am Donnerstag, dass  infolge der Zusammenstöße 16 Kämpfer von der Operation Dignity, die vom libyschen General Chalifa Haftar geleitet wird, eingeliefert wurden. Das Benghazi Medical Center enthüllte, dass 25 Verletzte verarztet werden mussten.

Nach Angaben des Libya Observers startete die Operation Dignity am frühen Donnerstag,  um die Ölterminals Ras Lanuf und Sidra zurückzuerobern. Zuvor wurden die beiden Öl-Terminals durch die Miliz “Petroleum Facility Guards” (PFG), die von Ibrahim Jadran angeführt wird, eingenommen. Das Blatt wörtlich: “Nach dem Vorrücken aus verschiedenen Richtungen gelang es den Truppen der Operation Dignity, beide Terminals zu erobern, während sich die Jadran-Truppen nach Westen zurückzogen. ,Wir waren überrascht von dem schnellen Rückzug der Jadran-Truppen aus dem Erdöl-Halbmond’, sagte ein Feldkommandant der Operation Dignity den lokalen Medien (...) Unterdessen sagte der Vorsitzende der National Oil Corporation, Mustafa Sanallah, der Nachrichtenagentur Reuters, dass er hoffe, in zwei Tagen Rohölexporte von beiden Ölterminals wieder aufnehmen zu können.”

USA verurteilen Angriff

In einer Mitteilung meldet das US-Außenministerium: “Die USA verurteilen aufs Schärfste die jüngsten Angriffe durch Truppen unter der Leitung von Ibrahim Jadhran auf die Ölhäfen Ras Lanuf und Al Sidra (...) Wir fordern alle bewaffneten Akteure auf, die Feindseligkeiten einzustellen und sich sofort von den Öl-Installationen zurückzuziehen, bevor ein weiterer Schaden entsteht.

Die Ölförderung, Produktion und Einnahmen gehören dem libyschen Volk. Die USA glauben, dass diese lebenswichtigen libyschen Ressourcen unter der ausschließlichen Kontrolle der National Oil Corporation und der alleinigen Aufsicht der Regierung der Nationalen Einheit, wie in den Resolutionen 2259, 2278 und 2362 des UN-Sicherheitsrats beschrieben, bleiben müssen.”

Zur kürzlichen vorübergehenden Eroberung der beiden Öl-Terminals Ras Lanuf und Sidra führt Al-Monitor aus: “Am Morgen des 14. Juni übernahm Ibrahim Jadran, der Kommandant der sogenannten Petroleum Facilities Guard, mit nur ein paar hundert bewaffneten Männern, die ein Dutzend Pickup-Trucks fuhren, zwei der wichtigsten libyschen Ölexport-Terminals - Ras Lanuf und Sidra-, die von der libyschen National Oil Company (NOC) genutzt wurden. Die Terminals befinden sich im östlichen Libyen in der Nähe von Jadrans Heimatstadt Ajdabiya, wo seine Stammesangehörigen aus des Stamms Magharba konzentriert sind und ihm geholfen zu haben scheinen. Die NOC war gezwungen, (...) ihre Mitarbeiter von den Öl-Terminals (...) zu evakuieren und die Öl-Exporte auszusetzen.”

In einer an Al-Monitor gesandten Erklärung schätzte die NOC die Verluste auf “mehrere zehn Milliarden Dollar”, zumal mindestens zwei Öl-Depots von Jadrans Kämpfern verbrannt wurden. Der Vorsitzende der NOC, Mustafa Sanalla, verurteilte den Angriff vom 14. Juni in einer Videoaufzeichnung  und nannte Jadran einen “Gesetzlosen, der Libyen im Jahr 2013 mehr als 100 Milliarden Dollar gekostet hat”. Bereits damals hatten Jadran und seine Kämpfer die Terminals erobert, was von 2013 bis 2016 zur Aussetzung des Öl-Exports im Land führte. Erst nach der Einnahme der Terminals durch die selbsternannte Libysche Nationale Armee (LNA) unter Haftar kam es zur Wiederaufnahme des Öl-Exports.

