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Verluste: Europas Windenergie stürzt in eine Krise

Die Windenergie wird seit Jahren in Europa als Prestigeprojekt angesehen und staatlich unterstützt. Nun befinden sich führende Konzerne in finanziellen Problemen.
27.11.2022 08:00
Lesezeit: 6 min
Verluste: Europas Windenergie stürzt in eine Krise
Gewitter vor einem Windenergiepark im Landkreis Oder-Spree in Brandenburg. (Foto: dpa) Foto: Patrick Pleul

Eigentlich müssten die Zeiten für die Windenergiebranche richtig gut sein, vor allem in Europa. Die europäischen Regierungen und die EU fördern seit langem Offshore-Windprojekte und diese Bemühungen wurden infolge des Angriffs Russlands auf die Ukraine und die Debatte um Alternativen zu russischem Erdgas noch beschleunigt und intensiviert. Noch im August preiste die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, die Windenergie und verkündete: „Wir brauchen saubere, billigere und einheimische Energie.“

Anhaltende Probleme in der Lieferkette

Die Realität in der Windenergiebranche sieht jedoch düster aus. Europas Windturbinenhersteller, die Kronjuwelen der grünen Energieindustrie in der Region und eine Quelle der Fertigungsexpertise, melden Verluste und entlassen Mitarbeiter. Ihre Probleme sind zum Teil auf anhaltende Probleme in den Lieferketten und der Konkurrenz durch chinesische Hersteller zurückzuführen. Diese Probleme könnten laut der New York Times letztendlich die Ambitionen Europas und sogar der Welt behindern, schnell emissionsfreie Energiequellen zu entwickeln.

Am 10. November meldete Siemens Gamesa Renewable Energy, ein in Madrid ansässiges Unternehmen, das der führende Hersteller von Offshore-Windturbinen ist, auf seiner Webseite einen Jahresverlust von 940 Millionen Euro. Das Unternehmen hat ein Kostensenkungsprogramm angekündigt, das wahrscheinlich zum Abbau von 2.900 Arbeitsplätzen beziehungsweise fast 11 Prozent der Belegschaft führen wird. Das Programm soll laut Siemens Gamesa am 1. Januar 2023 starten.

Verluste auch bei Vestas und General Electric

Siemens Gamesa ist nicht der einzige Konzern aus der Branche, der Verluste schreibt. Das dänische Unternehmen Vestas Wind Systems, seines Zeichens weltweit größter Turbinenhersteller, meldete Anfang November laut der indischen Webseite mercomindia einen Verlust von 147 Millionen Euro (etwa 151 Millionen Dollar) für das dritte Quartal. Im gleichen Quartal vor einem Jahr hatte man noch einem Gewinn von 116 Millionen Euro erwirtschaftet. Vestas erzielte einen Umsatz von 3,91 Milliarden Euro. Das ist ein Rückgang von 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Der Umsatzrückgang ist laut mercomindia auf geringere Auslieferungen in Nordeuropa und den USA sowie auf verschiedene Verzögerungen aufgrund von Herausforderungen bei Transport und Projektdurchführung zurückzuführen. Die Entscheidung von Vestas, sich aus dem russischen Markt zurückzuziehen und die Aktivitäten in der Ukraine zu pausieren, führte dazu, dass die Lieferungen in diesen beiden Märkten geringer ausfielen als ursprünglich erwartet. Die Verluste von Vestas trüben die eigentlich positive Stimmung von Anfang Oktober, als man mit dem Plan für den Bau der größten Onshore-Windturbine der Welt begann.

Auch General Electric, ein großer Hersteller von Windturbinen in den Vereinigten Staaten und in Europa, hat laut der New York Times mit seinen Geschäften im Bereich der erneuerbaren Energie zu kämpfen. Das Unternehmen erklärte im vergangenen Monat, dass seine Sparte für erneuerbare Energien in diesem Jahr wahrscheinlich Verluste in Höhe von 2 Milliarden Dollar verzeichnen wird.

