Politik

Finanzpolitik ohne Zukunft: Italien und die EU auf Crash-Kurs

Lesezeit: 5 min
22.10.2018 00:42
Italien und die EU Steuern auf einen Crash zu. Die Regierung in Rom will Geschenke verteilen, die EU setzt auf das gescheiterte Modell der Griechenland-Rettung.
Finanzpolitik ohne Zukunft: Italien und die EU auf Crash-Kurs

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Der Streit zwischen der EU-Kommission und der neuen italienischen Regierung über das geplante Budget 2019 legt die Inkompetenz auf beiden Seiten bloß und zeigt den Irrweg der europäischen Finanzpolitik. Die italienische Regierung hat sicher recht, wenn sie die rigiden Regeln der EU-Kommission als falsch und wirtschaftsfeindlich bezeichnet. Die EU-Kommission hat sicher recht, wenn sie das Budget ablehnt, das Italien vorgelegt hat: Eine großzügige Geldverteilungsmaschine gekoppelt mit einem zu geringen Investitionsprogramm ist sicher kein brauchbares Rezept, um die stagnierende, italienische Wirtschaft zu beleben.

In diesem Chaos sind die Renditen für zehnjährige, italienische Anleihen auf 3,70 Prozent angestiegen, wodurch die Kurse der älteren, niedrig verzinsten Papiere gefallen sind und in den Bilanzen vieler Banken und Versicherungen, nicht nur in Italien, enorme, vorerst nur buchmäßige Verluste ausgelöst haben. In Rom haben Regierung und Parlament das umstrittene Budget am Donnerstag beschlossen, in Brüssel wird beraten, ob erstmals ein nationales Budget von der EU-Kommission abgelehnt werden soll.

17 Milliarden mehr für den Konsum

Erhebungen der italienischen Nationalbank zeigen, dass die italienische Wirtschaft nach einem bescheidenen Wachstum in den Vorquartalen zuletzt nur mehr stagniert. Dass also ein Wachstumsprogramm dringend erforderlich ist, sollte außer Streit stehen. Die Regierung ist aber mit ihren Maßnahmen wenig glaubwürdig:

  • Vorgesehen ist ein Grundeinkommen von 780 Euro monatlich. Die Schätzungen gehen auseinander, aber die Kosten würden eine zusätzliche Belastung des Budgets von mindestens 10 Mrd. Euro auslösen. Damit soll Armut verhindert werden. Allerdings ist eine exzessive, nicht auf sozial tatsächlich Bedürftige eingeschränkte Praxis kontraproduktiv: Die Annahme eines Arbeitsplatzes ist dann wenig attraktiv, die Schwarzarbeit lockt. Italien hat zudem mehr als andere EU-Länder eine auch als „economia nera“ bezeichnete Schwarzwirtschaft.
  • Den Weg in die Rente will man fördern. Obwohl die Kosten der Renten, wie überall in Europa, das Budget überfordern, soll der Renteneintritt mit 62 für Männer und 58 für Frauen erleichtert werden. Dadurch will man Arbeitsplätze für Junge schaffen. Tatsächlich werden die Jungen durch die Renten belastet, weil sie über Sozialbeiträge und Steuern die Pensionen finanzieren müssen. Je mehr Rentner umso höher die Belastung. Die Regierung meint, die Begünstigung der Frührentner würde jährlich Mehrbelastungen von 7 Mrd. Euro auslösen, Experten rechnen mit deutlich mehr.

Nur fünf Milliarden mehr für Investitionen

Auf der einen Seite will man mindestens 10 und 7, also 17 Mrd. jährlich zusätzlich in den Konsum pumpen. Tatsächlich wirksam fördern kann man Wachstum aber nur über Investitionen, die Arbeitsplätze schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen.

  • In diesem Bereich will die italienische Regierung jährlich nur um 5 Mrd. Euro mehr als bisher vorgesehen ausgeben. Im Fokus hat man nach dem Brückeneinsturz bei Genua besonders den Straßenbau, betont aber, dass man auch in den Schlüsselbranchen das Wachstum unterstützen möchte. Wie steht nicht im Ministerratsbericht.
  • Als wirtschaftsfördernd könnte man den Plan einstufen, für Selbstständige und Handwerker einen Einheitssatz in der Einkommensteuer von 15 Prozent einzuführen. Allerdings würde diese Flat-Rate nur für Unternehmen gelten, die weniger als 65.000 Euro Umsatz im Jahr machen.

