Finanzen

Kubin versus Harry Dent: DWN-Börsenexperte glaubt nicht an baldigen Crash

Lesezeit: 7 min
28.01.2022 18:07  Aktualisiert: 28.01.2022 18:07
DWN-Börsenexperte Andreas Kubin erteilt der Crash-Prognose des berühmten amerikanischen Anlage-Beraters Harry Dent eine deutliche Absage.
Kubin versus Harry Dent: DWN-Börsenexperte glaubt nicht an baldigen Crash
Händler im Ring der Londoner Metallbörse. (Foto: dpa)
Foto: Yui Mok

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Heute vor genau drei Wochen veröffentlichten die DWN einen Artikel mit dem Titel „Börsen-Crash von 90 Prozent in zwei Wellen erwartet: Das rät Harry Dent den Anlegern“. Dent ist ein ehemaliger Bestseller-Autor und gibt in den USA einen viel gelesenen Börsenbrief heraus. Er hat in Harvard studiert, Fortune-100-Unternehmen beraten und die sogenannte „Spending Wave Theory“ (Theorie der Ausgabenwelle) entwickelt. Alles ganz schön und gut - doch die Prognose, dass es zu einem Crash kommen wird, halte ich für schlichtweg falsch. Damit das geschieht, müssten eine ganze Reihe sehr unwahrscheinliche Ereignisse eintreten. Mit anderen Worten: Die Voraussetzungen für Dents Prognosen sind einfach nicht gegeben!

Der 68-Jährige sagte in einem Interview, auf das die DWN in ihrem Artikel Bezug nimmt, Folgendes:[1]

„Dies wird der größte Crash und der größte Abschwung Ihres Lebens sein, und der größte Teil davon wird wahrscheinlich im Jahr 2022 stattfinden. Der gesamte Absturz wird 80 bis 90 Prozent betragen… Der erste Absturz wird 40 bis 55 Prozent betragen, und zwar so schnell, dass Sie es nicht bemerken werden. Wenn Sie also abwarten, um zu sehen, ob ich recht habe, und dieses Risiko eingehen, wird es Sie sehr, sehr hart treffen, und die Geschichte zeigt das sehr deutlich.“

Im letzten Drittel des Interviews gibt sich Dent dann etwas optimistischer: Auf die diesjährige Marktkorrektur dürfte ein Aufschwung folgen, meint er, mit einem größeren Boom-Zyklus. Frei übersetzt (Dent drückt sich in seinem Überschwang stellenweise etwas unpräzise aus): „Ende 2023 oder so

werden wir die Kaufgelegenheit unseres Lebens haben. Ich habe schon immer vorhergesagt, dass der nächste Boom der der Millennials von 2024 bis 2039 sein wird; ein Boom, der nicht so lang anhalten und nicht so steil sein wird wie der der Baby-Boomer, aber wir werden einen weiteren Boom in den USA und vor allem in Asien erleben, besonders in Indien sowie in China und Südostasien."

Das lange Warten auf den Mega-Crash

Nun, es gibt nicht wenige Leute, die - nach der Finanzkrise 2008/2009 - einen erneuten großen Crash erwarten. Auch namhafte Börsenprofis spekulieren seit 2014 - einem eher mageren Börsenjahr - auf den nächsten großen Absturz. Die Börsen kennen aber seit Jahren (natürlich abgesehen von den üblichen Rücksetzern) nur noch einen Weg: Den nach oben!

Der Dow Jones notierte im Februar 2009 im Tiefst bei 7.063 Punkten. Derzeit sind es über 34.000 Punkte!

Was ist heute anders als 2008/2009? Richtig, die Geldmenge im (Kapital-)Markt - sie ist um ein Vielfaches gewachsen. Die Bilanzsummen der Zentralbanken sind auf historische Höchststände aufgebläht (im Lateinischen „inflare“ - Inflatio - Inflation).

