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Deutschland betreibt eine völlig falsche Einwanderungs-Politik

Lesezeit: 6 min
17.06.2014 00:17
Der neue Bildungsbericht zeigt: Die Einwanderungspolitik Deutschlands geht an der Realität vorbei. Das staatliche Betreuungsgeld ist besonders für Familien mit geringer Erwerbsbeteiligung attraktiv. Das deutsche Schulsystem kann die Kinder solcher Familien nicht auffangen. Der Arbeitsmarkt für geringfügig Qualifizierte ist schon so gesättigt, dass Migranten-Kinder ohne Ausbildung keine Chance haben. Ein Fiasko zeichnet sich ab.
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Die Zukunft unserer Gesellschaft hängt sehr stark davon ab, ob es gelingt, Kinder aus bildungsfernen Familien über vorschulische und schulische Bildung in die Gesellschaft zu integrieren. Das ist umso wichtiger geworden, als einerseits die Geburtenzahl erheblich gesunken ist und andererseits der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund, deren Familien besonders oft bildungsfern sind, stark steigt.

Nun warnt auch das bundeseigene Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in seinem neuesten Kurzbericht, Deutschland habe kaum noch Jobs für Geringqualifizierte. 45 % der Arbeitslosen in Deutschland seien lediglich für Helfer- und Anlerntätigkeiten ausreichend qualifiziert. Diesem Niveau entsprächen jedoch nur 14 % der Arbeitsplätze. Gleichzeitig seien niedrig Qualifizierte besonders häufig von Arbeitslosigkeit betroffen, weil Arbeitsplätze mit entsprechend geringen Anforderungen über lange Zeit abgebaut wurden.

In den Ruhrgebietsstädten Gelsenkirchen, Herne, Duisburg, Recklinghausen, Dortmund und Oberhausen hätten gering Qualifizierte besonders schlechte Karten. Die Arbeitslosenquoten für Hilfskräfte lägen hier bei mehr als 40 %. Das Institut fordert daher eine Anhebung des Bildungsniveaus. Hierzu gehörten vor allem präventive Maßnahmen, wie die Vermeidung von Schul- und Ausbildungsabbrüchen, eine bessere Berufsorientierung sowie die gezielte Fort- und Weiterbildung. Nicht-Deutsche, die Mangels höherer Qualifikation einen Helferberuf suchten, seien mit einem Anteil von 63 % an allen ausländischen Arbeitslosen weit stärker betroffen als Deutsche mit gleichem Status und einem Anteil von 41 % (Abb. 18380, 18381).

Schon jetzt haben 15,3 Millionen Personen in Deutschland einen Migrationshintergrund. Das trifft auf fast jede fünfte Person zu. Zu den Personen mit Migrationshintergrund zählen alle Ausländerinnen und Ausländer sowie Deutsche, die nach 1955 selbst zugewandert sind oder bei denen mindestens ein Elternteil nach 1955 aus dem Ausland nach Deutschland kam. Mehr als die Hälfte (55,0 %) der in Deutschland geborenen Personen mit Migrationshintergrund ist minderjährig und sollte also eigentlich in der einen oder anderen Form im Bildungsprozeß sein. Der Anteil solcher Minderjähriger an allen Personen mit Migrationshintergrund ist etwa um die Hälfte größer als bei denen ohne Migrationshintergrund (Abb. 18377).

Bei den minderjährigen ledigen Kindern ist der Anteil derer mit Migrationshintergrund besonders hoch: Schon 2010 lag er bei 31 %. In Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern stieg dieser Anteil mit 46 % sogar auf knapp die Hälfte aller Kinder. Menschen mit Migrationshintergrund werden in einigen Jahren Mehrheiten in den Bevölkerungen deutsche Großstädte stellen. Schon 2007 waren in 10 deutschen Großstädten (Köln, Duisburg, Hannover, Dortmund, Stuttgart, Düsseldorf, München, Augsburg, Nürnberg, Frankfurt) bei den Kindern unter 6 Jahren die mit Migrationshintergrund in der zahlenmäßigen Mehrheit unter allen Kindern, und zwar bis zu über zwei Drittel für Frankfurt (Abb. 17031). Bei Kindern unter drei Jahren lag der Anteil 2008 noch wesentlich höher und erreichte für Frankfurt schon 72 % (Abb. 18099). Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund an der deutschen Gesamtbevölkerung wächst entsprechend von Jahrgang zu Jahrgang (Abb. 18096).

1. Der neue Bildungsbericht

Der neue Bildungsbericht im Auftrag der Bundesregierung vom Mai 2014 stellt zwar Fortschritte bei der Bildung und damit der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund fest. Junge Menschen mit Migrationshintergrund erreichten tendenziell einen höheren Bildungsabschluß als die älteren Altersgruppen. Doch enthält der Bericht zugleich viele kritische Feststellungen. Der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund ohne beruflichen Bildungsabschluß sei bei den 30- bis 34-Jährigen mit 35 % immer noch mehr als dreimal so hoch wie der entsprechende Anteil der gleichaltrigen Personen ohne Migrationshintergrund (11 %). Vor allem weise mehr als jede zweite Person mit türkischem Migrationshintergrund (53 %) in der Altersgruppe der 30- bis 34-Jährigen keinen beruflichen Bildungsabschluss auf.

