Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Spekulation mit Nahrungsmittelrohstoffen lässt die Preise für Lebensmittel teilweise stark steigen. Das verstärkt die globale Hungerproblematik, schadet den Betrieben, die solche Rohstoffe verarbeiten, und den Verbrauchern. Sie fordern deshalb eine einheitliche Regulierung für den gesamten Spekulationsmarkt, aber keine Sonderregelung für Nahrungsmittelspekulationen?
Thilo Bode: Uns liegen natürlich die Nahrungsmittel besonders am Herzen. In den Indexfonds der Spekulanten sind aber auch andere Rohstoffgruppen enthalten. Der Anteil der Agrarrohstoffe beträgt bis zu 20 %. Die Indexfonds treten vorwiegend auf der Käuferseite auf. Das Kaufverhalten ist also asymmetrisch. Dies führt zu den phasenweisen Preisanstiegen – egal wie sich die Marktdaten entwickeln. Das ist eines der Hauptprobleme.
[caption id="attachment_39538" align="alignleft" width="300" caption="Thilo Bode fordert Positionslimits für den Lebensmittelmärkte. (Foto: Foodwatch/Susanne Schleyer)"][/caption]
Nahrungsmittel sind ein besonderer Fall: Bei Menschen, die 70 bis 80 % ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben müssen, geht es um Leben und Tod. Wenn der Goldpreis hochgeht oder der Preis für Kupfer, ist es für manche auch sehr schwierig, aber es ist nicht so, dass dann unmittelbar Menschen verhungern. Das World Food Program musste während der Preissteigerungen 2008/2009 beispielsweise seine Beschaffungen um 40 % reduzieren. Es kann doch nicht sein, dass Wetten erlaubt sind auf steigende Nahrungsmittelpreise, die Menschen zum Hungern verdammen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Woran scheitert eine Regulierung, wie Sie sie sich vorstellen?
Thilo Bode: Die Regulierung scheitert an der Finanzindustrie. Die hat kein Interesse an einer strengeren Regulierung. Dann kommen noch die großen Rohstoffproduzenten wie Brasilien und Argentinien dazu. Die profitieren ebenfalls von den hohen Preisen, die zeitweise durch die Spekulationen entstehen. Allerdings gibt es auch divergierende Interessen. Akteure, wie die Mühlen beispielsweise, machen mit den stark schwankenden Preisen wiederum kein gutes Geschäft.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist das Bewusstsein für diese Problematik beispielsweise in den USA anders?
Thilo Bode: In den USA ist eine viel strengere Regulierung geplant als in Europa. Sie muss allerdings noch durchgesetzt werden. Die Unterstützung für eine Regulierung ist dort sehr viel stärker als in Europa – weil Unternehmer dabei sind und die Amerikaner mit einem höheren Ölpreis und höheren Transportkosten viel sensibler umgehen als wir. Ob die Gesetzgeber sich gegen die Finanzlobby durchsetzen können, steht auf einem anderen Blatt.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welchen Weg halten Sie für aussichtsreicher, um eine wirkungsvolle Regulierung durchzusetzen: den über die Politik, damit diese entsprechende Gesetze durchsetzt und kontrolliert; oder den über direkte Erhöhung des öffentlichen Drucks auf die Akteure, um einen freiwilligen Rückzug zu erwirken?
Thilo Bode: Natürlich muss beides passieren. Es arbeiten auch viele Organisationen an dem Thema. Auf der einen Seite muss Lobbyarbeit in Brüssel gemacht werden. Es gibt Lobbygruppen, die versuchen, auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen.
Foodwatch dagegen konzentriert sich auf die Öffentlichkeit und versucht, über die Debatte und den öffentlichen Druck auf die Banken zu erreichen, dass sie ihren Widerstand gegen die Regulierung aufgeben.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Foodwatch versucht seit Längerem, die Deutsche Bank zu einem Rückzug aus den Spekulationen mit Nahrungsmitteln zu bewegen. Welche Rolle spielt die Deutsche Bank bei Nahrungsmittelspekulationen im Vergleich zu anderen großen Investitionsbanken?