Meine Einschätzung: Sollten die Börsen tatsächlich um 80 bis 90 Prozent einbrechen, wie Dent annimmt, so sehe ich eine anschließende Erholung von mindestens 70 Prozent innerhalb von 18 Monaten voraus - wahrscheinlich werden es jedoch weitaus mehr sein als 70 Prozent.

In einem gebe ich dem Investment-Guru allerdings völlig recht: Dass er die Geldpolitik der Fed als „Überstimulierung“ bezeichnet. Diesen Begriff würde ich auch für die Geldpolitik der EZB benutzen, sogar noch das Adjektiv „katastrophal“ anhängen, nicht zuletzt, weil sie den „Sparern“ einen eklatanten Kaufkraftverlust beschert.

Dent sagt weiter, dass sich die Finanzwerte in der „größten Blase ihrer Geschichte“ befinden. Damit hat er Recht - es herrscht die größte Blase der Geschichte, ausgelöst durch grenzenloses Gelddrucken. Solange aber die Zentralbanken ihre Bilanzsummen nicht um dreißig bis fünfzig Prozent reduzieren (können), wird es mit ziemlicher Sicherheit zu keinem Crash kommen. Beträchtliche Summen des per Knopfdruck geschaffenen Geldes sind in die Geldmärkte gewandert; nur, wenn es ihnen wieder entzogen würde, bestünde eine Crash-Gefahr. Ein kontrollierter Entzug ist aber gar nicht mehr möglich - so viel steht fest! Es überrascht immer wieder und tritt gerade in den vergangenen Jahren deutlich zutage, dass auch so mancher „Profi“ die Auswirkungen solcher immensen Inflationierungen nicht mit in seine Thesen einbezieht, das heißt, sie entweder nicht erkennt oder - aus welchen Gründen auch immer - ausblendet.

Was mich auch wundert, ist, dass Dent Gold als ultimative Absicherung gegen die Inflation bezeichnet. Nun, das ist keine neue Weisheit (aber natürlich eine umstrittene). Überraschen tut es mich auf jeden Fall, dass er gleichzeitig davon spricht, dass alle Vermögenswerte gefährdet seien - einschließlich Gold.

Dent fügt noch hinzu, dass Staatsanleihen seiner Meinung nach am meisten von einer Deflation der Vermögenspreise profitieren dürften.

Ich würde keine solche Empfehlung abgeben. In Zeiten hoher Staatsverschuldungen wie heute kann ich Staatsanleihen überhaupt nichts Positives mehr abgewinnen. Ich hatte selber zwischen 2009 und 2016 in gut verzinste Staatsanleihen verschiedener Länder weltweit investiert. Wegen ihrer degressiven Kursentwicklungen haben diese Papiere unter dem Strich jedoch deutlich negativ abgeschnitten. Nur die Zinsen der ziemlich guten, weil deutlich höher verzinsten Anleihen, beispielsweise der neuseeländischen und australischen, rissen mich einigermaßen heraus. Seitdem ist das Thema Staatsanleihen für mich vom Tisch.

Weder FED noch EZB werden die Leitzinsen signifikant anheben

Sowohl der EZB als auch der FED sind die Hände gebunden, was nennenswerte Leitzins-Erhöhungen angeht, denn das würde nicht wenige Staaten ziemlich schnell in die endgültige Pleite treiben (Die Geister, die ich rief, ich werd´ sie nicht mehr los).

Auch wenn Jerome Powell am Mittwoch dieser Woche die Möglichkeit einer baldigen Zinserhöhung ins Spiel brachte (es sei möglich, dass „wir im März die Zinsen anheben könnten“, so der FED-Chef), werden die Auswirkungen auf die Aktienmärkte meiner Einschätzung nach bestenfalls marginal und von kurzer Dauer sein.

In diesem Zusammenhang noch ein Hinweis auf das Interview mit Harry Dent: Sein Eigenbestand umfasse derzeit hauptsächlich Bargeld und Immobilien, heißt es.

