Politik

Grüne wollen SPD bei arbeitslosen Wählern verdrängen

Lesezeit: 2 min
17.11.2018 22:32
Die Grünen wollen für arbeitslose Wähler attraktiv werden. Die SPD versucht, mit neuen Versprechungen gegenzuhalten.
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SPD-Chefin Andrea Nahles hat ihre Forderung nach Ablösung des Hartz-IV-Systems etwas konkretisiert. «Die neue Grundsicherung muss ein Bürgergeld sein», schrieb sie in einem Gastbeitrag für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung». Die Leistungen müssten klar und auskömmlich sein, Sanktionen müssten weitgehend entfallen. Das stärke den sozialen Zusammenhalt im Land, so Nahles.

Nahles hatte vor einer Woche bei einem Debattencamp ihrer Partei eine «Sozialstaatsreform 2025» angekündigt und erklärt: «Wir werden Hartz IV hinter uns lassen.» Sie betont nun, dass man erstmal mit höheren Mindestlöhnen, Zuschüssen zu Sozialabgaben und Steuergutschriften dafür sorgen müsse, dass weniger Bürger als heute auf Grundsicherung angewiesen sind. Es sei immer günstiger, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Nahles blieb bei der Alternative zu Hartz IV für Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger aber vage - letztlich scheint es um eine Ausweitung der Leistungen zu gehen.

Ein Auslöser der neuen Debatte ist der fortgesetzte Absturz der SPD-Umfragewerte, seit Nahles im April die Führung übernommen hat. Inzwischen liegt die Partei laut ARD-«Deutschlandtrend» gleichauf mit der AfD bei nur noch 14 Prozent, die Grünen sind auf 23 Prozent enteilt und liegen nur noch knapp hinter der Union mit 26 Prozent.

Viele in der SPD sehen einen Grund für den Vertrauensverlust in den Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Regierung von Kanzler Gerhard Schröder - die zwar den Arbeitsmarkt flexibilisierten, aber auch zu einer Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse führte. Zudem können Arbeitslose, je nach Dauer der Beschäftigung, schon nach sechs Monaten vom weitaus höheren Arbeitslosengeld auf Hartz-IV-Niveau fallen, aktuell 416 Euro im Monat. Mit der Einführung von Hartz IV wurde 2005 die Arbeitslosen- und Sozialhilfe gebündelt.

Während die SPD erst am Anfang der Debatte steht, sind die Grünen schon weiter. Parteichef Robert Habeck hat eine neue «Garantiesicherung» vorgeschlagen. Mit der neuen Sicherung sollen Menschen nicht mehr gezwungen werden, Termine im Jobcenter zu machen oder Arbeit zu suchen. Beratung und Weiterbildung sollten freiwillig sein. Weiter nötig sein sollten aber ein Antrag und der Nachweis der Bedürftigkeit. Derzeit bekommen rund sechs Millionen Menschen Sozialleistungen nach dem Hartz-IV-System, das die Grünen einst mitgetragen hatten. Habeck schlägt weitere Änderungen vor, etwa für mehr Zuverdienstmöglichkeiten. Eine Anrechnung von Vermögen auf Hartz IV soll danach nur noch geprüft werden, wenn dieses 100 000 Euro pro Person übersteigt. Je nach Ausgestaltung der neuen Sicherung dürften mindestens vier Millionen zusätzliche Haushalte Ansprüche erhalten. Insgesamt sei mit Kosten von 30 Milliarden Euro zu rechnen.

Mit Sorge wird bei der SPD betrachtet, wie die Grünen im Stile einer Volkspartei versuchen, sich breiter aufzustellen. Nahles hat kein klares Alternativkonzept, ganz zu schweigen von Finanzierungsideen. Ohnehin wird in der großen Koalition mit der Union hier kaum etwas durchzusetzen sein. «Wir dürfen und werden Hartz IV nicht abschaffen», sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) der «Welt». Die Reformen hätten geholfen, Arbeitslosigkeit zu reduzieren.

Nahles betonte, vor allem die Zahl von zwei Millionen Kindern im Hartz-IV-System müsse verringert werden. «Diese Erfahrung, ein «Hartz-IV-Kind» zu sein, prägt fürs Leben. Wir brauchen daher eine eigenständige Kindergrundsicherung, die Kinder aus der Sozialhilfe holt und Teilhabe schafft», schrieb sie. Ein besseres Wohngeld könne zudem verhindern, «dass Menschen angesichts explodierender Mieten in die Grundsicherung getrieben werden».

Nahles will weniger Bürokratie und Härte. «Zum Symbol für das Misstrauen des Staates gegenüber den Grundsicherungsbeziehern sind die Sanktionen geworden», kritisierte sie. «Sie wirken, als würde den Leistungsbeziehern von vornherein unterstellt, betrügen zu wollen.»

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner warf Nahles ein Treibenlassen durch die Grünen vor. «Andrea Nahles führt den Begriff Bürgergeld ad absurdum», sagte Lindner den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Der Begriff «Bürgergeld» stammt von der FDP - die Liberalen wollen aber keine Leistungen ausweiten, sondern unterschiedliche Leistungen zu einer Zahlung bündeln. «Wer Sozialleistungen ohne Gegenleistung verspricht, schwächt den sozialen Zusammenhalt und stärkt ihn nicht», sagte Lindner. «Ein weiteres Mal läuft die SPD den Grünen hinterher. Beide versprechen Milliarden an neuen Sozialtransfers, sagen aber nicht, woher das Geld dafür kommen soll.» Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch rief SPD und Grüne zu gemeinsamen Beratungen auf, wie das Hartz-IV-System durch ein besseres System abgelöst werden kann.


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