Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie sagen die Arbeitslosenzahlen sind politisch motivierte Schönfärberei. Diese Statistiken werden aber nicht von den politischen Parteien erhoben sondern über die Arbeitsämter. Welche Motive habe die Arbeitsämter, die Arbeitslosenzahlen zu manipulieren?
Gerd Bosbach: Die kleinen Stellen der Arbeitsämter haben kein Interesse, die Zahlen kleinzureden. Damit würden sie ihren Betreuungsaufwand kleinreden. Die oberen Stellen haben aber ein Interesse, weil sie von der Politik eingesetzte Beamte sind, die im Regelfall auch einer der Regierungsparteien angehören und in deren Sinne sie gerne die Welt schönfärben. Die Arbeitslosenzahlen sind für keine Regierung ein schönes Bild, daher färbt man. Wenn Sie zur Bank gehen und einen Kredit haben wollen, dann werden Sie die Risiken, die bei Ihren Einnahmen sind, kleinrechnen oder verstecken. Das weiß auch der, der Ihnen in der Bank gegenübersitzt. Sie legen ihm nur die positiven Daten vor, immerhin wollen Sie ja einen Kredit haben. Schönfärben mit Zahlen ist eine ganz natürliche Angelegenheit. Was ich allerdings überraschend finde ist, dass man diesen Aspekt in der Öffentlichkeit gar nicht wahrnimmt und so tut, als handle es sich um objektiv richtige Daten.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Das bedeutet, die Öffentlichkeit müsste berücksichtigen, dass die Arbeitslosenstatistiken positiv dargestellt werden?
Gerd Bosbach: Ja, das würde ich erwarten. Ganz viele Ergebnisse die wir vorgelegt bekommen, kommen von großen Instituten, die von jemanden den Auftrag dafür bekommen und dafür auch bezahlen. Das alte Wort „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ trifft natürlich für diese Forschungsinstitute auch zu. Deshalb ist es überraschend, dass wir deren Ergebnisse als nackte Wahrheit verstehen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie könnte der Spielraum für geschönte Zahlen eingeschränkt werden?
Gerd Bosbach: Es steht mir nicht zu, eine Neuorganisation der Erfassung der Arbeitslosenzahlen vorzuschlagen. Aber was man immer wieder schlecht gemacht hat, müsste man korrigieren: Man hat immer wieder die Erfassungsgrundlage für Arbeitslose verändert. Ich habe eine Liste der Agentur für Arbeit die zeigt, dass es zwischen 1986 und Januar 2009 17 Veränderungen gab, wie Arbeitslosenzahlen zu erfassen sind. Von diesen 17 Veränderungen haben 16 die Anzahl der erfassten Arbeitslosen verringert.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie werden die Arbeitslosenzahlen nach unten gedrückt?
Gerd Bosbach: Ein Beispiel dafür sind die Ein-Euro-Jobber. Die galten früher als arbeitslos, weil sie eigentlich einen richtigen Job haben wollen. Jetzt zählen sie nicht mehr als arbeitslos.
Andere Veränderungen waren schon fast böswillig. Wenn man sagt, dass alle Arbeitslosen die privaten Vermittlern zugeteilt werden, nicht mehr als Arbeitslose gezählt werden, ist das beinahe Willkür pur.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie könnte man ein objektiveres Bild über die Arbeitslosigkeit bekommen?
Gerd Bosbach: Die Agentur für Arbeit ist intern von diesen ständigen Veränderungen auch nicht begeistert. Daher gibt sie regelmäßig tiefgehendere Zahlen heraus. Im März 2012 wurden 3 Millionen Arbeitslose registriert. Es gab aber zu diesem Zeitpunkt 5,3 Millionen erwerbsfähige Empfänger von Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II. Es gab parallel dazu 5,1 Millionen Leute, die als Arbeitssuchen registriert waren. Dazu kommt noch, dass die Bundesagentur für Arbeit eine Zahl von Unterbeschäftigten herausgibt. Diese Unterbeschäftigung wurde im März 2012 mit 4,1 Millionen tituliert. Unterbeschäftigung bedeutet auch fehlende Arbeitsplätze. Also 5,1 Millionen suchen Arbeit bei der Agentur für Arbeit. Die spricht selbst von 4,1 Millionen fehlenden Arbeitsplätzen. Das zeigt die Dimension der versteckten Arbeitslosigkeit.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wo steht Deutschland in Hinblick auf politische Abhängigkeit im Vergleich zu anderen europäischen Ländern bei den Arbeitslosenzahlen?
Gerd Bosbach: Je weiter weg desto unabhängiger sind die Organe. Ich vermute deshalb, dass bei den europäischen Definitionen die Abhängigkeit weniger vorhanden ist. Allerdings darf man dabei nicht vergessen: Erfasst wird das, was nach Europa überliefert wird, auch von Deutschland. In der EU sind die Arbeitslosenstatistiken allerdings völlig anders aufgebaut als in Deutschland. Da zählt meines Wissens jeder der auch nur eine Stunde arbeitet nicht mehr als arbeitslos. Dadurch ist die EU-Quote der Arbeitslosen noch geringer. Im europäischen Vergleich stehen wir recht gut da.
Gegenüber anderen Ländern haben wir vor allem eine sehr geringe Jugendarbeitslosigkeit. Was aber auch nicht heißt, dass die Jugendlich alle eine Arbeits- oder Lehrstelle hätten. Sondern wir schaffen es sie durch überwiegend schulische Maßnahmen aus der offiziellen Arbeitslosenstatistik rauszuhalten. Ein Teil der Jugendlich wird im Berufsgrundbildungsjahr und in anderen Förderangeboten verwaltet.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wäre es sinnvoll, die Arbeitslosendaten zentral von der EU erheben zu lassen, um die politische Einflussnahme auf nationaler Ebene zu verhinern?
Gerd Bosbach: Wie soll die EU unsere Arbeitslosen zählen? Das geht gar nicht. Das gilt für alle Statistiken zur Bevölkerungsentwicklung: Die EU bekommt nach ihren Vorschriften die Daten von den Ländern geliefert. Nur bei Dingen die gefährlich sein könnten, kontrolliert Brüssel, ob die Formulare in ihrem Sinne ausgefüllt werden. Damit da nicht gepfuscht wird, was sich zumindest in Bereichen wo die EU Förderungen vergibt, anbieten würde. Sonst kann die EU selbst keine Daten erheben. Das ist auch bei uns so gegliedert: Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg weiß nicht, wer in Euskirchen arbeitslos ist. Die kommunalen Ämter geben die Zahlen an die Landesämter weiter. Die Landesämter geben die Daten gesammelt an das Bundesamt weiter, das die Daten dann überprüft. Die Vorschriften, wie die Daten gesammelt werden, kommen hingegen immer von oben.
Prof. Dr. Gerd Bosbach vom Rhein-Ahr-Campus in Remagen ist Mitherausgeber des Buches „Lügen mit Zahlen“ und lehrt Mathematik, Statistik sowie Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung.