Politik

"Ich warne davor, sich gegenüber Peking unterwürfig zu verhalten"

Lesezeit: 3 min
05.07.2020 07:44  Aktualisiert: 05.07.2020 07:44
Hier der zweite Teil des großen DWN-Interviews mit Fritz Felgentreu. Der SPD-Bundestagsabgeordnete, Obmann im Verteidigungsausschuss und ausgewiesene Sicherheits-Experte spricht über Deutschlands Verhältnis zu China und den USA, die europäische Sicherheitsarchitektur sowie Kriseninterventionen im Ausland.
"Ich warne davor, sich gegenüber Peking unterwürfig zu verhalten"
Wang Yi, Außenminister der Volksrepublik China, auf einer Pressekonferenz im Gästehaus des Auswärtigen Amtes in Berlin. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Könnte beziehungsweise sollte eine solch schlagkräftige Truppe neben der Landesverteidigung auch weitere Aufgaben übernehmen?

Fritz Felgentreu: Ja – denn die USA werden, wie bereits erwähnt, ihr internationales militärisches Engagement schrittweise reduzieren. Schon jetzt sind sie kaum noch in Syrien aktiv, in Libyen überhaupt nicht. Deshalb wird es für Deutschland notwendig werden, sich verstärkt an friedenserhalten Maßnahmen und Kriseninterventionen zu beteiligen. Und um noch mal auf die Marine zurückzukommen: Deutsche Fregatten sind bereits jetzt schon regelmäßig im Pazifik im Einsatz.

Darüber hinaus möchte ich ein weiteres potentielles Ziel nennen, das Deutschland und die Europäische Union sich setzen sollten: Den Aufbau einer – ich nenne sie „28ten“ – Armee (die EU verfügt über 27 Mitgliedsstaaten – Anm. d. Red.), die der Kommission untersteht und die für Kriseninterventionen geeignet ist.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Aber sind solche Forderungen in Deutschland überhaupt politisch umsetzbar?

Fritz Felgentreu: Wer sagt, dass Forderungen nach höheren Verteidigungsausgaben politisch nicht umsetzbar seien? Seit 2014 haben wir den Wehretat um 45 Prozent aufgestockt, und hat es einen Aufschrei gegeben? Ich habe keinen gehört.

Tatsache ist: Bis 1989 unterhielt Deutschland bei einer Bevölkerung von etwas über 60 Millionen Einwohnern eine Bundeswehr mit fast 500.000 Soldaten. Heute sind es bei etwas über 80 Millionen weniger als 200.000 Soldaten. Mit

anderen Worten: Wir unterhalten sagenhaft kleine Streitkräfte. Wenn wir meinen, dass wir mit einer solch geringen Anzahl von Soldaten die Sicherheit des Landes garantieren können, müssen wir zwei Voraussetzungen schaffen:

Zum einen sie dementsprechend gut ausrüsten – sonst können wir gleich darauf verzichten, uns verteidigen zu wollen.

Zum anderen innerhalb eines Bündnisses – denn allein wären wir zu schwach – auf die Bedürfnisse unserer Partner eingehen und einen angemessenen Beitrag leisten. Sonst laufen wir in Gefahr, dass das Bündnis zerfällt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Mit „Bündnis“ meinen Sie die Nato, richtig? Wir machen Ihnen hiermit einen Vorschlag: Raus aus der Nato, vielleicht sogar aus der EU, Neutralität, die Annäherung an Russland suchen.

Fritz Felgentreu: Das ist doch totaler Quatsch. Unsere Sicherheit wird durch die Nato garantiert. Sie – und übrigens auch die EU – haben einen großen Anteil daran, dass wir Deutschen schon seit so langer Zeit in Frieden und Wohlstand leben.

Was die Annäherung an Russland angeht: Ich möchte an den letzten Hackerangriff auf den Bundestag erinnern. An den Mord im Tiergarten. An die vielen Desinformations-Kampagnen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Corona. An den Überfall auf die Ukraine. Wir sollten jederzeit bereit sein, mit Russland in einem freundlichen, kooperativen Miteinander zu leben. Die Realität sieht derzeit leider anders aus.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch davor warnen, sich Peking gegenüber zu unterwürfig zu verhalten und sich von Chinas Marktmacht abhängig zu machen. Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, die beiden Seiten zum Vorteil gereicht, begrüße ich natürlich – nur sehe ich diese derzeit nicht gegeben. Darum plädiere ich auch dafür, bei 5G Vorsicht walten zu lassen und unter Umständen auf kurzfristige wirtschaftliche Vorteile zu verzichten. Die SPD-Fraktion schlägt vor, ein eigenes Netz aufzubauen, dem wir vertrauen können – auch wenn das bedeuten sollte, dass wir 5G zwei, drei Jahre später zur Verfügung haben. Das ist besser, als auf die Dienste von Huawei zu vertrauen und sich dadurch möglicherweise in eine massive Abhängigkeit zu begeben sowie Gefahr zu laufen, ein dankbares Opfer chinesischer Spionage-Tätigkeiten zu werden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Meinen Sie nicht, den USA gegenüber zu unkritisch zu sein? Viele Kritiker des Transatlantismus sind der Auffassung, dass Deutschland in einem Vasallen-Verhältnis zum großen Bruder Amerika steht.