Die gravierendsten Unterschiede stellt der Bildungsbericht bei Personen ohne allgemeinbildenden Abschluß fest: Hier seien 30- bis unter 35-Jährige mit Migrationshintergrund rund fünfmal so häufig betroffen wie Personen ohne Migrationshintergrund. Besonders dramatisch fielen die Werte laut dem Bericht bei türkischstämmigen Frauen aus (Abb. 18378). Dabei stellen die Türkischstämmigen den bei Weitem größten Teil der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland.

Der Frankfurter Professor Marcus Hasselhorn, Sprecher der Autorengruppe, warnt:„Es gibt zu wenig Bewegung in der Frage von sozialer Benachteiligung und von herkunftsbedingten Unterschieden“.

2. Mängel im deutschen Schulsystem

Das deutsche Schulsystem ist auf Absteigen statt Aufsteigen eingerichtet, also das Gegenteil von Chancengleichheit, und behindert damit gerade die Kinder aus bildungsfernen Familien. In den meisten OECD-Ländern ist die intergenerationale Bildungsmobilität nach oben hin stärker ausgeprägt als nach unten - anders ausgedrückt: Der Anteil der jungen Erwachsenen, die ein höheres Bildungsniveau erreichen als ihre Eltern, ist höher als der Anteil der jungen Erwachsenen, die ein geringeres Bildungsniveau erreichen. In Deutschland ist dies jedoch nicht der Fall: 20 % der 25- bis 34-Jährigen, die nicht mehr an Bildung teilnehmen, ist es gelungen, ein höheres Bildungsniveau zu erreichen als ihre Eltern, wohingegen 22 % dieser Altersgruppe ihre Ausbildung mit einem niedrigeren Niveau abgeschlossen haben (dagegen OECD-Durchschnitt: Aufwärtsmobilität 37 %; Abwärtsmobilität: 13 %, siehe Abb. 15954).

Die Universitäten Dortmund und Jena haben im Auftrag der Bertelsmann Stiftung einen „Chancenspiegel“ zum deutschen Schulsystem erstellt. Danach hat sich die Durchlässigkeit des Schulsystems in den letzten Jahren kaum verbessert. Auf einen Wechsel von einer niedrigeren auf eine höhere Schulart in der Mittelstufe kommen 4,2 Wechsel in umgekehrter Richtung. Zwei Jahre zuvor betrug das Verhältnis zwischen Auf- und Abstieg 1 zu 4,3. Dazu Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung:

Insgesamt geht es mit der Chancengerechtigkeit eher im Schneckentempo voran. Das liegt auch daran, dass der Ausbau von Ganztagsschulen nur schleppend vorwärts kommt und die Bedeutung der Förderschulen trotz Bemühungen um mehr Inklusion kaum nachlässt. Wenn sich der Ausbau der Ganztagsschulen nicht beschleunigt, dauert es noch mehr als 50 Jahre, bis für alle Kinder genug Plätze vorhanden sind. Dabei bietet gerade die gebundene Ganztagsschule gute Möglichkeiten, den Einfluß der sozialen Herkunft zu verringern. Fortschritte bei der Chancengerechtigkeit sind nicht zuletzt eine Frage von Investitionen in Bildung. Für zentrale Reformen wie Ausbau der Kitas und Ganztagsschulen, Lehrerbildung oder Inklusion fehlt den Ländern jedoch oftmals das Geld.“

Die ökonomisch-soziale Situation der Eltern ist in Deutschland für die schulische Leistung wichtiger als in der Mehrzahl der anderen Länder. Das gilt z.B. für die Lesefähigkeit (Abb. 15388). Auch ist der Anteil der Schüler aus dem unteren sozialen Viertel, deren Leistungen trotzdem im obersten Viertel liegen vergleichsweise sehr gering (Abb. 15389).

Schon die zweite Pisa-Studie von 2004 hatte belegt, daß in keinem anderen vergleichbaren Industriestaat der Welt der Schulerfolg so abhängig vom Familieneinkommen und der Vorbildung der Eltern wie in Deutschland ist, nur in Ungarn, Belgien und Portugal sind die Aussichten für Kinder aus sozial schwachen Familien noch schlechter. Das war auch das Ergebnis des Armutsberichts der Bundesregierung von 2004, demzufolge Kinder von Gutverdienern eine mehr als siebenfach größere Chance, ein Studium aufzunehmen, haben als Kinder aus einem Elternhaus mit niedrigem sozialem Status, relativ wenig Chancengleichheit also.

3. Das Betreuungsgeld erschwert die Integration von Kindern aus bildungsfernen Familien

Extrem wichtig für die Integration von Kindern aus bildungsfernen Familien ist die frühkindliche KiTa-Betreuung. Doch wie eine neue Untersuchung der Technischen Universität Dortmund und des Deutschen Jugendinstituts belegt, erweist sich das Betreuungsgeld als besonders attraktiv ausgerechnet für Familien, die eine geringe Erwerbsbeteiligung aufweisen, durch eine gewisse Bildungsferne gekennzeichnet sind und einen Migrationshintergrund haben. Die Prämie sei ein besonderer Anreiz für sozial eher benachteiligte Familien, kein Angebot frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung zu nutzen.