Thilo Bode: Sie ist wie bei allen fragwürdigen Geschäften des heutigen Finanzgewerbes ganz vorne mit dabei. Im Indexfondsbereich steht die Deutsche Bank an zweiter Stelle. Sie hat wichtige Indexfonds selbst entwickelt.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie haben unter dem Slogan „Hände weg vom Acker, Mann!“ eine Protestaktion an den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank und Vorsitzenden des Internationalen Bankenverbandes, Josef Ackermann, gestartet, die bisher von mehr als 65.000 Menschen unterstützt wurde und in der Sie ihn auffordern, Spekulationen mit Nahrungsmittelrohstoffen einzustellen. Glauben Sie, Herr Ackermann denkt persönlich ernsthaft über einen Ausstieg aus Nahrungsmittelspekulationen nach?
Thilo Bode: Wir haben einen persönlichen Brief von ihm bekommen, der nicht gleichgültig klingt. Aber ob das nur ein PR-Trick ist oder ob tatsächlich persönliche Beweggründe dahinterstecken, können wir nicht sagen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Deutsche Bank hat eine Untersuchung der Auswirkungen von Spekulationen auf die Lebensmittelpreise angekündigt. Was erwarten Sie von dieser Untersuchung?
Thilo Bode: Die Deutsche Bank hat gesagt, sie wolle unsere Studie überprüfen und bis Ende Januar entscheiden, ob sie aussteigt oder nicht. Diese Zusage hat sie mittlerweile zurückgezogen. Jetzt will sie eine umfangreiche wissenschaftliche Studie anfertigen, für deren Fertigstellung es keinen Termin gibt. Wir befürchten, das heißt: Die Deutsche Bank hat einen Rückzieher gemacht und will die Geschichte aussitzen.
Die Untersuchung wird wahrscheinlich das Problem kleinreden und womöglich zu dem Schluss kommen, dass Spekulation ein unvermeidbares und nützliches Element der Agrarpolitik sei, dass Investoren einfach mehr Kapital in die Landwirtschaft pumpen sollten, dann gäbe es keine Spekulationen mehr und dass es Spekulationen brauche, damit die Produktion gesteigert werden könne und so weiter.
Vielleicht kommt die Deutsche Bank sogar mit dem Argument, man könne gar nicht beweisen, dass die Spekulation schädlich ist. Oder sie sagt gar nichts und hofft, dass das Thema irgendwie verschwindet. Ich traue der Deutschen Bank alles zu.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Eine Erkenntnis des aktuellen Foodwatch-Berichts über die Auswirkungen von Nahrungsmittelspekulationen ist, dass ein gewisser Anteil an Spekulanten am Rohstoffmarkt die nötige Liquidität für den Markt liefert und für Preisstabilität sorgt. Bis zur Jahrtausendwende war der Anteil, den Spekulanten am Rohstoffmarkt haben durften, beschränkt. Wie hoch dürfte Ihrer Meinung nach der Anteil von Spekulationsgeschäften auf dem Rohstoffmarkt sein?
Thilo Bode: Das lässt sich schwer genau abgrenzen. Aber womit man gut gefahren ist, waren die strikten Positionslimits. Da gab es etwa ein Volumen von 30 % der Kontrakte, die spekulativ eingesetzt worden sind. Jetzt haben wir 80%. Das ist offensichtlich zu viel.
Wir fordern die Wiedereinführung von Positionslimits und dass institutionalisierte Kapitalanleger wie Lebensversicherungen, Pensionsfonds etc. sich aus dem Rohstoffmarkt zurückziehen. Denn die Rohstoffbörsen sind relativ klein und die Öffnung gegenüber dem Kapitalmarkt hat dazu geführt, dass die Preise sehr volatil geworden sind.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Nahrungsmittelspekulationen wurden als Ersatz für die verlorenen Anlagen der Dotcom-Blase groß. Sie bieten den Anlegern eine hohe Sicherheit und hohe Renditen – zwei Vorteile, die in der aktuellen Schuldenkrise praktisch gänzlich verschwunden sind. Ist demnach aktuell nicht der denkbar schwerste Zeitpunkt, um Lebensmittelspekulationen einzudämmen?
Thilo Bode: Ich glaube, das ist egal. Die Finanzwirtschaft wird sich solche Instrumente einfach nicht aus der Hand nehmen lassen. Der Handel mit Rohstoffindices ist ein lukratives Geschäft Die Banken können damit nicht verlieren, nur gewinnen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie wirkt sich die Liquidität, die die Europäische Zentralbank kürzlich gewährt hat, auf die Rohstoffpreise aus?