Jadran wiederum sagte in einer Videoaufzeichnung vom 14. Juni, dass der Großteil seiner Truppe aus ehemaligen Mitgliedern der Petroleum Facilities Guard und anderen Gruppen besteht, darunter die berüchtigten Bengasi Defense Brigades, die gegen Haftars LNA in Benghazi gekämpft hatten. Er fügte hinzu, dass auch Kämpfer des libyschen Tubu-Stamms seiner Truppe angehören würden. Die Tubus leben im Süden Libyens. Doch der Tubu-Führer Ahmet I. wies diese Information als unwahr zurück. Er drohte Jadran mit “gesetzlichen Maßnahmen aufgrund des Missbrauchs des Rufes unseres Stammes”, berichtet Libya Akhbar.

Die Regierung der Nationalen Einheit wird von den USA und der UN unterstützt, so der Guardian. Doch auch Italien unterstützt aktiv, also auch militärisch, die Regierung, berichtet Defense News. Der Premierminister ist Fayez al-Sarraj. Fayez al-Sarraj kam erst mit Unterstützung des Westens am 30. März 2016 nach Libyen. Seitdem hat sich die Lage in Libyen verschlechtert, da die Regierung unter al-Sarraj vom Volk nicht unterstützt wird. Doch auch beim Großteil des libyschen Parlaments findet der „pro-westliche“ al-Sarraj keine Unterstützung, berichtet der englischsprachige Dienst von Reuters. Der Militärchef und Verteidigungsminister ist Oberst Al-Mahdi Al-Barghathi. Al-Barghathi ist ein politischer Verbündeter des Milizenführers Ibrahim Jadran. Jadran ist ein Kontrahent von Haftar, berichtet das Carnegie Endowment for International Peace. Nach Angaben news.com.au hat die PFG etwa 27.000 Kämpfer.

Vorwürfe gegen Italien

Der Leiter des Verteidigungs- und Sicherheitsausschusses des Abgeordnetenhauses (HoR), Tariq Al-Jaroushi, sagte am vergangenen Sonntag, dass der Angriff auf die Öl-Halbmond-Region von ausländischen Geheimdiensten geplant wurde. Es gebe Länder, die mit den Pariser Gesprächen zur Lage in Libyen nicht zufrieden seien, zitiert der Libya Observer Al-Jaroushi. Italien, Katar und die Türkei hätten den Angriff auf die Region geplant und ausführen lassen, meint er. Die drei Staaten hätten in der Region gemeinsame energiepolitische Interessen. Das Blatt wörtlich: “Al-Jaroushi, ein Sprachrohr des Kriegsherrn Chalifa Haftar, sagte, die Verträge der italienischen Unternehmen in Libyen seien wegen der Unterstützung Italiens für den ,Präsidentenrat’ (die Regierung, Anm. d. Red.) in Gefahr geraten.” Die HoR ist die Gegenregierung zur Regierung der Nationalen Einheit. Sie hat ihren Sitz nicht in Tripolis, sondern im östlichen Tobruk und wird von Haftar kontrolliert.

Die International Crisis Group berichtet, dass Haftar bereits am 17. Dezember 2017 das “libysche politische Abkommen” (LPA) mit der Regierung der Nationalen Einheit und weiterer Gruppen für null und nichtig erklärt hat, da seine Gültigkeitsfrist abgelaufen sei. Deshalb würde die Regierung und all ihre Organe keine Legitimationsgrundlage mehr haben. Seine Armee würde sich zudem unter keinen Umständen irgendwelchen Organen im Land unterordnen. Die Libya Times zitiert Haftar: “Internationale Laxheit, innenpolitische Sturheit und das persönliche Interesse vor denen des Heimatlandes und des Volkes haben allesamt zum Auslaufen des Abkommens geführt”. Seine LNA und er seien mit “strikten internationalen Aktionen” bedroht worden, falls sie einen Schritt außerhalb des Konsenses der internationalen Gemeinschaft und der UN-Unterstützungsmission in Libyen unternehmen sollten. “Trotz der Drohungen, denen wir ausgesetzt sind, erklären wir sehr deutlich, dass unser vollständiger Gehorsam unter dem Befehl des freien libyschen Volkes und niemand anderem steht”, so Haftar. Alle nationalen und internationalen Bestrebungen für einen Dialog seien nur Schein gewesen.