„Jeder Verkauf bedeutet acht Prozent Verlust“

Mehrere Probleme machen der Windenergiebranche zu schaffen, darunter steigende Material- und Transportkosten sowie logistische Probleme, die laut der New York Times zum Teil auf die Covid-19-Pandemie zurückzuführen sind. Infolgedessen können früher vereinbarte Preise für Turbinen, die pro Stück Millionen von Dollar kosten und sich bei großen Offshore-Windparks auf Milliarden summieren, bei der Auslieferung der Anlagen zu enormen Verlusten für die Hersteller führen. Henrik Andersen, Vorstandsvorsitzender von Vestas, erklärt gegenüber der New York Times das Problem: „Jedes Mal, wenn wir eine Turbine verkaufen, verlieren wir acht Prozent.“

Gleichzeitig hat der Wettlauf um größere und leistungsstärkere Turbinen dazu geführt, dass die Hersteller Hunderte Millionen Dollar für die Entwicklung neuer Modelle ausgeben, aber nicht genug Maschinen verkaufen, um die Kosten zu decken. Auch die wachsende Konkurrenz aus China, wo einheimische Turbinenhersteller, die sich jahrelang um den chinesischen Markt gekümmert haben, beginnen, ihre Anlagen ins Ausland zu verkaufen, lässt die Alarmglocken schrillen.

Westliche Turbinenhersteller fürchten die Konkurrenz aus China

Einige westliche Turbinenhersteller befürchten, dass sich die bitteren Erfahrungen mit Solarpanels wiederholen könnten, einer Technologie, die zuerst im Westen entwickelt wurde, jetzt aber weitgehend von China und anderen asiatischen Herstellern dominiert wird. Endri Lico, leitender Analyst für Windkraft bei der Beratungsfirma Wood Mackenzie bezeichnet die Situation für die westlichen Turbinenhersteller als dramatisch: „Sie sind in Schwierigkeiten. Wir sprechen hier von einem massiven Verlust für die Branche.“

Die schlechte finanzielle Leistung wirft Fragen über die Zukunft der Windindustrie im Westen auf und darüber, ob die sehr ehrgeizigen Pläne von Regierungen und Energieunternehmen zur Entwicklung ausgedehnter Windparks in Europa und den Vereinigten Staaten verwirklicht werden können. Jochen Eickholt, der Vorstandsvorsitzende von Siemens Gamesa, sagte in einem Interview mit der New York Times, dass die Branche Geld verdienen müsse, um Turbinen zu entwickeln, zu bauen und zu installieren. Dies müsse auch vor der Ostküste der Vereinigten Staaten geschehen.

Diese Turbinen würden den Ländern helfen, die Klimaziele zur Reduzierung der Kohlenstoffemissionen zu erreichen. Die Turbinenhersteller müssen profitabel sein, wie er erklärt: „Unsere Windturbinenhersteller müssen einigermaßen rentabel sein. Aber im Moment sind wir das nicht.“

Unter dem Eindruck der jüngsten Verluste bietet Siemens Energy, der Mehrheitsaktionär von Siemens Gamesa, an, das Drittel des Turbinenherstellers zu kaufen, das ihm noch nicht gehört, um die Kosten zu senken und die Kontrollen zu verschärfen. Europäische Beamte haben laut der New York Times auch Teile des Inflation Reduction Act der Biden-Administration kritisiert, die inländische Investitionen fördern, da sie befürchten, dass die erheblichen Anreize des Gesetzes für erneuerbare Energie die europäischen Hersteller zu Produktionsverlagerungen in die USA bewegen könnten.

Europäische Führungskräfte aus dem Bereich der erneuerbaren Energien, deren Unternehmen planen, in die Vereinigten Staaten zu expandieren, sahen jedoch viel Positives in dem Biden-Programm. Herr Eickholt sagte kürzlich in einem Telefongespräch mit Reportern der New York Times, dass Europa gut beraten wäre, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen. „Ich denke, es ist auch in Europa absolut wichtig, dass wir das entsprechende Know-how und auch die Produktions- und Arbeitsbasis erhalten.“

