Deutschland

Vorboten der Altersarmut: Lebensmitteltafeln verzeichnen dramatischen Anstieg bei Senioren

Lesezeit: 2 min
18.09.2019 13:22  Aktualisiert: 18.09.2019 13:26
Die kommende Welle der Altersarmut schickt ihre ersten Vorboten voraus. Alleine im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Senioren, welche sich Lebensmittel bei Tafeln holen müssen, um 20 Prozent, berichtet der Dachverband.
Vorboten der Altersarmut: Lebensmitteltafeln verzeichnen dramatischen Anstieg bei Senioren
Foto: Roland Weihrauch

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Die Zahl der Nutzer von Lebensmitteltafeln ist innerhalb des vergangenen Jahres stark um zehn Prozent auf rund 1,65 Millionen gestiegen, berichtet die Nachrichtenagentur AFP. Insbesondere bei Senioren sei der Anstieg mit 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr "dramatisch", teilte der bundesweite Dachverband der Tafeln am Mittwoch in Berlin mit. Er warnte vor einer weiteren Verschärfung des Problems und forderte einschneidende Gegenmaßnahmen.

"Diese Entwicklung ist alarmierend - Altersarmut wird uns in den kommenden Jahren mit einer Wucht überrollen, wie es heute der Klimawandel tut", erklärte Verbandschef Jochen Brühl zur aktuellen Jahresbilanz. Notwendig seien daher "tiefgreifende Reformen" und "verbindliche, ressortübergreifende Ziele" zur Armutsbekämpfung.

Niedrige Rentenzahlungen seien nach Langzeitarbeitslosigkeit der zweithäufigste Grund, eine Tafel aufzusuchen, teilte er mit. Aber auch die steigende Zahl von Nutzern im Kindes- und Jugendalter sei "völlig inakzeptabel". Ihr Anteil liege bei beinahe einem Drittel. In Deutschland würden Kinder "systematisch" vernachlässigt, das Bildungssystem sei eines der "undurchlässigsten" aller Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Nach Angaben der Organisation, die aussortierte Lebensmittel von Spendern sammelt und an registrierte Bedürftige weitergibt, handelte es sich um den ersten flächendeckenden deutlichen Nutzeranstieg in Deutschland seit 2014. In den Jahren dazwischen war die Entwicklung regional unterschiedlich verlaufen. In bestimmten Gegenden nahm die Zahl der Nutzer bedingt durch den Zuzug von Flüchtlingen 2015 und 2016 zu, in anderen ging sie in dem Zeitraum allerdings zurück.

Die Zahl der Tafeln blieb demnach in den vergangenen zwölf Monaten mit knapp 950 beinahe konstant, der starke Nutzeranstieg war also nicht durch eine Ausweitung auf neue Regionen zu erklären. Gab es 2018 bundesweit 942 Tafeln, waren es laut aktueller Zählung zuletzt 947. Wie viele Ausgabestellen und spezielle Läden die Tafeln dabei insgesamt betreiben, geht aus den Zahlen allerdings nicht hervor.

Scharfe Kritik übten die Tafeln erneut auch an der Verschwendung von Lebensmitteln. Weltweit werde ein Drittel aller bereits produzierten Lebensmittel weggeworfen, dies sei aus sozialen wie ökologischen Gründen untragbar. Der Verband forderte finanzielle Unterstützung durch den Staat bei der "Rettung und Verteilung von Lebensmitteln". Aber auch die Verbraucher hätten "eine Verantwortung", betonte Brühl.

Trotz des Nutzeranstiegs gelang es der Organisation nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr nur geringfügig mehr Lebensmittel zu sammeln und zu verteilen. Die Gesamtmenge blieb mit 265.000 Tonnen relativ konstant. Eine Ausweitung scheitere dabei an fehlenden freiwilligen Helfern und fehlendem Geld für mehr Kühlfahrzeuge und Lagerräume. An fehlenden Lebensmitteln liege es nicht, betonten die Tafeln. In Deutschland würden jährlich bis zu 18 Millionen Tonnen vernichtet.

In den vergangenen 14 Jahren stieg die Zahl der Tafelnutzer um mehr als das Dreifache, wie der Verein weiter mitteilte. 2005 lag sie bei 500.000. 2007 waren es 700.000 und 2015 dann anderthalb Millionen. Bis zum jüngsten Anstieg blieben die Zahlen zwischenzeitlich fast konstant.

Die Zahl der Tafeln selbst verdoppelte sich in diesem Zeitraum in etwa - von 480 im Jahr 2015 auf aktuell 947. Betrieben werden die Tafeln entweder eigenständig als Vereine oder in Kooperation mit gemeinnützigen Wohlfahrtsverbänden wie der Caritas, der Diakonie, dem Roten Kreuz oder der Arbeiterwohlfahrt. Die erste Tafel wurde 1993 in Berlin gegründet, der Dachverband gründete sich dann 1995.

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