Von den Familien mit Migrationshintergrund, die sich keine außerhäusliche Betreuung wünschen, gaben 25 % an, das Betreuungsgeld sei der Grund dafür gewesen. Bei den Familien ohne Migrationshintergrund liegt dieser Anteil bei lediglich 13 %. Und je höher das Bildungsniveau einer Familie ist, desto geringer erscheint der finanzielle Anreiz des Betreuungsgeldes. Von den Familien, in denen kein Elternteil einen Bildungsabschluss besitzt oder die als höchsten Bildungsabschluß einen Hauptschulabschluß nennen, sagen 54 %, das Betreuungsgeld sei Grund für die Entscheidung gewesen. Dagegen liegt bei den Familien mit einer mittleren Reife als höchstem Bildungsabschluß dieser Anteil bei 14 % und bei den Familien mit Hochschulabschluß bei nur noch 8 %.

So lautet das Zwischenfazit der Studie:

„Alles in allem zeigen die vorliegenden Analysen, daß die Befürchtungen, wonach das Betreuungsgeld zu einer sozial ungleichen Inanspruchnahme von frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung beiträgt, gerechtfertigt sind.“

Tatsächlich ist bei Kindern unter drei Jahren mit Migrationshintergrund die KiTa-Betreuungsquote weniger als halb so groß wie bei Kindern ohne diesen Hintergrund (Abb. 18095); auch zwischen 3 und 6 Jahren klafft noch ein Unterschied von 87 % zu 96 %.

4. Die Folgen: Gravierende Probleme in der Erwerbstätigkeit

Mangelnde Bildung hat sehr negative Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit: So sind 26,5 % der Männer im erwerbsfähigen Alter mit Migrationshintergrund nicht erwerbstätig (gegenüber 20,3 % der Männer ohne Migrationshintergrund); bei den Frauen sind es sogar 40,2 % (gegenüber 27,9 % der Frauen ohne Migrationshintergrund, Abb. 18379).

Das hohe Ausmaß an Menschen mit Migrationshintergrund an Arbeitslosen und Hartz-4-Empfängern zeigte eine neue Studie der Bundesagentur für Arbeit aus dem vergangenen Jahr. 35 % der Arbeitslosen haben einen Migrationshintergrund. Unter den Arbeitslosen mit Migrationshintergrund haben 68 %, die dazu Angaben machten, keine abgeschlossene Berufsausbildung und gelten als „gering qualifiziert“. Bei den Arbeitslosen ohne Migrationshintergrund lag der Anteil dagegen nur halb so hoch bei knapp 35 %. Ein Fünftel der Arbeitslosen mit Migrationshintergrund hatte keinen Hauptschulabschluss (sonst nur knapp 9 %). Nur 16,6 % hatten die mittlere Reife (sonst 30,4 %). Ein Drittel war bereits länger als ein Jahr arbeitslos. Das sind bedrückende Werte.

Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an allen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in der Grundsicherung („Hartz IV“) beträgt rund 42 %, in W-Deutschland sogar etwas über 51 %. Wenn mehr als die Hälfte aller Hartz-IV-Empfänger Menschen mit Migrationshintergrund sind, dann läuft die Integration schrecklich falsch, und wird hier ein Subproletariat in einer Parallelgesellschaft vorbereitet. Man kann nur hoffen, dass dieser Prozess mit dem im Bildungsbericht 2014 festgestellten Fortschritt in der Bildung jüngerer Generationen mit Migrationshintergrund und mit mehr Einwanderung von weniger bildungsfernen Menschen und vor allem raschen Verbesserungen im deutschen Vorschul- und Schulsystem möglichst schnell gebremst wird.

Joachim Jahnke, geboren 1939, promovierte in Rechts- und Staatswissenschaften mit Anschluss-Studium an französischer Verwaltungshochschule (ENA), Mitarbeit im Kabinett Vizepräsident EU-Kommission, Bundeswirtschaftsministerium zuletzt als Ministerialdirigent und Stellvertretender Leiter der Außenwirtschaftsabteilung. Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London, zuletzt bis Ende 2002 als Mitglied des Vorstands und Stellvertretender Präsident. Seit 2005 Herausgeber des „Infoportals“ mit kritischen Analysen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung (globalisierungskritisch). Autor von 10 Büchern zu diesem Thema, davon zuletzt „Euro – Die unmöglich Währung“, „Ich sage nur China ..“ und „Es war einmal eine Soziale Marktwirtschaft“. Seine gesellschaftskritischen Analysen beruhen auf fundierter und langjähriger Insider-Erfahrung.

Sein Buch über das Ende der sozialen Marktwirtschaft (275 Seiten mit 176 grafischen Darstellungen) kann unter der ISBN 9783735715401 überall im Buch- und Versandhandel für 15,50 Euro bestellt werden, bei Amazon hier.

 


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