Fritz Felgentreu: Man kann doch die USA nicht mit Russland oder China vergleichen. Die Vereinigten Staaten sind eine Demokratie mit einer langen Tradition. Das System der Checks and Balances (Gewaltenteilung – Anm. d. Red.) sorgt dafür, dass keine Einzelperson, auch nicht der Präsident, zu stark wird, womöglich gar eine Art Autokratie errichtet.

Und Deutschland ist gewiss kein Vasall der USA. Gerhard Schröder hat die Bundesrepublik aus dem Irakkrieg herausgehalten, Guido Westerwelle das Gleiche in Bezug auf den Libyen-Konflikt getan. Die Trump-Regierung versucht, Nord Stream 2 zu verhindern – bisher vergeblich. Das Bundeskanzleramt, das Wirtschafts- und das Außenministerium sorgen mit sehr viel Geschick dafür, dass Deutschland mit äußerst vielen Ländern gute wirtschaftliche Beziehungen unterhält – häufig zum Ärger der Amerikaner. Und glauben Sie bloß nicht, dass nur der CIA im Ausland operiert. Auch der BND sammelt in allen Ländern, in denen er es für opportun erachtet, die für Deutschlands Interessen relevanten Informationen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Eine letzte Frage: Glauben Sie, dass es für Deutschland sinnvoll sein könnte, eigene Nuklearwaffen zu besitzen?

Fritz Felgentreu: Nein, das glaube ich nicht. Es ist gut, dass unsere Nato-Verbündeten über nukleare Abschreckungs-Kapazitäten verfügen. Aber grundsätzlich gilt, dass ein Mehr an Nuklearwaffen die Welt nicht sicherer macht, sondern gefährlicher. Dass ein Land wie die Türkei nukleare Ambitionen hat, halte ich dann auch für sehr besorgniserregend.

Grundsätzlich gilt: Ziel sollte es immer sein, Abschreckung durch Kooperation zu ersetzen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Dr. Felgentreu, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

***

Teil 1 des großen DWN-Interviews finden Sie hier.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank-Chef sieht Zinssenkungspfad unklar und plädiert für digitalen Euro
24.04.2024

Spannende Aussagen von Bundesbank-Präsident Joachim Nagel: Ihm zufolge wird die EZB nach einer ersten Zinssenkung nicht unbedingt weitere...

DWN
Technologie
Technologie Boom bei Gründungen von KI-Startups in Deutschland
24.04.2024

Obwohl die Finanzierung von Jungfirmen allgemein ins Stocken geraten ist, entstehen in Deutschland gerade unzählige KI-Startups. Im...

DWN
Politik
Politik USA kündigen massive Waffenlieferungen in die Ukraine an - Selenskyj äußert Dank
24.04.2024

Der US-Kongress hat die milliardenschweren Ukraine-Hilfen gebilligt. Jetzt könnte es laut Pentagon bei der ersten Lieferung sehr schnell...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Preiskrieg in China: Volkswagen im harten Wettbewerb der Elektroauto-Branche
24.04.2024

Volkswagen, lange Zeit der unangefochtene Marktführer in China, sieht sich nun einem intensiven Wettbewerb um den Elektroautomarkt...

DWN
Finanzen
Finanzen Silber im Aufschwung: Das Gold des kleinen Mannes holt auf
24.04.2024

Silber hinkt traditionell dem großen Bruder Gold etwas hinterher. In den letzten Wochen hat der Silberpreis massiv zugelegt. Was sind die...

DWN
Technologie
Technologie Habeck sieht großes Potenzial in umstrittener CO2-Einlagerung
24.04.2024

Die Technologie "Carbon Capture and Storage" (CO2-Abscheidung und -Speicherung) ist in Deutschland ein umstrittenes Thema. Inzwischen gibt...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Frauen in Tech-Berufen: Deutliches Ungleichgewicht trotz wachsender Nachfrage
24.04.2024

Der Frauenanteil in Berufen in den Bereichen Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik ist laut einer Studie niedrig....

DWN
Finanzen
Finanzen Staatsverschuldung auf Rekordhoch: Steuerzahlerbund schlägt Alarm!
24.04.2024

Der Bund Deutscher Steuerzahler warnt: Ohne Kehrtwende droht der fiskalische Abgrund, trotzdem schöpft die Bundesregierung das...