China ist das Epizentrum der globalen Windlieferkette

Zwar haben die chinesischen Hersteller außerhalb ihres Heimatlandes nur bescheidene Erfolge erzielt, doch Analysten zufolge haben sie die großen Absatzmengen in China genutzt, um ihre Fertigung zu verbessern und Arbeitskräfte auszubilden, die Turbinen zu Preisen liefern können, die weit unter denen ihrer westlichen Konkurrenten liegen. Siemens Games warnte in einem Papier vor der Konkurrenz aus China und bat die europäischen Regierungen um Unterstützung: „Europa sieht sich nun mit der sehr realen Möglichkeit konfrontiert, dass die Energiewende in der EU von China gestaltet wird.“

Chinesische Unternehmen produzieren bereits bis zu 70 Prozent der Komponenten, aus denen die im Westen verwendeten Turbinen bestehen, so Lico. „China ist das Epizentrum der globalen Windlieferkette“ sagte er und bezog sich dabei auf die Hersteller von Komponenten. Henrik Andersen führt einen Großteil der Probleme der Branche darauf zurück, dass Konkurrenten Maschinen zu niedrigen Preisen verkaufen, um Aufträge zu erhalten: „Ich denke, die Branche muss sich ihrer eigenen Verantwortung bewusst werden. Es ist auch eine Realität, dass einige Anlagenhersteller Turbinen zu verlustbringenden Preisen verkaufen.“

Politik schläft bei Genehmigungsverfahren

Die Schwierigkeiten kommen für die Windenergiebranche zu einer Zeit, in der die europäischen Regierungen mehr Windparks fordern. Die Europäische Union hat vor kurzem die bereits ehrgeizigen Ziele für die Windenergieerzeugung bis zum Ende dieses Jahrzehnts auf fast das Dreifache der Ende des letzten Jahres verfügbaren Menge erhöht.

Zwar haben Unternehmen sehr große Windparks vor den europäischen Küsten gebaut, und die Regierungen haben Pachtverträge für große Flächen unter dem Meer vergeben, vor allem in Schottland in diesem Jahr, doch tun die politischen Entscheidungsträger nicht genug, um die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.

Bei diesen Projekten kann es laut New York Times bis zu zehn Jahre dauern, bis sie mit der Erzeugung sauberer Energie beginnen. Die Verzögerungen belasten nicht nur die Rentabilität der Branche, sondern führen auch dazu, dass Umweltvorteile aufgeschoben werden und Länder, die nach alternativen Energiequellen zum russischen Gas suchen, wenig davon haben. Führungskräfte sagen auch, dass die kürzlich in Großbritannien angekündigten und von der Europäischen Union vorgeschlagenen Steuern auf die Gewinne von Stromerzeugern, einschließlich der Betreiber von Windparks, ihre Kunden weiter verunsichern.

Europa befindet sich in einem Dilemma

Henrik Andersen wird bei diesem Thema deutlich: „Entschuldigen Sie die Ausdrucksweise. Es ist vielleicht ein bisschen unsinnig, sich hinzusetzen und die Ziele für 2030 und 2040 anzupassen, denn damit wird die derzeitige Energiekrise in Europa nicht angegangen.“ Für Analysten ist laut der New York Times klar, wie man vorgehen muss, um diese Ziele zu erreichen. Die derzeitigen Installationsraten müssen stark beschleunigt werden. Für eine Industrie, die sich möglicherweise auf dem Rückzug befindet, könnte es jedoch schwierig werden, das Tempo zu erhöhen.

Endri Lico sieht die Situation kritisch. Laut ihm befindet sich Europa in einem Dilemma: Soll es die heimische Turbinenproduktion unterstützen und damit möglicherweise die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verlängern, oder sich stattdessen alternativen Quellen für die Ausrüstung zuwenden? Es ist eine Frage der Prioritäten.

Die Situation und die Schwierigkeiten der Windturbinenbetreiber zeigen, in welch einer Sackgasse sich Europa momentan befindet. Es ist unklar, in welche Richtung sich die europäische Wirtschaft und damit der Kontinent bewegt. Es bleibt abzuwarten, welche Prioritäten im Bereich Energie am Ende für die Entscheider in Europa wichtiger sind und für welchen Weg man sich entschließt.

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