Politik

Corona und Antisemitismus: Mahnende Worte eines Rabbis an Europa

Lesezeit: 3 min
15.01.2021 17:43  Aktualisiert: 15.01.2021 17:43
Im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten schilderte Rabbi Abraham Cooper vom „Simon Wiesenthal Center“, wie die Juden in Deutschland und Europa aus verschiedenen Richtungen attackiert werden. Die Corona-Pandemie habe ihre Lage verschlimmert. Schwere Vorwürfe erhebt er gegen die deutsche Medien- und Kulturelite.
Corona und Antisemitismus: Mahnende Worte eines Rabbis an Europa
Rabbi Abraham Cooper, US-amerikanischer Rabbiner und stellvertretender Direktor des Simon Wiesenthal Centers in Los Angeles. (Foto: dpa)
Foto: Sven Hoppe

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Politik  

Die Corona-Krise birgt das Potenzial in sich, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt Minderheiten von Politik, Medien und nicht-staatlichen Akteuren zum Sündenbock erklärt werden könnten, um ihre eigenen Verfehlungen zu verstecken (HIER). In Deutschland gibt es eine Reihe von Minderheiten, die potenziell auf der Abschuss-Liste stehen. Dazu zählen Muslime, mittlerweile auch demokratische Kritiker, Flüchtlinge und vor allem Juden. Der Gedanke, dass eine weltweite Verschwörung stattfindet, um gewisse Ziele zu erreichen, endet im Regelfall bei den Juden als traditionelle Sündenböcke.

Dies hängt insbesondere mit der Tatsache zusammen, dass das antisemitische Werk „Protokolle der Weisen von Zion“ (erstmals publiziert im Jahr 1903) immer wieder herangezogen wird, um die Juden zu belasten und zu entmenschlichen. Aber auch im Alltag lassen sich derartige Konturen erkennen. So wird beispielsweise die kleinste Verfehlung eines Juden im Alltagsleben als Beweis für die „Schlechtigkeit der Juden“ herangezogen. Es bringt auch nichts, wenn man als Jude konvertiert oder sich von seiner Identität lossagt. Übrig bleibt als trügerischer Ausweg die gezielte Verschleierung seiner Identität, um sich selbst und seine Familie zu schützen. Es ist eine endlose Flucht nach vorn in Verbindung mit einer ständigen Angst, im nächsten Moment urplötzlich von 100 auf 0 gesetzt zu werden. Ein schmerzlicher Gedanke.

Doch noch schmerzlicher ist: Keine Tüchtigkeit und kein Verdienst können den Betroffenen aus dieser Lage befreien.

Rabbi Abraham Cooper im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten

Trotzdem bestätigte Rabbi Abraham Cooper vom „Simon Wiesenthal Center“ gegenüber den Deutschen Wirtschaftsnachrichten, dass es in Deutschland ein großes Bewusstsein gegen Antisemitismus geben würde. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern in Europa seine Lehren aus der Vergangenheit gezogen hat. Dies gelte Rabbi Cooper zufolge auch für deutsche „Offizielle“. Das sind gute Nachrichten.

Allerdings sei das deutsche Judentum Angriffen aus drei Richtungen ausgesetzt. Dazu gehören die Neonazis und andere Rechtsextremisten, durch den Iran inspirierte Islamisten (Hisbollah etc.) und bestimmte Imame, die Hass gegen Juden säen, aber auch viele Elemente der deutschen Kulturelite, die den jüdischen Staat verachten und daran arbeiten, BDS (BDS - Boycott, Divestment and Sanctions - ist eine transnationale politische Kampagne, die den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will, Anm.d.Red.) und andere „Anti-Friedens-Extremisten“ zu legitimieren. „Übrigens hat Deutschland wenig dazu beigetragen, den wachsenden warmen Frieden zwischen Arabern und Juden vom Golf bis nach Marokko auszubauen. Das ist extrem belastend und besorgniserregend“, so Rabbi Abraham Cooper.

Zur alltäglichen Situation der Juden in Europa sagt er: „Juden in den meisten westeuropäischen und nordeuropäischen Hauptstädten fühlen sich nicht sicher, wenn sie in der Öffentlichkeit eine Kippa tragen. Jüdische Institutionen müssen stark bewacht werden. Es gibt Lippenbekenntnisse zu jüdischen Gemeinden, aber die Dämonisierung und Doppelmoral gegen Israel setzt sich in den traditionellen Medien fort und tobt in den sozialen Medien. Das gilt von Deutschland über Spanien bis Skandinavien. Die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs schafft die Voraussetzungen dafür, dass die europäischen Nationen das Schächten verbieten, was auch die Nazis getan hatten.“

EU-Staaten dürfen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs auch für rituelle Schlachtungen eine Betäubung des Tieres vorschreiben. Rituelle Schlachtungen als solche würden nicht verboten und damit werde die Religionsfreiheit geachtet, befanden die Richter des höchsten EU-Gerichts. Das Urteil kommt überraschend, da ein EuGH-Gutachter kürzlich noch zu dem Schluss gekommen war, derartige Vorschriften widersprächen dem Recht auf Religionsfreiheit. Religionsvertreter kritisierten das Urteil scharf, Tierschützer begrüßten es. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sprach von einem Angriff auf die Religionsfreiheit. Man hoffe, dass es keine Nachahmer in Europa finde und andere EU-Staaten die religiöse Schlachtung weiterhin ermöglichten. Bini Guttmann, Präsident der Europäischen Union jüdischer Studenten, warnte gar, die Ermöglichung eines Schächt-Verbots „könnte jüdisches Leben, so wie wir es kennen, langfristig unmöglich machen“. Verhandelt wurde ein Rechtsstreit aus Belgien. Dort hatte die Region Flandern die Schlachtung ohne Betäubung 2017 aus Tierschutzgründen verboten.