Meine Meinung dazu: Mit Immobilien wird er wahrscheinlich nichts falsch machen, mit zu viel Cash eventuell schon. Warum? Der Wert der Geldes nimmt beträchtlich ab - oder gibt sich Dent etwa mit Zinsgewinnen im Promille-Bereich zufrieden?

Die Bedeutung der Bilanzsummen

Die DWN erwähnten im Schlussteil des Harry Dent-Artikels auch eine Steve-Forbes-Aussage in einem Beitrag des Forbes-Magazins mit dem Titel Wird die Inflation 2022 einen Börsen-Crash verursachen?: „Darüber hinaus hat die Fed angekündigt, ihre Bestände an Staatsanleihen im Frühjahr nicht mehr aufzustocken – was höhere Zinsen bedeutet, als selbst die Fed erwartet. Und das sind schlechte Nachrichten für die Wirtschaft – und die Börse.“

Gehen wir im deswegen im Folgenden kurz auf die Bilanzsummen ein:

Die nächste Bilanz der EZB (Consolidated balance sheet of the Eurosystem) erscheint um den 20. Februar 2022 herum. Wir sind schon ganz gespannt.

Ebenfalls gespannt sind wir auf den Bericht zu den Devisen-Reserven und Franken-Anleihen der Schweizerischen Nationalbank (Anlagestruktur Ende 4. Quartal 2021), der bald erscheinen dürfte. Interessant wird sein, ob die Schweizer ihren Aktienanteil (bisher 23 Prozent) erneut angehoben haben.

Weil die beiden Berichte ja nun mal noch nicht vorlegen, bedienen wir uns fürs Erste anderer Quellen:

Die Bilanzsumme der EZB hat per 31.Dezember 2021 einen neuerlichen Rekordanstieg auf 8,57 Billionen Euro hingelegt.[2] Noch am 10.Oktober 2008 betrug die Bilanzsumme „nur“ 1,51 Billionen Euro.

Betrachten wir nun den prozentualen Anstieg der Bilanzsumme der EZB (Eurozone) vom 3. Januar 2020 beginnend an. Da gibt es nur eine Richtung, nämlich die nach oben.

Wo steht die FED-Bilanzsumme aktuell (Januar 2022)?

Die FED hat ihre Bilanzsumme auf ähnlich schwindelerregendes Niveau gehievt. Nämlich auf gigantische 8,76 Billionen Dollar. Per 31. Januar 2008 befand sich diese noch unter einer Billion Dollar - es hat also innerhalb von 14 Jahren eine Verneunfachung stattgefunden!

Voraussetzungen für Börseneinbruchs-Szenarien

Um die Märkte zum Einsturz zu bringen, um sozusagen als Initialzündung für einen Megacrash á la Harry Dent zu dienen, genügt ein Stopp der Anleiheaufkauf-Programme nicht. Nein, die Bilanzsummen von EZB und FED müssten signifikant, ja nahezu drastisch reduziert werden. In Zahlen: auf ein Niveau von etwa vier bis fünf Billionen Euro beziehungsweise Dollar gedrückt werden.

Ein signifikanter, länger anhaltender Einbruch der Aktienmärkte sollte allein schon durch die gewaltigen FED- und EZB-Bilanzsummen verhindert werden. Wenn überhaupt, dann würde dieser Einbruch durch andere derzeit schwer einschätzbare Ereignisse eingeleitet und ausgelöst werden.

Besteht die Gefahr signifikanter Leitzinsanhebungen?

Meiner Ansicht nach besteht fürs Jahr 2022 eine solche Gefahr definitiv nicht! Anhebungen um einige Zehntel bis zu einem ganzen Prozent sind höchstens Nebelgranaten. Erst noch höhere Leitzinsanhebungen könnten Wirkung zeigen.