Nicht erwähnt wird im Ministerratsbericht jener Bereich der italienischen Wirtschaft, der sich in den vergangenen Jahren neben dem stark wachsenden Tourismus auffallend gut entwickelt hat: Die Außenhandelsbilanz ist seit 2011 positiv und schloss zuletzt mit einem Überschuss von knapp 50 Mrd. Euro im Jahr ab. Dieser Erfolg ist einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Firmen zu danken. Naheliegend wäre eine Exportoffensive, um mehr Unternehmen international wettbewerbsfähig zu machen, davon ist aber nicht die Rede.

Das frivole Spiel mit den Maastricht-Regeln

Man kann somit schwer argumentieren, dass Italien die EU-Finanzpolitik auf besonders kluge Weise herausfordert. Tatsächlich haben aber die italienischen Koalitionsparteien, Lega und Fünf-Sterne-Bewegung, grundsätzlich recht, dass die Brüsseler Vorgaben unbrauchbar sind.

  • Das zeigt sich schon an der Maastricht-Regel, ein Budget-Defizit müsse unter 3 Prozent des BIP bleiben. Das italienische Budget 2019 sieht nur einen Abgang von 2,4 Prozent vor und würde also der Regel entsprechen. Trotzdem droht die EU-Kommission mit schärfsten Maßnahmen.
  • Die Defizit-Regel konzentriert sich nur auf den Saldo der Einnahmen und Ausgaben, ohne die Sinnhaftigkeit der Aufwendungen zu bewerten. Aus diesem Grund haben europaweit die Staaten eine kunstvolle Politik der Auslagerungen betrieben, um spitzfindig bestimmte Positionen als nicht „Maastricht-relevant“ darzustellen. In der Folge gingen die in den Budgets früher enthaltenen Investitionen zurück und wanderten in eigene, möglichst als private-public-Partnerschaften dargestellte Unternehmen.
  • Die Staatsbudgets finanzieren somit überwiegend den Konsum, womit nur eine kurzfristige Wirkung erzielt wird. Die hohen Schulden belasten aber langfristig die Haushalte und die Steuerzahler.
  • Die im Jahr 1996 beschlossenen, nach dem Ort der Einigung genannten „Maastricht-Kriterien“ sehen eine Obergrenze der Staatsschulden bei 60 Prozent vor. Derzeit weisen die Euro-Länder eine Verschuldung von über 87 Prozent der BIP aus.
  • Kritik an Italiens hohem Schuldenburg scheint somit schwer vertretbar. Allerdings liegt der Satz über 130 Prozent des BIP. Zum Vergleich: In Frankreich sind es nur über 96 und in Deutschland fast mustergültige 62 Prozent.
  • Italien wird in die Nähe von Griechenland gerückt und die Spitzen der EU beginnen bereits ein überheblich-abfälliges Verhalten wie bei Griechenland ab 2010 an den Tag zu legen. Nur gelegentlich und nicht sehr laut wird in der Finanzabteilung der Kommission und im Internationalen Währungsfonds eingeräumt, dass die gegenüber Griechenland betriebene Politik nicht erfolgreich war.

Der unlogische Gegensatz von Austerität und Verschwendung

In der Wirtschaftspolitik und in der Wirtschaftstheorie wird der Gegensatz zwischen den Anhängern einer strengen Sparpolitik, der so genannten Austerität, und den Vertretern einer großzügigen Ausgabenpolitik konstruiert. Gerne wird auch Austerität als „rechts“ apostrophiert und die Bereitschaft zu Ausgaben „links“ angesiedelt. Diese aus der Vergangenheit stammenden Muster sind in hoch entwickelten Wirtschaften mit vielfältig aktiven Staatsapparaten überholt. Zum Gegensatzpaar „Austerität versus Verschwendung“ hat sich noch die merkwürdige These gesellt, dass Wachstum verzichtbar sei.

  • Wachstum ist jedoch unverzichtbar,

    • weil wachsende und neue Unternehmen die Wirtschaftsleistung der untergehenden Betriebe ersetzen müssen. Stets sind aber Firmen aus beiden Bereichen in der Statistik enthalten, sodass „kein Wachstum“ unweigerlich Schrumpfung bedeutet, weil jedenfalls Unternehmen am Ende ihres Lebenszyklus ausscheiden.
    • weil die Bevölkerung wächst und daher eine größere Wirtschaftsleistung erforderlich ist,
    • weil viele ein geringes Einkommen haben, das nur mit Wachstum gesteigert werden kann.

