Alexander Graf Lambsdorff ist in den vergangenen Jahren immer wieder durch kluge Äußerungen zum Verhältnis Wirtschaft und Staat aufgefallen. Diesen guten Eindruck trübt Lambsdorff nun ganz erheblich. In einem Interview mit der Passauer Neuen Presse kritisiert der Vorsitzender der FDP im Europaparlament das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Lambsdorff wörtlich: „Manche Beobachter kritisieren zu Recht, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts nicht mit allen Vorgängen in Europa ausreichend vertraut sind. Deshalb kommt es gelegentlich zu Fehleinschätzungen aus Unkenntnis. Das ist besorgniserregend, schließlich wird so der größte Mitgliedsstaat Europas in seinem Handeln eingeschränkt.”
Damit sagt Lambdorff nicht mehr und nicht weniger, dass Sprüche aus Karlsruhe, wenn sie die Verfassungsmäßigkeit von politischen Entscheidungen überprüfen, das Handeln Deutschlands in Europa einschränken. Dass der Grund nach Lambsdorffs Worten in der Ahnungslosigkeit der Richter liegt, mag man noch als unfeines Anpinkeln am Vorabend eines wichtigen Hearings bezeichnen. Lambsdorffs Kernaussage ist jedoch die, dass die Politik ein solches Gericht als lästig empfindet, weil es gegebenenfalls der Politik in die Parade fahren kann. Diese Aussagen kann man nicht mehr als unglückliche Wortwahl abtun. Hier offenbart ein Politiker aus altem Adel, dass im tiefsten Inneren seines Denkens verfassungsfeindliche Gedanken umherspuken. Das Bundesverfassungsgericht ist jedoch nicht der geduldete Abnicker einer offenkundig immer realitätsfremderen Berliner Politik. Das Bundesverfassungsgericht gehört zu den drei Säulen, auf denen jede Demokratie aufgebaut ist. Wir ersparen und an dieser Stelle die Belehrung von Herrn Lambsdorff, er kann ja mal unter „Gewaltenteilung“ googeln.
Wenn Lambsdorff schon nichts von den Richtern und deren Mitwirkung an der demokratischen Willensbildung hält, so hält er, nun wenig überraschend, noch weniger von der Mitwirkung des Volkes. Er, der sein Mandat aus einem Parlament bezieht, dessen Legitimität durch andauernd schlechte Wahlbeteiligung getrost bezweifelt werden darf, antwortet auf die Frage nach Volksabstimmungen: „Volksabstimmungen sind in der jetzigen Lage keine Lösung. Das wäre sicherlich erst etwas für künftige Integrationsschritte. Es ist aber sinnvoll, jetzt das Grundgesetz anzupassen. Damit könnte man zum Beispiel die Parlamentsbeteiligung in wichtigen Fragen der Währungsunion festschreiben. Auch die Möglichkeit einer Vorab-Kontrolle des Bundeshaushalts durch europäische Institutionen könnte ins Grundgesetz aufgenommen werden.“
Lambsdorff glaubt, dass die EU-Institutionen besser für die Völker Europas sorgen können als die Völker selbst. Diesen Spruch können wir unter der Rubrik „Des Brot ich ess‘, des Lied ich sing!“ abhaken. Lambsdorff sei jedoch daran erinnert: Auch das Brot, das die EU verteilt, muss erst von den Deutschen verdient werden. Diese unangenehme Pflicht wollte bisher noch keiner dem Volk nehmen.