Antisemitismus, Menschenfeindlichkeit und soziale Medien

Rabbi Cooper führte aus, dass die die Pandemie und die sozialen Medien eine weitere toxische Mischung darstellen würden. Dies wirke sich auf die Juden weltweit negativ aus. „Damit jüdische Gemeinden in Europa überleben können, muss es stark blühende demokratische Institutionen geben, und die Medien- und Kulturelite muss Israel mit Respekt behandeln, nicht als Nazis der letzten Tage“, so der Rabbi.

Auf die Frage, ob die Corona-Pandemie dazu führen wird, dass die „Geister der Vergangenheit“ zurückkehren, antwortete Rabbi Cooper: „Die Pandemie ist eine Katastrophe für die Welt. Je länger sie dauert, desto mehr Schaden richtet es an den Seelen der Nationen und den Psychen der Menschen an, die in ihren Häusern eingesperrt sind. Millionen müssen Insolvenz anmelden und viele Menschen haben ihre Hoffnung verloren. Aber wir beten dafür, dass die Impfstoffe die Dinge ändern werden. Es wird eine schwierige Herausforderung sein, die Wirtschaft wiederzubeleben und die normale Schulbildung usw. wiederherzustellen. Aber wir haben keine Wahl. Ohne Frage - Politiker müssen liefern. Wenn sie dies nicht tun, werden Extremisten immer bereit sein, ihre politische Macht ausweiten, indem sie eine Destabilisierung herbeiführen.“

Hier muss erwähnt werden, dass es oftmals Andeutungen und Code-Wörter sind, die eine gewisse feindselige Reaktion gegen Menschengruppen auslösen. Nicht nur gegen Juden, aber vor allem gegen sie. Welche Folgerungen daraus zu ziehen sind, bleibt im Regelfall unausgesprochen. Doch die diabolische Botschaft wird immer verstanden, um die Lebensberechtigung der jeweiligen Gruppe auszudiskutieren – das heißt, in Frage zu stellen!

In diesem Zusammenhang muss nachdrücklich und immer wieder erwähnt werden, dass sich die Bürger im Verlauf der Pandemie weder gegeneinander noch gegen irgendwelche Menschengruppen aufwiegeln lassen dürfen. Diese Methode wird seit Jahrhunderten angewandt, um die Menschen von den wirklichen Verfehlungen im der Verantwortlichen abzulenken.

Der Feind sitzt innen, mehr denn je – und nicht außen. Er sitzt mehr denn je in uns selbst.


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik Verfassungsgericht stärken: Mehrheit der Parteien auf dem Weg zur Einigung?
28.03.2024

Das Verfassungsgericht soll gestärkt werden - gegen etwaige knappe Mehrheiten im Bundestag in aller Zukunft. Eine Einigung zeichnet sich...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschlands maue Wirtschaftslage verhärtet sich
28.03.2024

Das DIW-Konjunkturbarometer enttäuscht und signalisiert dauerhafte wirtschaftliche Stagnation. Unterdessen blieb der erhoffte...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Lauterbach will RKI-Protokolle weitgehend entschwärzen
28.03.2024

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, dass einige der geschwärzten Stellen in den Corona-Protokollen des RKI aus der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Brückeneinsturz in Baltimore trifft Importgeschäft der deutschen Autobauer
28.03.2024

Baltimore ist eine wichtige Drehscheibe für die deutschen Autobauer. Der Brückeneinsturz in einem der wichtigsten Häfen der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft „Made in Germany“ ist wieder gefragt - deutsche Exporte steigen deutlich
28.03.2024

Der Außenhandel in Deutschland hat wider Erwarten zu Jahresbeginn deutlich Fahrt aufgenommen. Insgesamt verließen Waren im Wert von 135,6...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Osterfreude und EM-Fieber: Hoffnungsschimmer für Einzelhandel
28.03.2024

Das Ostergeschäft verspricht eine Wende für den deutschen Einzelhandel - nach einem düsteren Februar. Wird die Frühlingshoffnung die...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienkrise für Banken noch nicht überwunden
28.03.2024

Die deutschen (Pfandbrief-)Banken sind stark im Gewerbeimmobilien-Geschäft engagiert. Das macht sie anfällig für Preisrückgänge in dem...

DWN
Finanzen
Finanzen Der Ukraine-Krieg macht's möglich: Euro-Bonds durch die Hintertür
28.03.2024

Die EU-Kommission versucht, mehr Macht an sich zu ziehen. Das Mittel der Wahl hierfür könnten gemeinsame Anleihen, sogenannte Euro-Bonds,...