  • Am Beispiel Italiens:

    • Das italienische BIP beträgt 1.700 Mrd. Euro. Das jährliche Budgetdefizit liegt bei 40 Mrd. Euro im Jahr. 2 Prozent des BIP entsprechen 34 Mrd. Euro. Wird diese bescheidene Steigerung erreicht, würde man prompt Italiens Lage anders bewerten.
    • Auf das geplante Budget 2019 bezogen ergibt sich folgende Rechnung:

      • Die in Brüssel und im Internationalen Währungsfonds dominierenden Austerität-Anhänger würden erklären, die geplanten 17 Mrd. für die Finanzierung des Grundeinkommens und des früheren Renteneintritts sollte man sparen. Dann wäre das Budget eher Maastricht-konform.
      • Mit dem Effekt, dass diese durchaus problematischen Ausgaben nicht die Nachfrage stärken und somit das Wachstum nicht beleben könnten.
      • Vernünftige Ausgaben-Anhänger würden auch dafür plädieren, tatsächlich die 17 Mrd. nicht oder nicht zur Gänze in den Konsum zu pumpen. In den Vordergrund rücken müssten aber Direktinvestitionen des Staates und investitionsfördernde Steuererleichterungen für die Unternehmen, wodurch ein viel größerer Multiplikator ausgelöst wird als mit der Konsumfinanzierung.
      • Es geht also nicht um „Austerität oder Verschwendung“. Es geht um „Sparen und Investieren“.

    • Die Lehre aus der Griechenland-Politik:

      • Sparmaßnahmen reduzieren die Staatsausgaben insbesondere durch Kündigung von Beamten und Kürzung von Finanzierungen. Beide Eingriffe steigern die Arbeitslosigkeit. Streichungen bei den Renten verringern außerdem den Konsum und bremsen die Wirtschaft.
      • Sparmaßnahmen sind in allen Staaten angebracht, sie sind aber nur erfolgreich umzusetzen, wenn auch ein umfassendes Investitionsprogramm für Wachstum und neue Arbeitsplätze sorgt.
      • Dabei ist zu beachten, dass die Sparmaßnahmen prompt und die Investitionen langsam wirken und daher auch die Sparmaßnahmen, so notwendig sie sind, nicht überhastet durchgeführt werden sollten.

Die Konsequenzen für Europa

Die EU-Kommission muss zur Kenntnis nehmen: Nach Italien werden auch andere EU-Länder genötigt sein, das Wachstum anzukurbeln und den Rückstand im internationalen Wettbewerb zu verringern. Die Maastricht-Kriterien sollten zu Wachstum und Stabilität beitragen. Beides ist nicht gelungen. Neue Kriterien müssten dazu beitragen, dass in Europa die verfügbaren Ressourcen produktiv eingesetzt werden und die Staaten nicht, wie dies jetzt der Fall ist, einen extrem hohen Anteil an der Wertschöpfung in Anspruch nehmen.

Wenn man schon mit Kriterien und Prozentsätzen arbeiten will, dann dürfte ein Kriterium nicht fehlen: Die Belastung der Unternehmen und der Privathaushalte mit Steuern und Abgaben darf ein bestimmtes Maß nicht überschreiten, um einen Spielraum für die Finanzierung von Investitionen und Innovationen zu ermöglichen. Angesichts des internationalen Wettbewerbs dürfte ein Satz deutlich bei oder unter 40 Prozent des BIP nicht überschritten werden. Ein derartiges „Maastricht-Kriterium“ würde den Staaten die Möglichkeit nehmen, durch immer höhere Steuern die Probleme scheinbar zu lösen. Allerdings sollte dieses Ziel schon mit der 60-Prozent-Schuldenbremse erreicht werden, die nicht eingehalten wurde.

Somit ergibt sich eine angesichts der nationalistischen Tendenzen schwer umzusetzende Forderung: Im EU-Rat müssten sich die Regierungen auf eine konstruktive, innovationsfreundliche Politik für die gesamte EU verständigen. Tatsächlich ist man sich jetzt nur einig, Italien an den Pranger zu stellen – wie 2010 Griechenland.

***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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