Aufgrund dieser Haltung Hafters und seiner Ablehnung des LPAs waren die internationalen Staaten, die in den Libyen-Konflikt involviert sind, gezwungen, ein neues Abkommen unter ihren Stellvertretern in Libyen aushandeln zu lassen. Deshalb fanden im Mai 2018 in Paris Gespräche statt.

Über die Pariser Gespräche zu Libyen berichtete Reuters am 29. Mai 2018: “Die rivalisierenden Gruppierungen in Libyen haben sich auf Parlaments- und Präsidentenwahlen am 10. Dezember geeinigt. Das teilte ein Berater von Ministerpräsident Fayez al-Sarraj am Dienstag nach einem Treffen in Paris mit. Über den Kurznachrichtendienst Twitter erklärte der Berater außerdem, die Teilnehmer des Treffens seien übereingekommen, dass bis zum 16. September die verfassungsmäßige Grundlage für die Wahlen geschaffen werden solle. Libyen ist seit dem Sturz von Machthaber Muammar al-Gaddafi 2011 in mehrere konkurrierende politische und militärische Gruppen zersplittert. Die Vereinten Nationen (UN) bemühen sich seit Jahren darum, das Land zu einen und Wahlen zu organisieren. An dem Treffen nahmen mehrere Staaten teil, darunter die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates (USA, Großbritannien, Frankreich, China und Russland) sowie Italien, die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Libyens Nachbarn. Frühere Vereinbarungen waren an den unterschiedlichen Interessen der libyschen Gruppen und ihrer ausländischen Unterstützer gescheitert.”

Stellvertreter-Krieg um Öl

Einer Analyse des privaten US-Informationsdiensts Stratfor zufolge geht es beim Stellvertreterkrieg in Libyen um die Kontrolle der Ölfelder und Pipelinerouten. Aktuell rivalisieren folgende Energiekonzerne in Libyen: ENI (Italien), Total SA (Frankreich), Repsol YPF (Spanien), Waha Oil Co. (Ein US-Joint Venture), BP (Großbritannien), ExxonMobil (USA), Statoil (Norwegen), Royal Dutch/Shell (Niederlande/Großbritannien), Gazprom (Russland), Rosneft (Russland) und RWE (Deutschland).

Russland unterstützt General Haftar und seine LNA. Das amerikanische Magazin Foreign Policy, das über exzellente Informationen aus den Geheimdiensten verfügt, führt aus: “Nach der russischen Militärintervention in Syrien erscheint Moskaus Rolle im libyschen Bürgerkrieg auf den ersten Blick wie ein Déjà-vu. Der Kreml scheint erneut daran zu arbeiten, die Macht eines pro-russischen regionalen starken Mannes zu konsolidieren und einen ,Halbmond russischen Einflusses’ im gesamten Nahen Osten zu etablieren. Und angesichts der Ähnlichkeiten zwischen Haftar und dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ist ein gewisses Maß an Angst verständlich. Wie Assad, der seit langem an ausländische Regierungen appelliert, weil er syrische Rebellen als Terroristen bezeichnet, stellt sich Haftar oft als Bollwerk gegen gewalttätigen Extremismus in Libyen dar, wo der Islamische Staat aktiv bleibt und Islamisten mächtige Milizen gebildet und in die Mainstream-Politik eingedrungen sind. Natürlich hat Russland in Haftar investiert. Er wurde in Moskau wie ein bereits im Amt befindlicher ausländischer Führer empfangen und führte Gespräche mit hochrangigen Ministern und Sicherheitsvertretern, darunter Außenminister Sergej Lawrow, Verteidigungsminister Sergej Schoigu und FSB-Chef Nikolai Patruschew. Haftars Image als ,führende politische und militärische Figur’, wie der General kürzlich vom stellvertretenden Außenminister Gennadij Gatilow beschrieben wurde, wird durch Aufnahmen von Haftar an Bord des russischen Flugzeugträgers Admiral Kusnezow (...) noch bereichert.”

Moskau habe Haftar und die LNA nicht nur mit umgerechnet drei Milliarden US-Dollar unterstützt, sondern habe auch russische Techniker nach Libyen entsandt, damit diese die Fähigkeiten der LNA, die fast ausschließlich auf sowjetische Waffen angewiesen ist, erneuert. Im vergangenen Jahr sagte Haftar der Nachrichtenagentur TASS, dass er jede nur erdenkliche Rolle Russlands in Libyen “begrüße”.


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