Thilo Bode: Den Effekt sieht man jetzt schon: Die Rohstoffpreise gehen durch die Decke. Irgendwo muss diese Liquidität der Zentralbank ja bleiben.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Können die Banken nicht auch ohne die Nahrungsmittelspekulationen und Indexfonds bestehen?
Thilo Bode: Natürlich können sie bestehen – auch ohne CDS, ohne Zweckgesellschaften und ohne Schattenbanksystem. Den ganzen Unsinn, den die Banken machen, braucht die Wirtschaft nicht. Die Banken dienen nicht mehr der Realwirtschaft, sie sind zum Spielcasino geworden. Aber es liegt wie immer an der Konkurrenz: Wer hört als Erstes auf? Wir könnten auch ganz normale Banken haben. Aber dieser Sektor hat sich mittlerweile zu einem veritablen Monster entwickelt und erpresst die Staaten. Das sieht man ja jetzt: Die Staaten müssen die Banken mit Liquidität fluten, weil sie nicht wissen, was passiert, wenn eine oder zwei große Banken bei einem Staatsbankrott ausfallen. Es liegt also an der Größe und der maroden Struktur der Banken, dass der Staat sich selbst zur Geisel der Finanzindustrie gemacht hat. Das ist das ganze Dilemma. Warum geben wir denn das ganze Geld aus– doch nicht wegen Griechenland!
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Glauben Sie, es ist für Privatinvestoren nachvollziehbar, was ihre Portfolios beinhalten? Kann eine Privatperson verhindern, dass Nahrungsmittelspekulationen in ihren Geldanlagen eingebaut sind?
Thilo Bode: Bei den Fonds ist es gar nicht so leicht, durchzublicken. So kann es sein, dass über Kreuzbeteiligungen versteckte Investments in Nahrungsmittelrohstoffe auftauchen. Verborgene Beteiligungen an Rohstoffspekulationen über Fonds können, soweit ich weiß, nicht ausgeschlossen werden. Die klassischen Fonds der Deutschen Bank, die sich an diesen Geschäften beteiligen, sind aber bekannt.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Politik und die Öffentlichkeit scheinen vollständig mit dem Zustand des Euro beschäftigt zu sein. Wie wirkt sich die Krise auf die Nahrungsmittelspekulationen aus?
Thilo Bode: Wenn Aktien unsicher werden, findet gerne eine Umschichtung des Portfolios statt. Die Leute investieren dann in Rohstoffe als Anlagenklasse. Das ist volkswirtschaftlich nicht besonders sinnvoll und geschieht nur, weil man das Geld jetzt dort am sichersten aufgehoben glaubt. Aber das brauchen wir nicht. Da werden auch keine Investitionen befördert, das sind einfach Wetten, die abgeschlossen werden.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Preisentwicklung bei Rohöl schlägt sich wegen der aufwendigen Produktion auf die Lebensmittelpreise nieder. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass Konflikte mit Ölförderländern – wie im aktuellen Beispiel Iran – die Situation am Lebensmittelmarkt zusätzlich verschärfen?
Thilo Bode: Der Ölpreis beeinflusst die Nahrungsmittelpreise etwa zu 1/4. Wenn sich der Ölpreis um 60 bis 100 % erhöht, steigen die Nahrungsmittelpreise um 15 bis 20 %. Das ist heftig. Das heißt aber auch, dass Spekulationen am Rohölmarkt, die ebenfalls gang und gäbe sind, sich auch auf die Nahrungsmittelpreise auswirken.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie werden sich die Lebensmittelpreise entwickeln? Welche Aspekte kommen noch dazu?
Thilo Bode: Die Peaks und die Volatilität werden mit Sicherheit weiter bestehen – weil weiterhin riesige Mengen an liquiden Mitteln herumvagabundieren und weitere Faktoren wie Biosprit dazukommen. Wie schnell das geht, haben auch die letzten Preisanstiege gezeigt. Wenn dann noch eine internationale Krise wie der Irankonflikt dazukommt, entstehen genau diese negativen Effekte, die wir bereits gesehen haben.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie stark wirkt sich Biosprit auf die Nahrungsmittelpreise aus?
Thilo Bode: Der Biosprit spielt eine große Rolle. Er führt insbesondere bei Mais zu Preissteigerungen von jährlich rund 3 %. Das ist ebenfalls pervers. Aber der Biosprit war nicht für die heftigen Preisausschläge verantwortlich.