Noch vergangenen Dezember beließen die Spezialisten rund um Jerome Powell den Leitzins erneut bei null bis 0,25 Prozent. In der Prognose deuteten sie für 2022 drei Zinsschritte nach oben an. Signalisieren sollte dies eine stärkere Straffung der lockeren Geldpolitik als zuletzt erwartet. Für Ende 2022 prognostizierten sie ein Zinsniveau von 0,9 Prozent. 2023 könne (nicht: werde) der Leitzins dann aber auf 1,6 Prozent klettern.

Nun, wir sind gespannt. Aber auch ein Leitzinssatz von meinetwegen 2,1 Prozent oder gar 2,5 Prozent, den wir vielleicht 2024 erleben werden, würde mich nicht wirklich nervös machen …

Droht die Inflation?

Um antizipieren zu können und alle relevanten Informationen richtig zu deuten, muss man die Materie „Inflation“ und deren Auswirkungen ausführlich studiert haben, und damit meine ich nicht das, was man an den Universitäten vermittelt bekommt …

Hier mein Gedankenkonstrukt fürs Jahr 2022 sowie die beiden ersten Quartale 2023:

Einschränkung: Meine Prognose gilt nur unter der Voraussetzung, dass es zum einen nicht zu massiven Problemen innerhalb der globalen Lieferketten kommt, und zum anderen, dass keinen staatlichen Verordnungen wie Lockdowns, Schließungen, etc. die Unternehmen in die Knie zwingen.

Nun weiter im Text: „Inflation im Euro-Raum auf Rekordhoch: Worauf wartet die EZB?", lautet so manche Schlagzeile dieser Tage. Waren und Dienstleistungen, errechnete die Eurostat, hätten im Euroraum Ende des Jahres durchschnittlich fünf Prozent zugelegt. Für einzelne Länder errechneten andere Experten für Dezember 2021 sogar bis zu 5,3 Prozent (offizielle Inflationsraten wohlgemerkt, die tatsächlichen könnten noch viel höher sein).

Erste Stimmen befürchten, dass 2022/2023 Inflationsraten (richtigerweise „Teuerungsraten“) von bis zu zehn Prozent auf uns zukämen. Sollten diese Befürchtungen eintreten, wo würden dann die Börsenindizes stehen? Ich sagte: Der DAX tendenziell bei 18.000 und der Dow Jones eventuell bei 38.000 Punkten. Abwegig? Nein, absolut nicht!

Bereits vor dem Treffen der EU-Finanzministertreffen Anfang vergangener Woche in Slowenien machte Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire erneut einen Vorstoß und forderte eine Lockerung der Schuldenregeln in der Euro-Zone. Sollte Le Maire sich durchsetzen, wird die EZB noch mehr Geld ins System pumpen. Geld, Geld, Geld - der Markt wird überschwemmt werden!

Nicht außer Acht lassen sollte man eine weitere Komponente: Die seit geraumer Zeit steigenden Energiepreise, speziell für Öl, aber auch Gas, werden die Börsenkurse zusätzlich beflügeln. Das Barrel Rohöl der Sorte BRENT stieg heute (Freitag, 28. Januar) auf 90,12 Dollar - die Aktien der Energie-Unternehmen werden kräftig steigen. Natürlich machen sich steigende Energie-Preise bei den Gewinn-Aussichten der übrigen Firmen negativ bemerkbar. Aber diese Auswirkung erfolgt nicht so rasch und so direkt wie die positive Wirkung steigender Rohstoff-Preise auf den Wert der Energie-Riesen.

Auf alle Fälle hoffe ich für alle, die ihr sauer verdientes Geld in Aktien gesteckt haben, auf mindestes stabile, aber steigende Werte in diesem Jahr.

In diesem Sinne: Auf ein erfolgreiches Investitionsjahr 2022. Ihr vorsichtig agierender, aber dennoch überwiegend optimistischer Andreas Kubin.

Andreas Kubin lebt in Oberösterreich, hat ein MBA mit Schwerpunkt "Finanzen" und verfügt über drei Jahrzehnte Börsen-Erfahrung. 

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